65 Jahre Hiroshima

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06.08.2010


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65 Jahre Hiroshima

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Redebeitrag für die Hiroshimagedenkveranstaltung am 6. August 2010 in Bremen

Liebe Freundinnen und Freunde,

Gerhard Kromschröder (in Bremen)



- Sperrfrist: 6. August 2010, Redebeginn, ca 16 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort! -



Mit uns kann man`s ja machen, denken die: Uns für dumm verkaufen, uns ein X für ein U vormachen, uns an der Nase rumführen: Man braucht nur Kriege nicht mehr Kriege zu nennen, sondern Friedensmissionen; aus radioaktiven, ewig strahlenden Mülldeponien werden Entsorgungsparks, zivile Kriegstote werden zu Kollateralschäden neutralisiert, zerfetzte Soldaten zu gefallenen Helden veredelt.

So versuchen Sie uns zu verarschen, und das mit System, und das nicht erst seit heute. Ein Beispiel: An diesem Freitag vor 65 Jahren, heute früh um Viertel nach acht Ortszeit - hier bei uns war es kurz nach Mitternacht - wird über Hiroshima die erste militärisch eingesetzte Atombombe gezündet. Ein gigantischer Feuerball mit einer Innentemperatur von einer Million Grad Celsius spülpt sich über die japanische Stadt, fegt mit einer Hitzewelle von 6.000 Grad durch die Straßen, kein Stein bleibt mehr auf dem anderen, im Explosionszentrum sind 90 Prozent der Menschen auf der Stelle tot, mindestens 70.000 sind es, viele von ihnen verdampfen buchstäblich, oft bleiben von ihnen nur Schattenrisse, die der Atomblitz in die Hauswände brennt.

Durch die Verstrahlung und die Folgen der Brandverletzungen kommen in den folgenden Wochen weitere Zehntausende ums Leben, Männer, Frauen Kinder. Und bis heute, 65 Jahre danach, sterben dort immer noch Menschen, an ihren Verletzungen, an Krebs aufgrund der Nuklearstrahlung, zusammengerechnet sind es mehr als 140.000.

Die Bombe, die dies alles angerichtet hat, dieses wütende Massentötungswerkzeug, heißer als tausend Sonnen, hatte auch einen Namen. Die Bombe hieß ganz unschuldig: "Little Boy" - ach, wie niedlich, dieser süße kleine Racker!. Und die zweite nukleare Vernichtungsbombe, die drei Tage später Nagasaki mit Mann und Maus verbrannte, auch deren Name täuschte über ihren barbarischen Bestimmungszweck hinweg - sie trug den Namen "Fat Man", das klingt so schön gemütlich, nach dem gütigen Oppa im Ohrensessel. Die Militärs hatten ihre Killermaschinen so getauft, folgend ihrem Credo des Tarnens und Täuschens, mit dem sie bis heute versuchen, uns mit euphemistischen Taschenspielertricks hinters Licht zu führen.

Ich habe mir eine ganzes Bündel von Themen aufgeschrieben, über die an diesem Gedenktag hier heute zu reden wäre: Die atomare Bedrohung ist noch längst nicht überwunden, auch ihre zivile Nutzung provoziert berechtigte Ängste, und aktuell zeichnet sich sogar eine Verlängerung der Laufzeiten für Atommeiler ab; im Irak, seit Jahren von Saddam befreit, ist immer noch keiner seines Leibes und Lebens sicher; Gaza ist weiterhin von der Außenwelt abgeschnitten, Menschenrechte werden vehement eingefordert; immer mehr deutsche Soldatensärge kommen aus dem Hindukusch zurück, wo die ausländischen Truppen nicht die Lösung sind, sondern Teil des Problems. Und vor einigen Tagen erst mussten wir durch auf der Internetplattform WikiLeaks veröffentlichte Geheimprotokolle erfahren, wie wir in diesem seit neun Jahren andauernden Krieg wieder mal nach Strich und Faden angelogen worden sind. - Die Agenda der Themen, über die zu reden wäre, ist lang.

Doch gestatten Sie mir, anstelle eines politischen Rundumschlags an die WikiLaeks- Enthüllungen über den Afghanistan-Krieg anzuknüpfen und bei meinem eingangs angeschnitten Thema über die Tricks der Militärs bei Ihrer Informationspolitik zu bleiben. Gestatten Sie mir also, diesen Gedenktag dieses Mal zu nutzen, um unseren Blick auf die Medien zu schärfen, über die uns heute tagtäglich neue Begründungen geliefert werden für immer neue Kriegseinsätze. Denn wir sind heute Zeugen einer Schlacht der Bilder und der Lügen, und manchmal fürchte ich, dass an dem Spruch "Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst" mehr dran ist als uns lieb ist.

Wir leben im Krieg, zweifellos. Aber Kriege werden, wie wir wissen, nicht mehr Kriege genannt, ja, man kaschiert sie sogar als "Aufbauhilfe". Dieser Etikettenschwindel hat seinen Grund, und General Clark, der Nato-Oberbefehlshaber im Jugoslawien-Krieg, hat das einmal so erklärt: "Die Heimatfront ist der wichtigste Kriegsschauplatz, und Worte und Bilder sind die entscheidenden Waffen."

Das ist ein Satz, der nicht sonderlich überrascht, weil ihn schon andere Kriegsherren vor ihm sinngemäß gesagt haben (und andere nach ihm sagen werden). Der aber dennoch aktuell von ungeheurer Tragweite ist für die Medien und ihre Nutzer: Journalisten werden als Soldaten zwangsrekrutiert, die Front wird in die Redaktionen der Zeitungen, Magazine und Sender verlegt. Nicht Panzer und Kanonen, nicht Bomben und Raketen sollen demnach den Ausschlag über Sieg oder Niederlage geben, sondern die Worte der Journalisten und besonders ihre Bilder, ihre Fotos.

Der Mensch funktioniert ja schon merkwürdig: Ereignisse haben wir weniger in Texten in Erinnerung. In unserer Gedächtnisgalerie bewahren wir überwiegend visuelle Eindrücke auf. Bilder scheinen dort eher haften zu bleiben. Und längst sind moderne Kriege auch Kriege der Bilder. Sie werden durch Bilder gerechtfertigt, aber es sind auch Bilder, mit denen ihre Legitimität in Zweifel gezogen werden kann. Längst sind Bilder zu einer unverzichtbaren Waffe des Krieges und des Krieges der Erinnerung geworden.

Viele Kriegsbilder aus der Vergangenheit haben sich wie Chiffren in unser Gedächtnis eingegraben. Zum Beispiel das Foto, das wir erinnern als Sinnbild des Leidens: der jüdische Junge im Warschauer Ghetto mit erschrocken über den Kopf erhobenen Händen, rechts ein deutscher Soldat mit Stahlhelm und Karabiner - bereit, den Jungen in eines der Todeslager abzutransportieren. Ein weiteres Beispiel, aus dem Vietnam-Krieg: Das Bild der neunjährigen nackten Kim Puc, die mit verbrannter Haut schreiend vor Schmerz aus ihrem soeben mit Napalm bombardiertem, lichterloh brennenden Dorf flüchtet.

Bilder wie diese appellieren an unser Mitleid, sie können uns anrühren. Sie können uns gegen den Krieg einnehmen, sie können Öffentlichkeit mobilisieren und so politische Wirksamkeit entfalten. Doch es gibt auch die ganz anderen Kriegsbilder - die uns einlullen sollen. Die den Krieg beklatschen, seine blutige Schleifspur parfümieren wollen. Die uns anlügen.

Heute sind wir Zeugen eines Medienkrieges, der mehr denn je eine Schlacht der Bilder ist. Tagtäglich begegnen wir dabei Dokumenten der Entlastung, die wie Präventivschläge gegen die Wirkungsmacht realistischer Kriegsbilder auf uns einprasseln, indem sie den blutigen Horror ausblenden und den Krieg bis zur Unkenntlichkeit heroisieren und ästhetisieren:

Genrebilder von Wache haltenden Soldaten im Schattenriss vor der pathetischen Naturkulisse eines Sonnenuntergangs im Hindukusch; onkelhafte Männer im Combat-Outfit beim Verteilen von Spielzeugdrachen und Kaugummi an Kinder in Landestracht; glänzende Kriegmaschinen im funktionalen Hochdesign zu Wasser, zu Lande und in der Luft; jovial lachende Politiker mit Freizeithemd und Sonnenbrille, die schusssichere Weste kokett übergesteift, zu Besuch bei der Truppe in der exotisch anmutenden Fremde; junge, durchtrainierte Kerle mit nacktem Oberkörper in ihren geländegängigen Four-Wheel-Drives beim Dune-Hopping im hochaufspritzenden Wüstensand.

Propaganda camoufliert sich hier als Journalismus, wieder einmal. Denn Krieg, so die wahrheitswidrige Botschaft dieser Bilder, ist so spannend wie ein Abenteuerurlaub, er ist ein Event, eine männliche, überaus sportive Veranstaltung, genauso faszinierend wie es Extremsportarten eben sind.

Obwohl wir doch eigentlich die Funktionsweise solcher Bilder kennen sollten - warum lassen wir uns dennoch immer wieder von ihnen einnehmen, warum gehen wir dieser visuellen Kriegs-PR immer wieder auf den Leim? Wahrscheinlich liegt es daran, dass es sich eben um Fotos handelt, also um Abbildungen, denen wir in besonderem Maße die Autorität der Objektivität einräumen.

Die Fotografie erhebt ja eine fast totale Wirklichkeitsanforderung; ein Foto suggeriert dem Betrachter, es sei die wahrheitsgetreue optische Transkription eines Augenblicks: Das hier gezeigte Ereignis, so suggeriert das Bild, hat sich real und tatsächlich genau so zugetragen und keinen Deut anders, haarklein so, wie es sich auf der Fotografie darbietet. Und diesen Vertrauensvorschuss der ungeschminkten, minutiösen Wirklichkeitsabbildung räumen wir in besonderem Maße der Pressefotografie ein - ein oft trügerischer Schluss.

Aber oft müssen Kriegsbilder ja gar nicht nachgestellt, manipuliert oder verfälscht werden, um sie für einen bestimmten propagandistischen Zweck nutzbar zu machen. Oft genügt es schon, Fotos, die ein durchaus real stattgefundenes Ereignis real abbilden, in einen anderen Kontext zu stellen.

So wurden im Jugoslawien-Krieg von der serbischen und der kroatischen Propaganda die gleichen Fotos von Kindern verteilt, die bei der Beschießung eines Dorfes getötet worden waren. Allein in der Bildunterschrift unterschieden sie sich - die Serben behaupteten, die Kinder seien von Kroaten umgebracht worden, die Kroaten wiederum verbreiteten, die Serben seien die Täter.

So konnte jeder die Opfer für sich reklamieren und die jeweils andere Seite für den Tod Unschuldiger verantwortlich machen - um damit zu agitieren, aufzuhetzen. Serben gegen Kroaten, Kroaten gegen Serben. Oder, bei Anwendung dieser Methode, Schiiten gegen Sunniten, Sunniten gegen Schiiten. Oder Tutsi gegen Hutu und umgekehrt.

Gegen solche von den Marketingexperten des Hasses propagandistisch überlackierten Bilder stehen jene Bilder, die uns einen ungeschminkten und quälend intimen Einblick geben in das Innenleben des Krieges als Schule der Barbaren - der jüdische Junge im Warschauer Ghetto ist ein Beispiel dafür, Kim Puc aus Vietnam.

Da sich solche optischen Leidensdokumente in ihrer Authentizität absetzen vom Inszenierungscharakter der medial konstruierten Kriegswirklichkeit, vermögen sie uns ins Herz der Finsternis zu führen, dorthin, wo der Mensch dem Menschen Wolf ist.

Der Patriotismus, das Refugium der Halunken, versucht uns trotz solcher Bilder, die das hässliche und hassverzerrte Gesicht des Krieges zeigen, Krieg weiterhin als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln aufzuschwatzen. Ein professionelles Kriegsmarketing will uns dabei mit allen erdenklichen Tricks aus dem Arsenal der Weißwascher vorgaukeln, im postmodernen Krieg gehe es ganz besonders human zu.

Da werden uns Drohnen und intelligente Bomben vorgeführt (und wann haben Panzer Abitur und Tarnkappenbomber einen Magister?), deren aus ihrer Nase aufgenom-menen, computerspielhaften Bilder uns weismachen sollen, heute führe man einen zielgenauen, schmerzlosen, sauberen Krieg, ganz ähnlich einem exakten, chirurgischen Eingriff in krankes Gewebe.

Dabei ist das die schlichte Wahrheit: Krieg ist ein antizivilisatorischer Akt, er entmenscht den Menschen, erniedrigt ihn, produziert individuelles Leid, er rüttelt an den Festen der von uns gebauten Welt, zerstört und reißt ein. Krieg ist kein virtuelles Spiel, keine hohe Form der Chirurgie - Krieg wirkt tödlich.

Gegen Ende eine persönliche Anmerkung: Im ersten Irak-Krieg war ich Zeuge, wie ein amerikanischer Marschflugkörper in Bagdad die Decke eines zivilen Bunkers durchbohrt hatte und innen in einer glühenden Feuerwalze explodiert war. 400 Iraker - Männer, Frauen, Kinder - sind dabei zu Tode gekommen, erschlagen, erstickt, verbrannt. Ich habe sie gesehen - und ich habe sie fotografiert.

Dabei habe ich mich gefragt, ob es nicht zynisch ist, solche Bilder zu machen, Leichen zu fotografieren, diese malträtierten Leiber. Und ich habe mich dann in die Überlegung gerettet: Vielleicht bekommt der Tod dieser Kriegsopfer noch einen klitzekleinen Rest von Sinn, wenn diese geschundenen Körper in meinen Fotos den Schrecken des Krieges bezeugen, seine dunkle Seite zeigen. Das würde den Opfern vielleicht ein bisschen von der Würde zurückgeben, die ihnen der Krieg genommen hat.

Und ich glaube, dass die Opfer wollen, dass ihr Leid nicht unterschlagen wird, sondern dass wir es sehen - und daraus unsere Schlussfolgerungen ziehen. Seht her, sagen diese Fotos, so sieht das aus, das richtet Krieg an. Du wirst nicht sagen können, Du hättest es nicht gewusst. Das Bild kann so zum Appell werden, etwas zu unternehmen, zu intervenieren dagegen, wie der Krieg die gebaute Welt entleert und einebnet und wie er tötet.

Kriege brauchen Begründungen. Der Zweite Weltkrieg begann mit der Lüge vom Überfall auf den Sender Gleiwitz. Bei George W. Bush reichte im Irak als Begründung die Suche nach angeblichen Massenvernichtungswaffen. Bei Bismarck taten`s schon ein paar Federstriche, und fertig war die Emser Depesche. Im Jugoslawien-Krieg musste eine Zeichnung herhalten, der "Hufeisenplan". In Vietnam brauchte man immerhin ein hochseetaugliches Schiff für den Tonkin-Zwischenfall. Manchmal genügt auch schon ein einzelnes Kleidungsstück, eine Burka zum Beispiel. - Alles erstunken und erlogen. Denn die Lüge ist die Mutter aller Kriege, sie rechtfertigt ihn, hält ihn am Leben, entfacht neue.

Deshalb mein Appell zum Schluss: Lesen Sie zwischen den Zeilen, sehen sie bei jedem Bild genau hin. Zweifeln Sie an, was ihnen da gezeigt und gesagt wird, hinterfragen Sie, lassen Sie sich nicht für dumm verkaufen. "Litte Boy" und "Fat Man" sind keine niedlichen Comic-Figuren, sondern Ausgeburten blinder Barbarei. Kriege werden zu "Stabilisierungseinsätzen"" umetikettiert, dabei haben "Kollateralschäden" Vor- und Nachnamen, sind aus Fleisch und Blut, das ist die schmutzige Wahrheit. Überlassen Sie dem Kriegsmarketing nicht kampflos das Feld, machen Sie ihm den Sieg streitig. Durchkreuzen Sie die Strategie der Militärs, indem Sie gegen das mediale Sperrfeuer, das tagtäglich auf uns niedergeht in diesem Krieg der Bilder und der Lügen, Ihre schärfste Waffe einsetzen: Ihren Verstand.

Und unternehmen wir gemeinsam etwas dagegen, wie der Krieg die gebaute Welt entleert und einebnet und wie er tötet.



Gerhard Kromschröder ist Journalist. Vita siehe hier

E-Mail: Kromo (at) t-online (Punkt) de
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