65 Jahre Hiroshima

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09.08.2010


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65 Jahre Hiroshima

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Redebeitrag für die Hiroshima-Mahnwache am 6. August in Bremen

Der "gute" Geist ist aus der Flasche

Lars Pohlmeier (in Bremen)



- Es gilt das gesprochene Wort -



New York City, Uptown Manhattan unweit der Columbia University in der Riverside Church. Hier hat schon Martin Luther King gesprochen, hier hat Nelson Mandela sein erste Rede in den USA als südafrikanischer Präsident gehalten - und hier eröffnete am 30. April 2010 UN-General- Sekretär Ban Ki-Moon die einmonatige Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Nicht offiziell - nein, das tat er erst zwei Tage später im UN-Hauptgebäude - aber moralisch. Mit einem leidenschaftlichen Appell an die Menschen der Welt, sich für die Abschaffung der Atomwaffen einzusetzen und mit den Worten "Die Abschaffung der Atomwaffen ist meine erste Priorität" wandte er sich an etwa 1.000 Mitglieder zahlloser Nichtregierungs- und Friedensorganisationen, die die Verhandlungen bei den Vereinten Nationen für vierWochen begleiten sollten.

Bedauerlich: Die visionäre Rede von Ban hat zu wenig Widerhall gefunden in den offiziellen Regierungs-Verhandlungen. Diese sind wie in den Vorjahren weitgehend unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit erfolgt. Zu Beginn echauffierten sich die Medien noch über die ungeschickte Rede des iranischen Staatspräsidenten Ahmadenischad, um anschließend keine weitere Notiz zu nehmen von den Beratungen über den Fortbestand eines 40 Jahre alten Vertrages, der noch immer das Fundament für die weltweite Sicherheitsarchitektur bedeutet.

Immerhin, der Vertrag ist nicht aufgekündigt worden. Das ist nicht wenig angesichts der schwierigen Ausgangslage. Noch 2005 hatte die letzte große Atomwaffenkonferenz in einem Desaster geendet - ohne jede weitere Verabredung. Ein erneutes Scheitern der Verhandlungen hätte der Vertrag nicht überlebt. Alle Vertragsstaaten haben diesmal das Schlussdokument unterzeichnet.

Das wurde erreicht: Erstmalig wird die Perspektive einer Atomwaffenkonvention in einem Konsenspapier aller Vertragsstaaten erwähnt. Ein solcher Vertrag würde die überprüfbare Abschaffung der Atomwaffen transparent und konkret in einem festen Zeitrahmen regeln. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ist ein Verfechter dieser Konvention, die als Entwurf bereits als offizielles UN-Dokument vorliegt. Entwickelt wurde sie nicht von Regierungen sondern von Völkerrechtlern und Wissenschaftlern aus dem Kreis globaler Nichtregierungsorganisationen, übrigens unter maßgeblicher Mitarbeit (und Finanzierung) der IPPNW. Zwar wurde die Festlegung von Fristen durch die meisten Atomwaffenstaaten blockiert, dennoch aber ist dieser "gute Geist" aus der Flasche heraus.

Insgesamt ist im Abschlussdokument viel an schönen Worten zu finden, aber wenig an konkreter Vereinbarung. Im Wesentlichen erfolgte eine Rückbesinnung auf Verabredungen, die schon zehn Jahre alt sind, von der Bush-Administration aber aufgekündigt worden waren. Ein Durchbruch ist jedoch mit der Forderung nach der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten gelungen. Im Jahr 2012 soll eine Konferenz in der Region erste verbindliche Schritte hierfür regeln. So könnte auch Israel - so die Hoffnung - einbezogen werden in Verhandlungen um Sicherheitsgarantien und Abrüstung im Nahen Osten.

Aus deutscher Sicht bleibt von hoher Bedeutung, den Abzug US- amerikanischer Atomwaffen kurzfristig zu erreichen. Dass diese Waffen in einem Nicht-Atomwaffen-Staat stationiert sind, ist nicht vermittelbar gegenüber Drittländern. Diese Thematik war in den Entwürfen zum Schlussdokument enthalten, wurde dann aber noch auf Druck der Atomwaffenstaaten aus dem Dokument gestrichen.

Das internationale Getöse um mögliche Atomwaffen-Aktivitäten im Iran lenkt von den entscheidenden Problemen ab: Die Atomwaffenstaaten präsentieren Abrüstungsschritte als Maßnahmen zur Sicherung ihrer militärischen Überlegenheit. Das werden die Nicht-Atomwaffen-Staaten nicht mehr akzeptieren wollen. Zudem hat Obama mit seiner Philosophie, er werde eine Welt ohne Atomwaffen selbst nicht mehr erleben, der Debatte den Handlungsdruck zu schnellen Entscheidungen genommen. Kein Wunder also, dass die Leistungen der Obama-Administration - wie die Unterzeichnung des START-Abrüstungsvertrages - in der Gesamtkonstellation als zu wenig kritisiert werden.

Leider ist in New York aus taktischem Kalkül die zukünftige weltweite Nutzung der Atomenergie massiv beworben worden. Würde dies umgesetzt, wäre das fatal. Fast alle Militärprogramme beginnen mit der zivilen Nutzung. Selbst wenn die Trennung kontrollierbar wäre, wie sollte das organisatorisch umsetzbar sein? Die einzige Antwort auf diese Frage ist: Die Atomenergie muss ihre Bedeutung verlieren.

Professor Bernard Lown, der große amerikanische Kardiologe und Begründer der IPPNW, kommt der Wahrheit ziemlich nah, wenn er die Mut- und Entschlußlosigkeit vor allem der Atomwaffenstaaten kritisiert. Lown vergleicht die aktuelle Situation mit dem Mann, der über das Dachgeländer des Empire State Buildings fällt und beim Sturzflug auf Höhe des 31. Stockwerkes ruft: "Bislang ist doch eigentlich alles gut gegangen."

Völkerrechtlich ist die Verpflichtung zur Abschaffung aller Atomwaffen als Bestandteil des Atomwaffensperrvertrages heute unstrittig. Zugleich sind alle technischen Instrumente für eine überprüfbare Abschaffung aller Atomwaffen längst entwickelt. Allein, es fehlt der politische Wille, dies umzusetzen. Ein konkreter Zeitplan, der die konkrete Abschaffung aller Atomwaffen in einem überschaubaren Zeitraum überprüfbar regelt, ist nicht "verfrüht", wie uns auch westliche Regierungspolitik glauben machen will, sondern politisch ohne Alternative. Aber es braucht den öffentlichen Druck der Zivilgesellschaft.

Als Ärzte mit dem Blick auf gesundheitlichen Konsequenzen wissen wir: Nicht nur im Kriegsfall, auch bei einem Unfall könnte die Europa innerhalb weniger Stunden ausgelöscht und das Klima global nachhaltig verändert werden. Das ist unerträglich und moralisch verwerflich für unsere eigenen demokratischen Gesellschaften, die im politischen Schulterschluß mit den USA die meisten dieser schrecklichen Waffen besitzen.

In den 60er Jahren wurde der erste Teststopp-Vertrag innerhalb von zehn Tagen ausgehandelt. Aber von allein werden die Atomwaffen nicht verschwinden. Bei den UN-Verhandlungen haben neben sehr erfahrenen Wissenschaftlern, Ex-Diplomaten, Ärzten und Aktivisten aus aller Welt auch diesmal wieder viele junge Leute die offiziellen Verhandlungen begleitet. Wir alle werden uns weiter einmischen müssen, damit gelingt, was jetzt gelingen muß, da die Alternative so unvorstellbar grauenvoll wäre. Jetzt muß die Wende zu einer Welt ohne Atomaffen kommen.



Dr. med. Lars Pohlmeier aus Bremen ist interim Europa-Präsident der IPPNW und engagiert sich seit fast 20 für eine Welt ohne Atomwaffen und ohne Krieg.

E-Mail: L (Punkt) Pohlmeier (at) gmx (Punkt) de

Website: www.ippnw.de
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