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07.08.2012


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Hiroshimatag 2012

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Redebeitrag für die Hiroshima-Gedenkveranstaltung am Friedensplatz in Oberhausen am 6. August 2012

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ingrid Wenzler (in Oberhausen)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Im Gedenken an die Opfer der Atombombenabwürfe Versammelte,

zusammen mit Menschen in rund 70 deutschen Städten und in vielen Städten weltweit sind wir auch in Oberhausen zusammen gekommen, um durch Kerzen, Musik und Reden der unzähligen Opfer zu gedenken, die vor 67 Jahren, am 6. und am 9. August 1945 in Hiroshima und in Nagasaki getötet wurden.

Und wir stehen hier mit aktuellen Forderungen an die deutsche Bundesregierung und an die Regierungen der Welt: Beendet die zivile Nutzung der Kernenergie, beendet die militärische Drohung mit Atombomben, beendet die Stationierung von Kernwaffen in Deutschland.

Zu beiden Punkten will ich einige Überlegungen entwickeln.

"Wir wünschen, dass ihr und die Kinder und alle Menschen dieser Erde erfahren, was an jenem Tag geschah, so wie die Augen dieses Kindes es sahen" steht auf der Einladung zu unserem Treffen. Was sahen diese Augen? 1951 befragte ein japanischer Professor überlebende Kinder und Jugendliche nach ihren Erinnerungen an den 6. August in Hiroshima. Aus über 2000 Aufsätzen wählte er 61 aus, die ich zur Vorbereitung auf den heutigen Tag gelesen habe. Die Kinder waren 1945 zwischen 4 und 12 Jahren alt, also 10 bis 18 Jahre, als sie diese Erinnerungen aufschrieben. Es sind Texte voller Anschaulichkeit, ohne Theoretisierung, darum in besonderer Weise plastisch, schrecklich, furchtbar. In allen Details bestätigt durch Untersuchungsberichte. Wie die Druck- und Hitzewelle die Häuser binnen Sekunden einstürzen ließ, rundum eine Feuerfront nach der anderen auf sie zukam, Eltern, Geschwister, Großeltern verschüttet waren, verbrannt, mit aufgedunsenen Gesichtern und Händen, die Haut in Lappen vom Körper hängend, die Flüsse und Straßen, Krankenhäuser voller Verwundeter, Sterbender. Leichen, unerkennbar verunstaltet. Die Kinder schrieben so präzise wie nur je ein Wissenschaftler.

Ihre Wünsche: Hiromi, 1945 elf Jahre alt schreibt: "Jedesmal, wenn ich mir die traurigen Bilder von Blut und Tränen aus jenen Tagen wieder ins Gedächtnis rufe, möchte ich sagen: Wiederholt diese Tragödie niemals. Für uns, die wir die Atombombe überlebt haben, ist das der wahre Ruf, und er kommt aus tiefstem Herzen."

Masayuki, 1945 ebenfalls elf Jahre alt: "Ich kenne die Entsetzlichkeit der Atombombe. Und ich bin der Meinung, dass mit den blutigen Kriegen Schluss gemacht werden muss. Ich wünsche mir, dass niemand den 6. August vergessen, dass ewiger Frieden kommen möge."

Diese Wünsche sind unsere Wünsche. Deshalb stehen wir hier. Dies drücken wir mit unserer Veranstaltung entschlossen aus. Dafür setzen wir uns im Alltag ein.

Eine andere Quelle lässt jedoch erahnen, warum es so schwer ist, dieses Ziel zu erreichen; warum die Welt heute ein Atomwaffenarsenal mit einer Sprengkraft hat, die 50.000 mal der der Hiroshima-Bombe entspricht. In Hiroshima tötete die eine Bombe über 200.000 Menschen, beide Bomben zusammen bis heute 500.000 Menschen. 50.000 mal Hiroshima: Es ist der pure Wahnsinn.

Diese andere Quelle, das sind die Lebenserinnerungen des amerikanischen Präsidenten, der den Befehl zum Abwurf der Bomben gab, Harry S. Truman. Er schrieb: "Deshalb mühten wir uns, ein Kampfmittel von so ungeheurer Vernichtungskraft zu schaffen, dass sich ihm (.) der Feind in kürzester Zeit beugen musste. Das war das vornehmste Ziel unserer ungeheuren, in aller Heimlichkeit vor sich gehenden Anstrengung." Dann, genau, wie die Kinder es beschrieben, fiel die Bombe ohne Vorwarnung: Die Ratgeber des Präsidenten "empfahlen, keine Sonderwarnung vorhergehen zu lassen und ein Abwurfziel zu wählen, an dem die vernichtende Kraft eindeutig demonstriert werden könne. Mir war natürlich klar, dass eine Atombombenexplosion eine jede Vorstellungskraft übertreffende Zerstörung und gewaltige Verluste an Menschenleben zur Folge haben musste." Und dann der Vollzugsbericht: "Ergebnis in jeder Hinsicht gut".

Ist es möglich, als Mensch, und sei man hundertmal Präsident, so zu denken, zu schreiben, zu handeln? Es ist diese unmenschliche Sachlichkeit und Kühle, die frösteln macht. Ja, es ist möglich. Aber es ist auch möglich, das nicht einfach hinzunehmen, das nicht einfach geschehen zu lassen. Es ist möglich und es ist notwendig, dagegen zu protestieren. Darin sehe ich unsere Aufgabe.

Das bringt mich zum zweiten Teil meiner Gedanken: Unsere Aufgaben heute. Hier geht es nicht nur um die Schrecken. Hier zeigt sich, dass der Widerstand gegen die militärische und zivile Nutzung der Atomkraft auch Erfolge vorzuweisen hat.

Trotz aller Gefahrenmomente seit 1945 wurde keine Bombe mehr als Kriegswaffe eingesetzt. Jedoch fand die erwähnte Ausweitung des Atomwaffenarsenals statt und der Ausbau der Atomkraftwerke, von denen eine dauerhafte Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Menschen ausgehen. Die zahllosen Atomunglücke der zivilen Nutzung verblassen vor den drei großen Katastrophen in Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima im März 2011.

Die letzte Katastrophe beschleunigte den Atomausstieg in Deutschland. Doch damit ist das Kapitel nicht abgeschlossen. Die Strahlungsgefahr der nuklearen Abfälle bleibt unverändert groß.

Und doch: Ist es nicht auch der Stärke der Antiatombewegung in Deutschland zu verdanken, dass dieser Schritt des Ausstiegs möglich wurde?

Hat nicht der dauerhafte öffentliche Protest seit den 50 er Jahren zur kritischen Einstellung in unserem Land beigetragen, zur Delegitimierung der zivilen wie der militärischen Nutzung der Kernkraft?

Können wir nicht sagen, dass wir manches verhindert haben, auch mit der Kraft der Oberhausener Aktiven, z.B. damals die Inbetriebnahme von Kalkar?

Wurde der hemmungslose Ausbau von Atomkraftwerken nicht zumindest behindert, eingeschränkt, erschwert?

Ich meine, wir können alle Fragen mit Ja beantworten.

Wie zur Bestätigung all dieser Aktivitäten zitierte die WAZ vom 6. Juli 2012 aus dem Untersuchungsbericht des japanischen Parlamentes zur Ursache des Unglücks von Fukushima: Es sei eine Katastrophe Made in Japan. "Ihre wahren Gründe liegen in den tief verwurzelten Konventionen der japanischen Kultur: in unserem reflexartigen Gehorsam, in unserem Zögern, Autorität in Frage zu stellen; und in der Hingabe mit der wir uns an Vorschriften halten". Zuvor heißt es als wörtliches Zitat aus dem Untersuchungsbericht: "Der Unfall am Atomkraftwerk von Fukushima war die Folge von Kungelei zwischen der Regierung, den Aufsichtsbehörden und Tepco."

Was ist dies Anderes als eine generalisierbare parlamentsoffizielle Bestätigung der Notwendigkeit von Widerstand gegen jede Form des Atomausbaus, hier und überall auf der Welt? Im Kommentar vom selben Tag die eindeutige Frage: "War es vielleicht der größte Fehler, dass dieser und alle anderen Atommeiler überhaupt gebaut wurden?" Sogar im Forum der FAZ sind Fragen der Sicherheit des Atommülls und die Unmöglichkeit der sicheren Endlagerung inzwischen aufgeworfen worden.

Das ist allerdings neu, so grundsätzlich kritische Fragen in der Presse lesen zu können. Auch sie bestätigen, wie richtig die langjährige Opposition gegen Kernkraft ist. Nutzen wir unsere eigene Überzeugung einer humanen, atomfreien Gesellschaft und nun auch diesen -wenn auch noch schwachen- Rückenwind in unserem Eintreten für eine atomwaffenfreie Welt, für ein Ende der zivilen Nutzung des Atomstroms, für eine bestmögliche Gefahrenkontrolle bei der Lagerung atomarer Rückstände.

Knüpfen wir an diese Bestätigungen an. Durch unser Gedenken Kraft und Energie zu entwickeln, neue Aktive zu gewinnen, das ist der wichtigste Sinn der heutigen Gedenkveranstaltung..

Ich schließe mit einem Zitat, das uns in den 60er Jahren unsere damalige Deutschlehrerin mit auf den Weg gegeben hat: Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.



Ingrid Wenzler ist Leiterin der Gesamtschule Osterfeld in Oberhausen.

E-Mail: ingrid (Punkt) wenzler (at) oberhausen (Punkt) de
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