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07.08.2013


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Hiroshimatag 2013

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Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung in Berlin am 6.8.2013 zu den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki

Abrüstungsinstrumente - Rhythm beats Bombs

Christine Hoffmann (in Berlin)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Freundinnen und Freunde,

Als die Atombomben vor 68 Jahren auf Hiroshima fielen wussten die Menschen nicht, ob sie weglaufen, wo sie sich verstecken, wie sie sich schützen könnten. Hilflos wurden sie gemacht:

Mädchen und Jungen, die gerne in ihrem Leben noch getanzt hätten, Mütter und Väter, Großmütter und Großväter, Menschen voller Lebenslust und Liebe. Um dieser Menschen willen stehen wir hier.

Wir halten die Würde der Toten durch unsere Erinnerung an sie wach. Darin sind wir verbunden mit den Menschen, die heute Morgen in Hiroshima gestanden und eine Schweigeminute für die Opfer gehalten haben. Und wir sind solidarisch mit denen, die bis vorgestern vor dem Bundeskanzleramt hier in Berlin für den Abzug der immer noch in Deutschland stationierten amerikanischen Atomwaffen gefastet haben und diese Fastenaktion seit gestern bis Freitag vor Haupttor des Atomwaffenstandorts Büchel fortsetzen.

Wir gedenken der Opfer der Atomwaffenangriffe des 2. Weltkrieges durch die USA in Japan und zugleich halten wir die aktuelle Politik im Blick.

Die Opfer der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki mussten sterben, weil die Politik versagte und ihre Macht durch den Einsatz einer grausamen Waffe demonstrieren und ausprobieren wollte. Weil Politik auf Krieg setzte, weil Militärs neue Waffen ausprobieren wollten und weil Politiker/innen an Militär und Krieg glaubten. Glaubten selber siegen zu können indem sie andere zu Verlierern machen.

Das war falsch und das ist auch heute noch falsch. Das ist genauso falsch wie heute die vermeintliche Friedensarbeit der Bundeswehr an Schulen, wie der Krieg in Afghanistan, wie der Wahnsinn des deutschen Rüstungsexportes. Deutschland ist weltweit der drittgrößte Waffenhändler. Das ist eine Schande für die deutsche Politik und ein Signal, das Politikerinnen und Politiker auch heute noch nicht gelernt haben aus den Katastrophen der Atombombenabwürfe. Denn: wer Waffen verkauft, nimmt ihren Einsatz billigend in Kauf. Der setzt auf Militär und Krieg statt auf Interessenausgleich, Verhandlung und Vertrauen.

1945 gab es für 140.000 Menschen in Hiroshima keine Hilfe, sie fanden keinen Schutz. So wäre es auch heute. Initiiert vom internationalen Roten Kreuz haben vor kurzem 79 Staaten gemeinsam vor den katastrophalen humanitären Gefahren der Atomwaffen gewarnt. Die helfen wollen, die Sanitären Dienste und die Ärztinnen und Ärzte werden es nicht können. Wie in Hiroshima und Nagasaki wären sie zum mit ansehen unermesslichen menschlichen Leids verdammt.

"Über den sofortigen Tod und die Zerstörung, die durch die Detonation angerichtet wird, hinaus wird die sozio-ökonomische Entwicklung behindert, die Umwelt zerstört und zukünftige Generationen werden ihrer Gesundheit, ihrer Nahrungsmittel, ihres Wassers und anderer lebenswichtiger Ressourcen beraubt." So heißt es in der Erklärung aus Oslo. Nur die totale Beseitigung dieser Waffen garantiert, dass diese Waffen nicht eingesetzt werden. Deshalb ist für mich schon allein der Besitz von Atomwaffen ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht.

Das mit dem Besitz kennen Sie ja: zwar sind die 20 Atomwaffen in Büchel, die ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshimabombe entfalten können Eigentum der USA. Aber sie sind hier gelagert und daher in deutschem Besitz. Die nukleare Teilhabe macht Deutschland mitverantwortlich am Festhalten an der Gefahr riesiger Zerstörung durch Atomwaffen. Die unmittelbaren Auswirkungen von Atomwaffen, die destruktive Wirkungen von Druckwelle, Hitzeentwicklung und Strahlung auf Menschen, Städte und Infrastruktur sind immens. Die Liste der Beispiele von bekannten Unfällen mit Atomwaffen, die beinahe zum Einsatz von Atomwaffen geführt hätten, ist lang. Die Gefahr besteht auch jetzt, und morgen und übermorgen.

Deshalb unterstützt pax christi die 79 Staaten, die sich nun für eine völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen stark machen. Zu diesen Warnern zählt der Vatikan aber Deutschland nicht. Deutschland hat stattdessen in der Nato die Modernisierung der Atomwaffen nicht verhindert sondern setzt ganz und gar auf Big Brother Obama. Jener Barack Obama wurde Friedensnobelpreisträger, weil er die Vision einer atomwaffenfreien Welt mit einer Rede in Prag wiederbelebte. Hier in Berlin verkündete er vor dem Brandenburger Tor vor wenigen Monaten eine neue atomare Abrüstungsinitiative, mit der das Atomwaffenpotential der USA künftig um ein Drittel verkleinert werden könnte. Das ist aber nur die eine Seite - das Reden und Versprechen. Obamas Handeln spricht noch eine ganz andere Sprache: Der gleiche Obama, der die Welt von einer Welt ohne Atomwaffen träumen lässt, plant die umfassendste Modernisierung des amerikanischen Atomwaffenpotentials, die bisher ins Auge gefasst wurde: Jedes Trägersystem, jeder Sprengkopf, den es heute noch gibt, soll in den nächsten 10-30 Jahren einen Nachfolger bekommen. Zu Kosten, die leicht in die Billiarden gehen können. In Washington hat Obama nur Stunden nach seiner Berliner Rede eine neue Nuklearwaffendoktrin veröffentlicht, seine Nuclear Weapons Employment Policy (NUWEP). Diese hält an der traditionelle Rolle nuklearer Waffen fest und legt zugleich erneut Wert auf eine umfassende Modernisierung des USNuklearwaffenpotentials.

Richtig: In keiner Nuklearwaffendoktrin der USA zuvor stehen Sätze wie dieser: "Die Vereinigten Staaten wollen Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne nukleare Waffen." Trotzdem hat Obama für die aktuelle Doktrin NUWEP und seine Berliner Rüstungskontrollvorschläge die konservativste der drei Ideen ausgewählt, die vorgeschlagen war. Vor die Wahl gestellt, das atomare Abschreckungspotential der USA künftig auf 1.000 - 1.100 aktiven Atomsprengköpfen, aus 700 - 800 Waffen oder nach einem Strategiewechsel zu minimaler Abschreckung auch aus nur 300 - 400 Atomwaffen bestehen, entschied er sich für die erste, größte Option und knüpft deren Realisierung an die Bereitschaft Moskaus, ebenfalls weiter nuklear abzurüsten. Der Übergang zu einer Minimalabschreckung wird explizit ausgeschlossen.

Da steht auch: Befürwortet wird die Beibehaltung eines Counterforce-Potentials, also einer nuklearen Abschreckung, die vorrangig darauf beruht, militärische Potentiale und politische sowie militärische Entscheidungsstrukturen des Gegners unter Drohung zu halten. Wie das in Moskau, wo man nichts mehr fürchtet, als einen entwaffnenden atomaren Erstschlag der USA, Vertrauen und Abrüstungsbereitschaft wecken soll, bleibt Obamas Geheimnis. Und es ist perfide. Denn es beinhaltet nicht Städte oder gar große Teile der Bevölkerung werden als Ziel gesehen - da baut Obama vor, weil die, die in Oslo die humanitäre Gefahr benennen, stark werden können.

Allen, die meinen über Atomwaffen nicht mehr reden zu müssen, allen die immer noch vom atomaren Schutzschirm sprechen und Atomwaffen solange behalten wollen, wie andere sie auch haben, damit sie unsere Sicherheit garantieren können, halten wir die Fakten entgegen. In Oslo auf der Konferenz zur humanitären Bedeutung von Atomwaffen machte der US-amerikanische Arzt Ira Helfand unverblümt klar: Ab dem Einsatz von etwa 50 Atomwaffen würde bereits soviel Rauch aufgewirbelt, dass nach modernen Klimamodellen eine Milliarde Menschen aufgrund von weltweit reduzierter Sonneneinstrahlung den Hungertod riskieren. Indien und Pakistan haben jeweils doppelt so viele Sprengköpfe und die Einsatzdoktrinen von Russland und den USA schreiben bei einem Gegenschlag den Einsatz von mehreren Hundert Atomwaffen vor.

Wir unterstützen jeden, der auf Abrüstung und global null Atomwaffen setzt. Dafür gilt es aber konkrete Schritte zu tun: Die Ärzte und die Juristen gegen den Atomkrieg, IPPNW und IALANA haben vorbereitet, was dazu notwendig ist: eine Atomwaffenkonvention. Sie liegt der VV der UN vor - dieser Modellvertrag zur Atomwaffenkonvention zur Abschaffung aller Atomwaffen sieht vertraglich vereinbarte konkrete Schritte und Zeitpläne vor. Deutschland könnte sich international dafür stark machen. Wir bleiben dran und lassen die Bundesregierung da nicht raus. Denn wir wissen:

Widerstand hat Erfolg: das zeigt der Atomausstieg Deutschlands. Das ist ein klarer und großer Erfolg der Atomkraft-Nein-Danke-Bewegung. In Sachen Atomenergie ist aus der grausamen Katastrophe von Fukushima gelernt worden. Und wir müssen im Bundestagswahlkampf dran bleiben und eine wirkliche Energiewende im Blick behalten. Das wird ohne fortgesetztes zivilgesellschaftliches Engagement nix. Dran bleiben werden wir auch daran, den Zusammenhang klar zu machen:

Ohne Atombomben keine Atomenergie. Ohne weltweite atomare Abrüstung kein wirklicher Abschied von der Atomenergie. Die Ächtung der Atomwaffe ist der sicherste Weg auch zu einer konsequenten Energiewende.

Atomwaffen sind eine einzigartige Gefahr für die Menschheit, aber sie stehen nicht solitär. Das de facto Festhalten der Bundesregierung an der nuklearen Teilhabe steht im Zusammenhang mit weiteren Themen der Friedensbewegung:

In Deutschland ist Krieg wieder zu einem Mittel der Politik geworden. Die Beteiligung an einem Krieg wird erwogen und die Entscheidung fällt dafür oder dagegen. In Afghanistan dafür, in Libyen dagegen.

Wieder werden auch hier in Deutschland falsche Entscheidungen getroffen. Heute wird auf Militär als Retter der Menschenrechte gesetzt, wird Geld für Waffen ausgegeben, werden neue Waffen entwickelt und riesige Steuergeldsummen verschleudert für den Euro-Hawk, bleibt ein Minister im Amt, weil er nichts wusste - politisches Verantwortungsbewusstsein sieht anders aus. Wir stehen hier, weil wir diese Skandale nicht nur sehen, sondern auch erkennen und benennen und stoppen wollen!

Wir stehen hier um sie noch mal daran zu erinnern, dass dies durchaus unabhängig von den Nato- Partnern in bilateraler Abstimmung mit den USA möglich ist. Real möglich, es bedarf bloß des politischen Willens. Und zu dem wollen wir der Bundesregierung verhelfen.

Ein großes Bündnis der Kampagne "Atomwaffenfrei: Jetzt" führt am Atomwaffenstandort Büchel heute und in den kommenden Tagen bunte, kreative, musikalische, leise und laute Widerstandsaktionen durch. Der Widerstand in Büchel steht unter dem Motto:

Abrüstungsinstrumente - Rhythm beats Bombs.

Das ist genau das, was sie dahinter vermuten: Wie hier heute, wird es auch in Büchel viele Musikinstrumente geben. Die Lebenslaute, ein Zusammenschluss politische engagierter Musiker/ innen, spielt auf und bringt die Verhältnisse zum Tanzen.

Es geht es heiß her in Büchel - und das angesichts dieses wunderbaren Sommers im wahrsten Sinne des Wortes. Höhepunkt am Wochenende und am Montag wird eine 24-stündige Musikblockade und ein Happening bei dem gefeiert, Kraft getankt und Informiert wird. Sie alle sind eingeladen, mit zu machen.

Wer nach Büchel fährt, setzt sich ein für:



Den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland



Für eine Atomwaffenkonvention



Für die Verwendung von hunderten Mrd. Dollars für Bildung, Gesundheit und Klima schonende Energie statt für atomare Aufrüstung unter dem Deckmantel der Modernisierung.


184 Staaten haben schon heute keine Atomwaffen. Unterstützen wir sie darin, dass die Atomstaaten endlich tun, wozu sie sich im Atomwaffensperrvertrag vor über 40 Jahren verpflichtet haben: diese tickende Zeitbombe zu entschärfen und Abzurüsten.

Und wenn es unsere Lebensaufgabe ist, immer wieder aufs Neue zu erklären, was Abrüsten ist, dann werden wir gerne alt und erklären es - und veranstalten solche Happenings wie heute hier und in Büchel und feiern dabei gemeinsam unser Leben.

Mein Leben, dein Leben und das Leben unserer Enkelkinder, denn darum geht es: um Leben oder Tod.



Christine Hoffmann ist pax christi-Generalsekretärin und lebet in Berlin.

E-Mail: sekretariat (at) paxchristi (Punkt) de

Website: www.paxchristi.de
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