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13.08.2013


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Hiroshimatag 2013

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Redebeitrag bei der Hiroshima-Gedenkveranstaltung am 6. August 2013 in Gießen

Für eine Welt ohne Atomwaffen!
- Gießener gedenken des 68. Jahrestages des Atombombenabwurfes auf Hiroshima

Lothar Liebsch (in Gießen)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Wir gedenken heute der über 250.000 Opfern der Atombombenabwürfe durch die USA auf Hiroshima und Nagasaki vor 68 Jahren. Am 06. August 1945 warfen die USA die erste Atombombe, auf die japanische Stadt Hiroshima. Es war das erste Mal, dass eine Atombombe gegen Menschen eingesetzt wurde. Was jedoch kaum jemand weiß, die erste Atombombe wollten die Amerikaner eigentlich über Deutschland abwerfen. Nur dank der Tatsache, dass die USA bis zur Kapitulation von Hitler-Deutschland am 08. Mai 1945 noch keine einsatzfähige Atombombe zu Verfügung hatten, verhinderte diese Pläne und bewahrte so Deutschland vor dieser Katastrophe.

Bereits 1953 (also vor 60 Jahren und zwei Jahre vor Gründung der Bundeswehr) wurden unter strengster Geheimhaltung die ersten Atombomben in Süddeutschland stationiert. Die insgesamt sechs Atomgeschütz hatten ein Kaliber von 280 mm und eine Reichweite von ca. 32 km. Die verfügbaren Atomgranaten hatten eine Explosivkraft, die etwa halb so groß war wie die der Hiroshima-Bombe. Dies war der Beginn einer beispiellosen Anhäufung von Nuklearwaffen auf deutschem Boden.

An drei Beispielen will ich diesen Rüstungswahn verdeutlichen.

Die Flugabwehrrakete Nike Hercules wurde in den 1950er Jahren entwickelt und war zur Bekämpfung massiver Flugzeugeinsätze des Warschauer Paktes vorgesehen. Vermutlich waren bis zu 700 Raketen in Deutschland stationiert. (Die nächstgelegene Feuerstellung war übrigens in Albach bei Fernwald.) Der Flugkörper erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 3,4 Mach, hatte eine maximale Reichweite von 130 km und konnte Ziele bis in eine Höhe von ca. 30 km bekämpfen. Die Nike Herkules war vorrangig für den atomaren Einsatz konzipiert. Es standen zwei unterschiedliche Atomsprengköpfe zur Verfügung. Die kleinere Version hatte eine Sprengkraft von ca. 2 Kilotonnen. Die größere Version verfügte über eine Sprengkraft von ca. 40 Kilotonnen. Der Plan war, anfliegende sowjetische Kampfflugzeuge in der Luft mit Atomsprengköpfen zu vernichten. Das alles sollte über dem Gebiet der Bundesrepublik stattfinden. Im Rahmen der Luftverteidigung waren deutsche, französische, belgische und us-amerikanische Verbände in der Bundesrepublik Deutschland stationiert. Ihnen stand die atomare Nike Herkules rund 30 Jahre zur Verfügung.

Die Bundeswehr setzte den atomwaffenfähigen Starfighter als Jagdbomber in den Jagdbombergeschwadern 31 (Nörvenich), 32 (Lechfeld), 33 (Büchel), 34 (Memmingen) und 36 (Hopsten) ein. Die Atombombe der deutschen Starfighter hatte ein Sprengkraft von 1 Megatonne und verfügte damit etwa über die fünfzigfache Vernichtungsgewalt der Hiroshima-Bombe. Bei jedem der fünf »F-104-Jagdbomber-Geschwader standen zu jeder Stunde sechs atomar bewaffnete. Starfighter voll getankt und mit vorgewärmter Elektronik bereit, innerhalb von spätestens 17 Minuten von der Piste abzuheben (»Quick Reaction Alert«).

Atomminen: In der Bundesrepublik lagerten ab Mitte der 1960er Jahre bis zu 200 ADM, die die USA der NATO zum Einsatz an der innerdeutschen Grenze zur Verfügung gestellt hatten. Dort sollten sie vorgefertigten Schächten eingelagert und bei Bedarf ferngezündet werden. Man stelle sich diesen Irrsinn vor, 200 Atomminen entlang der innerdeutschen Grenze! Die Sprengkraft der ADMs (Atomic Demolition Munition) und deren kleinerer Version, SADM (Special Atomic Demolition Munition), betrug 0,2 bis 45 Kilotonnen. Jede einzelne der großen so genannten Atomminen besaß damit mindestens die dreifache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe.

Insgesamt gab es weit über 100 Atomwaffenstandorte in der alten Bundesrepublik. Aber auch in der ehemaligen DDR hatte die Rote Armee an über 20 Standorten ein unvorstellbares nukleares Vernichtungspotential angehäuft.

Während des Kalten Krieges hätte die Sprengkraft aller Atomwaffen weltweit dazu ausgereicht die gesamte Menschheit mehr als 16 mal zu vernichten. Das veranlasste Frau Ranke-Heinemann, die Tochter unseres ehemaligen Bundespräsidenten zu der Feststellung, dass es wahrlich keinen Mangel an Vernichtungswaffen gäbe, vielmehr fehle es an Menschen, die man mit diesen Waffen umbringen könne. Auch heute, lange nach Beendigung des Kalten Krieges, beträgt die sog. overkill capacity immer noch das vierfache der Weltbevölkerung.

In Gießen und Umgebung lagerten bis in die späten 1980er Jahre an drei Standorten Atomwaffen der Amerikaner.

So z.B. zwischen Alten Buseck und Daubringen die atomare Munition der 3. Panzerdivision bestehend aus Nuklearsprengköpfen für Kurzstreckenraketen und Granaten für Artilleriegschütze.

Nahe Fernwald-Steinbach existierte eine Feuerstellung für die bereits erwähnten Nike Herkules Raketen und bis 1989 lagerten im Gießener US-Depot in der Wieseckaue in der sogenannten US-Site No. 4 vermutlich bis zum 16 termonukleare Bomben mit einer Sprengkraft bis zu 100 Kilotonnen für die Kurzstreckenrakete Lance. Während an den Ortseingangsschildern der Stadt Gießen der Zusatz "atomwaffenfreie Zone" zu lesen war, lagerte die todbringenden Nuklearwaffen unbemerkt nur vier Kilometer vom Stadtzentrum!

Das alles ist Geschichte. Aber noch immer bedrohen Atomwaffen unsere Existenz. Amerikanische U-Boote vom Typ Trident und russische U-Boote vom Typ Borej patrouillieren in den Weltmeeren und können zu jeder Zeit jeden Punkt der Erde mit einer Massenvernichtungswaffe erreichen. Jedes dieser Boote verfügt über eine Vernichtungskapazität, die größer ist als die gesamte im Zweiten Weltkrieg eingesetzte konventionelle Sprengkraft.

Auch in Deutschland sind noch immer Nuklearwaffen stationiert. Auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel werden bis heute ca. 20 Fliegerbomben für den Einsatz bereitgehalten. Vermutlich handelt es sich bei den stationierten Waffen um Fliegerbomben vom Typ B-61. Diese Bomben verfügen über eine variable Sprengkraft von bis zu 45 Kilotonnen (Modell 3) bzw. bis zu 170 Kilotonnen (Modell 4). Letzteres entspricht mehr als der 13-fachen Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe.

Wofür sind diese Relikte aus dem Kalten Krieg noch nutze. Vor wem sollen sie uns schützen oder wer soll damit angegriffen werden? Die dafür zuständige NATO und unsere Bundesregierung hüllen sich in Schweigen.

Im April 2009 sprach US-Präsident Obama in einer Rede in Prag erstmals von der Vision einer atomwaffenfreien Welt. Kurz darauf erklärte unsere Bundesregierung, sich für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen. Nichts davon ist Realität geworden.

Die USA haben ein 10 Milliarden Dollar teures Programm zur Modernisierung ihrer Atomwaffen auf den Weg gebracht. Darin eingeschlossen sind ausdrücklich die in Deutschland gelagerten atomaren Fliegerbomben. Sie werden neue Fähigkeiten und die Bezeichnung B61-12 erhalten. Die bisherigen "dummen" Atombomben sollen zu Lenkwaffen umgerüstet werden. Die Sprengkraft kann von 0,3 bis 50 Kilotonnen variabel eingestellt werden. Ein Einsatz als "mini-nuke" wäre möglich. Das ganze Projekt dient dann aber nicht mehr der Modernisierung sondern der Entwicklung einer neuen Generation von Atombomben. Zielgenau gelenkte Atombomben wären möglicherweise auch die geeignete Munition für noch zu entwickelnde Drohnen.

Auf Anfrage erklärte die Bundesregierung, dass es sich hier um eine interne Angelegenheit der USA handele.

Ich finde es bedrückend, in einer Welt zu leben, in der die Supermächte USA und Rußland von ihren Atom U-Booten aus jeden Punkt der Erde zu jeder Zeit mit einer Massenvernichtungswaffe erreichen können.

Ich finde es pervers, wenn die Atomwaffenstaaten hohe Milliardenbeträge verschwenden, um ihre Massenvernichtungswaffen zu modernisieren und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig bedrohen sie jeden anderen Staat, der nach Atomwaffen strebt, mit Krieg und Vernichtung.

Ich finde es heuchlerisch, wenn der amerikanische Präsident von einer Welt ohne Atomwaffen spricht, gleichzeitig aber die Mittel für das größte Modernisierungsprogramm eben dieser Waffen freigibt.

Wir sind es uns und unseren Kindern schuldig, wo immer wir können, dieser Entwicklung entgegenzutreten. Es reicht nicht, unbeirrt an eine atomwaffenfreie Welt glauben, wir müssen uns auch kompromisslos dafür einsetzten.



E-Mail: lotharliebsch (at) arcor (Punkt) de
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