Geschichte
der
Friedens-
bewegung

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24.10.2001


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Geschichte der Friedensbewegung

 Geschichte im Detail

Die Bürgerliche Friedensbewegung bis 1933

Guido Grünewald

Am 9. November 1892 wurde in Berlin die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) gegründet. Im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten erfolgte diese erste dauerhafte Etablierung einer deutschen Friedensorganisation ausgesprochen spät.

Im öffentlichen Bewußtsein des durch "Blut und Eisen" sowie drei Kriege zusammengeschweißten Deutschen Kaiserreichs war eine deutsche Friedensgesellschaft ein Anachronismus; der Krieg galt hier keineswegs als Übel, sondern als selbstverständlicher Bestandteil der Weltordnung und als Moment nationaler Kraftentfaltung, in dem die höchsten Tugenden der Bürger zum Tragen kamen.

Die DFG, die bis 1914 auf 80 Ortsgruppen mit knapp 10.000 Mitgliedern anwuchs, stand ganz in der Tradition des aufgeklärten Bürgertums und begriff sich anfangs als unpolitischer Verein. Sie hing einem ungebrochenen Fortschrittsoptimismus an, der den Krieg als zivilisatorische Rückständigkeit begriff, und war damit Teil einer gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten bürgerlichen Reformbewegung (Abstinenzler, Bodenreformbewegung, Vegetarier usw.), deren Ziel eine gesellschaftliche und kulturelle Erneuerung war. Die Friedensgesellschaft besaß vor 1914 einen ausgesprochenen Honoratiorencharakter: Während die einfachen Mitglieder hauptsächlich kleinbürgerlichen Kreisen entstammten, setzten sich die Vorstandsmitglieder vornehmlich aus Angehörigen des mittleren Bürgertums zusammen. Frauen waren relativ stark vertreten, hatten aber - nicht nur aufgrund des restriktiven preußischen Vereinsgesetzes - nur wenig Spielraum für eigenständige Aktivitäten.

Die Friedensgesellschaft versuchte ihre Ziele durch eine Doppelstrategie zu erreichen: durch Aufklärung der Bürger und durch Appelle an die Mächtigen, wobei sie die eigenen Möglichkeiten oft naiv überschätzte. Um die Jahrhundertwende veränderte sich der Forderungskatalog der PazifistInnen. War im Gründungsaufruf noch enthusiastisch die obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit verlangt worden, richteten sich die Forderungen jetzt vorsichtiger auf den Ausbau der auf der Haager Konferenz beschlossenen Institutionen. Bei der Forderung nach einer Staatenkonföderation stand zunächst die Einigung Europas im Mittelpunkt, die allerdings nicht machtstaatlich konzipiert, sondern wirtschafts- und kulturpolitisch ausgerichtet war. Nach den beiden Haager Konferenzen trat der Gedanke einer Weltkonföderation in den Vordergrund.

Die PazifistInnen forderten außerdem die internationale und gleichmäßige Verringerung der Rüstungen, da sie dem Wettrüsten eine kriegstreiberische Wirkung zusprachen. Demgegenüber hielt Alfred Hermann Fried, Mitgründer der DFG und "Cheftheoretiker" des deutschsprachigen Pazifismus vor 1914, Rüstungen im Sinne einer Abschreckungstheorie bis zur Überwindung der zwischenstaatlichen Anarchie für notwendig. Fried skizzierte in seinem "organisatorischen" oder "revolutionären" Pazifismus die Theorie eines weltgeschichtlichen Evolutionsprozesses, der mittels wirtschaftlicher Verflechtungen und zunehmender Kommunikationsverbindungen die vorherrschende zwischenstaatliche Anarchie durch eine internationale Rechtsorganisation und letztlich durch eine internationale politische Gemeinschaft ersetzen sollte, zu der sich die Staaten freiwillig zusammenschlössen. Aufgabe der PazifistInnen war es nur noch, diesen naturnotwendigen Prozeß durch ihre Aufklärungsarbeit zu beschleunigen.

Mit der Zunahme der internationalen Spannungen im Zeichen imperialistischer Konkurrenz und der aggressiven alldeutsch-imperialistischen Propaganda verlor die DFG ab 1905 ihre Scheu vor politischen Stellungnahmen. Sie denunzierte das Wettrüsten, richtete zahlreiche diesbezügliche Eingaben an Reichstag und Regierung und machte jetzt direkt Front gegen die militaristisch-imperialistischen Propagandaverbände wie den Deutschen Wehrverein. Allerdings dachten die PazifistInnen bei aller Kritik an der aktuellen Außenpolitik national: so wie sie für die Vaterlandsverteidigung eintraten, eine einseitige Abrüstung und die Kriegsdienstverweigerung ablehnten, waren sie im Hinblick etwa auf Elsaß-Lothringen und Polen auf die Wahrung deutscher Interessen bedacht.

Auch innenpolitisch waren die PazifistInnen, die größtenteils den liberal-freisinnigen Parteien nahestanden, am status quo orientiert. Zwar artikulierten sich in den pazifistischen Publikationen wiederholt sozialreformerische Gedanken. Die PazifistInnen erkannten jedoch nicht den Zusammenhang zwischen dem autoritär-demokratiefeindlichen inneren Zustand des Kaiserreichs und seiner sozialimperialistisch motivierten äußeren Expansionspolitik. Sie sahen in der Herstellung eines völkerrechtlich gesicherten Friedens den einzigen Weg, soziale Gegensätze im Staateninnern abzubauen. Zu einer Zusammenarbeit zwischen Friedens- und Arbeiterbewegung kam es daher im Deutschen Kaiserreich nicht. Die PazifistInnen blieben vielmehr politisch wie gesellschaftlich isoliert. Eine bürgerliche Karriere war mit einem ausgeprägt pazifistischen Engagement nicht zu vereinbaren, wie mehrere ihrer Protagonisten schmerzlich erfahren mußten.

Der Beginn des 1. Weltkriegs stürzte die PazifistInnen in eine tiefe Orientierungskrise. Wie die große Mehrheit der Sozialdemokratie waren auch sie überzeugt, daß Deutschland einen Verteidigungskrieg führe. Unter diesen Umständen war es für die PazifistInnen selbstverständlich, sich an der nationalen Verteidigung zu beteiligen. Gleichzeitig traten sie von Beginn an chauvinistischem Haß entgegen und setzten sich für einen Verständigungsfrieden ein, so daß sie sich rasch zwischen den Stühlen wiederfanden.

Ab Herbst 1915 war jede pazifistische Aktivität aufgrund von Verboten, Zensur und anderer Repressionsmaßnahmen der Militärbehörden weitgehend lahmgelegt. Der Versuch, mit der Gründung einer harmlos klingenden Ersatzorganisation (Zentralstelle Völkerrecht) im Juli 1916 die behördlichen Maßnahmen zu umgehen, schlug fehl. Der Mitgliederbestand der DFG schrumfte bis zum Kriegsende auf 5.000 Mitglieder.

Im Verlauf des Krieges erkannten die PazifistInnen die Interdependenz zwischen der Außenpolitik und den innerstaatlichen Verhältnissen. Einen ersten Markierungspunkt setzte im November 1914 die Gründung des "Bundes Neues Vaterland", der das pazifistische Programm eines Verständigungsfriedens mit grundlegenden innenpolitischen Demokratisierungsforderungen verknüpfte. Auch in der DFG setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, daß die Verwirklichung der pazifistischen Friedenskonzeption ohne Demokratisierung im Innern nicht zu verwirklichen war. Aufgrund dieser Neuorientierung und einer zunehmenden Übereinstimmung in den friedenspolitischen Vorstellungen kam es während des Krieges zu einem engeren Kontakt mit der Sozialdemokratie und besonders der sozialdemokratischen Minderheitsgruppe (ab 1917 USPD); die soziale Basis des deutschen Pazifismus verbreiterte sich.

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs schien die Situation für die Friedensbewegung günstig. Die DFG steigerte ihre Anhängerschaft bis 1926 auf 30.000 Mitglieder in 300 Ortsgruppen. Die Wochenzeitung des Westdeutschen Landesverbandes der DFG, "Das Andere Deutschland", erreichte 1928 eine Auflage von 42.000 Exemplaren. Arbeiter und kleine Angestellte stellten jetzt zumindest im Westdeutschen Landesverband das Gros der Mitgliedschaft. Parteipolitisch ergab sich eine eindeutige Verschiebung nach links zur SPD und anderen Linksparteien.

Bereits 1919/20 setzte jedoch eine neue PazifistInnenverfolgung in Form von Versammlungssprengungen, Mißhandlungen, Attentatsversuchen und auch Mord ein. Zwar beruhigte sich die Lage ab 1921, aber bereits mit der Ruhrbesetzung 1923 und dem nachfolgenden Ausnahmezustand kam es wieder zu Versammlungsstörungen durch die nationale Rechte sowie zu Versammlungs- und Zeitungsverboten durch die Behörden. In den folgenden Jahren wurde der Vorwurf des Landesverrats zum bevorzugten Repressionsmittel gegen PazifistInnen, bis in der Endphase der Republik der direkte Terror der Nationalsozialisten und erneute Verbote der Behörden einsetzten.

Die Friedensbewegung differenzierte sich nach dem 1. Weltkrieg inhaltlich wie organisatorisch. Mit dem Bund Neues Vaterland (ab 1922 Deutsche Liga für Menschenrechte), dem Friedensbund der Kriegsteilnehmer, dem Versöhnungsbund, dem Friedensbund Deutscher Katholiken, dem Bund der Kriegsdienstgegner, der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und weiteren kleinen Verbänden traten neue Friedensorganisationen auf, die Ende 1921 / Anfang 1922 zusammen mit kulturpolitischen Vereinigungen das Deutsche Friedenskartell bildeten. Das Kartell, ein lockerer Zusammenschluß zur Koordination pazifistischer Aktivitäten, zählte 1928 auf seinem Höhepunkt 22 Mitgliedsorganisationen mit zusammen maximal 100.000 Mitgliedern.

Größte Friedensorganisation blieb die DFG, in der fast alle pazifistischen Strömungen vertreten waren und in der es demzufolge oft zu heftigen Auseinandersetzungen kam. Die "organisatorischen PazifistInnen" blieben außenpolitisch und am Völkerrecht orientiert. Sie wollten den Frieden durch den Ausbau der wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Beziehungen zwischen den Staaten sichern. Das wichtigste Mittel der Friedenssicherung sahen sie im Völkerbund, dessen Ausbau und Demokratisierung sie forderten. Die organisatorischen PazifistInnen bejahten weiterhin die militärische Landesverteidigung und einen Sanktionskrieg des Völkerbundes. Ihre Zielgruppe war nicht die breite Bevölkerung, sondern die republikanischen Parteien und die Regierung, auf die sie Einfluß zu gewinnen hofften.

Die "radikalen PazifistInnen" lehnten jeden Krieg bedingungslos ab. Kriegsdienstverweigerung und Generalstreik waren für sie die wichtigsten Mittel zur Verhinderung von Kriegen. Sie waren mehrheitlich antikapitalistisch eingestellt und standen sozialistischen Ideen nahe. Kurt Hiller gründete 1926 die kleine Gruppe Revolutionärer Pazifisten, in deren Augen die soziale Revolution und die Eroberung der politischen Macht bei einem drohenden Krieg die wichtigsten Friedenstechniken waren. Hiller lehnte zwar jeden - auch revolutionären - Wehrzwang ab, billigte aber Gewaltanwendung zur Überwindung des als kriegsträchtig wahrgenommenen kapitalistischen Systems.

Die "kämpferischen PazifistInnen" des Westdeutschen Landesverbandes der DFG entstammten weitgehend der "Frontgeneration" des 1. Weltkriegs. Sie sahen in der Anerkennung der deutschen Kriegsschuld die notwendige Vorbedingung jeder pazifistischen und antimilitaristischen Politik. Die kämpferischen PazifistInnen akzeptierten den Versailler Vertrag als Ausfluß der deutschen Kriegsschuld; sie unterstützten den Völkerbund, propagierten gleichzeitig Massenkriegsdienstverweigerung und Generalstreik und setzten sich engagiert für eine Verständigung mit Frankreich und Polen ein. Ihr vorrangiges Kampffeld sahen die kämpferischen PazifistInnen freilich in der Innenpolitik. Hier halt es, die peußisch-militaristischen Bastionen zu schleifen und der alldeutschen Reaktion eine geschlossene pazifistische Kampffront entgegenzustellen. Zwar waren die kämpferischen PazifistInnen mehrheitlich sozialdemokratisch oder linkssozialistisch eingestellt, doch zielten sie auf eine eigene Massenbasis ab, um Druck im Sinne ihrer Vorstellungen ausüben zu können.

Teilweise heftige Auseinandersetzungen lieferten sich die PazifistInnen in der Bewertung der Kriegsschuldfrage (Allein- oder Mitschuld Deutschlands), ihrer Einstellung zu Wehrpflicht und Reichswehr (Abschaffung oder Republikanisierung) sowie zur Kriegsdienstverweigerung. Gemeinsam - wenn auch mit unterschiedlichen Argumenten und Aktionsformen - engagierten sie sich für den Völkerbund, die Verständigung mit Frankreich und Polen (ein Teil der PazifistInnen wollte allerdings die Ostgrenze nicht anerkennen und trat für eine friedliche Revision ein) sowie für Abrüstung. Darunter verstanden die PazifistInnen nicht nur den technischen Vorgang der Entwaffnung, sondern vor allem auch eine "moralische Abrüstung", die "Abrüstung der Köpfe" (Paul von Schoenaich) im Sinne einer bewußten Abkehr von der Gewaltpolitik. Sie deckten die geheimen deutschen Rüstungsmaßnahmen auf - Zusammenarbeit mit paramilitärischen Kampfverbänden, Aufbau einer "Schwarzen Reichswehr", Einstellung von Zeitfreiwilligen, Zusammenarbeit mit der Roten Armee -, in denen sie die Vorbereitung eines Revanchekrieges sahen, und wurden daraufhin mit Landesverratsprozessen überzogen, die in einer Reihe von Fällen zu Verurteilungen führten. Die PazifistInnen beteiligten sich großenteils am Volksentscheid gegen die Fürstenabfindung 1926 und dem Volksbegehren gegen den Bau von Panzerkreuzern 1928. Gleichzeitig traten sie aktiv für die Republik ein und forderten eine Begrenzung der dem Reichspräsidenten in Art. 48 der Verfassung zugestandenen außerordentlichen Vollmachten.

SPD und Friedensbewegung teilten nach dem 1. Weltkrieg eine Reihe gemeinsamer Grundüberzeugungen: Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik, Befürwortung einer aktiven Verständigungs- und Abrüstungspolitik, Bejahung des Völkerbundes und Unterstützung der Republik. Konflikte ergaben sich ab Mitte der 20er Jahre zunehmend in militär- und rüstungspolitischen Fragen sowie in der Haltung gegenüber dem erstarkenden aggressiven deutschen Nationalismus. Vor allem der kämpferische Elan der PazifistInnen des Westdeutschen Landesverbandes, die 1929 in der DFG die Führung übernahmen, stieß sich mit dem Attentismus der SPD-Führung. Die Konflikte spitzten sich so stark zu, daß der SPD-Vorstand 1931 einen Unvereinbarkeitsbeschluß gegenüber der DFG faßte. Da auch die liberalen Parteien längst nach rechts gerückt waren, sah sich die DFG in der Endphase der Republik isoliert, zumal die kämpferischen PazifistInnen auch gegenüber anderen pazifistischen Strömungen kompromißlos auf ihrer Strategie beharrten. Mit ihrer mutigen Offensivstrategie gegen die Nationalsozialisten und ihre Verbündeten, die sie bereits 1924 unter dem Slogan "Stahlhelm und Hakenkreuz sind Deutschlands Untergang" bekämpft hatten, konnten die kämpferischen PazifistInnen zwar 1930/31 nochmals Terrain gewinnen, letztlich standen sie aber auf verlorenem Posten. Mit der Machtübernahme durch die Nazis schlug für viele PazifistInnen die Stunde der Unterdrückung und Verfolgung.

Quelle: Friedensforum 5/94, S. 30-32


Guido Grünewald ist Historiker mit diversen Veröffentlichungen zur Geschichte von Friedensbewegungen und internationaler Sprecher der DFG-VK

E-Mail: friekoop (at) bonn (Punkt) comlink (Punkt) org
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