Geschichte
der
Friedens-
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24.10.2001


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Geschichte der Friedensbewegung

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Friedensbewegung in den 50er Jahren

Hans Karl Rupp

Hans Werner Richter, Schriftsteller, Organisator der Gruppe 47 und deren Doyen, drückte es so aus: "Es protestieren Professoren, Schriftsteller, Regisseure, Schauspieler, Journalisten, es protestiert fast das ganze geistige Deutschland, geschlossener und einiger als je zuvor...". Gemeint war die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, die am 25. März 1958 vom Bundestag beschlossen worden ist. Die sich damit ankündigende Einbeziehung der westdeutschen Streitkräfte in das Atomkriegskonzept der NATO provozierte die wohl eindrucksvollste außerparlamentarische Aktivität in den stillen fünfziger Jahren. In der Tat beteiligte sich in jenen Tagen an Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationszügen durch die Innenstädte die Literatur-, die Film-, die Wissenschaftsprominenz der jungen Bundesrepublik - von Gertrut von Le Fort bis Hans Magnus Enzensberger, von Dieter Borsche bis Victor de Kowa, von Max Born bis Max von der Laue. Bezeichnenderweise jährte sich gerade die Annahme des Ermächtigungsgesetzes durch den deutschen Reichstag zum 25. Male.

Überall entstanden Komitees "gegen den Atomtod", eine Volksbefragung wurde gefordert, von einzelnen Politikern wie dem jungen Helmut Schmidt gar ein "Demonstrationsstreik" der Gewerkschaften gegen die Bundestagsentscheidung gefordert. Hans Werner Richter allerdings formulierte auf dem Höhepunkt der Aktionen bereits Skepsis: "Wo bleibt der Marsch des Volkes nach Bonn?... Und jeder, der so fragt, sieht dabei nach oben, erwartet Beschlüsse, Aufforderungen, Anforderungen, Befehle. Er erwartet sie mit dem uns eigenen Untertanengeist von den Führern der Gewerkschaft, von den Parteivorsitzenden, von irgendwelchen Organisationszentralen und nicht zuletzt sogar von jenen Persöhnlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich in dieser Auseinandersetzung nach vorn gestellt haben."

Doch nicht einmal die Aufforderungen kamen. Allein die Initiative zu einer Volksbefragung kam in Gang; ihre Durchführung in den Bundesländern Hamburg und Bremen sowie in den Städten Frankfurt und Darmstadt, von den zuständigen Parlamenten beschlossen, wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht per Einstweiliger Anordnung noch rechtzeitig vereitelt. Damit spätestens - Ende Mai 1958 - kam die Bewegung "Kampf dem Atomtod" zum Stehen.

Dieser späten Klimax einer Friedensbewegung der fünfziger Jahre waren zahlreiche punktuelle Aktionen vorrausgegangen. Bereits zu Beginn des Korea-Kriegs führte der Protest gegen eine "Wiederbewaffnung" zu einem ersten spektakulären Ergebnis: Angesichts einer breiten "Ohne-mich"- Stimmung in der Bevölkerung trat der Innenminister Adenauers, Gustav Heinemann, von seinem Amt zurück und gründete eine eigene Partei, die bald allerdings erfolgreich als DDR-finanziert diffamiert werden konnte, obwohl sie von so untadeligen Persöhnlichkeiten wie evangelischen Kirchenpräsidenten und prominenten katholischen Schriftstellern wie Reinhold Schneider unterstützt wurde. Während die führende Oppositionspartei der Adenauer-Ära, die SPD, zum "Verteidigungsbeitrag" eine "Ja, aber"- Position einnahm, wurden die Aktionen der bis 1956 noch legalen KPD, u.a., die Initiierung einer bundesweiten Unterschriftensammlung "gegen Remilitarisierung", von den Innenministern der Bundesländer bald verboten. Die KPD hatte immerhin im Laufe weniger Monate 5,9 Millionen Unterschriften "gegen Remilitarisierung und für Abschluß eines Friedensvertrages" gesammelt.

Während sich SPD und DGB-Gewerkschaften vor 1958 nur ein einziges Mal an außerparlamentarischen Aktionen gegen die "Wiederbewaffnung" beteiligten - angesichts des ihres Erachtens zu raschen NATO-Beitritts der jungen Bundesrepublik im Frühling 1955 -, entstand sukkzessive im Laufe der fünfziger Jahre in vielen Städten der Bundesrepublik ein lockerer, informeller Kommunikationszusammenhang zwischen antimilitaristischen Spektren. Er betraf kritisches konfessionelles Publikum um die Zeitschriften "Werkhefte katholischer Laien", "Frankfurter Hefte", "Stimme der Gemeinde", "Junge Kirche", junge, zumeist kriegserfahrene Kriegsgegner um die wieder- bzw. neuentstehenden Kriegsdienstverweigerer-Verbände, die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG), die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) und den Verband der Kriegsdienstgegner (VK) mit ihren Zeitschriften "Friedensrundschau" und "Zivil". In die Kommunikation einbezogen wurden von Fall zu Fall auch die Angehörigen KPD-orientierter Friedensgruppen wie der "Weltfriedensewegung" und der noch legalen "Freien Deutschen Jugend" (FDJ), wobei die gleichzeitige Militarisierung der Gesellschaft der DDR bei diesem Personenkreis eine nicht zu schließende Glaubwürdigkeitslücke immer erneut reproduzierte. Zum Kommunikationsspektrum einer westdeutschen Friedensbewegung in nuce zählte z.T. auch nationalgesinntes Bildungsbürgertum, das zwischen "Rückzug ins Private" und Wiedervereinigungs-Phantasie hin und her schwankte, und das sich in Zeitschriften wie dem "Bulletin des Fränkischen Kreises" oder der "Zeitschrift für Geopolitik" angesprochen fühlte. Unverzichtbar für die Kommunikation der Friedensgruppen waren - und blieben auch später - die Einrichtungen der Arbeiterjugendorganisationen, die Häuser der Gewerkschaftsjugend, der Naturfreundejugend und der Falken, ohne die ein solches Kommunikationsnetz schwerlich Bestand gehabt hätte.

Die Frontlage der Bundesrepublik im Kalten Krieg machte indessen ein Ereignis in der Geschichte der Friedensbewegung der fünfziger Jahre kraß bewußt: Auf Initiative des Darmstädter Studentenpfarrers Herbert Mochalski, eines Überlebenden des kirchlichen Widerstandes gegen die NS-Diktatur, fand im März 1952 ein "Westdeutsches Treffen der jungen Generation" statt, an dem sich ca. 1200 Aktive konfessioneller Jugendverbände, pazifistischer Organisationen, der Pfadfinder und der FDJ beteiligten. In der Schlußresolution wurde "angesichts der drohenden Wiederaufrüstung Westdeutschlands der Notstand für das gesamte deutsche Volk" ausgerufen und die "deutsche Jugend" aufgefordert, der Wiederbewaffnung "gemeinsam zu widerstehen". Hierdurch sich legitimiert fühlend rief die FDJ für den 11. Mai 1952 in Essen zu einer Großkundgebung auf, die vom Innenminister des Landes NRW, einem Christdemokraten, keine 24 Stunden vor Kundgebungsbeginn verboten wurde. Die Weigerung der FDJ, Folge zu leisten, beantwortete die Polizei mit äußerster Brutalität; sie erschoß einen Demonstranten und verletzte weitere angereiste Kundgebungsteilnehmer schwer. Augenzeugen fühlten sich durch die Übergriffe der Polizei - die im übrigen ungeahndet blieben - unmittelbar an den Staßenterror der Nazis ein paar Jahre zuvor erinnert.

Die Friedensaktivisten der fünfziger Jahre befanden sich also in einer z.T. äußerst gefährlichen, konfrontativen Situation, die einschüchternd, ja entmutigend wirkte. Antikommunismus als Staatsdoktrin und Obrigkeits-Orientierung auch der mit der Regierungspolitik Unzufriedenen verhinderte eine wirkliche Friedens"bewegung" - trotz Ruinen in den Städten, trotz Kriegsopfer in jeder Familie. Erst die - ganz kurzzeitige - Unterstützung durch DGB und SPD konnte zur - vorübergehenden - Aufhebung der Diskriminierungs-Blockaden des Kalten Krieges führen. Bezeichnenderweise führte der Aufruf "Kampf dem Atomtod!" vom März 1958, in schwarz-rot-gold-gerahmten Plakaten mit den Unterschriften der erwähnten Intelligenz, aber auch der führenden Politiker von SPD und DGB versehen, an allen Litfaßsäulen plakatiert zu den mit Abstand größten Friedenskundgebungen der Bundesrepublik der Fünfziger Jahre. Man kann - für die Zeit zwischen März und Juni 1958 - von mindestens 325.000 Kundgebungsteilnehmern sprechen. Theo Pirker vertritt gar die Ansicht, noch nie sei es SPD und Gewerkschaften gelungen, "für eine Losung so viele Hunderttausende zu mobilisieren."

Nach dem Scheitern auch dieser Aktionen - bald paßte sich die SPD an den sicherheitspolitischen Kurs der CDU fast vollständig an - mußte die Friedensaktivität wieder ganz von vorne beginnen. In den frühen sechziger Jahren entstand aus den beschriebenen Kommunikationsnetzen der fünfziger Jahre - die Ostermarsch-Bewegung. Ihr britisches Vorbild wurde fast kopiert; die Abgrenzung zur inzwischen illegalen KPD wurde genauso durchgehalten wie jene 1958 durch die "Kampf-dem-Atomtod"-Organisation - hier gab es zwischen Pazifisten, Christen und Sozialisten Konsens; freilich hinderte das in den ersten Jahren des Ostermarsches SPD und DGB nicht, sich in gröbster Form von den Ostermärschen zu distanzieren.

Indessen wurde aus den Ostermarsch-Aktionen eine kontinuierliche Bewegung, die aus Kriegsdienstverweigerer-Gruppen, Arbeiterjugend-Organisationen, kirchlichen Kreisen und aus Studentenorganisationen, SDS und bald auch SHB, einen Konnex entwickelte, der als "Bewegung von unten" einen erheblichen Teil der Infrastruktur der 68er-Bewegung produzierte.



Hans Karl Rupp ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg und Autor des Buches "Außerparlamentarische Opposition in der Ära Adenauer"

E-Mail: friekoop (at) bonn (Punkt) comlink (Punkt) org
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