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24.10.2001


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Der erste deutsche Ostermarsch

Konrad Tempel

Im folgenden Beitrag beschreibt Konrad Tempel, Quäker aus Hamburg, die Vorbereitungen zum ersten deutschen Ostermarsch. Er war wie seine Frau Helga Tempel Mitglied in dem "Aktionskreis für Gewaltlosigkeit", einer pazifistischen Gruppe, die sich Mitte der 50er Jahre gegründet hatte. Im Spätsommer 1959 begannen sie mit der Suche nach einem geeigneten Ort, um eine Demonstration gegen Atomwaffen durchzuführen.

Als am 6. Dezember 1959 die "Hamburger Morgenpost" die knappe Nachricht brachte, daß in Bergen-Hohne Atom-Raketen vom Typ "Honest John" erprobt werden, stand unser Entschluß fest, aus Protest dorthin zu marschieren, notfalls allein. Dabei spielte auch eine Rolle, daß der Truppenübungsplatz an das Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen angrenzte und sich bei uns die Vorstellung eines neuen "Todes-Zentrums" in der Lüneburger Heide nicht beiseite drängen ließ. Bei Gesprächen mit persönlichen und politischen FreundInnen, in denen uns die organisatorischen Schwierigkeiten einer solchen Aktion klar wurden, entstand der Gedanke, an andere pazifistische Gruppen im norddeutschen Raum heranzutreten und sie um eine Beteiligung zu bitten. Damit war die Form des sternförmigen Marsches vorgegeben, die dann wie selbstverständlich über viele Jahre hin als Grundform der politischen Demonstration von AtomwaffengegnerInnen akzeptiert wurde. Weil die britischen AtomwaffengegnerInnen ihre Demonstrationen bereits 1958 und 59 zu Ostern durchgeführt hatten und weil anzunehmen war, daß sich in den Ostertagen mehr Menschen beteiligen würden als an normalen Wochenenden, wurde die Zeit von Karfreitag bis Ostermontag zur Bewältigung der rund 90 Kilometer langen Strecke von Hamburg nach Bergen-Hohne gewählt.

Die Vorbereitungen

Nachdem wir im Aktionskreis für Gewaltlosigkeit die vielfältigen und berechtigten Zweifel ausdiskutiert hatten, gingen wir im Januar an die Arbeit. Am 16. Januar 1960 kündigten wir unser Vorhaben in allen Hamburger Zeitungen sowie den Presseagenturen an, mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den individuellen Charakter der Aktion: "Unser Marsch ist ein Protest von Einzelnen" (nicht von Organisationen). die Reaktion blieb nicht aus. Kriegsdienstverweigerer-Gruppen in Bremen, Hannover, Braunschweig und Göttingen erklärten sich mit uns solidarisch. Zum zweiten formulierten und druckten wir einen Aufruf für Veranstaltungen sowie ein Informations-Blatt "Warum wir marschieren". Da unsere englischen FreundInnen 1959 großen Wert darauf gelegt hatten, prominente UnterstützerInnen herauszustellen, schrieben auch wir bekannte Persönlichkeiten an, von denen wir annahmen, daß sie ebenfalls gegen das Atomrüsten in Ost und West waren. Es antworteten zustimmend sofort z.B. Erich Kuby, Martin Niemöller, der SPD-Bundestagsabgeordnete Arno Behrisch und Robert Jungk; später dann: Bertrand Russell, Ernst Rowohlt, Stefan Andres, Erich Kästner, Robert Scholl, Helmut Gollwitzer und Heinz Hilpert.

Der erste deutsche Ostermarsch

Unser Hamburger Marsch begann am Karfreitag um 9 Uhr bei regnerischem Wetter in Hamburg-Harburg - nach unserer Erinnerung mit ungefähr 120 Leuten. Wegen der Feiertagsbestimmungen konnten wir uns erst ab 11 Uhr am ersten vorgesehenen Rastplatz zu einem Zug formieren. Wir übernachteten in Scheunen, Turnhallen und Jugendheimen. Am Sonnabend wurde unser Zug durch neu Hinzugekommene größer (zu uns stießen auch elf Atomwaffengegner von der englischen Campaign for Nuclear Disarmament).

Etwa zur gleichen Zeit brachen aus Bremen, Braunschweig, Göttingen und Hannover ebenfalls kleine Gruppen von AtomwaffengegnerInnen auf, um nach Bergen-Hohne zu marschieren. Ein wesentliches Merkmal des Marsches waren die lebhaften Diskussionen, die uns OrganisatorInnen in hohe Ängste versetzt haben. Und zwar deshalb, weil diejenigen, die in diesen Diskussionen dominierten, ungleich politischer argumentierten als wir. Und weil an einigen Stellen durchaus agitiert wurde, hatten wir die ernste Sorge, daß die sich gleichermaßen gegen die Atomrüstung des Westens wie des Ostens richtende Gesamttendenz verändert werden könnte. Es tauchte in dem Vorbereitungsausschuß sogar die Frage auf, ob möglicherweise für einige der TeilnehmerInnen die Agitation wichtiger sei als die Demonstration einer gemeinsamen Auffassung gegenüber der Öffentlichkeit.

In diesem Zusammenhang muß man berücksichtigen: Das KPD-Verbot hatte bewirkt, daß KommunistInnen sich in einer Vielzahl von Gruppierungen und Vereinen betätigten; selbst wir im Verband der Kriegsdienstverweigerer hatten ständig mit der Unterstellung zu kämpfen, wir seien eine sog. "Tarnorganisation". Das war der Hintergrund für unsere Angst vor einer "Unterwanderung". Solche Schwierigkeiten haben sich in der Folgezeit an einigen Stellen noch gesteigert, nicht nur, weil wir unseren Argwohn nur allmählich überwinden konnten, sondern auch, weil es hin und wieder koordinierte Tendenzen gab, demonstrativ Verbandssymbole zu zeigen und optisch herausragende Positionen einzunehmen, etwa beim Tragen von Spruchbändern und Fahnen. Insgesamt aber hat sich in den folgenden Jahren das Prinzip der "breiten Plattform" durchgesetzt, das auf dem Verzicht aller basierte, den Marsch für die eigene Grundposition zu vereinnahmen und mit ihm eigene Politik zu machen.

Am Ostermontag zogen wir von allen Seiten nach Bergen hinein. Etwa 1000 Personen beteiligten sich an der Abschlußkundgebung auf dem Raketenübungsplatz Bergen-Hohne im niedersächsischen Kreis Celle. Anschließend legte ein Teil der TeilnehmerInnen noch einen Kranz am ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen nieder.



Konrad Tempel initiierte für den "Aktionskreis für Gewaltlosigkeit" den ersten deutschen Ostermarsch

E-Mail: friekoop (at) bonn (Punkt) comlink (Punkt) org
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