Geschichte
der
Friedens-
bewegung

update:
24.10.2001


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Geschichte der Friedensbewegung

 Geschichte im Detail

Statements von Mitgliedern des Koordinierungsgremiums der Friedensbewegung der achtziger Jahre zu ihren Erfahrungen

Erinnerungen an den Koordinationsausschuß der Friedensbewegung

Redaktion FriedensForum

Die Redaktion des FriedensForum hat im Zusammenhang mit einer Schwerpunkt-Story zur "Geschichte der Friedensbewegung" Mitglieder des Koordinationsausschuß der Friedensbewegung (KA) der 80er Jahre zu ihren Erfahrungen befragt. Die Antworten wurden auszugsweise in Heft 6/94 des FriedensForum veröffentlicht.

Ulrich Frey

Als es in einigen Sitzungen des Koordinationsauschusses der Friedensbewegung zu scharf und zu hektisch wurde, ergriff Jochen Dietrich das Wort und versuchte, etwas Distanz in die Versammlung zu bringen. Er sagte dann immer: "Wenn meine Großmutter hier zuhören würde, ...". Gefragt nach einigen Erinnerungen an meine Mitarbeit im Koordinationsausschuß der Friedensbewegung (KA) für die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden von Anfang bis zum Ende, sind mir einige Punkte besonders wichtig:

1. Entstehung und Ende

Die Gründung des Koordinationsausschusses der Friedensbewegung zeichnete sich im Sommer 1981 ab, als bei Gelegenheit des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Hamburg die ersten verbindlichen Absprachen für die Demonstration und Kundgebung am 10. Oktober 1981 getroffen wurden. Veranstalter dieser ersten großen Bonner Demonstrationen gegen die Nachrüstung waren die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden. Beide Organisationen wurden danach von Initiativen der Friedensbewegung gebeten, die koordinierende Rolle in der bundesdeutschen Friedensbewegung weiterzuspielen. Wir haben das aus wohlüberlegten Gründen nicht getan. Inzwischen waren so viele Initiativen und Gruppen initiativ geworden, daß die notwendige Koordinierung durch einen Teil davon nicht repräsentativ gewesen wäre. Am 25.6.1982 luden Volkmar Deile (ASF) und ich Aktive aus der Friedensbewegung zu einem "Gespräch" ein, um ganz informell über die Möglichkeiten einer koordinierten Zusammenarbeit zu sprechen. Das war der Beginn eines bewegten, an Schärfen und Auseinandersetzungen reichen Bewegungs-Prozesses, der wesentlich dazu beigetragen hat, daß sich in der Bundesrepublik politisch vieles verändert hat. Als die Zeit des KA dann zu Ende war, habe ich mich dafür eingesetzt, am 29.9.1989 das Netzwerk Friedenskooperative als eine der politischen Situation angepaßte Kooperationsstruktur zu gründen. Allerdings hatte ich für die AGDF im August 1984 auf das Stimmrecht im KA verzichtet, weil dieser als Folge seines damaligen internen Zustandes organisatorisch und finanziell unsolide Beschlüsse faßte, die die AGDF nicht mehr mittragen konnte. Wir waren dann nur noch als "Beobachter" vertreten.

2. Positionen

Der Koordinationsausschuß bestand aus insgesamt 30 Mitgliedsgruppen, die sich in "Spektren" aufteilten: christliche Gruppen, unabhängige, KOFAZ-Spektrum, sozialdemokratische Gruppen, Grüne, sonstige Gruppen der Friedensbewegung. Sie arbeiteten in den Bereichen Abrüstung, Ökologie, AKW, Dritte Welt, Frauen, Gewaltfreiheit. Kurzgefaßt, habe ich in diesem sehr gemischten Gegeneinander und Miteinander versucht, folgende Anliegen zu vertreten:

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Gewalt. Das bedeutete einen sehr weiten Friedensbegriff, den der Aktionsrahmen des KA bei weitem nicht ausfüllte. Der KA beschränkte sich zu Anfang als "one issue-Bewegung" im wesentlichen exemplarisch auf die Verhinderung der Pershing und der Cruise Missile-Raketen. Erst gegen Ende akzeptierte er weitergehende Fragestellungen nach Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Für eine programmatische Neuordnung war es dann zu spät.

Damit verbunden war meine Position, daß politische Meinungs- und Willensbildungsprozesse in der Bundesrepublik nur in einem offenen Klima möglich wären. Jegliche Anwendung von Gewalt würde die Auseinandersetzung um neue Horizonte der Außen-, Verteidigungs- und Innenpolitik der Bundesrepublik unmöglich machen. Deshalb habe ich mich für "De-Eskalierungsgespräche" eingesetzt. Welche Aktionen im einzelnen dazu durchgeführt wurden, war für mich keine entscheidende Frage. Sie mußten aber dem Kriterium der Gewaltfreiheit und der politischen Mobilisierungsfähigkeit Genüge tun.

Im KA wurde auch heftig über Bündnisse gestritten, z.B. über das Verhältnis zu kommunistisch inspirierten oder angeführten Gruppen. Da ich den zu jener Zeit alltäglichen ideologisierten Antikommunismus für schädlich hielt (und in seinen neueren Spielarten nach wie vor für schlecht halte), habe ich mich dafür eingesetzt, daß mit den Kommunisten in der Friedensbewegung von der Sache her gestritten würde, daß sie aber nicht ausgegrenzt würden. Ihre effektive Zahl war relativ gering. Ihr tatsächlicher politischer Einfluß, den sie im wesentlichen über ihre Organisationskraft erreicht hatten, würde sich durch die Resonanz aus der öffentlichen Auseinandersetzung zeigen.

Weil liberale, sozialdemokratische und kommunistische parteipolitische Gruppierungen im KA vertreten waren, mußte regelmäßig die Frage des Verhältnisses der Friedensbewegung zu den politischen Parteien verhandelt werden. Am schärfsten waren die Auseinandersetzungen, wenn es z.B. um die Einladung von Willy Brandt zu einer Rede bei der Demonstration am 22.10.1983 ging. In dieser Auseinandersetzung habe ich mich am Ende, als die generelle politische Richtung des KA sich weitgehend in der Gesellschaft durchgesetzt hatte, dafür eingesetzt, daß auch ein Mann wie Willy Brandt auftreten konnte.

3. Bedeutung des KA

Dieses Gremium hätte es nach der gesellschaftlichen Strukturierung der damaligen Bundesrepublik eigentlich gar nicht geben dürfen. Hier waren Kräfte miteinander verbunden, die sonst nirgendwo kooperierten. Die Breite der einbezogenen gesellschaftlichen Kräfte im KA war mit der anderer politischer Gremien der Bundesrepublik bei weitem nicht vergleichbar. Insofern repräsentierte der KA - trotz aller Schwächen - einen großen Fortschritt in der politischen Kultur der alten Republik. In seiner Gesamtheit hat der KA die öffentliche Meinung gegen die damalige sozial-liberale Regierung, geführt von Helmut Schmidt, SPD, mobilisiert und auch zu deren Sturz beigetragen. Sie hat die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Nachrüstung mobilisiert und einen bis heute nachwirkenden moralischen und politischen Impuls vermittelt, der von den konservativen Kräften mit Haken und Ösen bekämpft wurde. Zu erinnern ist z.B. an die heftige Auseinandersetzung über die Institution des "Zivilen Ungehorsams" als eines Geburtshelfers für demokratische Entwicklungen. Der KA hat mehrere heftige Krisen infolge einer sehr flexiblen Gestaltung seiner Arbeitsweise überlebt. Geschäftsführung und Vollversammlungen hatten jeweils die politische Auseinandersetzung zu führen, zu formulieren und die Aktionen zuzuspitzen. Sie wurden beschlossen von mindestens jährlich stattfindenden Aktionskonferenzen. Gegen Ende fanden mehr Strategiekonferenzen und seminarmäßige Veranstaltungen statt. Es war eine große politische Leistung, daß der KA sieben Jahre lang durchgehalten hat. Er hat die Friedensbewegung durch die Zusammenfassung der in ihr wirkenden widersprüchlichen Kräfte profiliert. Er hat schließlich die Entwicklung von regionalen Koordinationsgremien der Friedensbewegung unterstützt und dadurch als bundeszentrale Einrichtung an Gewicht verloren. Das Experiment "Koordinationsausschuß" ließ sich spätestens dann nicht mehr durchhalten, als deutlich wurde, daß sich immer mehr Mitglieder von ihm distanzierten, nicht mehr erschienen oder sich auch schon aufgelöst hatten, aber immer noch auf der Migliederliste standen. Die Restgruppen waren nicht mehr in der Lage, den KA aus eigener Kraft zu reorganisieren, z.B. die neuen Themen zuzuspitzen und die neu hineindrängenden Gruppen auch formal aufzunehmen und dem Gremium eine völlig neue Struktur zu geben. Als im Dezember 1987 das Abkommen zur Abrüstung atomarer Mittelsreckenraketen (INF, "Null-Lösung") zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossen war, verlor der KA seinen politischen Gegner. Der Konsens, der dieses weitgefächerte Gremium zusammengehalten hatte, existierte nicht mehr. Die notwendige Konsequenz war die Auflösung.

4. Ärgernisse und Freuden

Die Arbeit der Gruppen des KA miteinander und gegeneinander war eine harte politische Schule mit viel Ärger, aber auch viel Freude. Die zeitliche Distanz bewirkt, daß die positiven Elemente überwiegen. Gelernt haben aber alle Beteiligten, so schätze ich die guten Absichten bei der Gründung des Netzwerkes ein, daß die teilweise betonartigen Fraktionierungen innerhalb des KA, wie z.B. die Unkultur von "Statements", deren Inhalt man schon vorher kannte, also die Unfähigkeit zu argumentieren, zuzuhören und zu überzeugen oder sich überzeugen zu lassen, einer der tieferen Gründe für das Ende der KA gewesen sind. Danach hat sich die Atmosphäre unter den Friedensfreundinnen und -Freunden jedenfalls gebessert. Nachfolgende Großveranstaltungen sind wesentlich entspannter und kommunikativer vorbereitet worden als zu KA-Zeiten.

Ulrich Frey, Geschäftsführer der AGDF

Andreas Buro

(Friedensforscher und langjähriger Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie) zu Frage 4:



4.Zu vertreten hatte ich die von Parteien unabhängige Komitee-Politik. Sie zielte auf Abrüstung und versuchte eine Politik zu verhindern, die sich nur auf eine Modifizierung der Rüstungskontrollpolitik von SPD und DKP konzentrierte. In der Durchsetzung von Abrüstungspolitik habe ich für unilaterale Schritte und für Defensivkonzepte als eine Form plädiert, in der unilaterale Schritte zu einer Ost-West-Abrüstung führen konnten (zu den von mir vertretenen Defensivkonzepten s. z. B. Böge, Volker/Wilke, Peter: Sicherheitspolitische Alternativen, Baden-Baden, 1984). Ferner habe ich in Vertretung der Komitee-Politik Protest- und Widerstandsformen vorgeschlagen und befürwortet, die auch Zivilen Ungehorsam mit einschlossen.


Karl-Heinz Koppe

(Leiter der Bonner Arbeitsstelle Friedensforschung, vertrat die deutsche Sektion von Pax Christi) zu Frage 4:



4.Wichtig waren für mich Formulierungen, die Menschen überzeugen und gewinnen und nicht abschrecken. Ebenso wichtig war es für mich auch, daß unser Protest sich gegen alle Atomwaffen richtet, auch im Osten, und nicht nur gegen die Nachrüstungswaffen. Beides war für mich die Vorraussetzung für das Bündnis mit den sogenannten "K-Gruppen", für das ich eindeutig eingetreten bin. Andererseits habe ich nicht gezögert, in einer kritischen Situation zusammen mit sechs oder sieben anderen Gruppen zeitweilig aus dem KA auszuziehen. Darüber hinaus ging es mir immer darum, ein anti-militärisches und anti-militaristisches Bündnis zustandezubringen. Den sogenannten "Atompazifismus", der in meiner Erinnerung für mindestens die Hälfte der KA-Vertreter im Vordergrund stand, habe ich stets als zu vordergründig und zu taktisch orientiert abgelehnt.


Wolfgang Biermann

(vertrat die - SPD nahe - Initiative für Frieden, Internationalen Ausgleich und Sicherheit,IFIAS) zu Frage 4:



4.Als "Kind" der 68er und aus Berliner Erfahrung war/bin ich überzeugt, daß sich ohne Bewegung "von unten" "oben" wenig bewegt. Das gilt erst recht im Umgang mit recht seßhaften Bürokratien und Bürokraten oder Legitimationsideologen. Das fängt bei der kleinsten kommunalen Frage an und hört bei der Sicherheits- und Außenpolitik noch längst nicht auf. Auch Politik, die was bewegen will, leidet grundsätzlich unter "Sachzwängen", deshalb müssen bürokratische durch demokratische Sachzwänge zumindest umdirigiert werden.



Der ewige Perfektionierungszwang im Bereich der nuklearen Abschrekkung hatte in Ost und West eine gefährliche Stufe erreicht, und hatte die Friedensbewegung (glücklicherweise) mehr auf- als abgeschreckt. Mein Anliegen war, in und mit der Friedensbewegung durch inhaltliche Beiträge und durch den von ihr ausgehenden politischen Druck zu neuem Denken in der Friedenspolitik beizutragen. Ich war überzeugt, daß nur die Fortsetzung der Entspannungspolitik durch Abbau der Konfrontation zum Wandel beitragen konnte.


Martin Böttger

(vertrat im KA die Vereinigte Deutsche Studentenschaft, VDS, die Jungdemokraten und - seltener - das Komitee für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit, KoFAZ) zu Frage 5:



5.In seiner Zeit, den 80er Jahren, war der KA eine bedeutende Bündnis- und Diskussionsstruktur. In der 2. Hälfte der 80er Jahre verlor er aber an Bedeutung, weil sowohl seine Struktur, als auch seine Mitglieder und seine Diskussionsinhalte mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen nicht Schritt hielten (Gorbatschow, gesellschaftliche Individualisierungstrends, wachsendes Selbstbestimmungsbedürfnis politisch engagierter Menschen, das Recht auf Lust und Genuß). Er war strukturkonservativ und damit war seine Auflösung unvermeidlich.


Martin Singe

(im KA für die Initiative Kirche von unten und Pax Christi) zu Frage 5:



5.Der KA war eine Organisationsform, die seinerzeit Sinn machte. Es ging um Einbindung vieler Gruppen, um ein breites gesellschaftliches Bündnis deutlich zu machen. Der Nachteil lag sicher in der dauernden Konfrontation mit Parteiinteressen, die die Arbeit oft behinderten und lähmten. Dennoch ging ohne die Koalition der christlichen und menschenrechtlich orientierten Gruppen nichts, und das war gut so. Allerdings wurde der KA wegen seiner differenziert-labilen Spektren-Zusammensetzung schnell eine geschlossene Gesellschaft.



Der Kontakt zur Basis über die Aktionskonferenzen war oft zu taktisch. Es war vielen nicht klar, daß die Organisationen in ihrer Politik von der Basis ihrer eigenen Organisation abhängig waren, nicht aber von Beschlüssen der Aktionskonferenzen. Wie sehr die einzelnen KA-Organisationen mit ihrer jeweiligen Basis jedoch rückgekoppelt waren, war sicherlich sehr unterschiedlich. Bei der IKvu und Pax Christi gibt es hierfür klare Strukturen und Rückkopplungsregelungen.



Ein alternatives im eigentlichen Sinn basisdemokratisches Modell einer bundesweit organisierten Friedensbewegung wäre seinerzeit sicher denkbar gewesen; der Aufbau einer solchen Organisation hätte jedoch sicherlich sehr lange gedauert und die Manipulation durch bestimmte Interessen wäre auch nicht ausgeschlossen gewesen (vgl. gewisse Versuche, zu Aktionskonferenzen "Stimmvieh" herbeizukarren).


Andreas Buro zu Frage 6:



6.Mit den humanistischen und christlichen Organisationen haben wir fast durchgehend in großer Übereinstimmung gearbeitet. Das kontroverse Potential lag in der (unterschiedlich starken) Bindung von SPD-orientierten Gruppen und DKP-orientierten Gruppen an die offizielle Rüstungskontrollpolitik in West und Ost. Dagegen mußten wir uns immer wehren, was sogar für eine Zeit zu einer Koalition der humanistischen und christlichen Gruppen zur besseren Durchsetzung ihrer Haltung und zur Sicherung der Unabhängigkeit der Friedensbewegung führte.


Martin Böttger zu Frage 6:



6.Eine differenzierte Antwort müßte das Ausmaß akademischer Beiträge annehmen, die m.W. bereits in hinreichender Anzahl vorliegen. Vielleicht nur soviel: die jeweiligen Angehörigen bestimmter "Spektren" waren leider nur selten in der Lage, die Differenzierungen innerhalb dieser Spektren hinreichend wahrzunehmen. Gerade weil ich mich nie einem bestimmten Spektrum zugehörig gefühlt habe, sondern zu wechselnden Mehrheiten beitrug, habe ich das immer nachteilig empfunden.


Karl-Heinz Koppe zu Frage 7:



7.Erstens, daß sich die Gemeinsamkeit des Protestes immer wieder über die Querelen (vgl. Punkt 5) durchsetzte, zweitens der Erfolg in der Öffentlichkeit (zeitweise - so ergaben Umfragen - hatten wir eine Mehrheit der Bevölkerung für unsere Position), drittens die organisatorische Leistung bei Vorbereitung und Durchführung der Demos (in Bonn und im Hunsrück) und Kleinaktionen (Sitzblockaden u.a.). Meine Kriterien sind dabei Meinungsbeeinflussung und Organisationsstärke. Aber auch der langfristige Erfolg. Der Nachrüstungsbeschluß wurde zwar politisch durchgesetzt, aber doch mit erheblichem parlamentarischen Kräfteverschleiß. Dadurch haben wir im Vorfeld dazu beigetragen, daß später die atomaren Abrüstungsverhandlungen doch noch zum Zuge kamen. Insofern hatten wir späte Genugtuung.


Martin Singe zu Frage 7:



7.Die Friedensbewegung hat erreicht, daß in der Bevölkerung ein weitgehender Bewußtseinswandel eingetreten ist. Eine breite Mehrheit konnte für die Ablehnung der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles gewonnen werden. Hunderttausende haben ihren Protest öffentlich gemacht und sich auch im Nahbereich gegen Diffamierung durchsetzen gelernt. Pazifistische Ideen bekamen Auftrieb. Es war ein gesellschaftliches Klima geschaffen worden, in dem die Ablehnung der Nullösung im Jahr 1987 - wie zu dieser Zeit noch immer von der FAZ und anderen heftig gefordert - nicht mehr möglich war. Deshalb ist die Friedensbewegung nicht unbeteiligt am Zustandekommen des INF-Vertrages gewesen. Nach der Ermattungsphase nach der Stationierung 1984/85 gab es dann doch noch mal einen gemeinsamen Aufschwung bei der Hunsrück-Demo 86 in Hasselbach, die jedoch auch gegen erheblichen Widerstand im KA durchgesetzt werden mußte, und bei der Hofgarten-Demo gegen die Pershing-I-A 1987.



Die Mobilisierungen der 80er Jahre haben das Bewußtsein von Hunderttausenden dauerhaft geprägt, auch ist die "Hinterlassenschaft", das Netzwerk Friedenskooperative incl. der Zeitschrift Friedensforum ohne die KA-Geschichte so kaum denkbar. Daß sich eine bundesweite, nun lokker koordinierte Friedensbewegung gehalten hat, ist so auch ein indirekter Erfolg des KAs, bzw. eines Großteils seiner Mitgliedsorganisationen. Auch sind m.E. Mobilisierungserfolge wie z.B. während des Golfkrieges ohne die Vorgeschichte der 80er Jahre kaum denkbar.


Gerd Greune

(vertrat die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) und die IFIAS) zu Frage 7:



7.Die Durchführung von Aktivitäten mit massenhafter Beteiligung war ausschlaggebned für die medien-öffentliche Wahrnehmung des KA. Hierin lag sein größter Erfolg im In- und Ausland. Ohne daß dies vom KA geplant war, hat er seinen größten Erfolg darin gehabt, daß er mit seinen Aktionen vor allem nach Osteuropa ausstrahlte und mit zu Veränderungen dort beitrug.


Wolfgang Biermann zu Frage 7:



7.Der größte Erfolg waren



a) die "abschreckende" Wirkung der Hunderttausenden auf die Abschrekkungspolitiker; die Tatsache der Wiederholbarkeit der großen Demos war fast noch abschreckender als die nicht wiederholbaren Atomarsenale.



b) Die Demokratisierung der Sicherheitspolitik: Die sicherheitspolitische Innovationswirkung auf die herrschenden Eliten des In- und Auslandes: CDU, Kirchen, Reagan mußten Umdenken wenigstens demonstrieren und bis dahin ungeahnte Abrüstungsvorschläge machen.



c) Die Aufmüpfigkeit der Menschen und die Untergrabung der Feindbilder: In Mittel- und Osteuropa konnte die Repression immer weniger mit einer angeblichen Gefahr aus dem Westen legitimiert werden.


Andreas Buro zu Frage 8:



8.Der größte Fehler war die starke Orientierung auf die Bundestagsentscheidung über die Stationierung. Damit wurde die Vorstellung verbunden, die Friedensbewegung könne die Entscheidung politisch verhindern. Das hat dann wesentlich zum jähen Abfall der großen bundesweiten Aktivitäten nach dem Bundestagsentscheid für die Stationierung beigetragen. Viele Menschen haben diese großartigen Anstrengungen später als Niederlage empfunden, obwohl durch diese Aktivitäten zum ersten Mal in der BRD die Position der Friedensbewegung zur Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung geworden war.


Martin Singe zu Frage 8:



8.Die Zuspitzung auf PII und CM war letztlich eine politische Einengung, der der KA trotz reichhaltiger weitergehenderer Forderungen nach der Stationierung `83 nie mehr ganz entkommen ist, zumal die weitergehenden Forderungen oft von manchen Gruppen nur aus taktischen Gründen mitgetragen wurden. Vgl. das Aktionspotpourri 1984 (Fulda-Gap, Menschenkette, Nicaragua, Verweigerungstage: für jedes Spektrum etwas, aber jede Fraktion tat nur das ihre). Auch gab es kein klares Konzept für die Zeit nach der Stationierung. Nach der Oktober 83-Demo agierte der KA oft selbstlähmend. Die Bundestagsbelagerung am 21.11.83 mußte unabhängig vom KA und tw. gegen heftige Proteste umgesetzt werden. An den Stationierungstagen direkt nach der Debatte war die Friedensbewegung nicht zu sehen; erst langsam begann - unabhängig vom KA - die Kampagne Ziviler Ungehorsam in Mutlangen.


Karl-Heinz Koppe zu Frage 9:



9.Über die unnötigen, ja zeitweise erfolgsschädigenden Auseinandersetzungen mit den Flügeln im KA: Autonome und K-Gruppen. Aber auch über die Versuche parteipolitischer Einflußnahme. Und über das Gelabere gerade solcher KA-Mitglieder, die organisations- und mobilisierungsmäßig am wenigsten beisteuerten.



Gerd Greune zu Frage 9:



9.Es fehlte an inhaltlicher Offenheit bei einem Teil des KA. Es wurde zu wenig sachorientiert diskutiert und zuviel persönliche Eitelkeit produziert. Auch dies beförderte das Ende dieser ansonsten erfolgreichen Arbeit.


Martin Böttger zu Frage 10:



10.Ich habe immer bedauert, daß der KA gegenüber Parteien unsouverän und ängstlich auftrat, statt frech und selbstbewußt. Ich habe immer befürwortet, Keile in die Parteien zu treiben zugunsten friedenspolitischer Zielsetzungen und Forderungen, diesbezüglich dort die "Richtigen" gegen die "Falschen" zu unterstützen. Im KA dominierte aber aus meiner Sicht die Angst vor Instrumentalisierung durch die undifferenziert gesehenen Parteien, die mehr als Block statt in ihrer inneren Heterogenität gesehen wurden. Diese Ängstlichkeit fördert aber gerade die Instrumentalisierung durch die Parteien, Seilschaften über angeblich "unabhängige" Organisationen, es fördert damit Unehrlichkeit statt Offenheit, Versteckspiel statt politischer Klarheit. Hier hat mich immer geärgert, daß kirchliche Gruppen sich päpstlich aufgeführt haben, obwohl sie es - wie alle anderen - faustdick hinter den Ohren hatten.



Gerd Greune zu Frage 10:






10. Der Einfluß der Parteien im KA war immer ein Mythos. Tatsächlich hatte der KA erheblich mehr Einfluß auf die Grünen und die SPD und nicht umgekehrt. Der KA bot den Grünen u.a. auch eine Plattform, um sich mit der SPD öffentlichkeitswirksam auseinanderzusetzen.


Die Fragen:

1. Name, Vorname
2. für welche Organisation warst Du im KA?
3. Von wann bis wann hast Du regelmäßig an KA-Sitzungen teilgenommen?
4. Welche(s) Anliegen / welche Interessen hast Du vorrangig im KA vertreten?
5. Wie würdest Du aus heutiger Sicht die Bedeutung des KA einschätzen?
6. Welche Interessen haben die wichtigsten anderen Organisationen Deiner Ansicht nach vertreten?
7. Was war der größte Erfolg? (Und: nach welchen Kriterien beurteilst Du das?)
8. Was war der größte Fehler?
9. Wenn Du Dich an die Sitzungen erinnerst: Worüber hast Du Dich am meisten geärgert?
10. Wie beurteilst Du den Einfluß der Parteien im KA?




E-Mail: friekoop (at) bonn (Punkt) comlink (Punkt) org
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