Geschichte
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Friedens-
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15.06.2005


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Geschichte der Friedensbewegung

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Am 13. Februar 1945 wurde Dresden zerstört. Am 13. Februar 1982 fand in der Kreuzkirche der Elbestadt ein Friedensforum mit mehr als 5000 jung

Eine Bewegung, die das land veränderte

Bettina Röder

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"Das Lichtermeer, das werde ich nie mehr in meinem Leben vergessen"; sagt Heinz-Jürgen Scheinert. Die Bilder vom 13. Februar 1982, wie auch die all der darauf folgenden Jahre, sind in seinem Kopf und Herzen geblieben. Unauslöschbar. Und er ist nicht der Einzige. Der heutige Mitarbeiter des Dresdner Landesjugendpfarramtes war am 13. Februar 1982 unter jenen gut 1.000 vor allem jungen Menschen, die von der Dresdner Kreuzkirche zur Ruine der Frauenkirche zogen. Und dazu gehörte Mut. Sie stellten unter dem dunklen Himmel brennende Kerzen in den Trümmerhaufen, der von der Barockkirche nach der Bombennacht nebst zwei hohen Chormauern geblieben war. Vorangegangen war an diesem kalten Februartag das bislang größte Forum der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR. Weit über 5.000 zumeist junge Menschen waren in die Kreuzkirche gekommen, die eigentlich nur gut 3.000 Menschen fasst. Im Schutz der Kirche standen sie in den Gängen, saßen auf dem Boden oder auf den Sandsteinsimsen der hohen Fenster. Einige hatten sich weiße Stoffstreifen um die Stirn gebunden, auf denen in schwarzer Farbe stand "Frieden schaffen ohne Waffen". Und von den Emporen der grau gehaltenen Jugendstilkirche hing jenes Zeichen, das sie alle vereinte: "Schwerter zu Pflugscharen". Es war ein persönliches Bekenntnis, eine Sehnsucht nach einer Welt ohne Waffen, die sie den DDR-Mächtigen entgegensetzten. "Sie alle", das waren nicht nur die Jugendlichen, sondern auch Theologen, die dafür gesorgt hatten, dass dieses Forum möglich wurde. Der Dresdner Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider war einer von ihnen, ein anderer der Superintendent und Pfarrer an der Kreuzkirche, Christof Ziemer. Ein weiterer der sächsische Landesbischof Johannes Hempel. Sie hatten hierher eingeladen, weil junge Menschen mit Flugblättern zum Gedenken an die Frauenkirche am 13. Februar aufgerufen hatten. Das war eine kleine Gruppe junger Menschen aus einer jungen Gemeinde um die damals 18-jährige Johanna Kalex. "Bringt uns Kerzen mit", hieß es in dem Aufruf, den sie mühsam per Schreibmaschine hundertfach vervielfältigt und auf Straßen und Plätzen verteilt hatten. Das geschah im November 1981 und rief die DDR-Staatssicherheit auf den Plan. Festnahmen, Verhöre und drohende Verhaftungen folgten auf dem Fuß.

Vor diesem Hintergrund hatte die Kirche die jungen Menschen an diesem denkwürdigen 13. Februar 1982 in den Schutz ihrer Mauern eingeladen. Und nicht nur das. Sie hatten den Jugendlichen ein Forum geboten. Dass sie nun aus der Kirche kamen und zur Ruine liefen, wo sie in Sichtweite zur Staatssicherheit mit ihren Kerzen "dona nobis pacem" anstimmten, machte die SED-Oberen machtlos. Zumindest für diesen Augenblick. Doch dieser Tag wurde zum Schlüsseldatum für die unabhängige Friedensbewegung. Auch die Beschallung durch Lautsprecher mit "Friedensliedern" in den darauf folgenden Jahren, grelle Scheinwerfer an der Ruine oder ein Gitter, das um sie gezogen wurde, damit keine Kerzen mehr abgestellt werden konnten, hielt die Menschen nicht zurück. Im Gegenteil. Leise sangen sie gegen die eigene Angst und fremde Übermacht an, stellten ihre Kerzen in das Gitter; das sich in eine beeindruckend leuchtende Wand verwandelte. Wie auch viele andere war Jürgen Scheinert jedes Jahr dabei. Der Ort des Gedenkens an die Bombennacht war ihm wichtig geworden. Zumal es friedlich erkämpftes Gedenken war "Die Ruinen haben uns gesagt, hier ist Zerstörung passiert", sagt er heute.

Doch dabei sollte es nicht bleiben. "Inwiefern sind wir eigentlich bereit zu einem persönlichen Friedensengagement auch dann, wenn es nicht zu persönlichen Vorteilen führt?", hatte Christof Ziemer in der Kreuzkirche am 13. Februar 1982 die über 5.000 Jugendlichen gefragt. Dieses Datum und das, was Kirche tat, hatte für ihn immer auch eine politische Dimension. Glauben, der sich aus den gesellschaftlichen Problemen und Bedrückungen heraushält, keine Verantwortung übernimmt, war für ihn wie viele andere, die alljährlich an die Zerstörung Dresdens gedachten, nicht vorstellbar. Doch die Unfreiheit in dem hermetisch abgeriegelten Land wurde für viele immer unerträglicher. Sie verließen es gen Westen. In dieser Situation rief der Dresdner Superintendent am 13. Februar 1987, fünf Jahre nach dem großen Friedensforum, zu einer großen ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung auf. Er konnte nicht ahnen, dass daraus heute leider weithin vergessene Sternstunden wurden.

Im Zuge des konziliaren Prozesses waren die Menschen zunächst aufgefordert, in Briefen an den Vorbereitungskreis zu schreiben, was sie bedrückt. Mehr als 40.000 "Zeugnisse der Betroffenheit" gingen ein. Trotz Briefkontrolle und Bespitzelung hatten mehr Menschen ihre Probleme und Not öffentlich weitergegeben als jene, die das Land gen Westen verließen. Neun "Zeugnisse der Betroffenheit" wurden bei der ersten ökumenischen Versammlung am 13. Februar 1988 vorgebracht. Es waren nachdenkliche Töne in der großen Stille der Kirche. Aber genau das machte sie stark. Unter ihnen der junge Kellner und Wehrdienstverweigerer Stephan Schack, der einen Wehrersatzdienst forderte. Die Gemeindehelferin Dorothea Kutter, die das Waldsterben im Erzgebirge beklagte. Der Biologe Michael Beleites, der über die entsetzlichen Umweltschäden durch den Uranbergbau für die sowjetischen Besatzer im Erzgebirge sprach. Und die "Frauen für den Frieden" forderten Friedenserziehung im Kindergarten statt Militarisierung. Die Menschen waren berührt, weil alles mit einer nie da gewesenen Deutlichkeit ausgesprochen wurde. Am Ende standen die Ergebnisse von drei ökumenischen Versammlungen. Texte zum Frieden, zu Umwelt und Gerechtigkeit, die von Vertretern aller Konfessionen - von der Basis bis zum Bischof - verfasst wurden und die sich auch heute noch hoch aktuell lesen. Sie gingen in die Programme aller nach der friedlichen Revolution neu gebildeten Parteien ein.

Heinz-Jürgen Scheinert aber hat die Geschichte der vergangenen Generationen nicht losgelassen. So auch, als er mit Freunden später durch Dresden lief, um gemeinsam an Orten von Vorfahren im Gedenken an die Bombennacht Kerzen aufzustellen. Auch an der Durchfahrt zum Haus seiner Großmutter im Zentrum der Elbestadt. Kein Stein ist dort am 13. Februar 1945 auf dem anderen geblieben. Scheinerts Großmutter konnte sich zu

Verwandten retten. Im Unterschied zu unzähligen Menschen, die im Feuersog verbrannten oder an die Elbe flüchteten, wo sie von Tieffliegern erschossen wurden. 35.000 Tote, das war die offizielle Zahl, die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher. Dresden, die weltberühmte Kunst- und Kulturstadt, gern mit Florenz verglichen, hatte wie Heidelberg so gut wie keine Flakabwehr gehabt. Die Menschen glaubten einfach nicht, dass sie bombardiert würde.

Später, nach 1990, ist Jürgen Scheinert dann an einen weiteren Ort des Gedenkens gefahren: nach Auschwitz. Diesmal hat er selbst Jugendliche mitgenommen: Klassen, Konfirmandengruppen, Jugendclubs, aber auch Lehrer. 15 Jahre lang hat er unermüdlich Studienfahrten vorbereitet oder selbst begleitet. "Ich wollte wissen, wie totalitäre Regime in der Geschichte funktionieren", sagt der Religionspädagoge. Und er hat das Geld gesammelt für den Meditationsraum - Haus der Stille - auf dem Gelände der Jugendbildungsstätte Auschwitz. Für seine unermüdliche Erinnerungsarbeit mit jungen Menschen erhält er nun zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers das Verdienstkreuz in Gold der Republik Polen: aus der Hand des polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewski. Christliches Engagement, sagt Scheinert, war für ihn immer auch ein politisches. Und so wird er mit anderen in diesem Jahr am 13. Februar gegen die Rechten demonstrieren. Seine Biografie erzählt es: Die Wurzeln liegen in der Bewegung "Schwerter zu Pflugscharen" und dem Tag der Zerstörung in Dresden.

Quelle: Röder, Bettina "Eine Bewegung, die das Land veränderte" in Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe 03, 2005, S. 71-72



Bettina Röder ist Jouralistin und arbeit für die Zeitschrift "Publik Forum".

E-Mail: redaktion (at) publik-forum (Punkt) de

Website: www.publik-forum.de
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