Geschichte
der
Friedens-
bewegung

update:
30.06.2005


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Geschichte der Friedensbewegung

 Geschichtlicher Überblick

- Zielsetzungen, Strategien und Wirkungen -

Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik in ihren historischen Etappen

Andreas Buro

Mehr als ein halbes Jahrhundert Friedensbewegung in der Bundesrepublik können nicht als eine Einheit beschrieben werden. Zu groß sind die Unterschiede in der politischen Situation, den Zielsetzungen, Organisationsstrukturen sowie in den Aktions- und Beteiligungsformen. Es ist deshalb Erforderlich, die Friedensbewegung in den verschiedenen historischen Etappen ihrer Arbeit und Wirkung zu betrachten. Im Folgenden werden acht solcher Etappen in aller Kürze und Vereinfachung skizziert, und zwar:

Widerstand gegen die Wiederbewaffnung

"Kampf dem Atomtod" in der zweiten Hälfte der 50er Jahre

Ostermarsch-Bewegung / Kampagne für Demokratie und Abrüstung Kampagne gegen den NATO-Doppelbeschluss

Phase nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Phase während der Golf- und Balkan-Kriege

Die interventionistische Orientierung der NATO-Staaten und Deutschlands

Imperiale Kriege und Aufrüstung im Zeichen des Kampfes gegen Selbstmord-Terrorismus



Der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung

Nach dem NATO-Beitritt der BRD 1954 endete die "Ohne-mich-Bewegung" gegen die Wiederaufrüstung (vgl. Otto, 1981). Sie hatte von 1949 bis 1955 anti-militaristische Argumente vertreten und reichte vom konservatien über den liberalen und religiösen Teil der Gesellschaft bis zur Linken. Der Bundesinnenminister berichtete 1952 von 175 Organisationen, Arbeitseisen, usw. Die Motivationsstrukturen waren äußerst heterogen und reichten vom gekränkten Nationalstolz, dem Wunsch nach einer neutralistischen Lösung bis zu anti-militaristischen Positionen. Pazifistische Überzeugungen wurden vermutlich nur von einer recht kleinen Minderheit vertreten. Diese Phase verläuft in vier Teilschritten: der "Ohne-mich-Bewegung", der Volksbefragungsaktionen, der "Neutralitätsbestrebungen und der Paulskirchen-Bewegung. (Otto, 1981, S.2 ff.). Die dominierenden Akteure waren politische Parteien und große Organisationen wie der DGB und die Kirchen, unter deren Dach sich Aktionsgruppen organisierten. Davon unabhängige Akteure fanden sich vor allem unter der Thematik "Neutralitätsbestrebungen". Eigenständige Friedensgruppierungen waren weit davon entfernt, die Auseinandersetzungen zu bestimmen.

Auswirkungen auf die Politik: Weder Ziele noch Teilziele wurden erreicht. Der Kalte Krieg eskalierte und die Wiederbewaffnung wurde durchgesetzt.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: In Umfragen sprachen sich bis zu 80% der Bevölkerung allerdings, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven gegen die Wiederbewaffnung aus. Damit wurde seit der Kriegszeit erstmals eine breite Diskussion in der Gesellschaft über Militär und Bewaffnung geführt. Angesichts der so unterschiedlichen, unter anderem von nationalen Ressentiments, zum Teil aber auch von politisch4aktischen Erwägungen geprägten Motive, war dies vorwiegend keine kritisch-pazifistische Auseinandersetzung über militärische Gewalt und ihre Überwindung. Die widersprüchliche Motivationsstruktur bewirkte die große Resonanzbreite, förderte aber auch die Unfähigkeit zu gemeinsamem Handeln (ebd. S.53). Friedenspolitische Aspekte wurden vorwiegend in den Diskussionen über Neutralitätsmodelle erörtert.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Zunächst ist zweifelhaft, ob hier bereits von Friedensbewegung im Sinn "neuer sozialer Bewegungen" gesprochen werden kann. Für breitere soziale Lernprozesse war die Heterogenität zu groß und der schnelle Wechsel der Ansätze ungünstig. Kompetenzen wurden in den jeweiligen Thematiken durch die Arbeit in den vielen Ausschüssen und Gruppierungen angeeignet. Zivile und gewaltfreie Formen des Widerstandes (Streik, ziviler Ungehorsam, Tabu-Verletzungen, direkte Aktionen) wurden von einigen Gruppen neu aufgenommen, häufig massive staatliche Gewalt entgegengesetzt wurde. Neue Institutionalisierungen, die auch nach dieser Phase Bedeutung behielten, nicht bekannt. Der schnelle Positionswechsel in der Gesellschaft zur Frage der Wiederbewaffnung wie auch der niedrige Grad der Erforschung dieser Phase verweisen auf die geringe Traditionsbildung.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Im Vordergrund stehen Neutralitätskonzepte die sich als Alternative zur West-Integration der Bundesregierung verstanden. Sie zielten auf eine Deeskalation des entstehenden Kalten Krieges und der damit verbundenen Kriegsgefahr.



Die Kampagne "Kampf dem Atomtod"

Der Protest gegen die Atomwaffen wurde in der zweiten Hälfte der 50er Jahre von SPD, Gewerkschaften, evangelischer Kirche und einzelnen Persönlichkeiten in der Kampagne "Kampf dem Atomtod" organisiert (Rupp, 1970). Die großen Organisationen hatten dabei das Sagen. Diese Phase war fast von denselben Akteuren wie die vorhergehende bestimmt. Man konzentrierte sich auf die atomare Bedrohung und erreichte dort eine erhebliche Breite der Auseinandersetzung. Die Großorganisationen` allen voran die SPD, bestimmten weitgehend politisch, finanziell und organisatorisch die Kampagne. Allerdings gab es auch davon unabhängige Neutralitäts- und Friedensgruppen. 1959 machte die SPD mit ihrem auf dem Parteitag in Bad Godesberg beschlossenen Grundsatzprogramm einen großen Schwenk in Richtung auf eine sich zur Mitte öffnende Volkspartei` die zu einer großen Koalition bereit war. "Kampf dem Atomtod" passte nicht mehr in diese neue Strategie und wurde kurzerhand von SPD und DGB organisatorisch und finanziell abgewürgt.

Auswirkungen auf die Politik: Die vorgetragenen politischen Ziele konnten nicht durchgesetzt werden, auch nicht Teilziele. Vielmehr schwenkten SPD- und Gewerkschaftsführung am Ende dieser Phase sogar auf die konservative Regierungspolitik ein. Dementsprechend konnte keine Deeskalation im Kalten Kriege erreicht werden.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: Die Diskussion über Nuklearwaffen hat große Teile der Gesellschaft erfasst und sie in eine Auseinandersetzung über die Ungeheuerlichkeiten militärischen Denkens und militärischer Praxis (Hiroshima/Nagasaki) geführt. Dies bewirkte eine erhebliche Mobilisierung für Nuklear-Abrüstung. Die Konzentration auf die Nuklearwaffen hob allerdings die generelle Frage nach der Überwindung militärischer Gewalt in den Hintergrund und überließ sie pazifistischen und anti-militaristischen Gruppen. Kriegsdienstverweigerer hatten es in dieser Zeit noch sehr schwer, in der Gesellschaft als legitim anerkannt zu werden.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Wieder ist sehr zweifelhaft, ob diese Phase bereits unter dem Begriff der "Neuen sozialen Bewegungen" wegen der letztlich verhängnisvollen Dominanz der Großorganisationen verstanden werden kann. Trotzdem kann von einem beginnenden Lernprozess in Sachen "Nuklearwaffen" gesprochen werden. Eine zivilgesellschaftliche Kompetenz wurde erworben, die für die folgenden Phasen wichtig wurde. Die Konfliktaustragungsformen waren, bestimmt durch die Großorganisationen, weitgehend traditionell. Institutionalisierungen ergaben sich in Anti-Atom-Komitees, die weitgehend von unabhängigen Personen und Oppositionellen in den Großorganisationen gegründet und betrieben worden waren. Diese haben wesentlich zur Tradierung der gemachten Erfahrungen beigetragen. In dieser Phase entstanden auch in anderen Ländern Protestbewegungen gegen Nuklearwaffen, insbesondere spielte die Campaign for Nuclear Disarmament (CND), in England eine hervorragende Rolle, die dort Ostermärsche organisierte. Trotz der bestehenden Verbindungen von Parteien und Gewerkschaften zu diesen ausländischen Bewegungen hat sich daraus damals keine dauerhafte internationale Verknüpfung ergeben. Wohl aber entstanden Kontakte über Grenzen hinweg, die für die nächste Phase wichtig waren.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Der Protest gegen Atomwaffen war nicht auf die Entfaltung neuer Konzepte und Begriffe gerichtet. Die Erforschung der Verhandlungen über Atomwaffen und ihre Wirkungen wurde vor allem im Ausland betrieben, aber doch in der BRD zur Kenntnis genommen.



Die Ostermarsch-Bewegung / Kampagne für Demokratie und Abrüstung

Pazifistische Gruppen in Norddeutschland veranstalteten 1960 den ersten Oster-Sternmarsch von Hamburg, Bremen, Hannover und Braunschweig zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne, woraus sich die bundesweite, unabhängige, außerparlamentarische Opposition entwickelte (Buro 1977). Zunächst firmierte sie unter dem Namen "Ostermarsch der Atomwaffengegner gegen Atomwaffen in Ost und West" und nannte sich in den späten 6Oer Jahren, damit einen sozialen Lernprozess anzeigend, "Kampagne für Demokratie und Abrüstung". Diese Kampagne wurde zu einem breiten Bündnis aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus und politischen Lagern, arbeitete ganzjährig, finanzierte sich selbst und war von keiner Partei und keiner Großorganisation abhängig (Otto, 1977). Es entwickelt sich auch ein dichtes Netz lokaler Gruppen. Dies ist die erste über lange Zeit (1960-69) auf breiter sozialer Basis arbeitende "neue soziale Bewegung", die sich selbst als außerparlamentarische Opposition bezeichnete (Otto, 1977). Die Kampagne griff zunächst weitgehend die Forderungen von "Kampf dem Atomtod" auf, vertiefte sie aus pazifistischer Sicht und veränderte sich im Laufe der Jahre zu einer anti-militaristischen und pazifistischen Bewegung, die immer weitere Bereiche der Probleme der Demokratisierung in ihre Arbeit einbezog. Seit Mitte der 60er Jahre spielte das Thema Vietnam eine zunehmende Rolle bei den öffentlichen Protesten. Es wurde von der Studentenbewegung verstärkt aufgegriffen und bis zum Abzug der USA aus Vietnam 1973 intensiv verfolgt. 1968 marschierten Ostblock-Staaten in die CSSR ein, was die Zusammenarbeit der heterogenen Teile der Kampagne außer-ordentlich belastete. Ende der 60er Jahre war die Kampagne derart politisiert - auch die Studentlnnenbewegung hatte dazu beigetragen - dass sie sich zugunsten vieler Reformprojekte in fast allen gesellschaftlichen Bereichen auflöste. Es war die Zeit der Entspannungspolitik während der Kanzlerschaft von Willy Brandt. Ökologische, soziale, entwicklungspolitische und frauenpolitische Probleme beschäftigten die Menschen damals mehr als die vermeintlich entschärfte Bedrohung durch Atomwaffen und Krieg. Die Friedensbewegung versank so nach Beendigung des Vietnam-Krieges in einen Dornröschen-Schlaf zugunsten anderer Aktivitäten.

Auswirkungen auf die Politik: Die politischen Ziele (atomwaffenfreie Zonen, Abrüstung usw.) konnten nicht erreicht werden. Die Friedensbewegung konnte ebenfalls nicht friedensgefährdende Situationen (Abschreckungspolitik` Kuba-Krise usw.) deeskalieren. Die jahrelange Kampagne gegen den Vietnam-Krieg war allerdings ein wichtiger Teil der weltweiten Proteste, die mit zum Beschluss der USA beitrugen, sich aus diesem Krieg zurückzuziehen. In dieser Hochzeit des Kalten Krieges konnte die Friedensbewegung nur sehr punktuell Ost-West-Dialoge führen. Ein wichtiger Beitrag lag darin, dass sie durch ihre langjährige Friedensarbeit der späteren "neuen Ostpolitik" der Regierung Brandt/Scheel eine breitere Basis in der Bevölkerung verschaffen konnte.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: In der schwierigen politischen Landschaft des Kalten Krieges der 60er Jahre hat die Kampagne alle Teile der Bundesrepublik erfasst und in ganzjähriger Arbeit eine breite öffentliche Diskussion entfalten können. Viele Menschen wurden ermutigt, öffentlich für ihre friedenspolitische Haltung einzustehen, so dass man durchaus von einer erheblichen Mobilisierung sprechen kann. Die Diskussion über militärische Gewalt ging vornehmlich von pazifistischen Gruppen und von der Idee der gewaltfreien, sozialen Verteidigung aus. Sie erstreckt sich bis in die Gegenwart und erhielt in den 70er Jahren neue Impulse aus der Auseinandersetzung mit den Gewaltstrategien der RAF. Die Kampagne erweiterte den Boden für die gesellschaftliche Akzeptanz der Kriegsdienstverweigerung.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Durch die langjährige Arbeit war es möglich, "soziale Lernprozesse" (H. u. K. Vack 1993) und eine Politisierung vieler BürgerInnen zu ermöglichen. Dabei wurden nicht nur friedenspolitische Zusammenhänge gelernt, sondern auch, dass man sich zusammenschließen und seine eigenen Positionen in der Öffentlichkeit durchaus gut vertreten sowie Einschüchterungen widerstehen kann. Die Kampagne hat vielfältige, lebensbejahende` fröhliche Formen der Demonstration und der Kommunikation entwickelt und damit in diese oft schwierige Arbeit Gruppengeselligkeit eingebracht. Kulturell-politische Veranstaltungen und Lieder spielten eine große Rolle. Die Institutionen der Kampagne haben deren Ende nicht überdauert, sehr wohl aber informelle Zusammenhänge, die sich mehr oder weniger bis zur Gegenwart erhalten haben. Möglichkeiten der Erfahrungsweitergabe im Sinne von Traditionsbildung hat es nur in publizistischen Darstellungen, Analysen, die schon bald nicht mehr erhältlich waren, und archivarischen Sammlungen gegeben. Lieder werden zum Teil bis heute gesungen. Eine dichtere Erfahrungsweitergabe ist aber wegen des Abbruchs der Kampagne und großer Teile der Friedensarbeit in den 70er Jahren nicht erreicht worden. Die Kampagne hat internationale Arbeit relativ intensiv betrieben: Demonstrationen und Redneraustausch über Grenzen hinweg. Zusammenarbeit im westeuropäischen Rahmen mit vergleichbaren Kampagnen gegen Atomwaffen. Sie hat die International Confederation for Disarmarnent and Peace, ein Gegenstück zum Weltfriedensrat, mit begründet und betrieben.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Die angebotenen Alternativen kreisten um die Bildung atomwaffenfreier Zonen und Neutralitätskonzepte. Von pazifistischer Seite stand das Konzept der gewaltfreien "Sozialen Verteidigung" im Vordergrund, das bis zur Gegenwart immer wieder Anlass zu Diskussionen über weiterführende gewaltfreie Strategien gegeben hat. Die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" hat vermutlich dazu beigetragen, dass 1971 auf Anregung von Bundespräsident Gustav Heinemann der 1950 unter Protest gegen die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik als Bundesinnenminister zurückgetreten war, die "Deutsche Gesellschaft für. Friedens- und Konfliktforschung" und in der Folge Friedensforschungsinstitute in der BRD gegründet wurden, deren Arbeit zwar keineswegs immer mit den Ansätzen der Friedensbewegung in Einklang standen. (Jahn 1982), aber doch erheblich zur Vertiefung der Auseinandersetzung und zur öffentlichen Thematisierung der von der Friedensbewegung erkannten Probleme beitrug.



Die Kampagne gegen den NATO-Doppelbeschluss

In den 70er Jahren hatten sich an Reformen orientierte soziale Bewegungen und BürgerInnen-Initiativen gebildet, während das Friedensthema angesichts der neuen Ostpolitik und der damit verbundenen Hoffnungen weitgehend in den Hintergrund getreten war. Erste deutliche Lebenszeichen gab die Friedensbewegung wieder von sich, als 1977/78 die Neutronenbomben eingeführt werden sollten. Als 1979 die NATO ihren Doppelbeschluss zur Stationierung von Mittelstreckenraketen mit minimaler Vorwarnzeit fasste, bildeten Menschen aus den vielfältigen sozialen Bewegungen im ganzen Land Friedensgruppen und es entstand die größte Friedensmobilisierung die es bis dahin jemals in Deutschland gegeben hatte. Ziviler Ungehorsam (vgl. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Hg., 1992) und gewaltfreie Aktionsformen gewannen große Verbreitung. Es entwickelte sich in dieser Phase ferner eine intensive Diskussion über Alternativen (Komitee für Grundrechte und Demokratie, 1981) und auch über militärische Defensivkonzepte, die zu einem Ende der Abschreckungspolitik und zu Abrüstung fuhren sollten (Böge / Wilke, 1984). Gorbatschows Entspannungs- und Abrüstungspolitik läutete bis zum Ende der 80er Jahre eine neue Ebbe der Friedensbewegung ein.

Auswirkungen auf die Politik: Der Bundestag hat gegen das "Votum der Straße" die Stationierung der Mittelstreckenraketen beschlossen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass der massive Protest und die folgenden gewaltfreien Blockaden in Mutlangen und anderenorts die "Politik" hellhörig für die Befürchtungen der Bevölkerung gemacht haben.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: In dieser Phase ging es um militärisch-politisches Handeln, durch das die Bevölkerung dem Risiko einer weitgehenden Vernichtung ausgesetzt wurde. In der "Zivilgesellschaft" entstand eine breite Diskussion, die zu einer Ablehnung der Nachrüstung bei bis zu 2/3 der befragten Bevölkerung führte. Die Mobilisierungsbereitschaft war sehr hoch, wobei auch Risiken durch die Protestformen in Kauf genommen wurden. Die Absurdität der enormen Selbstgefährdung des damaligen Abschreckungskonzepts dürfte das Verständnis für die Kriegsdienstverweigerung erheblich gefördert haben.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Lernprozesse konnten aus den 60er Jahren fortgesetzt und von neuen Demonstranten aufgenommen werden. Gelernt wurde im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Kompetenz viel über militärisches Denken und Strategien, dass man sich wehren kann und dass es möglich ist, viele Menschen in der Gesellschaft zu erreichen. Es war trotz Dissens in vielen Fragen möglich, sich in zentralen Punkten zu einigen und dann gemeinsam koordiniert zu handeln. Viele Formen zivilen Protestes und gewaltfreien Widerstandes wurden erprobt und weiterentwickelt (Komitee für Grundrechte und Demokratie 1992). Die Aktionsformen führten zu einer stärkeren Gewichtung des gewaltfreien Kampfes gegenüber dem anti-militaristischen (Buro 1997, 195ff) und förderten das Verständnis für pazifistische Verhaltensweisen. Die zahlreichen Gerichtsverfahren wurden zu Foren der politischen Auseinandersetzung. Der Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung als Organisationsgremium der Großdemonstrationen zwischen 1981 und 1987 löste sich auf; statt dessen arbeitet seitdem das Netzwerk Friedenskooperative als Koordinierungsgremium in Bonn und gibt 2-monatlich das FriedensForum als Bewegungszeitschrift heraus. Auf lange Sicht gegründete Anstrengungen der systematischen Traditionsbildung gab es jenseits vieler Publikationen nicht. Wechselwirkungen zwischen den sozialen Bewegungen traten insofern auf, als zu Beginn dieser Phase aus fast allen anderen sozialen Bewegungen Menschen herbeiströmten, um sich gemeinsam gegen die neue Bedrohung zu wehren. In dieser Zeit formierte sich zunehmend die Grüne Partei, die sich überwiegend aus dem Bereich der sozialen Bewegungen rekrutierte. Viele Hoffungen richteten sich auf sie, aber auch viele Befürchtungen vor einem Exodus aus der außerparlamentarischen hin zur Parteiarbeit. Die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg führte nicht zu neuen, dauerhaften internationalen Institutionen.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Diskussionen gab es über die Möglichkeiten von Defensiv-Konzepten, die eine Überwindung der Abschreckungskonfrontation Deeskalation und einen Einstieg in Abrüstung bewirken sollten. Friedensforscher, Soldaten und Personen aus den sozialen Bewegungen beteiligten sich daran gemeinsam (Böge / Wilke 1984).



Das Ende des Ost- West-Konflikts

Der Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums veränderte die sicherheits- und friedenspolitische Landschaft auch für die Friedensbewegung grundlegend (Buro 1997). Man war nicht mehr bedroht. Damit wurde neben dem Kampf für Abrüstung das zweite große Thema der Friedensbewegung auf die Tagesordnung gesetzt: der Grundgedanke, dass Frieden in Europa nicht auf Waffen, sondern auf Verständigung über die Formen des Zusammenlebens im "Gemeinsamen Haus" gegründet sein müsse (Senghaas 1992). Dementsprechend gelte es, Aussöhnungsarbeit zwischen der Bundesrepublik oder besser deren Gesellschaft und den osteuropäischen und den ehemals sowjetischen Gesellschaften zu leisten. Die Bedingungen für eine gesamteuropäische gemeinsame, friedliche Zukunft waren zu entwickeln. In der schon 1987 begonnenen Diskussion ging es um die Begriffe und eine entsprechende Politik des "positiven Friedens" für Europa und einer "gesamteuropäischen Friedensordnung". Mit dieser Neuorientierung war die weit verbreitete Hoffnung verbunden, es beginne nun eine Ära der gleichberechtigten Kooperation zwischen Ost und West, in der die erwartete Friedensdividende Frieden stiftend und Entwicklung fördernd eingesetzt werden würde.

Auswirkungen auf die Politik: Die Grundstimmung in der Bevölkerung aufgrund der friedenspolitischen Mobilisierung mag dazu beigetragen haben, dass partielle Abrüstungsschritte zwischen Ost und West vereinbart wurden. Dieses betraf allerdings vor allem die Rüstung aus der Zeit des Ost-West-Konflikts, die nun nicht mehr gebraucht wurde. Von einer generellen Tendenz zur Abrüstung konnte nicht die Rede sein, vielmehr nur von Umrüstung. Auch die zeitweiligen Tendenzen, sich auf eine gesamteuropäische Friedensordnung einzulassen und die OSZE in diesem Sinne umzugestalten (Pariser Gipfel von 1990), wurden von dieser Grundstimmung getragen. Die Demokratie-Bewegung in der DDR, die viele Elemente einer Friedensbewegung beinhaltete, hat wesentlich zu einem friedlichen Systemwechsel beigetragen, wenngleich sie diesen auch nicht verursacht hat.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: Angesichts der Hoffnungen auf "Friedensdividende" und dem Eindruck, die Abschreckungsbedrohung sei nun aufgehoben, wandten sich viele Menschen anderen für sie wichtigen Themen zu. Dies bedeutete nicht, sie seien grundsätzlich an der Friedensproblematik nicht mehr interessiert oder hätten gar ihre Meinung verändert.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Die breite Mobilisierbarkeit ging erheblich zurück, so dass die eigentlich günstigen Bedingungen für die Forderungen der Friedensbewegung nicht genutzt werden konnten. Menschen, die in den 70er Jahren in anderen sozialen Bewegungen ihren Schwerpunkt gehabt hatten, wandten sich zum Teil ihrer früheren Arbeit wieder zu. Lokale Gruppen verminderten ihre Arbeit oder lösten sich auf. Es entstand die paradoxe Situation, dass die Friedensbewegung analytisch und prognostisch auf einem hohen Niveau arbeitete, während sie gleichzeitig als Massenbewegung kaum noch präsent war und dementsprechend in der Öffentlichkeit nur wenig Gehör fand. So wurden auch ihre ständige kritische Begleitung der globalen Rüstungskontrollpolitik sowie ihre Vorschläge dazu öffentlich nur wenig beachtet.

Thematisierung und Entfaltung, neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Besonders nach 1989 entwickelte sich eine lebhafte Diskussion um die neuen Ziele der Friedensbewegung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts. Die Kampagne "Bundesrepublik ohne Armee" (BoA) wurde gestartet, die in anderen Ländern Entsprechungen hatte. Eine zivile Völkergesellschaft sei zu entfalten, die ihre Friedensordnung auf Kooperation, Nicht-Bedrohung und zivile Konfliktbearbeitung gründen solle. Dazu müsse die militärische Integration Westeuropas zur Militärgroßmacht und eine militärisch gestützte Hegemonialposition Deutschlands in der EU verhindert werden (Buro 1997, 109ff). Konzepte für eine gesamteuropäische Friedensordnung, oft sprach man auch von dem "Gemeinsamen Haus Europa", ausgehend von einer ausgebauten OSZE, wurden ausgiebig thematisiert.



Die Kriege am Golf (1991) und auf dem Balkan

Der Krieg am Golf 1991 (Komitee für Grundrechte und Demokratie, Hg., 1991) richtete den Blick verstärkt auf Konflikte und Kriege in anderen Ländern. Während die Deutschen nicht mehr unmittelbar bedroht waren, ging es nun vorrangig um den Frieden im ehemaligen Jugoslawien (Buro 1997:1 19ff). Die neue Ära nach dem Ost-West-Konflikt stellte auch in Bezug auf die Handlungsformen der Friedensbewegung ganz neue Anforderungen. Konnte angesichts des Golf-Krieges schwergewichtig noch mit Demonstrationen und Großveranstaltungen in Deutschland unter dem provokativen Motto "Kein Blut für Öl!" reagiert werden, so war dies bei den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien nicht mehr möglich. Dort war grenzüberschreitende Friedensarbeit gefordert, für die kaum Erfahrungen vorlagen. Zudem boten die traditionellen Strukturen der Friedensbewegung sowie ihre finanzielle Ausstattung und ihre organisatorischen Kapazitäten hierfür nur schwache Voraussetzungen. Trotzdem wurde von der internationalen wie auch von der deutschen Friedenbewegung diese neue Herausforderung angenommen. Es wurde eine breite und vielfältige Arbeit im Sinne des neu aufkommenden Begriffs der "Zivilen Konfliktbearbeitung" (ZKB) geleistet. Sie wurde durch die Medien jedoch kaum wahrgenommen, da diese noch immer auf die alten Demonstrationsformen fixiert waren.

Der Krieg in Kroatien und Bosnien bewegte die Menschen in der Friedensbewegung mehr als alle anderen kriegerischen Konflikte zuvor. Mitleiden und der Wunsch zu helfen, bildeten eine der großen Gemeinsamkeiten. Die Grausamkeiten dieses Krieges waren zwar kein neues Argument gegen Pazifismus; trotzdem hat der Wunsch nach einem schnellen Ende des fast hautnah erlebten Infernos auch die friedensbewegten Menschen innerlich gespalten. Die so genannte Bellizisten / Pazifisten-Auseinandersetzung zwischen den Befürwortern und den Gegnern eines westlichen Militäreinsatzes in Bosnien spiegelte diesen Konflikt wieder (Buro, 1997, 143ff.; Pax Christi 1993 und 1996). Diese Diskussion ist nur vor dem Hintergrund des neuen unipolaren globalen Machtsystems unter Führung der USA zu verstehen, dessen Interventions-Bereitschaft sich die Bundesrepublik zunehmend in ihrer "out-of-area-Politik" zuordnet (Buro 1997).

Auswirkungen auf die Politik: Die "große" Politik der USA, der EU-Staaten und der NATO konnten durch die vielfältigen Stellungnahmen und grenzüberschreitenden Aktionen der deutschen und internationalen Friedensgruppen nicht nachweislich beeinflusst werden. In Teilbereichen war die Arbeit jedoch sehr wirksam. Zum Beispiel die Fluchthilfe, die von der Organisation "Den Krieg überleben" geleistet wurde, die besonders gefährdete Personen aus serbisch besetzten Gebieten herausschleuste und bei Familien in Deutschland unterbrachte. Als Auswirkung auf die Politik ist auch die systematische Unterstützung von Friedens-, Menschenrechts- und Demokratiegruppen im ehemaligen Jugoslawien zu werten, die unter enormem politischen Druck und erheblicher Gefährdung ihre Arbeit aufrechtzuerhalten suchten.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: In Deutschland wurden die Menschen in Hunderten von Veranstaltungen, in Flugschriften mit Millionen-Auflage, vielen Analysen, Erfahrungsberichten und Kritiken an der Politik der westlichen Staaten gegenüber dem Konflikt ausführlich informiert. Viele Menschen haben sich an den großen humanitären Hilfsaktionen der sozialen Bewegungen beteiligt und Tausende von Flüchtlingen über lange Zeit bei sich privat aufgenommen. Dadurch ist auch ein größeres Verständnis für die Nöte der Flüchtlinge entstanden, was sich später im Protest gegen die schnelle Abschiebung der Flüchtlinge niederschlug. Relativ breit wurde in der Gesellschaft auch die sogenannte Bellizisten / Pazifisten-Diskussion aufgenommen und damit zumindest Sensibilität für die Probleme des militärischen Konfliktaustrages hergestellt. Viele, meist jüngere Menschen haben sich als Freiwillige in Flüchtlingslagern und in anderer humanitärer Arbeit in Jugoslawien engagiert und damit für sich selbst neue Perspektiven der Lebensgestaltung gewonnen.

In den unterschiedlichen Gesellschaften des ehemaligen Jugoslawien hat die Arbeit der Friedensbewegung dazu beigetragen, dass sich dort Kerne und Zusammenhänge von demokratisch orientierten Friedensgruppen erhalten konnten, dass Ansätze für eine Kultur des gewaltfreien Konfliktaustrages entstanden und internationale Verbindungen auf der zivilgesellschaftlichen Ebene geknüpft werden konnten. Dies waren wichtige Voraussetzungen für eine friedlichere Entwicklung nach den Kriegen, in der es nicht zuletzt darum ging und geht, die nationalistische Verhetzung zu deeskalieren. Kriegsdienstverweigerern wurde, wo möglich, geholfen und ihr Anliegen öffentlich vertreten.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Die wichtigste Auswirkung liegt in der Orientierung der Friedensbewegung auf grenzüberschreitende, zivile Konfliktbearbeitung` also auf die Frage, wie eine soziale Bewegung mit ihren Möglichkeiten friedensförderlich in Konflikte in anderen Ländern eingreifen kann. Dabei war eine wichtige Erfahrung, dass die Arbeit im Konfliktland nur von relativ wenigen Personen getragen werden konnte, dass diese jedoch in Deutschland dringend eine breite und bewegte Basis haben mussten. Neue Arbeitsformen der Ausbildung für gewaltfreies Handeln, für Mediation, für Vor-Ort-Arbeit, humanitäre Hilfe, zum Aufbau von Kontakten, zur Vermittlung auch über ethnische Grenzen hinweg wurden erforderlich. Die dabei entstehenden Institutionen waren auf bestimmte Funktionen ausgerichtet und haben ihre Aufgaben nur selten überlebt. Ob eine wirksame Erfahrungsweitergabe oder gar Traditionsbildung möglich sein wird, ist gegenwärtig noch nicht zu beantworten. Internationale Kontakte und Kooperationen wurden fast zur Selbstverständlichkeit. Selbstverständlich wurde auch die Arbeit in international gemischten Teams.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: In dieser Phase wurde der Begriff der "Zivilen Konfliktbearbeitung" (ZKB) auf breiter Basis nicht zuletzt in Verbindung mit dem Begriff der Prävention diskutiert. In diesem Zusammenhang steht auch die Arbeit an der Herausbildung eines Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Deutschland und international (Deutsche Sektion der Helsinki Citizens` Assembly, Hg., 1995). Die "Plattform Zivile Konfliktbearbeitung" und das "Forum Ziviler Friedensdienst" wurden gegründet.



Die interventionistische Orientierung der NATO-Staaten und auch Deutschlands

Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen weit bis zum 91er-Golf-Krieg und bis zur NATO-Osterweiterung zurück. Die USA stützten ihre Außenpolitik weitgehend auf ihre militärischen Potentiale. Rüstungskontrollpolitik wurde von ihnen zunehmend als lästige Beschränkung gewertet, die nicht nur durch die Aufkündigung des Anti-Ballistic-Missile-Vertrags beschädigt wurde. Die Militärorganisation NATO übernahm die Funktion einer interventionistischen "Ordnungsmacht" und die europäischen NATO-Staaten -mit ihnen Deutschland - ordneten sich diesem Modell kooperativ / kompetitiv zu. Diese Etappe kann für Deutschland durch die Beteiligung am NATO-Jugoslawien-Krieg 1999 gekennzeichnet werden, der ohne UN-Mandat geführt wurde. Die EU versuchte zunehmend, ein eigenständiges militärisches Interventionspotential aufzubauen und dazu auch die europäische Rüstungsindustrie zu konzentrieren. Um dies zu rechtfertigen und die Bevölkerung für diese Politik zu gewinnen, wurden Legitimationsideologien von der "humanitären, militärischen Intervention" und vom "gerechten Krieg" bemüht, die die Friedensbewegung als gefährlichen Kampf um Hirne und Herzen der Bevölkerung begriff. Sie arbeitete und kämpfte mindestens in drei Bereichen: der Kritik der militärgestützten Politik, der Entfaltung von Alternativen der zivilen Konfliktbearbeitung und Prävention und der Kritik der Legitimationsideologien.

Auswirkungen auf die Politik: Die rot-grüne Regierung in Berlin, die den Kosovo-Krieg mitgeführt hatte, betrieb den "interventionistischen Kurs" in ihrer Militär- und Rüstungspolitik ohne Rücksicht auf grüne und linke Wählerstimmen und unbeeindruckt von Protesten der Friedensbewegung. Eine systematische Präventionspolitik war nicht erkennbar. Mehr zur Beruhigung der Parteianhänger wurden marginale Projekte des Zivilen Friedensdienstes, stark orientiert auf die Entwicklungspolitik, gefördert. Teilerfolge konnten durch eine weltweite Kampagne gegen Minen erreicht werden. Es gelang zwar immer wieder, die Rüstungsexporte in Kriegsgebiete (z.B. in die Türkei) öffentlich zu thematisieren. Die tatsächlichen Erfolge einer Einschränkung der Rüstungsexporte waren allerdings sehr begrenzt.

Auswirkungen auf die Gesellschaft: Der Friedensbewegung ist es in dieser Etappe nicht gelungen, die interventionistische Militärpolitik in der Bevölkerung zu einem zentralen Thema der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu machen, obwohl der NATO-Jugoslawien-Krieg von einem großen Teil der Bevölkerung (bis zu 60% in den neuen und bis zu 40% in den alten Bundesländern) abgelehnt wurde. Auch eine Diskussion über die erwähnten Legitimationsideologien kam nur schwer in Gang.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Die Friedensbewegung hatte in dieser Phase keine Projekte, die zu einer Massenbeteiligung geeignet waren. Dementsprechend waren die Medien noch schwerer als sonst zu erreichen. Die Arbeit wurde in einem kooperativen Netz der aktiven Kerne von Organisationen und Gruppen meist auf hohem Niveau betrieben.

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Verstärkt wurde der globale Zusammenhang, in dem sich die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik bewegte, in die Analysen einbezogen. Das globale, unipolare Militärsystem mit den USA als Führungsmacht wurde mit dem Prozess der "Globalisierung" in Verbindung gesetzt und seine "organisierte Friedlosigkeit" (D. Senghaas) und militärische Gewaltsamkeit kritisiert, ohne dabei die anderen Gewaltkonstellationen auszuklammern.



Imperiale Kriege und Aufrüstung im Zeichen des Kampfes gegen Selbstmord-Terrorismus

Die letzte zu nennende Etappe ist 2005 noch nicht abgeschlossen. Obwohl es viele Vorläufer gibt, beginnt sie im öffentlichen Bewusstsein mit dem Angriff von Selbstmordattentätern in gekaperten Zivilflugzeugen auf das World Trade Center und das Pentagon am 11.9.2001. Die USA erfuhren damals Bekundungen grQßer Solidarität aus vielen Ländern. Sie begannen einen Krieg gegen Afghanistan, um die dortigen Ausbildungslager und Strukturen für diesen Terrorismus zu vernichten. An diesem Krieg und an den folgenden Versuchen der staatlichen und gesellschaftlichen Konsolidierung beteiligten sich auch viele europäische Staaten, wenngleich die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats keine explizite Ermächtigung zum Angriff auf Afghanistan erteilten (Paech 2001). Die NATO rief erstmals in ihrer Geschichte zeitlich unbegrenzt den Bündnisfall aus (enduring freedom). Die Bundesrepublik ist mit Einsatz von Militär und politischer wie wirtschaftlicher Unterstützung beteiligt.

Die Bush-Administration der USA erklärte den weltweiten Kampf gegen das Böse. Sie nahm für sich als einzige Militärsupermacht das Recht in Anspruch, überall auf der Welt auch vorbeugend Krieg zu führen und sogar Atomwaffen gegen Staaten einzusetzen, die keine solchen Waffen besitzen. Internationales Recht und die Charta der Vereinten Nationen wurden damit schwer beschädigt. Für die riesige US-Aufrüstung wurden hemmende Rüstungskontrollverträge aufgegeben und strategische Militärstützpunkte in den wichtigsten Teilen der Welt gebaut.

Der Krieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak 2003 erfolgte ohne UN-Mandat und gegen den Willen vieler Staaten der EU und der anderer Kontinente. Er kann nicht mehr als Kampf gegen Selbstmord-Terrorismus legitimiert werden. Die rot-grüne Regierung verweigerte jegliche militärische Beteiligung.

Der erfolgreichen Kriegsführung in Afghanistan und Irak folgen enorme Schwierigkeiten in der Friedenssicherung. Die Kriegswarnungen der Friedensbewegung zeigen ihre volle Berechtigung. Viele Argumente der USA für den Irak-Krieg erweisen sich als Fälschungen oder Lügen oder Desinformation. Der immer wieder eskalierende israelisch-palästinensische Konflikt belastet die Situation in der Region schwer.

Die unilaterale Vorgehensweise und die hohe militärische Überlegenheit der USA verstärken in der EU die Tendenz zur gemeinschaftlichen Aufrüstung. Die 2004 vom Rat der EU gebilligte Verfassung sieht sogar eine Verpflichtung zur militärischen Aufrüstung vor, die sich eindeutig auf militärische Interventionen richten soll. Die Vereinheitlichung der europäischen Rüstungsindustrie ist ein weiteres Ziel (Komitee für Grundrechte und Demokratie 2004).

Die Friedensbewegung wendete sich in dieser Etappe gegen den Afghanistan-Feldzug, konnte dafür jedoch keine Massenmobilisierung erreichen. Eine Massenmobilisierung größten Ausmaßes gelang jedoch 2003 bei dem Angriffskrieg der USA und Großbritanniens gegen den Irak. Die langen Verhandlungen im Sicherheitsrat der UN, die lügenhaften Begründungen für einen Angriffskrieg und vor allem die Weigerung der Bundesregierung, Frankreichs und anderer EU-Staaten, sich militärisch an der Intervention zu beteiligen, erzeugten eine große Protestmotivation in der Bevölkerung. Dazu kam die enorme internationale Mobilisierung des Protestes in vielen Teilen der Welt. Die New York Times sprach von der mobilisierten öffentlichen Meinung als zweiter großer Weltmacht.

Jenseits der Irak-Problematik konzentriert sich die Friedensbewegung auf die Kritik der EU-Aufrüstung und der EU-Verfassung; sowie auf die Alternative Prävention und zivile Konfliktbearbeitung. Daneben werden viele einzelne Themen bearbeitet und Kampagnen vorangetrieben. Es entwickelt sich eine zunehmend dichtere Zusammenarbeit mit globalisierungskritischen Gruppen. Die großen Proteste in Deutschland werden zunehmend von der sozialen Frage bestimmt.

Auswirkungen auf die Politik: In dieser Phase ist die Friedensbewegung bezogen auf den Irak in relativer Nähe zur Bundesregierung. Sie stellt zwar die weitergehenderen Forderungen, den USA Überflugrechte und die Nutzung ihrer Basen in Deutschland zu entziehen, unterstützt jedoch die Haltung Berlins, sich nicht militärisch zu beteiligen. Die Wiederwahl der rot-grünen Koalition beruht höchst wahrscheinlich auf dieser Übereinstimmung. Einen Einfluss gegen die Militarisierung der EU und für die Entmilitarisierung der EU-Verfassung kann sie jedoch nicht erreichen. Auch die Rüstüngsexporte werden weiter fortgeführt. Angesichts schwerer Wahlverluste der SPD und herber Kritik der Friedensbewegung an der rot-grünen Aufrüstungspolitik sah sich die Bundesregierung 2004 veranlasst, einen Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" herauszubringen, durch den freilich der Gesamtkurs der Militarisierungspolitik nicht verändert wurde (Die Bundesregierung 2004).

Auswirkungen auf die Gesellschaft: Die hohe Mobilisierung gegen den Irak-Krieg und die ungewöhnlich kritische Berichterstattung in den Medien erreichte Teile der Bevölkerung weit über den Kreis derjenigen, die sich an Demonstrationen beteiligten. Sie führte zu einer grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber der Außen- und Militärpolitik der USA. Diese wird durch die Enthüllungen über die Lügenhaftigkeit der Führung in den USA und in Großbritannien und durch die katastrophalen Verhältnisse im Irak im Laufe der Zeit noch verstärkt. Dies gilt auch für viele andere EU-Gesellschaften. Die Akzeptanz für die Friedensbewegung nimmt zu, zumal ihre Aktivitäten häufig in Verbindung mit der Globalisierungskritik wahrgenommen werden.

Auswirkungen innerhalb der Friedensbewegung: Nach einer sehr euphorischen Stimmung angesichts der großen Mobilisierung gegen den Irak-Krieg tritt Ernüchterung ein, da es nur in geringem Maße gelingt, die Mobilisierung in eine dauerhafte breitere Friedensarbeit zu überführen. Bald stehen schon wieder innenpolitische und soziale Probleme für die BürgerInnen im Vordergrund des Interesses. Die weit geringere Mobilisierbarkeit bei Demonstrationen in Jahr, nach Kriegsbeginn zeigt dies deutlich. Gestärkt worden ist das Selbstbewusstsein, ein wichtiger Teil einer internationalen Bewegung für Frieden und mehr soziale Gerechtigkeit zu sein. Die Zusammenarbeit mit globalisierungskritischen Gruppen wird zur Selbstverständlichkeit. Die Beschäftigung mit dem Irak-Krieg richtet notwendigerweise den Blick verstärkt auf die gesamte Situation in Nah- und Mittelost. Der Israel-Palästina-Konflikt wird im Zeichen des israelischen Mauerbaus zu einem wichtigen neuen Thema grenzüberschreitender Friedensarbeit (Komitee für Grundrechte und Demokratie 2003).

Thematisierung und Entfaltung neuer, alternativer Konzepte und Begriffe: Das Konzept der zivilen Prävention und Konfliktbearbeitung breitet sich in der Friedensbewegung verstärkt aus. Damit stellt sich verstärkt die Frage nach der militärisch-zivilen Zusammenarbeit. Die Friedensbewegung muss sich fragen, ob ihre Ziele der Überwindung des Krieges und der Abrüstung dadurch schrittweise erreicht werden können, oder ob sich nur eine Anreicherung militärgestützter Politik mit zivilen Instrumenten vollzieht, wie sie zum Beispiel zur Nachsorge nach militärischen Interventionen benötigt wird. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Frage nach der Möglichkeit eines "Gerechten Krieges" und einer militärischen "humanitären Intervention" eine strategische Bedeutung. Die Friedensbewegung gerät hier also mit ihrem Konzept der Zivilen Konfliktbearbeitung an eine grundsätzliche Weichenstellung.

Der 11. September und die späteren Militärinterventionen, die sich angeblich gegen den Terrorismus wenden, veranlassen die Friedensbewegung, sich verstärkt mit diesem Begriff auseinanderzusetzen. Handelt es sich um eine Form von asymmetrischer Kriegsführung? In der Öffentlichkeit wird der Begriff Terrorismus vorwiegend auf Anschläge und Selbstmordattentäter bezogen und als verbrecherisch gekennzeichnet, während die Kriegführung der technisch potenten militärischen Mächte als "normale" Handlungen des Militärs präsentiert werden. Die Friedensbewegung setzt dieser einseitigen Zuweisung von Terrorismus die Parole "Krieg ist Terror" entgegen. Sie meint damit sowohl Attentats- wie auch Staatsterrorismus.



Allgemeine Schlussfolgerungen aus den historischen Etappen

Durchgehend ist zu beobachten, dass die Regierungspolitik durch die Aktivitäten der Friedensbewegung kaum beeinflusst worden ist, selbst dann nicht, wenn eine außerordentlich hohe Mobilisierung erreicht wurde. Eine deutliche Ausnahme ist die weltweite Kampagne gegen den Krieg der USA in Vietnam, in der jedoch auch die Vasallenhaltung Bonns bis zum bitteren Ende nicht verändert werden konnte. Eine zweite Ausnahme bezieht sich auf die Irak-Intervention von 2003. Hätte die Regierung Schröder nicht mit einer erheblichen Antikriegshaltung innerhalb der Bevölkerung rechnen können, hätte sie die Verweigerung einer militärischen Beteiligung Deutschlands im Wahlkampf nicht verkündet. Ferner sind hier und da Teilerfolge zu verzeichnen, die jedoch angesichts rasanter militärtechnischer Innovationen immer wieder in Frage gestellt werden. Clemens Ronnefeldt (2004) zählt folgende Kampagnen auf: Für die Abschaffung und den Produktionsstopp aller Landminen / Stopp des Kleinwaffenhandels und der Kindersoldaten / Weltraum ohne Waffen und Kernenergie / Abschaffung von Atomwaffen / Stopp aller Atomtests / Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen.

Die Erkenntnis von der geringen Wirksamkeit gegenüber der Politik wirft die Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft und Staat auf. Hier scheint ein wesentliches Defizit der Demokratisierung in der Bundesrepublik auf, das auf die Verselbstständigung der Regierungs- und Parlamentsebene gegenüber der Bevölkerung verweist. Soziale Bewegungen müssen sich deshalb immer wieder ihrer Wirkungsbedingungen vergewissern und diese in ihre Überlegungen und Strategien einbeziehen.

Der Friedensbewegung gelang es jedoch oftmals und über längere Zeiträume, Friedenspolitik zum Thema in der Gesellschaft zu machen. Soziale Lernprozesse wurden dadurch ermöglicht, die sich auch in der zunehmenden Akzeptanz der Kriegsdienstverweigerung ausdrückten. Dass eine nationalistisch-militaristische gesellschaftliche Entwicklung nach 1945 bis zur Gegenwart vermieden werden konnte, ist zu einem erheblichen Teil der Friedensbewegung zu verdanken. "Sie konnte auch wesentlich dazu beitragen, dass militärgestützte Politik nicht einfach als "natürlich", "alternativlos" oder ",von Gott gegeben" hingenommen, sondern immer wieder kritisch hinterfragt wurde. Ferner gelang es oft, Verharmlosungs- und Vertuschungsversuche von Rüstungsentwicklungen und militärischen Strategien

zu konterkarieren und der Öffentlichkeit das Ausmaß der Bedrohung vor Augen zu führen (z.B. Fulda-Gap).

Ein großes Verdienst liegt in der nachhaltigen Thematisierung und Problematisierung von Gewalt als Mittel des Konfliktaustrages mit ihren weitreichenden Folgen. Hier sind nicht zuletzt auch die anti-militaristischen Gruppen angesprochen und verändert worden, die gemäß den Traditionen der Arbeiterbewegung durchaus auch von "gerechter Gewalt" ausgingen.

Eine wichtige Leistung der Friedensbewegung` lag in ihrer Fähigkeit, über den Protest hinausgehend Alternativen zu gegenseitigen Abschreckungsbedrohungen und für eine friedliche Lösung von Konflikten aufzuzeigen. Zwar wurden diese in aller Regel von den Regierungen ignoriert; der Bevölkerung wurde jedoch damit vorgeführt, dass die militärgestützte Politik nicht unabdingbar notwendig sei und es friedliche und deeskalierende Alternativen gibt. In diesem Zusammenhang wurden neue Begriffe und Konzepte entwickelt und damit der Horizont für andere Handlungsmöglichkeiten erweitert.

Besonders seit dem Ende der 50er Jahre hat die Friedensbewegung eine Fülle von internationalen Kontakten und Formen der internationalen Zusammenarbeit hervorgebracht. Europäische und darüber hinausgehende Organisationen wie die "International Confederation for Disarment and Peace" in den 60er Jahren wurden gegründet. Die dadurch entstandenen persönlichen Kontakte reichen bis in die Gegenwart und gaben immer wieder Anlass zu grenzüberschreitenden Kampagnen.

Fast in der ganzen Zeit nach 1945 wurde von den dominierenden Alt-Parteien die unabhängige Friedensbewegung nicht als eine` Bereicherung aus der Gesellschaft, sondern als Feind verstanden. Sie wurden durch die Medien häufig in diesem Sinne unterstützt. Dies hatte zeitweise massive Diffamierung, Kriminalisierung und repressive Behandlung der Bewegung zur Begrenzung ihrer Arbeitsmöglichkeiten zur Folge.` Bis zur Gegenwart hat sich ein konstruktives Dialog-Verhältnis von offizieller Politik und Friedensbewegung kaum entwickeln können.



Quelle: Geschichten aus der Friedensbewegung - Persönliches und Politisches -, von Andreas Hrsg. Für das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln, 2005, S. 233-239

Bezug: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr 7-11, 50670 Köln, Tel.: 0221/97269-20 und -30, Fax 0221 / 972 69-31, Email: info@grundrechtekomitee.de



Autor: Andreas Buro, Jahrgang 1928, lehrte Politikwissenschaft/Internationale Politik an der Goethe-Universität in Frankfurt/M. Er hat 1960 die "Ostermarsch-Bewegung - Kampagne für Demokratie und Abrüstung" mit begründet und war viele Jahre der Sprecher ihres Zentralen Ausschusses. Mitbegründer auch der "Weltfriedensbrigade" und der "International Confederation for Disarmament and Peace". Mitglied des Arbeitsausschusses des "Sozialistischen Büros" und der Redaktion der "links". Heute ist er friedenspolitischer Sprecher des ;,Komitees für Grundrechte und Demokratie" und Koordinator des Dialog-Kreises: "Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden".



E-Mail: andreas (Punkt) buro (at) gmx (Punkt) de
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