Geschichte
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Friedens-
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05.10.2011


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Geschichte der Friedensbewegung

 Legendär: 10.10.1981 Hofgarten

Redebeitrag, 10.10.1981, Bonn, Hofgarten

Dieser Tag ist eine große Ermutigung

Heinrich Böll

Es sind ein paar seltsame Dinge in diesem Land geschehen. Das erste war, daß man einen Fernsehfilm, der den Krieg von der sowjetischen Seite zeigen sollte, schon abgeschossen hatte durch Leserbriefe, bevor einer ihn hat sehen können. Den Krieg, wie die Sowjetunion ihn erlebt hat, möchte offenbar keiner mehr sehen.

Das zweite Seltsame war, daß diese Demonstration, diese Kundgebung, diese Veranstaltung, auf der wir uns zeigen - demonstrieren heißt ja sich zeigen - denunziert wurde, bevor sie stattfand, und daß offenbar Politiker und Bundestagsabgeordnete schon wußten, wer hier was sprechen würde, bevor überhaupt gesprochen worden ist. Ein sehr merkwürdiges Ereignis.

Dann wurden wir einer Bundestagsdebatte gewürdigt, und wir können dies nachträglich als Ehre empfinden. Immerhin hat diese Bundestagsdebatte etwas gezeigt, was uns überrascht: Alle Bundestagsabgeordneten sind Pazifisten - ALLE! Und ich hoffe, daß die Wähler der CDU/CSU es auch gemerkt haben, daß sie Pazifisten gewählt haben.

Angst? Wir verbreiten keine Angst! Wir drücken auch gar nicht Angst aus. Die Politiker sollten doch wissen, wenn sie in die Arsenale ihrer Armeen sehen und in die Planungen, in die geplanten Systeme, die da alle sich überschlagen, daß sie die Angst verbreiten.

Die Politik der Regierung Reagan ist auch in den USA nicht unumstritten. Wir wollen uns klar darüber sein, daß im Augenblick sogar im amerikanischen Kongreß und im amerikanischen Senat ein Hin und Her stattfindet, daß Waffensysteme vorgeschlagen, verworfen werden, daß Summen genannt werden für die Rüstung, deren End-Nullen man gar nicht mehr zählen kann.

Wir sind nicht anti-amerikanisch, wenn wir uns gegen eine bestimmte Politik einer bestimmten amerikanischen Regierung wehren. Regierungen sind ja nicht ewig! Und es ist gar nicht klug, sich auf die Politik einer Regierung, die zunächst für drei oder vier Jahre noch im Amt ist, einzustellen.

Unumstritten ist die amerikanische Politik in der Fraktion der CDU/CSU in unserem Bundestag. Dort ist sie weniger umstritten als in Amerika selbst. Die Blindheit, mit der man dort in dieser Fraktion nach jeder Waffe greift, noch bevor sie auf dem Markt ist, eine Waffengier, fast ein Waffenjubel, der sollte doch die Wähler dieser Partei nachdenklicher machen, wenn sie sich klar darüber werden, daß hier Waffenverseuchung mit Waffenpest bekämpft wird. Die Vereinigten Staaten von Amerika verdanken ihre Existenz einer Revolution, einem Aufstand. Das wollen wir nicht vergessen.

Und deshalb wollen wir dankbar sein, daß nicht unsere Opposition im amerikanischen Senat sitzt und nicht die politischen Redakteure einiger Zeitungen, sondern daß dort Amerikaner sitzen - mir immer noch lieber, als über-amerikanische Deutsche.

Wir kennen die amerikanische Kultur; ich spreche hier als Autor, und ich kann auch im Namen meiner Kollegen sprechen: wir sind auch von der amerikanische Literatur befreit worden. Wir wollen das nicht vergessen! Von Saroyan bis Salinger und von Hemingway bis Steinbeck - da wären dutzende Namen zu nennen. Es ist absurd, eine Idiotie, uns Anti-Amerikanismus vo-zuwerfen. Und ich bin sicher, daß viele meiner amerikanischen Kollegen denken wie wir. Ich hatte auch gestern den Eindruck, daß ein bißchen Angst im Bundestag herrschte - nicht Angst, nicht physische Angst vor uns hier, sondern die Angst davor, daß diese Hollanditis, diese wunderbare Krankheit, diese großartige Erscheinungsform der Gesundheit, daß die umgreifen könnte und übergreifen auch auf die CDU- und CSU-Wahler. Das ist meine Hoffnung! Das könnte auch schiefgehen bei diesem Wahloptimismus, den diese Parteien momentan ausstrahlen.

Wir wollen uns auch nicht vormachen, daß wir allein den Frieden wollen! Auch das wäre eine Täuschung.

Ich will noch ein Ereignis erwähnen, das mich fürchterlich beeindruckt hat, fürchterlich erschreckt hat. Es ist die Räumung der Besetzung der Startbahn West. Natürlich, wir wissen das, da ist sozusagen Recht vollzogen worden. Nein, ich meine das gar nicht so ironisch, wie Sie das möglicherweise verstehen. Es ist ja eine Sache, Recht zu haben und Recht zu bekommen; und auf dem Recht zu bestehen, das ist eine andere Sache. Ich weiß nicht, wieviele Menschen in der Welt Opfer, sagen wir etwa, des Vorfahrtsrechtes werden, des Vorfahrtsrechtes im Straßenverkehr. Ich weiß nicht, wieviele Menschen Opfer dieses Vorfahrtsrechtes werden, von dem der Autofahrer oder wer immer Gebrauch macht. Er ist ja unschuldig. Und ich glaube, wir sollten den Begriff des Vorfahrtsrechtes auch auf diese Art von Aktionen übertragen.

Es ist gestern ein Wort gefallen im Bundestag von Herrn Bundeskanzler Schmidt, über das ich als Autor sehr lange reden möchte aber nicht lange reden will - es ist das Wort »zwielichtige Gestalten«. Dies ist eine ganz, ganz gefährliche Formulierung. Denn wir haben ja erlebt, daß äußerst zwielichtige Gestalten in die höchsten Regierungsämter gekommen sind. Und ich bin fast geneigt, mich selbst zu einer zwielichtigen Gestalt zu erklären. Ein merkwürdiges Wort! Man weiß ja nie so recht, wer zwielichtig ist, bis irgendeiner herausfindet, daß er zwielichtig ist. Und im Augenblick ist ja eine äußerst zwielichtige Gestalt der amerikanischen Geschichte bei der Beerdigung von Sadat auch anwesend.

Es ist kalt geworden, Sie haben alle lange gewartet. Ich möchte Ihnen, im Namen auch der Vorredner, danken für Ihre Geduld, Ihnen allen danken für die Ermutigung, die Sie darstellen! Die Politiker haben ja die Wahl, uns zu apathischen Zynikern zu machen. Das ist sehr leicht geschehen. Sie können es haben, sie können eine gelähmte Bevölkerung auf der ganzen Welt haben, die gelähmt ist von diesen Waffenpesten und Waffenzahlen. Wir wollen uns nicht lähmen!

Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Ausdauer und für Ihre Anwesenheit. Ich glaube, daß wir einen sehr sehr wichtigen Nachmittag erlebt haben. Nur eines muß ich sagen - ich käme mir wie ein Verräter an vielen und an mir selber vor, wenn ich nicht einen Menschen erwähnen würde, mit dem ich sehr befreundet bin, der friedfertigste Mensch, den ich kenne. Er ist für mich eine Art Gandhi, leider ohne den Rückhalt in seinem Land. Ich meine Andrej Sacharow, der schon erwähnt worden ist, der sehr weit entfernt von hier, sehr sehr weit entfernt, nicht verurteilt, nur verbannt, nur aus dem Verkehr gezogen ist, eine Erscheinung des Friedens - ich kenne ihn persönlich - ein Mensch, der Frieden ausstrahlt und leider an der Ausstrahlung dieses seines Friedens gehindert wird. Erlauben Sie mir, mich an die unter Ihnen zu wenden, die sich selbst als Kommunisten definieren. Ich definiere niemanden, der sich nicht selbst so definiert. Vielleicht denken Sie einmal daran, daß Ihre Glaubwürdigkeit, Ihr Hiersein, Ihre Hilfe bei den Friedensdemonstrationen bedeutend größer würde und uns helfen würde, wenn Sie einmal - Sacharow als Beispiel - an diese Menschen denken würden. Und wenn sie einmal daran denken würden, daß in der CSSR seit 1968 ein kultureller Friedhof wächst. Und ich nenne meinen Kollegen Vaclaw Havel als Beispiel dafür. Wir können das nicht vergessen, den Frieden, der von diesen Menschen ausstrahlt.

Da wäre noch viel zu sagen - ich hätte noch viel zu sagen. Ich habe ein ganzes Manuskript vorbereitet, ich verzichte darauf - es ist genug. Ich glaube, es ist genug. Erlauben Sie mir zum Schluß nur eine Bitte von mir und von allen Veranstaltern, von allen Rednern: Dies ist eine Friedensdemonstration. Sorgen Sie dafür, daß sie friedlich zu Ende geht.

Es ist ein bißchen naiv, wenn Politiker uns auffordern, dafür zu sorgen, daß eine solche riesige Veranstaltung friedlich zu Ende geht. Wir haben keinen Geheimdienst zur Verfügung, wir haben keine Exekutivgewalt, wir sind darauf beschränkt, Sie alle zu bitten. Und sollte jemand ohne böse Absichten ganz prophylaktisch einen Stein in der Tasche haben, im Campingbeutel -, ich bitte Sie: lassen Sie ihn fallen - überlassen Sie ihn dem Fuhrpark der StadtBonn! DenkenSie daran, daß Bonn eine friedliche Stadt ist, eine friedli-che Bevölkerung - daß auch hier niemand Krieg will und das die Fensterscheiben und Schaufenster so unschuldig sind wie die Bevölkerung der Stadt Bonn!

Ein allerletztes Wort an eine Menschengruppe, die möglicherweise - ich will nicht sagen wahrscheinlich - auch hier unter uns ist, an die agents provocateur. Ich weiß nicht, ob sie hier sind. Ich vermute, es gibt Gruppen, es gibt Geheimdienste in aller Welt, die interessiert daran wären, diese Geschichte hier platzen zu lassen. Also wende ich mich prophylaktisch an die möglichen agents provocateur. Eine naive Sache, solche Leute zu bitten - ich blamiere mich gerne in so einer Form der Naivität - wenn sie vorhanden sind: Wir alle hier oben und die Organisatoren erklären uns bereit, wenn sie diskret zu uns kommen, Ihnen den Verdienstausfall zu ersetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Sie haben alle in der Kälte ausgehalten. Ich danke Ihnen für die Ermutigung, die diese riesige, großartige Veranstaltung bedeutete.



Quelle: Buch "Bonn 10.10.1981", Friedensdemonstration für Frieden und Entspannung in Europa, Reden, Fotos .., Lamuv-Verlag 1981

(Mit freundlicher Genehmigung des Verlages)

( c ) „Heinrich Böll. Werke. Kölner Ausgabe. Band 22. 1979-1983“. Herausgegeben von Jochen Schubert. © 2007, Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln


Rede als Audiofile: siehe hier

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