60 Jahre
Hiroshima


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Hiroshima- und Nagasaki-Tag 2005

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6. August 2005

Redebeitrag in Dortmund

Kazuo Soda (in Dortmund)

- Sperrfrist: Redebeginn, 6.8.05, 10 Uhr -

- Es gilt das gesprochen Wort! -



Liebe Freundinnen und Freunde,

Vor 60 Jahren erschienen plötzlich zwei große Feuerbälle und verschluckten viele Straßen und ihre Bewohner in Hiroshima und Nagasaki. Die zwei Städte verwandelten sich mit einem Blitzstrahl in ein Chaos unter den riesigen pilzförmigen Wolken. An die 290.000 Menschen, sogenannte Hibakusha, die die Atombomben überlebten, haben noch eine mehr oder weniger lange Zeit zu leben, ohne dass sie je das Trauma abschütteln können, das von dieser großen Menschheitskatastrophe kommt. Und sie leben immer noch in der Hoffnung auf das Verschwinden der Atomwaffen.

Es ist für mich eine große Ehre, am 60. Jahrestag der Bombardierung hier auf dem Platz von Hiroshima zu sein. Das ist ein Zeichen der Bestätigung dafür, dass deutsche Menschen und Hibakusha Hiroshima und Nagasaki als ein gemeinsames negatives Erbe betrachten.

Wir haben schon lange nach einer Welt ohne Krieg und ohne Atomwaffen gerufen. Aber, seit mehr als einem halben Jahrhundert hat man keine grundlegende Änderung der atomaren Welt gesehen; die Existenz der Nuklearwaffen hat die Welt überschattet. Die Wahrheit ist, dass die Atommächte nicht ernsthaft auf unsere Verurteilung der Atomwaffen als Verbrechen gegen die Menschheit gehört haben. Aus historischer Sicht haben aber unsere langen, unermüdlichen Anstrengungen es möglich gemacht, dass Atombombentests eingestellt wurden, dass es keine Atomkriege gab, und dass sich endlich die Supermächte an einen internationalen Tisch gesetzt haben, um über die Abschaffung der Atomwaffen zu reden. Heute ist sicher, dass der allgemeine Trend in der Welt in Richtung der Kräfte geht, die keine Kriege wollen. Zum Ausdruck des oben gesagten ist hier ein öffentlicher Platz, nämlich der Platz von Hiroshima, wo die Hibakusha ihre aufrichtige Hoffnung auf Frieden mit deutschen Menschen teilen können. Auch in Köln gibt es wie in Dortmund einen offiziell benannten Platz, nämlich den Hiroshima-Nagasaki-Park. Diese Gedenkplätze erzählen auch von der Brutalität, dass Millionen Menschen als Versuchskaninchen benutzt wurden und jetzt eine ernste Warnung an die nächste Generation sind. Unnötig zu sagen, diese Orte sind auch eine große Ermutigung für die Hibakusha, deren Tage gezählt sind.

Zu unserem großen Bedauern hat die Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertragen im Mai dieses Jahres keinerlei Fortschritte gebracht. Das Versprechen, das die Atommächte im Jahr 2000 gemacht haben, ist immer noch nicht erfüllt. Die Supermacht rechtfertigt immer noch den Besitz von Atomwaffen unter dem Vorwand einer starken und wirkungsvollen Abschreckung gegen Terrorismus und solche Länder, die möglicherweise planen, Atomwaffen zu besitzen. Es ist kein Wunder, dass die Supermächte keine Überzeugungskraft haben, solange sie nicht auf ihre eigenen Nuklearwaffen verzichten. Sie sollten bedenken, dass die Graswurzelbewegungen der blockfreien Nationen sicherlich heutzutage die allgemeine Weltlage zeigen, nämlich die Ablehnung von Krieg und die völlige Abschaffung von Nuklearwaffen. Sie sollten wissen, dass fast die ganze Welt den Zustand erreicht hat, wo Krieg absolut illegal ist.

Am 9. August 1945 um 11 Uhr und zwei Minuten erlebten die Bewohner von Nagasaki ihre Taufe im Feuer, nach der Tragödie von Hiroshima. Im Moment der Explosion verlor ich meinen Verstand, verschlungen in einem gewaltigen Blitz und einem brüllenden Geräusch. Unser Haus war 2,5 km vom Zentrum der Explosion entfernt. Ich sah, dass die Zimmer im oberen Stockwerk weggeblasen waren. Die Sonne schien durch Wolken verdeckt und es war wie Einbruch der Dunkelheit. Meine Mutter und ich sammelten schnell ein bisschen herumliegendes Essen in einen Eimer und flüchteten uns in ein Feld auf dem Hügel. Mein Cousin, der draußen nicht mehr als 10 m von unserem Haus entfernt der Hitzestrahlung ausgesetzt war, war überall so stark verbrannt, dass sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit anschwoll. Zwei Wochen später starb er einen erbärmlichen Tod, seine Nase und Ohren waren von Maden befallen. Wenn ich draußen gewesen wäre, hätte mich das gleiche Los getroffen wie ihn. Der Abstand zwischen Leben und Tod war 10 m. Das Feuer am Bahnhof von Nagasaki wuchs in so wütenden Flammen, dass es schnell bis zu unserem Haus kam uns es verschlang. Erst da wurde mir bewusst, dass wir von der gleichen neuen Sorte von Bomben getroffen worden waren wie es die Leute in Hiroshima erlitten hatten. Die Flammen stiegen so hoch, wie das Auge sehen konnte. Schwarz verkohlte Körper lagen herum, mit bösem Ausdruck im Gesicht, so als ob sie keine Zeit mehr gehabt hätten, Schmerzen zu empfinden. Die ganze Stadt war eine einzige Hölle auf Erden. Etwa 10 Jahre lang wurde den Überlebenden wegen Nachrichtensperre jede Information über den wirklichen Sachverhalt und die Folgen der Bombardierung vorenthalten. Die Hibakusha wurden als Versuchskaninchen gehalten, nicht als Patienten, die medizinische Versorgung brauchten.

Mit dem Anwachsen der Friedensbewegung wurde 1955 in Japan der Verband der Vereinigungen der A- und H-Bomben Opfer gegründet. Nachdem die tatsächlichen Schäden durch die Atombomben ans Licht gekommen waren, konnte unsere Regierung die Forderung der Opfer nach einem Hilfegesetz nicht mehr übergehen. Es wäre falsch, wenn ich sagen würde, ich hätte nie Angst gehabt, mitten zwischen Gebäuden zu stehen, die zu Staub zerfallen sind. Aber die Angst und Verzweiflung wurden durch Feindschaft und ein Gefühl nach Rache verstärkt. Es ist ganz natürlich, dass ein Junge von 15 Jahren, dessen Gedanken sorgfältig von einer falschen Wertvorstellung kontrolliert waren, nicht zu einer echten Einschätzung der Situation kommen konnte. Das Kaisertum und der Militarismus unterdrückten Kummer und Verzweiflung. Es dauerte eine beträchtliche Zeit, bis das Gebäude meiner verdrehten Gedanken und Gefühle einstürzte. Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen, dass uns falsche Erziehung großen Schaden und Zerstörung bringt. Eine Woche nach der Bombardierung habe ich mitgeholfen, die Leichen der Lehrer und Schulkameraden unter den Trümmern unserer eingestürzten Schule zu bergen. Die Schule war 900 m vom Zentrum der Explosion entfernt. Ich fürchtete, ich hätte dabei Reststrahlung abbekommen. Und es war auch so. Zu dieser Zeit litt ich an Diarrhöe und Erschöpfung. Diese Symptome sind der Beweis für die Verstrahlung durch die Atombombe. Meine Eltern starben 6 Jahre nach der Bombardierung. Die Todesursache war damals ungeklärt.

Nach Berechnungen von Ende 1945 starben 140.000 Menschen in Hiroshima und 70.000 in Nagasaki. Die Verstrahlung der Städte verurteilte viele andere Menschen zu einem "schleichenden Tod", ein Leiden, das manche noch heute quält. Nach einer epidemiologischen Studie soll die Todesrate von bösartigem Tumor bei Hibakushas 10 mal so hoch sein wie bei Nicht-Hibakushas. Für die Hibakushas ist es allerdings fast aussichtslos, von der Regierung zu erwarten, als Ursache für unserer Erkrankung die Radioaktivität zu erkennen. Die Regierung verlässt sich auf das von der US Armee zur Verfügung gestellte Material. Nur 0,8 % der Hibakushas sind von der Regierung als Strahlenopfer anerkannt. Alle betroffenen Hibakushas sollten anerkannt werden. Ich hatte vor 9 Jahren eine Krebsoperation. Zum Glück habe ich überlebt, aber mein Antrag auf Anerkennung wurde abgelehnt mit der Begründung, dass mein Fall nichts mit Atombombenstrahlung zu tun hätte.

Jetzt, 60 Jahre seit dem Beginn des Atomzeitalters, gibt es Hibakushas nicht nur als Folge der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki, sondern viele Menschen leiden durch Strahlung, die bei der Produktion und bei den Tests der Atomwaffen entstand, bei der Verwendung von abgereicherter Uranmunition, und bei Unfällen in Atomkraftwerken. Zusätzlich zu den Naturkatastrophen, sind wir heute in so gefährliche Verhältnisse gekommen, dass wir nicht in Sicherheit auf unserer unersetzbaren Erde leben können, selbst wenn wir nicht gerade in einem Krieg sind. Die nukleare Abschreckung ist immer noch die Logik der Atomwaffenstaaten, die Machtpolitik als selbstverständlich betrachten.

Seit 1986 habe ich bei vielen Menschen in 7 Ländern für eine Welt frei von atomarer Bedrohung geworben. Es war mir möglich, meine Pflicht als Hibakusha wahrzunehmen weil ich Unterstützung von vielen friedliebenden Menschen bekommen habe, die guten Willens sind. Nur wer weiß, dass Waffen niemals Frieden bringen können, kann für das Glück arbeiten, ohne Krieg zu leben. Davon bin ich überzeugt.

Ich werde in Gedanken immer bei Ihnen allen hier sein. Wir wollen uns von der hektischen Welt nicht beeinflussen und erweichen lassen, sondern wollen mit allen Kräften, selbst wenn sie klein sind, kämpfen :

Für eine Welt ohne Krieg, für eine Welt ohne Atomwaffen.

(Übersetzung aus dem englischen)



englisches Orginal



Speech note from Kazuo Soda, August 2005

Sixty years ago, two big fire balls suddenly emerged and swallowed many streets and citizens in Hiroshima and Nagasaki. The two cities changed into Pandemonium in a twinkle under the huge mushroom clouds. Some 290,000 A-bomb survivors are living a short lease of life without being able to shake off trauma arising from the great disaster on earth, and still walking in the hope of eliminating nuclear weapons.

I am very honoured to be here to attend the 60th anniversary of the A-bombing at Hiroshima Square, which is a symbol of confirmation that the German people and Hibakusha hold Hiroshima and Nagasaki, that is, a negative legacy in common.

We have been crying for a world without war and nuclear weapons. However, more than half a Century has seen no fundamental change in the nuclear world; the existence of nuclear weapons has overshadowed the whole world. The truth is that the nuclear-possessing countries haven`t listened seriously to our denunciation of the A-bomb crime against humanity. Nevertheless, from the historical point of view, our long, strenuous struggle has made it possible to stop nuclear tests, prevent nuclear wars and finally seat the super powers at an international table to discuss the abolition of nuclear weapons. Today it is certain that the general trend of the world is heading toward the wishes of all the anti-war forces. As one of the manifestations mentioned above, here is the public place called `Hiroshima Platz` where we Hibakusha can share with the German people our earnest hope for peace. Cologne as well as Dortmund has an officially authorized public place called `Hiroshima-Nagasaki Park. Those memorial places tell of the brutality that millions of people have been used as guinea pigs and have become a grave warning to the next generation. Needless to say, these monuments are also a great encouragement to Hibakusha whose remaining days are numbered.

To our deep regret, the NPT Review Conference held in May has not shown any development; that is, the promise the nuclear powers made in 2000 is still left unfilled. The superpower still justifies the possession of nuclear weapons as a pretext for a strong and effective deterrent to terrorism and any possible country designing to get nuclear arms. It is no wonder that the super powers have no persuasiveness unless they themselves renounce their own nuclear weapons. They should notice that grass-root movements for refusal of war and the total elimination of nuclear weapons demanded by the non aligned nations is surely the general Situation of the world today. They should know almost all the world has reached the stage in which war is absolutely illegal.

At 11:02 a. m. on Aug. 9th of 1945, the citizens of Nagasaki after the tragedy of Hiroshima, underwent their baptism of fire. At the moment of explosion I must have lost my senses, engulfed with a thunder-like flash and a roaring sound. My house was 2.5km away from the epicentre. I found our rooms on the second floor blown away and it seemed as if the sunlight had been clouded and it was dusk. My mother and I gathered a little food scattered around into a bucket and took refuge in a field on the hill. My cousin, who was exposed to the heat rays outside no more than 10m away from my house, was so severely burnt all over that his face swelled up out of all recognition. Two weeks after, he died a miserable death with his nose and ears infested with maggots. If I had been outdoors, I would have met the same fate as his. Ten meters was the crossroads of my life or death. The fire around Nagasaki Station grew into such raging flames as to come up and envelope my house. It was not till then that I realized we were attacked by the same new type of bomb as the citizens of Hiroshima had suffered. Flames went up as far as the eye could see. Black-scorched bodies lay with fierce looks of their last moments which appeared as if they had had no time to complain of pain. All the city was a real hell on earth.

For about ten years Hibakusha were deprived of obtaining Information about the actual facts of the A-bombing because of news blackout. Meanwhile Hibakusha were dealt with as guinea pigs, not as patients in need of medical treatment.

In 1955 the Japan Confederation of A-and H-bomb Sufferers` Organizations was established with the progress of a peace movement against nuclear weapons. As the actual damage by the A-bombing was brought to light, our government was not allowed to neglect Hibakusha`s demand for a relief law. It might be false if I said I had never felt terrified standing in the midst of a number of buildings reduced to rubble. But the fear and despair was exceeded by hostility and feeling of revenge. 1t is natural that a boy of 15, whose mind had been thoroughly controlled by a wrong value, could not come to realize the seriousness of the war Situation. Tennoism and Militarism kept distress away in the background. It took a considerable time for my distorted thought and feelings to collapse. I can`t help emphasizing again that wrong education does much damage to us and bring ruin on ourselves. A week after the A-bombing I was engaged in exhuming the remains of the teachers and schoolmates buried under our collapsed school-buildings 900m away from the epicentre. I fear I might have been affected by residual radiation then. Indeed I was. At that time I suffered from diarrhoea and fatigue. Those Symptoms are sufficient proof that I was affected by the A-bomb radiation. Six years after the A-bombing my parents died. The cause of their death remained a mystery then.

According to calculations made at the end of 1945, 140,000 individuals in Hiroshima and 70,000 in Nagasaki died. The radiation that washed over the cities condemned many others to a `lingering death` an affliction that torments some even today. An epidemiological survey shows that the morbidity rate of malignant tumours of Hibakusha is said to be ten times as high as that of non-Hibakusha. However, it is almost impossible for Hibakusha to expect the government to find the cause of our diseases in radioactivity. The government depends on

the materials provided by the US armed forces. It is only 0.8% of Hibakusha that are acknowledged by the government to suffer from radiation sickness. All the suspect Hibakusha should be acknowledged. I had an Operation for cancer 9 years ago. Luckily I have survived, but my application for the acknowledgement has been rejected on the grounds that my case has nothing to do with A-bomb radioactivity.

Now that it is sixty years since the beginning of the nuclear age, Hibakusha are not only the citizens of Hiroshima and Nagasaki but many others who suffer from radiation emitted by producing and testing nuclear weapons, and using depleted uranium-shells, and by nuclear-power accidents. Today, in addition to a natural calamity, we have got into such a dangerous Situation that we are not allowed to live in safety on our irreplaceable earth even though we are not involved in a war. Nuclear deterrence is still a logic of those nuclear possessing countries which take power diplomacy for granted.

Since 1986 I have been appealing to a lot of people in seven countries for a world free from a nuclear threat. I have been able to do my duty as a Hibakusha by getting support from a lot of peace-loving people of good will. And I am firmly convinced that only those who know that arms will never bring peace can build up the happiness of the absence of war.

I keep it in mind that I am always with all of you here wherever I am. We won`t let ourselves be affected and weakened by the bustling world Situation, but let each living space of ours, even if small, be the base of struggle for a world without war, for a world free of nuclear weapons!



Kazuo Soda ist Überlebender des Atombombenabwurfes auf Nagasaki.

Website: www.aachener-friedenspreis.de/preistraeger/2001/soda.html
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