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Oster-
marsch
2004


vom:
08.04.2004


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Ostermärsche und -aktionen 2004:

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Ansprache zum Ostermarsch 2004 in Karlsruhe, 10. April

Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Ostermarschierer,


Kirsten Rölke (Karlsruhe)

- Es gilt das gesprochen Wort! -

- Sperrfrist: Redebeginn, 10.04.04, 14 Uhr -

wir erleben in den letzten Jahren eine erstaunliche Entwicklung: Es gilt in der Presse, in der Politik, bei den Meinungsmachern plötzlich das als fortschrittlich, als zukunftsweisend, als modern, was wir vor mehr als 100 Jahren hatten und was wir zu Recht in die Mülltonne der Geschichte geworfen haben. Jetzt wird der Dreck wieder rausgeholt.

Nicht nur in der Sozialpolitik, auch in der Außen- und Militärpolitik gibt es seitens der Führungseliten inzwischen fast weltweit offensichtlich die asoziale Wunschvorstellung, die Zustände von vor über 100 Jahren wiederherzustellen.

In der Sozialpolitik ist es der Abbau, ja die Abschaffung des Sozialstaates. In der Außenpolitik ist es die Wiedereinführung militärischer Gewalt als Durchsetzungsinstrument. Das ist leider keine schrullige Nostalgie, das ist eine brutale Verschlechterung der Lebenssituation und der Lebenschancen von Millionen und Abermillionen Menschen weltweit. Damit sind wir nicht einverstanden!

Dagegen wehren wir uns!

Am 3. April haben allein in Deutschland über eine halbe Million Menschen am europäischen Aktionstag gegen Sozialabbau eindrucksvoll gezeigt, dass sie diese asoziale Sozialpolitik nicht hinnehmen wollen. Wir werden, auch weiter gegen die Militarisierung der Außenpolitik Widerstand organisieren!

Nur weil einige Länder heute noch auf dem Entwicklungsstand von vor 100 Jahren stehen, ist das kein Grund, sie zum Vorbild zu nehmen, deren Zustand als "modern" zu bezeichnen oder für "erstrebenswert".

Wer in der Sozialpolitik noch im frühkapitalistischen Entwicklungsstadium stecken geblieben ist, kann für uns niemals Vorbild sein.

Wer, wie die USA und ihre Irak-Verbündeten, in der Außenpolitik nach wie vor die Kanonenbootpolitik der Kaiserzeit betreibt, nur jetzt mit Marschflugkörpern, Flugzeugträgern, Kampfjets und Interventionstruppen, wer Reden durch Schießen ersetzt, dem sollten wir nicht nacheifern. Den sollten wir bremsen. Das hat diese Bundesregierung im Irak-Krieg an führender Stelle in lobenswerterweise Weise versucht. Das war die richtige Richtung.

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Vor einem Jahr haben wir die Ablehnung dieses Krieges durch die Bundesregierung als richtige Politik aktiv unterstützt. Das war auch nötig. Wir haben noch gut in Erinnerung, welchen Druck die amerikanische Regierung und die deutsche Opposition gegen diese richtige Haltung ausgeübt haben. Heute will sich Frau Merkel daran nicht mehr erinnern lassen. Aber sie hat vor dem Irak-Krieg bewiesen, was von ihr in existenziellen Fragen zu halten ist: nur Schlimmes! Wenn ich mir andererseits die Verhandlungsergebnisse zur Europäischen Union anschaue, dann kann ich nur warnen:

Es ist ein Irrtum zu meinen, dass man einen größeren Einfluss auf die Weltpolitik bekommt, wenn man auf europäischer Ebene versucht, sich die gleichen militärischen Instrumente wie die USA zu schaffen, um damit zum militärischen Juniorpartner der USA zu werden. Ich möchte an die Situation vor dem ersten Weltkrieg erinnern. Damals eiferte die deutsche Außenpolitik den anderen Weltmächten nach und wollte auch eine große Kolonialmacht werden. Deutschland sollte es im Auftrag deutscher Konzerne den anderen militärischen Weltmächten gleichtun und verlangte "einen Platz an der Sonne". Man wollte Juniorpartner und dann Partner werden bei der Beherrschung und Unterdrückung der Dritten Welt. Deutsche "Schutztruppen" wurden nach Afrika und China geschickt, um dort "aufzuräumen", um dort auch den anderen, stärkeren Weltmächten zu zeigen, wie deutsche Truppen Aufstände in Kolonien niederschlagen. Kanonenbootpolitik wurde weltweit zur vorherrschenden Form von Außenpolitik. Bis alles im 1. Weltkrieg endete und dann noch im 2. Weltkrieg fortgesetzt wurde. Die Weltvölkergemeinschaft hat damals, nach dem 1. Weltkrieg, als Lehre aus diesem Desaster, folgenden Grundsatz aufgestellt: Jedes Land darf sich verteidigen, wenn es von außen angegriffen wird. Aber erst nach dem Angriff. Kein Land darf Gewalt gegen ein anderes Land oder dessen Bevölkerung androhen oder anwenden. Auch nicht mit der Begründung, dem Angriff des anderen Landes zuvorkommen zu müssen. Denn damit könnte man jeden Angriff rechfertigen. Dieser Grundsatz muss nicht nur der Grundsatz deutscher Politik im Fall Irak sein, sondern muss der Grundsatz Europäischer Politik sein, muss zum Grundsatz weltweit werden! Wir Deutsche hatten uns nach dem Krieg doch geschworen: Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen! Für mich, für uns kann das nur heißen: Außer zum Zwecke der direkten Selbstverteidigung ist militärische Gewalt als Mittel der Politik zu ächten!

Weltweit! Überall!

Es gibt eine alte Volksweisheit:

Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Was ich mir zugestehe, das werde ich auch den anderen zugestehen müssen. Ob ich es will oder nicht. Sie werden sich dies als "Recht" nehmen.

Es ist ein Riesen-Irrtum, wenn man aus der Situation der eigenen aktuellen militärischen Überlegenheit heraus meint, die eigene Bevölkerung würde bei einer militärischen Auseinandersetzung auf Dauer ungeschoren davonkommen.

Wir Länder der "westlichen" oder der "ersten Welt" liefern das Beispiel für alle anderen. Unser Handeln ist Rechtfertigung für ihr Handeln. Dieser Teufelskreislauf "Auge um Auge, Zahn um Zahn" kann nur von innen durchbrochen werden: Durch Widerstand unserer Bevölkerung gegen jegliche Kriegspolitik, durch den Widerstand der Friedensbewegung gegen jede Weltbeherrschungspolitik.

Die USA und ihre Verbündeten haben mit dem Irak-Krieg wieder ein Tor aufgestoßen, das besser geschlossen geblieben wäre: Die Legalisierung von militärischer Gewalt als Instrument der Politik. Darauf wird sich jeder berufen, der mit Gewalt Politik betreiben will. Es wird erst Frieden im Irak geben, wenn die Bevölkerung der westlichen Mächte die Besetzung des Irak beendet. Die Situation ist leider sehr verfahren. Ein einfacher militärischer Rückzug aus dem Irak würde als Sieg der militärischen Gewalt der Islamisten erscheinen und deren Gewalt als Erfolgsmodell.

Nicht die Terrorakte von Islamisten oder von wem auch immer im Irak, sondern wir müssen die Besetzung des Iraks beenden. Sie ist Folge eines mit Lügen begründeten Überfalls auf ein Land, dessen Erdöl gelockt hat. Dieser Krieg war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Nur die Friedensbewegung in den westlichen Staaten kann dem Morden und Gegenmorden ein Ende bereiten: Nämlich dann, wenn der Rückzug erfolgt, weil ihn unser Friedenswille erzwungen hat.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Friedensmarschierer,

für uns Gewerkschaften war der Frieden immer ein zentraler Punkt in unserem politischen Engagement. Dafür gibt es reichlich Gründe. Unter Krieg leidet die Bevölkerung immer am meisten. Auch wenn der Krieg anfangs weit weg erscheint. Die Bevölkerung: Das sind in erster Linie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb nochmals:

Krieg ist kein normales politisches Instrument!

Krieg bedeutet Tod, Verstümmelung und Zerstörung.

Krieg darf niemals wieder normales Instrument von Politik werden!


Kirsten Rölke ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

E-Mail:   silke.roelke@igmetall.de
Internet: http://www.igmetall.de
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