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vom:
10.04.2004


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Redebeitrag zum Ostermarsch 2004 in Ulm, 12. April

Liebe Freunde

Christoph Kupferschmid (Ulm)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Die Welt ist nicht besser geworden seit dem die USA mit einer Koalition der Willigen ihren Krieg im Irak begonnen haben.

Die Welt ist nicht sicherer geworden, seit verängstigte Soldaten dieser Koalition und noch mehr verängstigte neue irakische Polizisten offenbar völlig erfolglos über die Sicherheit im Vielvölkerstaat an Tigris und Euphrat wachen.

Die Welt ist nicht reicher geworden, seit ein milliardenschweres amerikanisches Haushaltspolster durch den Krieg in ein gigantisches Defizit verkehrt wurde.

Die Welt ist nicht schöner geworden, seit wir allabendlich im Fernsehen Bilder von geschundenen Menschen, geborstenen Häusern, gesprengten Autos, Bussen und Eisenbahnzügen sehen.

Der Krieg ist zurück gekommen. Er kommt immer zurück, wenn die Ordnung auf Ungerechtigkeit und auf Gewalt gründet und wenn die Menschenachtung fehlt. Israel ist uns historisches Beispiel. Mahatma Gandhi hat dies vor über 50 Jahren schon prophezeit.

Wir haben uns geirrt! Diesen wichtigen Satz hat bisher nur der polnische Präsident Miller ausgesprochen. Er ist so wichtig, auch wenn ihm mit Blick auf die Anschläge in Madrid der Makel des Opportunismus anhaftet. Wie gerne hätte ich diesen Satz: Wir haben uns geirrt auch in unserem Land gehört: Angela Merkel sollte sagen: "Ich habe mich geirrt", Edmund Stoiber sollte sagen: "Ich habe mich geirrt" und auch Paul Spiegel sollte diesen Satz aussprechen: "Ich habe mich geirrt".

Und die Folgen dieses Irrtums sind fatal.

Ein alter Mann wurde aus einem Erdloch gezogen. Und nun soll diesem ehemaligen und grausigen Diktator der Prozess gemacht werden. Die Wirklichkeit führt uns täglich vor Augen, wie unwichtig dieser Saddam für den täglichen Terror ist, er taugt nicht einmal zum Märtyrer. Und wir können gewiss sein, dass seine Bedeutung auch vorher nicht über seinen Clan hinausreichte. Das unterscheidet ihn von Scheich Yassin, das unterscheidet ihn von Yassir Arafat und das unterscheidet ihn leider auch von Osama bin Laden. Es sind in allen Zeiten die Menschen, die sich ihre geistigen Führer aussuchen und nicht umgekehrt.

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Keine Massenvernichtungswaffen wurden gefunden. Die Mär vom Irakischen Atomprogramm hat sich als zwecknützliches Lügenprogramm bestätigt. Der langen Liste von Fanatikern dieser Welt können wir einen weiteren hinzufügen: George W. Bush. Nie ging es darum, den Terror zu bekämpfen, sondern darum, eine reiche amerikanische Ölfamilie vom Trauma Saddam, vom Makel einer nicht erledigten Aufgabe zu befreien. Der Vorzeigechrist Bush, der Moralist Bush, der bekehrte Alkoholiker Bush setzt die alte amerikanische Fernsehsendung Dallas in eine grausige Realität um. "Ich habe mich geirrt" wird nie der Satz von George W. Bush werden, auch wenn sein ehemaliger Terrorberater Clarke ihm jetzt in der Öffentlichkeit den Spiegel vorhält.

Irak und Terrorismus gehören zusammen. Aber erst nachdem dieser Krieg vor einem Jahr begonnen wurde. Und auch auf andere Weise. Nach der Befreiung des Iraks von den Terroristen, die es dort vorher nicht gab, fehlt jetzt für vorbeugende Maßnahmen und den notwendigen Kampf gegen Terrorismus das Geld.

"American freedom!" In manchen Bezirken Washingtons können Mädchen sich nicht ohne Begleitung auf ihren täglichen Schulweg machen. Das ist heute in Bagdad ebenso. Jedes Jahr zehntausend unsinnige Morde in USA als Folge so genannt liberaler Waffengesetze, als Folge von Armut, als Folge fehlender Menschenachtung - Bagdad hat sich bereits auf diesen Weg gemacht.

"Freiheit, Demokratie und Frieden für den Irak". Selten wurden gute Wünsche in der Geschichte durch unpassende Aktionen so gründlich vergeigt.

Gandhi sagte: "Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der Weg." Es gibt auch keinen Weg zur Demokratie. Die demokratische Entwicklung, die Verständigung und Achtung jedes Individuums und jeder Glaubensrichtung ist der Weg. Auch für die Freiheit gilt dieser Gedanke. Nur die Möglichkeit einer freiheitlichen Entwicklung mit Selbstachtung und Achtung der Anderen kann zu Freiheit führen. Voraussetzung hierfür ist, dass Kinder und Jugendliche körperlich und geistig gesund heranwachsen können, dass sie Lebensperspektiven haben. Voraussetzung hierfür ist Bildung.

Die Amerikaner haben den Weg der Gewalt gewählt, den Weg der Missachtung und den Weg der Unfreiheit. Gewalt, Missachtung und Unfreiheit sind die Folge.

Vierzig Prozent der Bevölkerung des Iraks ist unter 18 Jahre alt. Fast die Hälfte der irakischen Kinder gehen heute nicht mehr in die Schule, sondern arbeitet in irgendeiner Form auf der Straße, um das Familieneinkommen aufzubessern. Dieses Volk aus Kindern und Jugendlichen ist ein Volk von traumatisierten Menschen. Dieses Volk aus Kindern und Jugendlichen ist zu einem großen Teil von Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten. Dieses Volk aus Kindern und Jugendlichen hat keine Zukunftsperspektive in der nachwachsenden Elterngeneration. Wenn diese Kinder und Jugendlichen einmal Erwachsene sind, werden sie es schwer haben, unbefangen, neugierig und lernend auf andere Menschen zuzugehen. Sie werden es schwer haben, solch eine Haltung an ihre Kinder weiterzugeben. Mit Blick auf unsere eigene Geschichte wissen wir, wie lange es dauert, bis sich die innere Freiheit nach einem traumatisierenden Krieg einstellt.

Dr. Eva-Maria Hobiger, die Exponentin der Österreichischen Organisation "Aladins Wunderlampe, Hilfe für krebskranke Kinder im Irak" war 2003 sechs Mal im Irak. Sie schreibt: " ... was man aber bestimmt nicht mit militärischen Mitteln erreichen kann, ist der schwierige Wiederaufbau eines Landes und einer Gesellschaft, die in allen ihren Schichten zerstört ist. Die Iraker sehen keinen Ausweg aus dem Dilemma und ihre Reaktionen reichen vom Fatalismus bis zur abgrundtiefen Depression. Viele meinen: Man werde die Besatzung niemals akzeptieren, die Amerikaner sollten gehen. Solange sie im Land sind, wird das Land nicht zur Ruhe kommen. Andere meinen: Falls die Amerikaner gehen, wird es Bürgerkrieg geben und der Irak wird zerfallen. Mehr als 160 Parteien ringen jetzt schon um die Macht. Depression und Hoffnungslosigkeit herrschen in allen Gesellschaftsschichten."

Die internatonale Ärzteorganisation IPPNW hat sich bei eigenen Delegationsreisen in den Irak über die Notlage der Zivilbevölkerung informiert. Die Menschen brauchen Hilfe um die Wasser- und Stromversorgung wieder herzustellen. Medikamente und medizinisches Gerät fehlen, die Apotheken sind praktisch leer. Es wird weiter gelitten und gestorben.

Die Arbeitsbedingungen für die Helfer im Irak sind durch den neuen Krieg nicht besser geworden. Sie waren schon immer extrem schwierig. Nach den grausamen Attentaten auf das UN-Hauptquartier am 19. August 2003, auf das Büro des Internationalen Komitee des Roten Kreuzes am 27. Oktober 2003, seit den Schüssen auf zivile Mitarbeiter beim Wideraufbau des Wasser- und Stromnetzes, seither ist das Helfen in diesem Land zu einem unkalkulierbaren Risiko geworden. Jeder Nichtaraber steht im Verdacht, mit den Besatzungsmächten zusammen zu arbeiten

Dr. Najah Rahman, Kinder- und Jugendarzt in Frankfurt und langjähriges Mitglied der IPPNW hat in jüngster Zeit während zwei Reisen in Bagdad Kontakte zu Kollegen dort herstellen können. Gemeinsam arbeiten sie an der Gründung einer Ambulanz für traumatisierte irakische Kinder gearbeitet. Studenten, Psychologen und Psychotherapeuten im Irak sollen für die therapeutische Arbeit mit diesen Kindern und Jugendlichen ausgebildet werden. Eine Zusammenarbeit der Universität Hamburg mit der Universität Bagdad soll hierfür entstehen. Wenn es die Sicherheitslage zulässt wird diese Arbeit beginnen. In dieses Projekt ist ein wesentlicher Teil aus dem Erlös für die PACE-Fahnen geflossen, die das neue Symbol der Friedensbewegung geworden sind.

Mit diesem Geld, 60.000 EURO wurd en auch kranke und verletzte Kinder aus dem Irak nach Deutschland zur medizinischen Behandlung in Mannheim und Ludwigshafen gebracht.

Wenn es die Sicherheitslage zulässt wird die Arbeit im Land möglich sein.

Aber bis dahin müssen wir nicht die Hände in den Schoß zu legen und über Untaten, Mangel, Terror und Trauma jammern. Denken wir daran, die Anschläge in Spanien hätte es ohne den Irakkrieg nie gegeben.

Der Satz Gandhis "Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der Weg." gibt uns eine Verantwortung.

Wir haben Verantwortung, wenn fünf Millionen BILD Leser den Islam in erster Linie mit Terror assoziieren und nicht mit der Religion eines großen Teils der Menschen in Europa, Afrika und Asien. Einer Religion, die ihre Wurzeln mit der unseren teilt.

Wir haben Verantwortung, wenn die Kinder und Jugendlichen islamischer Migranten, hauptsächlich sind es die Türkischen Kinder und Jugendlichen, wenn diese in Deutschland nur einen halb so hohen Bildungsabschluss erreichen, wie unsere Kinder. Wenn diese Jugendlichen entsprechend mehr von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Wenn ihnen Lebensziele und Lebensideale fehlen.

Wir haben Verantwortung, wenn wir die Moscheen in die Gewerbegebiete auslagern, damit sie unsere bürgerliche Ruhe in den Städten nicht stören. Wenn wir den Dialog mit den Menschen muslimischen Glaubens über ihre Religion nicht beginnen und ein gegenseitiges Verständnis aufbauen.

Wir haben Verantwortung, wenn wir darauf beharren, dass die Menschen in der Türkei nicht reif sind, mit uns an einem europäischen Tisch zu sitzen. Dass sie nur dazu da sind, uns während des Urlaubs an ihren Tischen zu bedienen und unsere Autos und Maschinen zu kaufen.

Wir haben Verantwortung, wenn wir den Wirtschaftsraum im östlichen Mittelmeer auf den Staat Israel eingrenzen.

Wir haben Verantwortung durch unser besonderes Verhältnis zum Staat Israel. Eine große Zahl von hoffnungslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den Flüchtlingslagern in Gaza wird über Damaskus nach Bagdad gebracht, um dort Selbstmordattentate zu verüben. Durch eine Politik der Landnahme, der Gettoisierung, der Rache und der Staatsmorde haben diese Menschen nichts mehr zu verlieren, sie entwickeln furchtbare Lebensideale.

Es ist Krieg, was den Terror schafft!

Mangelnde Bildung und fehlendes Vertrauen legen den Samen!

Gedüngt wird mit der Erfahrung von Missachtung und Gewalt!


Das Fehlen von positiven moralischen Leitbildern lässt die Triebe sprießen!

Lasst uns, liebe Freunde, eine andere Saat ausbringen, lasst uns heute damit beginnen!

E-Mail:   Ch.Kupferschmid@t-online.de
Internet: http://www.ippnw-ulm.de
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