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Oster-
marsch
2004


vom:
12.04.2004


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Ostermärsche und -aktionen 2004:

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Redebeitrag für den Ostermarsch Saar 2004 in Saarbrücken, 10. April

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Matthias Engelke (Saarbrücken)

ich möchte heute ein paar Fragen stellen, die nicht gerade auf dem Weg liegen, aber dennoch m. E. direkt in den Kern der Sache führen:

Bin ich stolz ein Deutscher zu sein?

Wie merkwürdig mir heute diese Frage klingt?

In der Tat: Der Begriff "Verfassungspatriotismus" spielte einmal für mich eine große Rolle. Menschenrechte, Völkerrecht. Die Stärke des Rechts über Machtmissbrauch und Willkürherrschaft - leidvolle errungene Eigenschaften im Kampf mit dem Nationalsozialismus.

Heute bin ich weitestgehend geheilt davon, daran zu glauben:

 Der fortwährende Bruch des Völkerrechts, des Grundgesetzes und des Soldatengesetzes durch die atomare Teilhabe der deutschen Bundesregierung: In Büchel / Südeifel lagern nach wie vor ca 10 amerikanische Atombomben, die deutsche Flieger abwerfen sollen.

 Die Lügen vor, während und nach dem Kosovo-Jugoslawienkrieg; Scharping hat sich bis heute nicht dafür entschuldigt, mit welchen Übertreibungen er das deutsche Parlament, die Öffentlichkeit und die Soldaten betrogen hat.

 Im Afghanistankrieg wurde das Grundgesetz gebrochen: der anhaltende Einsatz "enduring Freedom" findet noch nicht einmal als NATO-Einsatz statt und erfüllt damit nicht einmal die Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht eingefordert hat; dennoch findet darüber keine Diskussion in Deutschland statt.

 Im Irakkrieg hat sich Deutschland mitschuldig gemacht einen Angriffskrieg unterstützt und bei der Vorbereitung und Durchführung behilflich gewesen zu sein: Der Fall des Majors Pfaff beweist, wie selbstverständlich der Verfall des Rechts und die Herrschaft des Stärkeren - oder auch höflicher Opportunismus - Einzug gehalten hat. Major Pfaff, Bonn weigerte sich zu Beginn des Irakkrieges Befehle auszuüben - er wollte das Grundgesetz wahren. Jetzt wurde er degradiert. Ach wäre sein Verhalten doch der Normalfall!

Wir sind es den Menschen im Irak schuldig nicht darin nachzulassen, ständig darauf hinzuweisen, dass dieser Krieg im Irak auf Unrecht fußt, Unrecht ist und Unrecht erzeugt.

Wir haben es also mit einer Regierung zu tun, die sich nicht scheut, das Parlament, das Volk, die Soldaten zu belügen, zu täuschen, Menschen zu töten und womöglich zu Mördern werden zu lassen, die das Recht bricht und gleichzeitig erwartet dass sich andere daran halten: Heuchelei.

Kein Grund, sich darauf etwas einzubilden.

Bin ich stolz darauf ein Europäer zu sein?

In der Tat - Europa spielte auch einmal eine besondere Rolle für mich. Die Zukunft Europas in einem friedlichen Zusammenschluss aller europäischen Länder und Staaten. Ein schönes Bild. Ein friedliches Europa, das es nicht nötig hat, andere Länder und Erdteile zu bedrohen.

Was für ein Irrtum!

Das gleiche Europa, dass sich seit Jahrhunderten nicht scheut, Tausende von Menschen für den Profit sterben zu lassen, hat nun endlich die Maskerade abgelegt und gezeigt was es wirklich ist: ein Herrschaftsinstrument: der neue Verfassungsentwurf sagt es frank und frei:

 Um den freien Markt für Europa zu gewährleisten sind kriegerische Mittel recht.

 Ein Amt für permanente Aufrüstung bekommt Verfassungsrang - so etwas hat es noch nie gegeben.

 Eingreiftruppen werden ausgebildet,

 das Weltall wird militarisiert.

 Hier findet ein kalter Staatsstreich statt, der die letzten Barrieren, die das Grundgesetz vielleicht noch bieten könnte (hat es aber auch nicht mehr) wegschwemmt, wie z.B. ein Parlamentsvorbehalt beim Einsatz der Bundeswehr. Greift hier das Recht auf Widerstand, den das Grundgesetz einräumt, s. Art. 20a?

Dass Menschen geopfert werden müssen um Eigentum und Markt zu gewährleisten, dazu bekennt sich der augenblicklich herrschende Neoliberalismus, so Friedrich von Hayek in einem Interview 1981: es kann "notwendig sein ..., individuelles Leben zu opfern, um eine größere Zahl von anderen Leben zu erhalten. Deshalb sind die einzig wirklichen moralischen Regeln diejenigen, die zum ´Lebenskalkül` führen: das Privateigentum und der Vertrag." (In einem Interview im Mercurio, Santiago de Chile, vom 19.4.1981.; vgl. U. Duchrow/F.J. Hinkelammert, Leben ist mehr als Kapital. Alternativen zur globalen Diktatur des Eigentums, Oberursel 2002; zitiert aus: Ulrich Duchrow: Der Gott der EU-Verfassung, in: Zeitschrift Entwicklungspolitik, Heft 5/6/2004; Link: http://www.friedensratschlag.de)

Fragt eure Europa-Abgeordneten wie sie zur Militarisierung Europas stehen? Ich - das erkläre ich jetzt schon - verweigere mich der bevorstehenden Europa-Wahl, weil ich durch meine Teilhabe diesem verfassten Europa nicht auch noch den Anstrich von Legitimität geben will.

Ich frage mich: Wann ist der Punkt erreicht, an dem ich meinen Reisepass an die Behörden zurückgebe?! Ich will mit einem Gefüge, dass bereit ist über Leichen zu gehen, nichts zu tun haben. Wann ist der Punkt erreicht, der eine Korrektur dieses Missbrauchs des Vertrauens der Bürger nicht mehr möglich macht, weil die Rüstungsausgaben so hoch geworden sind, dass fast alle Arbeitsplätze wie Heroinabhängige an der Spritze davon abhängen? Und damit zugleich unendliches Vermögen der sozialen Sicherung berauben und der Rüstungsindustrie zuführen.

Worauf ich also stolz bin?

Ich darf wohl stolz darauf sein, ein Mensch zu sein.

Das Antlitz eines Menschen muss ausreichen, um ihm und ihr Gastrecht zu gewährleisten.

Wir sind darauf angewiesen, verbindliche Gemeinschaften zu bilden, die vor Ort dafür eintreten, der um sich greifenden Verrohung und Barbarisierung zu widerstehen, vor allem der Verrohung im Denken und Fühlen der Menschen.

Solche Verrohung findet bereits statt, wenn wir uns daran gewöhnt haben, dass täglich 20.000 Menschen an den Folgen der Unter- und Fehlernährung und mangelnden Zugang zu sauberem Wasser sterben;

wenn wir uns daran gewöhnt haben, dass an den Küsten Spaniens und Italiens bereits mehr Menschen ums Leben gekommen sind als während der gesamten Zeit des Kalten Krieges an der Innerdeutschen Grenze.

Solche Lebens- und Friedenskreise brauchen es wie das täglich Brot mit anderen im Austausch zu stehen.

Was der 15. Februar des letzten Jahres in den weltweiten Protesten gezeigt hat, ist: Wir brauchen einander. Vor allem müssen wir uns davor schützen, auf die Tour von Habermas u.a. reinzufallen, die den 15. 2. des letzten Jahres dazu missbraucht haben, eine Euro-Nationalismus zu predigen.

Wir müssen vor allem mit den Friedensfreunden aus den Vereinigten Staaten Hand in Hand gehen, am Besten jetzt schon Partnerschaften gründen: Es gilt auf die weltgesellschaftlichen Veränderungen gefasst zu sein, die jetzt schon im Gange sind und wohl noch viel mehr Menschen in den Ruin hineinreißen werden, durch das Ende des Ölzeitalters.

Außerdem: Was spricht eigentlich dagegen, sich mit aller Kraft den Produzenten in den Weg zu stellen, die mit Munition zu tun haben? Die beste Rakete, das beste Geschützrohr, das beste Gewehr ist nutzloser Stahl - ohne Munition. Ist es nicht an der Zeit die Produktion und den Vertrieb von Munition genauso zu ächten wie einst die Sklavenhaltung?

Im übrigen: Die Atomwaffen sind abzurüsten, alle.


Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Lobberich-Hinsbeck / Stadt Nettetal

E-Mail:   mwEngelke@t-online.de


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