Netzwerk Friedenskooperative



Oster-
marsch
2004


vom:
19.04.2004


 vorheriger

 nächster
 Artikel

Ostermärsche und -aktionen 2004:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag beim Ostermarsch 2004 in Braunschweig, 10. April

... dass alles, was wir heute kritisieren, das Werk von Menschen ist und nicht unabänderliches Schicksal oder höhere Macht.

Jutta Heusinger (Brauschweig)

Liebe Freunde, Genossen, liebe Menschen, die vorbeigehen, die vielleicht stehen bleiben und zuhören.

Die Glatze einer Frau bedeutet oft Chemotherapie, also Krebs. und wenn eine noch dazu alte Frau ihre Glatze öffentlich entblößt, dann ist das für viele Menschen ein Schock, ein Tabubruch. Warum eigentlich? Mal abgesehen davon, dass Männer ihre Glatze ohne weiteres zur Schau stellen dürfen, wissen wir doch alle, dass jeder jederzeit einen Unfall haben kann, einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall. Wir wissen alle, dass wir irgendwann sterben müssen. Und doch möchten wir nicht gern hinsehen. Und das führt dazu, dass kranke Menschen sich schämen, so wie alte Menschen dazu gebracht werden, sich zu schämen, weil sie kein Geld mehr verdienen, weil sie alt sind und nicht mehr so glatt und schön wie die Leute in den Zeitschriften, die in den Wartezimmern ausliegen und in Fernsehtalkshows strahlen als Vorbild und Norm für alle. Und über die Medien wird uns vermittelt, dass die alten Menschen wie auch die Behinderten und Kranken eine unerträgliche Last und Belastung für die Gesellschaft sind. Und uns allen wird ständig vorgehalten, dass in diesem kinderarmen Land die Anzahl der Alten im Verhältnis zu den Jungen stetig wächst. Es scheint also ganz logisch, dass die Renten gekürzt und die Rentenbeiträge erhöht werden. Seltsam, dass unsere Politiker sich trotzem gegen die Einwanderung kinderreicher Menschen aus den armen Ländern wehren. Die würden doch das Problem der Alterspyramide lösen! Aber nein ! Anstatt Fremdenangst und Rassismus zu überwinden und viele AsylbewerberInnen ins Land zu lassen, müssen deutsche Soldaten die Festung Europa am Hindukusch verteidigen. Und - um endlich aufs Thema, den Ostermarsch, zu kommen - unter dem Vorwand, den Terrorismus zu bekämpfen, neue Absatzmärkte und Produktionsstätten für das Kapital sichern. Anstatt weltweit für gerechte Verteilung des Wohlstands zu sorgen, indem die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit dazu genutzt wird, die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, und damit die wirklichen Ursachen des Terrors zu beseitigen, werden imperialistische Kriege angezettelt, werden Fremdherrschaft und Besatzung dazu genutzt, anderen Ländern das eigene Wirtschaftssystem aufzudrücken, um den sicheren Zugriff auf deren Rohstoffe und die Ausbeutung der Bevölkerung zu erringen. Und im Windschatten der Großmacht USA segeln die kleineren Industriestaaten wie auch Deutschland, in der Hoffnung, ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Soldaten bedeuten Krieg. Und imperialistische Kriege erzeugen Hass und Gegengewalt. Das Beispiel Irak ist so bitter und furchtbar, dass wir aus dem Bündnis für Frieden, und alle, die vor mehr als einem Jahr immer wieder mit uns gegen die Bushclique auf die Straße gingen, weil sie genau das gefürchtet und vorausgesagt haben, was jetzt grausame Wirklichkeit geworden ist, dass wir uns entsetzt fragen: Was können wir tun? Die großen Friedendemonstrationen im letzten Jahr auf der ganzen Welt konnten den Krieg nicht verhindern. Im Gegenteil: Die Herrschenden schüren und nutzen jetzt die Angst der Bevölkerung vor dem Terror, den sie selbst erzeugt haben, um die Ausgaben für Rüstung und innere Sicherheit zu steigern, um auch dieses Land zu einem Überwachungsstaat zu machen, in dem jeder Fremde misstrauisch und ängstlich beobachtet werden soll.

Ein konkretes Beispiel: die neue Gesetzgebung zur Kopftuchproblematik. Natürlich bin auch ich gegen jeden religiösen Fundamentalismus, gleich ob er im christlichen, muslimischen oder jüdisch-orthodoxen Gewand auftritt, aber ist ein Kleidungsstück, dass die Frauen vor Zudringlichkeiten der Männer schützen soll, Fundamentalismus? Geht von der verschwindend kleinen Anzahl von muslimischen Lehrerinnen mit deutschem Staatsexamen etwa eine Gefahr für unsere SchülerInnen aus? Wer nachdenkt, weiß, dass die SchülerInnen, auch meine ehemaligen HauptschülerInnen sehr wohl erkennen, wenn ein Lehrer versucht, sie zu indoktrinieren. Schlimmer ist, dass über den Leistungsdruck und nicht zuletzt über die Lehrpläne z.B. in Geschichte und Politik der Jugend so viel Unnützes und so wenig Lebenswichtiges beigebracht wird. Die Gesetzgeber werden sich der Folgen des Kopftuchverbotes sehr wohl bewusst sein. Muslimische SchülerInnen werden sich diskriminiert fühlen und aals Folge noch mehr Koranschulen besuchen, in Abwehrstellung gehen, anstatt sich als gleichberechtigte BürgerInnen in die Gesellschaft zu integrieren. So entsteht genau das Gegenteil von dem, was angeblich beabsichtig ist. Das Misstrauen und die Angst der Deutschen vor ihren muslimischen Mitbürgern wird geschürt. Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Spaltung der Gesellschaft werden gefördert.

Globalisierung des Schreckens als Vorbereitung für die Globalisierung des Sozialabbaus und der verschärften Ausbeutung. Wie das funktioniert, erfahren die meisten von euch am eigenen Leib und ich will das im einzelnen nicht noch ausführen.

 zum Anfang


Oster-
marsch
2004
Ich will zu der Frage zurück. Was können wir tun? Wir, die kleinen Leute, die den anderen das schmutzige Geschäft der Politik überlassen haben und das Unglück aufhalten möchten. Ich war bis vor drei Jahren Hauptschullehrerin. Seit 30 Jahren versuche ich, etwas zu verändern - in der Schule, in der Gewerkschaft und auch auf der Straße im Zusammenschluss mit Gleichgesinnten. Mir ist wohl bewusst, dass alles, was wir heute kritisieren, das Werk von Menschen ist und nicht unabänderliches Schicksal oder höhere Macht. Meine Generation - wir haben den 2. Weltkrieg als Kinder noch miterlebt - ist verantwortlich für das, was jetzt in diesem Land und letztlich auch in der Welt geschieht. Unseren Eltern haben wir den Nationalsozialismus vorgeworfen, aber die Notstandsgesetze und die Wiederbewaffnung haben wir zulassen müssen, später die Kernkraftwerke und die atomare Aufrüstung nicht verhindern können. Soll das immer so weiter gehen? Wir sind doch das Volk, warum vertreten die von uns gewählten Politiker nicht unsere Interessen? Die Völker wollen Frieden, warum lassen sich so viele von uns immer noch von den Kriegstreibern die Köpfe vernebeln? Wir müssen die Augen aufmachen, genau hinsehen und natürlich muss unser Widerstand breiter werden, entschlossener und überzeugender. Ich weiß, das sind Worthülsen, aber sollen wir die Hoffnung aufgeben, uns zurücklehnen und immer Schlimmeres geschehen lassen? Unsere Kinder und Enkelkinder haben das nicht verdient. Sie erwarten von uns eine bessere Welt.

Zu Anfang habe ich vom Tabu Krebs gesprochen. Ist es möglich, dass die, die an der Macht sind, es geschaftt haben, für viele auch das Mitmischen und das Eingreifen ins politische Geschehen zum Tabu zu machen? Lässt sich die Mehrheit in diesem Land mundtot machen, taub und blind gegenüber dem Krebsgeschwür Profitgier des Kapitals? Ich glaube es nicht.

Eher wird es so sein, dass der Krankheitsherd noch nicht voll erkannt ist. Deshalb werden wir weitermachen, mit Friedensdemonstrationen, Aufklärung und Widerstand, bis aus dem Tabu ein klarer Blick und ein selbstverständliches Muss zur Veränderung geworden ist.

Zum Abschluss, um die christlliche Tradition der Ostermärsche nicht zu vergessen, möchte ich aus einem Psalm des alten Testaments zitieren. Ruben Moskowitsch, der als Israeli so überzeugend für den Frieden mit den Palästinensern eintritt, singt diese Stelle auf Hebräisch. Das kann ich leider nicht.

"Behüte deine Zunge vor Bösem und tue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach!


Internet: http://www.friedensbuendnis-bs.de
 zum Anfang

 vorheriger

 nächster
  
Artikel

       
Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema
Ostermärsche
Ostermärsche
OM 2003 - Rede L. Heken, Hamburg, 21.04.03
OM 2004 - Aufruf Bremen
OM 2004 - Aufruf Hannover
OM 2004 - Aufruf Kassel
OM 2004 - Aufruf Fahrradostermarsch Leipzig

Bereich

 Netzwerk