Oster-
märsche
2005


vom:
21.03.2005

update:
28.03.2005


 voriger

 nächster

Ostermarsch 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Kurzrede zum Osterfriedensweg am 28.03.05 West-Östliches-Tor Duderstadt-Wehnde

Damit es nicht wieder geschieht! Gedenken zum 60. Jahrestag der Zerschlagung des Nationalsozialismus"

Bernd Winkelmann

Liebe Freunde, liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für Frieden, Gerechtigkeit und Demokratie!

1) 60 Jahre Gedenken der Zerschlagung des Nationalsozialismus - Wie kommt es, dass 60 Jahre danach kein Gras drüber gewachsen ist, sondern dass die Wunden von damals immer wieder aufbrechen und vielleicht gerade in diesem Jahr mehr als bisher?

Wohl deshalb, weil traumatische Erlebnisse wie im Leben Einzelner so auch in der Geschichte der Völker immer wieder aufbrechen, wenn sie im Nachhinein nicht noch einmal durchlebt und verarbeitet werden.

Und das ist gut so, weil wir Menschen nur so eine Chance haben, aus Geschichte zu lernen und weil wir nur so nicht wieder in die gleichen Fallen hineinzustolpern.

2) Aber als was für Menschen stellen wir uns heute diese Geschichte?

Wir, die wir hier stehen, waren wohl alle nicht selbst aktiv am Nationalsozialismus beteiligt, tragen auch keine persönliche Schuld an den Verbrechen des Faschismus.

Und verbrecherische Kriege, Judenpogrome, Folter, Massenerschießungen und Völkermord sind auch durch andere Völker geschehen.

Aber was mit dem Nationalsozialismus über Deutschland und durch die Deutschen über die Welt hereinbrach, war einzigartig in seiner Selbstüberhebung, in seinem Tötungswahn, in der Systematisierung und Industrialisierung des Massenmordes an Juden, an politischen Gegnern und unterworfenen Völkern: ? 6 Mil. Juden, ? 6 Mil. Polen, ? 20 Mil. Sowjetrussen, ? fast 8 Mil. Deutsche und ? insgesamt 55 Mil. Menschen ermordet oder im Krieg umgekommen waren - in nur 6 Jahren! - das ist das Ergebnis dieser deutschen Geschichte.

Darum haben wir Deutsche für alle Zeiten eine vordringliche Verpflichtung, uns diesem Trauma zu stellen und dafür zu sorgen, dass Vergleichbares nie wieder geschieht.

3) Damit es nicht wieder geschieht. Was darf nicht wieder geschehen?

Vor allen, dass die Gegenkräfte, die es in einem Volk der Dichter und Denker gibt, nicht wieder so kläglich versagen:



dass da ein groß Teil der Intelligenz und des gebildeten Bürgertums es nicht wahr haben wollte, nicht hinsehen wollte oder es verharmloste, um sich die eigenen Angst und Hilflosigkeit nicht zugestehen zu müssen;



dass die wenigen, die die Wahrheit sagten und Widerstand leistetet als Übertreiber oder Nestbeschmutzer diffamiert und allein gelassen wurden;



dass es auch in den Kirchen nur ein kleiner Teil war, die sich dagegen stellten, die Kirchenleitungen aber bis hin zum Papst aus taktischen Gründen schwiegen - gegen jedes Gebot der Bibel;



dass die deutschen Generäle und Offiziere, auch als sie längst den Wahnsinn des Krieges erkannt hatten, weiter die verbrecherischen Befehle ausführten bis zum bitteren Ende;



dass da so die breite Masse mitjubelte und mitmarschierte, als der "Totale Krieg" ausgerufen wurde.



Damit es nicht wieder geschieht! Es darf nicht wieder geschehen,



dass da erneut Demagogen und Parteien gewählt werden, die Deutschtümelei, Fremdenhass, Abschaffung der Demokratie und Gewalt in ihr Programme schreiben;



dass wirtschaftliche Fehlentwicklung, soziale Not und Verwirrspiel der politische Klasse solche verirrten Wahlentscheidungen der Massen heraufbeschwören.


4) Damit es nicht wieder geschieht. Was können wir dafür tun, dass es nicht wieder geschieht?

Ein Verbot der heute erstarkten NPD ist nicht die vordringlichste und beste Lösung. Wichtiger ist die öffentliche und aktive Auseinandersetzung mit deren Gedankengut und mit den Wurzeln der rechtsextremen Gesinnung.

Und noch wichtiger ist es, sich mit der latenten Anfälligkeit für rechtes Gedankengut auseinanderzusetzen.

Laut wissenschaftlichen Erhebungen sind in Thüringen 20-30% der Bevölkerung latent rechtsanfällig.

Hauptsymptome und Einfallstore für rechtsextremes Denken sind: Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit, Demokratieverdrossenheit und der Ruf nach einem autoritären Saat, das Verlangen nach deutscher Vorrangstellung und Abschottung.

Wer nicht blind ist, sieht dieses latente Potential auch im Eichsfeld und in Niedersachsen. Hier wegzuschauen, es runter zu spielen, ist genau so fahrlässig, wie es das Wegschauen und Nichtwahrhabenwollen am Anfang des Nationalsozialismus war. Das dürfen wir um Gottes Willen nicht wieder zulassen!

Wir wissen: wo solche latenten Einstellungen zusammen kommen mit sozialem Abstieg, psychosozialer Depression und persönlicher Perspektivlosigkeit, kann über Nacht aus diesem Potential Sprengstoff werden.

Nötig sind vor allem drei Dinge:



1.Verstärkte Bildung und Aufklärung in allen Schulen, auf allen Ebenen der Kultur, sonstiger Bildungsträgern und in den Medien - und all das in einer viel offensiveren öffentliche Auseinandersetzung;



2.Kampf für soziale Gerechtigkeit und Beteiligung aller an dem großen in Deutschland erarbeitetet Reichtum und damit Kampf gegen die Bereicherungsunverschämtheit der 10-20% Superreichen, die diesen Reichtum an sich reißen, so andere um das Ihre berauben und den Sozialstaat in den Ruin treiben;



3.Einsatz für politische Wahrhaftigkeit und für eine Beteiligungsdemokratie, in der die Bürger nicht nur alle 4 Jahre zur Wahl gehen dürfen, sondern als zivilgesellschaftliche Kräfte viel mehr mitdenken und mitbewirken können.


Erst das und nicht irgendeine verschwommene christlich-bürgerliche Moral macht immun gegen rechtsextremes Denken.

5) Zum Schluss möchte ich aber nicht nur klagen und mahnen, sondern uns ermutigen.

Die Friedensmärsche finden weltweit nicht umsonst zu Ostern statt. Ostern ist das Fest der Auferstehung gegen den Tod und aus allen tödlichen Kräfte in unserer Welt heraus. Und diese Auferstehung ist kräftig im Gange:

Da gibt es das Aufdecken von Lüge, Korruption und unrechtmäßiger Bereicherung immer wieder und Gott sei Dank immer noch in den Medien.

Da gibt es eine neue Sozialbewegung durch Attac und andere Gruppierung, die nicht nur protestieren, sondern den Krebsschaden unseres Wirtschaftssystems aufdecken und angehen.

Da gibt es Demokratie- und Menschrechtsbewegungen in Ländern, die bisher zu schlafen schienen.

Da gibt es Versöhnungsgruppen in Israel und Palästina, die sich der Armee und den Selbstmordattentäter entgegenstellen.

Da gibt es eine Friedensbewegung, die verschwindend klein ist, wenn es scheinbar keine akute Gefahr gibt, aber im Krisenfall Hunderttausende Menschen mobilisieren können - wie vor zwei Jahren zu Beginn des Irakkrieges.

Und da gibt es amerikanische Soldaten im Irak, denen dort die Augen aufgehen und die den Wehrdienst an der Front verweigern.

6) Ein Beispiel und einen aktuellen Gruß dazu will hier weitergeben von einem amerikanischen Wehrdienstverweigerer im Irak. Er heißt Blake Lemoine. Weil er das, was er als Soldat im Irak erlebt hat, nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte, verweigerte er Befehle, stellte den Antrag auf Wehrdienstverweigerung und wurde deswegen in Haft genommen. Er ist einer von über 5000 US-Soldaten, die das seit Beginn des Irakkrieges taten.

Er schreibt aus seinem Gefängnis in Darmstadt an die Friedensbewegten dieser Tag in Deutschland: "Liebe Leute, die Ihr Euch im Namen des Friedens versammelt habt. Ich möchte mich bei all denen bedanken, insbesondere in der deutschen Friedensbewegung, die mir Unterstützung und Hilfe in meinem Verfahren gegeben haben. Die menschliche Zivilisation ist sehr alt und hat viele Prüfungen überstanden. Der Zustand der Welt und das Los aller Menschen wurde mit dem Ende jedes Zeitalters verbessert. Das ist Menschen wie Euch zuzuschreiben, die den persönlichen Mut haben für etwas einzustehen, an das Ihr glaubt.

Damit steht ihr nicht alleine. Es gibt einige wenige Menschen innerhalb des Systems, innerhalb des Militärs, die die Invasion in den Irak nicht unterstützen. Haltet an Eurer Überzeugung fest. Zusammen können wir für eine glücklichere und freiere Welt kämpfen."

In diesem Sinne lasst uns dran bleiben. Wenn wir heute auch wenige sind, wenn die Zeit zur Krise kommt, können es schlagartig viele sein und in die richtige Richtung gehen - vorausgesetzt es gibt welche, die dran geblieben sind.



Bernd Winkelmann ist Gemeindepfarrer i.R. und in der lokalen Friedensbewegung aktiv.

E-Mail: Bernd-Winkelmann@web.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles