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2005


vom:
25.03.2005

update:
28.03.2005


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Ostermarsch 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag zum Hamburger Ostermarsch 2005 am 28. März

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ostermarsches,

Conni Gunsser (Hamburg)

- Sperrfrist: Redebeginn -

- Es gilt das gesprochene Wort -

ich spreche hier als Vertreterin des Flüchtlingsrats Hamburg. Flüchtlingspolitik hat heutzutage sehr viel mit Krieg und Militarisierung zu tun - hier in Hamburg, aber auch in der gesamten EU und weltweit. Die Regierungen der Industrieländer zeigen eine zunehmende Ignoranz gegenüber Fluchtursachen, die sie zum größten Teil durch wirtschaftliche Ausbeutung, Unterstützung diktatorischer Regimes, Rüstungsexporte und Angriffskriege selbst geschaffen haben. Europa macht die Grenzen dicht gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen, sofern sie nicht als billige Arbeitskräfte auf Zeit gebraucht werden. Hamburg spielt inzwischen bundes- und europaweit eine Vorreiterrolle bei einer gnadenlosen Abschreckungs- und Abschiebepolitik. Durchgesetzt wird diese durch offenen Rechtsbruch und militaristische Praktiken, die eher an Diktaturen als an eine Demokratie erinnern. Als Beispiel dafür möchte ich kurz berichten, was sich in den letzten Wochen in der Hamburger Ausländerbehörde abgespielt hat, aber auch, was sich an Widerstand dagegen entwickelt:

Fast 400 Flüchtlinge aus ganz Deutschland waren zwischen dem 7. und dem 17.3.05 zur "Vorsprache bei der Ausländerbehörde und dort bei der guineischen Delegation zur Ausstellung eines Heimreisedokuments bzw. zur Identitätsfeststellung" vorgeladen. Bei Nichterscheinen wurde die zwangsweise Vorführung und die Abschiebung ohne erneute Ankündigung angedroht. Vorladungen mit solchem Inhalt erhielten abgelehnte Asylsuchende, darunter auch Schwerkranke, Väter deutscher Kinder und kurz vor einer Heirat Stehende, aus Guinea, Sierra Leone, Liberia, Burkina Faso und weiteren westafrikanischen Ländern.

Für die Ausstellung von Identitätspapieren ist eigentlich - das weiß jeder Tourist - die Botschaft des jeweiligen Herkunftslands zuständig. Um die diplomatischen Vertretungen dazu zu bewegen, die Abschiebung passloser Flüchtlinge möglich zu machen, hat die Ausländerbehörde seit 1999 mehr als 25 sogenannte "Botschaftsanhörungen" veranstaltet, bei denen reichlich deutsche Steuergelder flossen für die Ausstellung von Passersatzpapieren, Reisekosten, Musicalbesuch etc. Die guineische Botschaft, die bereits in der Hamburger Ausländerbehörde residierte, hat nach Meinung der Hamburger Behörden nicht genug Flüchtlinge als Guineer/-innen identifiziert und mit Reisepapieren ausgestattet.

Deshalb wurde jetzt eine Delegation direkt aus Guinea eingeladen, deren Legitimation, Identitätspapiere auszustellen, mehr als fraglich ist. Die guineische Botschaft war nicht beteiligt und distanzierte sich von den Verhören. Proteste gegen die rechtswidrige Einladung der nicht einmal der Botschaft namentlich bekannten Delegation haben in Guinea Debatten bis auf Regierungsebene ausgelöst und deren Abreise verzögert. Aber es überwog dann wohl der Druck von Seiten der deutschen Behörden (eine Mitarbeiterin der Hamburger Ausländerbehörde, Stefanie Michaelis, wurde eigens dafür nach Guinea entsandt). Und auch Geld lockte, sowohl für die Delegationsmitglieder persönlich als auch für die Staatskassen des korrupten Landes: Innensenator Nagel soll laut guineischen Presseberichten die Unterzeichnung von Kooperationsverträgen versprochen haben, wenn die Delegation den Hamburger Behörden bei der Steigerung der Abschiebezahlen behilflich ist. Auf Nachfrage dementierte die Innenbehörde diese Meldung.

Der guineische Präsident, Lansana Conté, der im Januar nur knapp einem Attentat entging, hat am 9.3.05 drei Minister abgesetzt, darunter auch die Vorgesetzten der vier Delegationsmitglieder. Eine Begründung wurde nicht genannt. Vorher wurden bereits willkürlich Dutzende von Menschen, u.a. bekannte Journalisten und Anwälte, verhaftet. Demokratie existiert in Guinea allenfalls auf dem Papier, und abgeschobene Flüchtlinge müssen Haft oder gar den Tod fürchten - so wie mindestens sieben Guineer, die 1999 beim ersten Abschiebeversuch von BGS-Begleitern brutal misshandelt wurden und nach der zweiten Abschiebung in Guinea spurlos verschwanden. Trotz Ressourcenreichtum lebt der größte Teil der guineischen Bevölkerung in extremer Armut. Die Lebenserwartung beträgt 47 Jahre, und die Kindersterblichkeit ist eine der höchsten des Kontinents. Aber trotz solcher Zustände erklärte eine Delegation der EU, die sich zeitgleich mit den Hamburger Anhörungen in Guinea aufhielt, sie sei zufrieden mit der dortigen Entwicklung.

Der Ablauf der Verhöre hatte mit rechtsstaatlichen Verfahren nichts zu tun. "Ich kam mir vor wie in einer südamerikanischen Diktatur!" äußerte ein Rechtsanwalt, der am 10.3.05 einen Mandanten zu einer Anhörung begleitete. Die Ausländerbehörde war voller Polizei. "Die Beamt/innen trugen alle Kampfanzüge und schwere Stiefel sowie Waffen". Vor dem Verhör wurde der Flüchtling bis auf die Unterhose durchsucht und fotografiert, ohne dass der Anwalt dabei sein durfte. Die Delegation stellte sich nicht vor. "Drei der Männer trugen schwarze Sonnenbrillen. (...) Der Disput der schwarzen Herren ging darum, dass man sich empörte, mit der Behörde sei das Erscheinen von Anwälten nicht abgesprochen". Den vollständigen Bericht sowie weitere Informationen könnt Ihr auf unserer homepage www.fluechtlingsrat-hamburg.de nachlesen.

Während der zwei Wochen haben fast täglich mehr als hundert Flüchtlinge und UnterstützerInnen vor der Hamburger Ausländerbehörde und zweimal auch in der Innenstadt gegen die dubiose Delegation und die drohenden Abschiebungen protestiert. Die Theatergruppe Hajusom!, von der zwei Mitglieder ebenfalls vorgeladen waren, mobilisierte mehr als 100 KünstlerInnen für einen Appell gegen Abschiebungen und intervenierte mit künstlerischen Darbietungen, u.a. im Schauspielhaus.

Die Proteste werden weitergehen, und auch auf anderen Ebenen entwickelt sich Widerstand gegen diese menschenverachtende Politik. Gruppen und Initiativen in verschiedenen europäischen Ländern - angeregt durch das Europäische Sozialforum - rufen für den 2. April 2005 zu einem Aktionstag auf. Er konzentriert sich auf die Forderungen nach Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für Flüchtlinge. Diese Forderungen stehen als Alternative gegen eine Politik der Ausgrenzung, Ausbeutung, Illegalisierung und Abschiebung, die jetzt mit der Ratifizierung einer EU-Verfassung festgeschrieben werden soll und die sich nicht nur auf Flüchtlinge und MigrantInnen beschränkt.

Lager und Abschiebehaft für Flüchtlinge und MigrantInnen spielen eine Schlüsselrolle in der EU-Politik. Die neuesten Pläne sehen eine Internierung von Flüchtlingen und MigrantInnen in Lagern außerhalb der externen Grenzen der EU vor: auf dem Balkan, in Libyen, Marokko und anderen Herkunfts- und Transitregionen. Diese Projekte werden maßgeblich durch den deutschen Innenminister Schily, die britische und die italienische Regierung vorangetrieben und sind verbunden mit dem Export von Militärtechnologie zur Abschottung der Grenzen.

Solche Lager sind Symbole einer Politik, die nicht nur darauf abzielt, Flüchtlinge und MigrantInnen aus Europa heraus zu halten, sondern auch diejenigen, die sich aus den Lagern entfernen, zu illegalisieren und dadurch völlig rechtlos zu machen. Es wird eine Hierarchie von Rechten und Lebensmöglichkeiten im Rahmen des Konzeptes einer europäischen Staatsbürgerschaft geschaffen: Menschen mit mehr, weniger und gar keinen Rechten. Ausbeutung, unsichere und prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen nehmen zu. Diese Politik betrifft bei weitem nicht nur MigrantInnen und Flüchtlinge, aber sie sind die Ersten, die Erfahrungen damit machen. Durch Hartz IV, die Gesundheitsreform und andere sozialpolitische Maßnahmen sollen immer mehr Menschen - sicher in verschiedenen Abstufungen - solchen Bedingungen unterworfen werden.

Auf der anderen Seite drückt die Mobilität der Flüchtlinge und MigrantInnen Ansprüche und Forderungen aus, die in Richtung eines anderen, offenen Europas weisen. Die Freiheit sich zu bewegen umfasst verschiedene Kämpfe, die jeden Tag überall in Europa stattfinden: Kämpfe für Wohnung und Legalisierung, gegen Rassismus und Lager, gegen Ausbeutung und Frauenunterdrückung. Mit dem europäischen Aktionstag wollen wir diese Kämpfe an die Öffentlichkeit bringen und unterstützen.

Für Freitag, den 1.4. laden wir deshalb ein zu einer Kundgebung mit Theater-Performance an verschiedenen Orten in der Hamburger Innenstadt. Ihr werdet ein fiktives Stammtischgespräch namhafter Politiker (Ole von Beust, Udo Nagel und Otto Schily) zu den Themen Migration und Flucht verfolgen und dem berühmt-berüchtigten Chor der Hamburger Ausländerbehörde lauschen können. Außerdem könnt Ihr ein "Begrüßungszentrum" der EU in der Sahara bewundern. Bitte kommt zahlreich! Wir freuen uns über interessierte ZuschauerInnen und tatkräftige UnterstützerInnen. Die Performance beginnt um 12.30 Uhr am Rathausmarkt (Ecke Schleusenbrücke) und wird dann auf dem Gänsemarkt und am Mönckebergbrunnen wiederholt. Genaueres könnt Ihr den verteilten Flugblättern entnehmen.



Conni Gunsser ist aktiv beim Hamburger Flüchtlingsrat.

E-Mail: info@fluechtlingsrat-hamburg.de

Website: www.fluechtlingsrat-hamburg.de
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