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2005


vom:
26.03.2005

update:
28.03.2005


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Ostermarsch 2005

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Rede für den Ostermarsch 2005 in Hamburg am 28.03.05

Liebe Freundinnen und Freunde,

Ulrich Sander (Hamburg)

- Sperrfrist: Redebeginn -

- Es gilt das gesprochene Wort -

"Schon einmal hat man dem deutschen Volk den Vorwurf gemacht, geschwiegen zu haben, wo mutige Worte und Taten notwendig waren. In den Konzentrationslagern - wie Bergen-Belsen - kamen Millionen Menschen ums Leben. Bei Fortsetzung der Versuchsexplosionen und der atomaren Aufrüstung aber drohen der gesamten Menschheit Vernichtung. Dieser Gefahr gilt es durch eine unüberhörbare, totale Absage an alle Atomkriegs-Vorbereitungen in Ost und West zu begegnen." So lautete der Aufruf zum ersten deutschen Ostermarsch der Atomwaffengegner, der vor 45 Jahren von Hamburg zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne führte. Ich war einer der Mitorganisatoren. Ich freue mich, heute hier wieder sprechen zu dürfen.

In unserem Aufruf von 1960 hieß es weiter: "Jede Herstellung, Erprobung und Lagerung von Atomwaffen - gleich an welchem Ort und in welcher Hand - ist die größte Gefährdung der Menschheit."

Leider müssen wir heute feststellen: Der Aufruf von 1960 ist noch immer aktuell. Atomwaffen wurden immer weiter ausgebreitet. In unserem Land werden 200 Exemplare davon gelagert. Sie haben jeweils die vielfache Wirkung der Bombe von Hiroshima. Und sie sind in der Hand von Atommächten, die sie, wie die USA, bereits mit furchtbaren Folgen eingesetzt und getestet haben, und die den Erstschlag mit dieser unmenschlichen Waffe noch immer in ihren Militärdoktrinen stehen haben.

Es ist nur drei Monate her, da löste der bisher einmalige Tsunami den Tod vieler hunderttausend Menschen aus. Aber er löste auch eine ungeahnte Bewegung der Hilfe und Solidarität aus. Diese Bewegung ehrt die Menschen auch unseres Landes. Doch die täglichen Katastrophen lösen leider keine vergleichbare Bewegung aus. Jeden Monat sterben Kinder in gleich großer Zahl wie am Tsunami. Dazu einige Zahlen: Deutschland hat sich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Doch der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt Deutschlands sank von 0,48 Prozent im Jahr 1982 auf 0,27 Prozent in 2001. (Süddeutsche Zeitung, 6.11.01, unter der Überschrift "Armut - Nährboden für den Terror") . Jeden Tag sterben 24.000 Menschen an den Folgen von Hunger, drei Viertel davon sind Kinder unter fünf Jahren. 90 Prozent der Hungernden leiden unter chronischem Nahrungsmangel, das heißt, sie haben dauerhaft zu wenig zu essen. (aus "Aktuelles Lexikon", Süddeutsche Zeitung 3.9.01) Das heißt: 18.000 Kleinkinder verhungern jeden Tag, 6,6 Millionen Kinder im Jahr. Die Deutsche Welthungerhilfe berechnet 300 Euro pro Jahr und Kind (am Beispiel Südindiens), um diese Kinder zu retten. Das heißt, sie zu ernähren, medizinisch und dann auch schulisch zu versorgen. Das wären rund 2 Milliarden Euro.

Für zwei Milliarden Euro im Jahr - acht Prozent des deutschen Rüstungsetats - könnten alle vom Hungertod bedrohten Kinder gerettet werden.

Der Krieg durch Aufrüstung und Rüstungsexport - und natürlich der Krieg durch die weltweiten Einsätze der Bundeswehr mit ständig rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten - verschlingt jährlich das Zwölffache von dem, was nötig wäre, um die kranken und verhungernden Kinder zu retten.

Und er verschlingt auch das, was nötig wäre, um wirkliche Reformen - Reformen für ein besseres Laben der Menschen - hierzulande zu bezahlen. Kriegsminister Peter Struck sagte auf die Frage nach der Bezahlbarkeit seiner Pläne: "Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen." (Süddeutsche Zeitung 4.2.04) Der Abbau des Sozialstaats zugunsten von Krieg und Vernichtung, der Abbau des Sozialstaates durch die "Agenda 2010" und Hartz IV bedeutet nicht nur Verarmung für Hunderttausende Menschen in Deutschland, sondern auch erhöhte Kriegsgefahr für andere Völker.

In diesen Tagen begehen wir den 60. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus.

Ich möchte daher auf eine besorgniserregende geschichtliche Parallele hinweisen. Ende der 20er Jahre ging die SPD in den Reichstagswahlkampf mit der Losung "Kinderspeisung statt Panzerkreuzerbau". Nach der Wahl wurde der Panzerkreuzer A gebaut und die Kinderspeisung fiel weg. Mit dem Panzerkreuzer wurde der Krieg der Nazis geführt. Am Ende der Weimarer Zeit wurde eine ähnliche Politik des Sozialabbaus betrieben wie heute mit Hartz IV und Agenda 2010. Damit wurde erheblich dazu beigetragen, die Republik zu zerstören, und Faschismus und Krieg wurden möglich.

Als Lehre aus den Erfahrungen der Weimarer Zeit und des Faschismus erschien es allen Demokraten 1945 als notwendig, für die sozialen Menschenrechte zu wirken. Deshalb gibt es den Artikel 14 zur Sozialpflichtigkeit des Eigentums im Grundgesetz, und deshalb heißt gibt es in mehreren Landesverfassungen das verbriefte Recht auf Arbeit. So heißt es in der NRW-Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen im Artikel 24: "... Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit. ..."





Arbeit, Schutz der Arbeitskraft und Sozialpflichtigkeit des Eigentums sind demnach

höchste Verfassungsaufgaben - und nicht das Recht auf Profit, das die Politiker und

Wirtschaftsführer zur obersten Maxime gemacht haben. Tag für Tag wird von ihnen

gegen Grundgesetz und Landesverfassungen verstoßen. Doch diese Tatsache taucht in keinem Verfassungsschutzbericht auf.

Ih habe auf die Landesverfassung von NRW positiv hingewiesen. Wir haben in diesem Bundesland noch eine weitere demokratische Errungenschaft. Das ist die Spruchpraxis des höchsten Landesgerichts von NRW zum Neofaschismus. Sie lautet: "Eine rechtsextremistische Ideologie lässt sich auch nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren" (Beschluss des OVG NRW, Az 5B B 585/01) Es ist zu fordern, überall dieses Prinzip durchzusetzen, das von höchsten Richtern des Bundeslandes NRW -leider nicht des BVG - formuliert wurde. Damit würde zur Wiederherstellung des Verfassungsprinzips des Artikel 139 GG beigetragen, das die 1945/46 geschaffenen Bestimmungen zur Zerschlagung von NS-Organisationen und des Militarismus auch für das Heute verbindlich regelt.

Am Samstag gab es zwei erstaunliche Meldungen. Die Junge Welt warf der Friedensbewegung vor, nicht genug gegen den Krieg der USA im Irak zu unternehmen, und die Frankfurter Rundschau ließ Angelika Beer zu Wort kommen mit der Behauptung, die Kritik der Friedensbewegung an der EU-Verfassung sei fehl am Platze.

Zunächst zum Irak. Wir hatten seinerzeit zustimmend die Erklärung des Kanzlers vernommen, Deutschland werde sich nicht am Krieg der USA gegen den Irak beteiligen und auch kein Geld dafür ausgeben. Wir sagten als VVN-BdA: Es geht der Friedensbewegung und den Antifaschistinnen und Antifaschisten aber nicht nur darum, die deutsche Kriegsbeteiligung zu verhindern, sondern den ganzen Krieg: "Wenn die Regierung den Krieg ein Abenteuer nennt, dann muss sie alles tun, um dieses Abenteuer zu verhindern." Dazu gehört: "Die Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland einschließlich der US-Ba-sen wie Spangdahlem, Ramstein und Frankfurt Airport durch die USA ist zu verweigern." Deutschland hatte es und hat es in der Hand, den Kriegskurs der USA beenden zu helfen. Und deshalb ist unsere Regierung der Hauptadressat, wenn es um die Forderung nach Schritten zur Beendigung der Bush-Kriege geht.

Zum zweiten: Die EU-Verfassung, wie sie jetzt vorliegt, bestätigt unsere Warnungen seit 2000. Damals hatte die VVN-BDA ein Papier vorgelegt, dessen Überschrift lautete: "Europas Verfassung ... aber bitte nur eine antifaschistische" Es ging uns um die Sicherung und Wiederherstellung aller antifaschistischen und demokratischen sowie antimilitaristischen Positionen des Grundgesetzes wie der Länderverfassungen. Noch gibt des die Artikel in unserem Grundgesetz, die besagen: Verbot des Angriffskrieges und seiner Vorbereitung, eine Armee nur zur Verteidigung, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Verbot des Nazismus und Neonazismus, Bekräftigung der 1945er Bestimmungen für die Befreiung von Militarismus und Nationalsozialismus.

Doch nun droht die Abschaffung dieser Bestimmungen gegen Faschismus und Krieg. "Die (EU-)Verfassung und das von den Organen der Union (...) gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten." So lautet Artikel I-6 der "Verfassung für Europa" (FR 3.11.04).

Dazu haben am Donnerstag in Dortmund auf einem internationalen Treffen mit Teilnehmern aus sechs Ländern und zwanzig deutschen Städten, in denen noch kurz vor Kriegsende viele tausend Antifaschisten ermordet wurden, rund 60 Vertreter erklärt: "Die Pläne, eine EU-Verfassung zu schaffen, welche die antifaschistischen Grundpositionen aus nationalen Verfassungstexten ablösen und abschaffen soll, müssen auf den Widerstand aller Antifaschisten stoßen."

Und es wurde weiter betont: "Das Anwachsen von Antisemitismus, Neofaschismus und Rassismus in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, ist alarmierend. Das Vermächtnis von 1945 gebietet, dem entschlossen entgegen zu wirken."

Mit Besorgnis stellen wir die immer stärker zu beobachtende Verwischung und Übernahme reaktionärer, ausländerfeindlicher und rassistischer Positionen durch "die politische Mitte" fest. Das vor allem aus den Erfahrungen im Faschismus geborene Asylrecht für politisch Verfolgte wird - gerade im Zusammenhang mit den sog. Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung - immer weiter untergraben.

Ich habe Euch nicht nur den ersten deutschen Ostermarschaufruf mitgebracht. Ich bringe auch die beiden letzten Kriegsausgaben der Hamburger Zeitung (Kriegsarbeitsgemeinschaft der Zeitungen Hamburger Anzeiger, Hamburger Fremdenblatt, Hamburger Tageblatt vom 2. und 8. Mai 1945). Der Gauleiter Karl Kaufmann kam darin zur viel zu späten Erkenntnis: "Dieser Krieg ist eine nationale Katastrophe für uns und ein Unglück für Europa." Nur wenige Tage zuvor hatte er noch getönt: "Es ist die schwerste Stunde unseres Volkes, wenn uns heute die Nachricht erreicht, dass unser Führer kämpfend in des Reiches Hauptstadt gefallen ist. Was er uns hinterlässt, ist die unsterbliche Idee des nationalsozialistischen Reiches."

Lassen wir uns das eine Warnung sein. Die Nazis und Militärs geben nicht auf. Der 8. Mai 1945 mahnt: Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg. Stoppt die Nazis und ihre Förderer. Stoppt die Generäle, die noch immer in der Tradition der Wehrmacht stehen. Der Frieden ist möglich, wenn wir ihn wollen.


Ulrich Sander Sprecher der VVN-BdA-Landesorganisation NRW.

E-Mail: ulrich@sander.lachen.net

Website: www.vvn-bda.de
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