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2005


vom:
26.03.2005


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Ostermarsch 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Begrüßungsrede zum Ostermarsch Rheinland 2005 in Düsseldorf am 26. März

"Wir wollen ein anderes Europa!"

Peter Bürger (Düseldorf)

Peter Bürger (Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christen):

Liebe Freundinnen und Freunde aus der Friedensbewegung,
herzlich willkommen zum Ostermarsch Rheinland 2005,

besonders herzlich willkommen alle, die aus muslimischen Kulturen kommen oder die Muslime sind, und besonders herzlich willkommen alle, die aus Israel kommen oder Juden sind, und wie in jedem Jahr so erst recht auch in diesem Jahr: ausdrücklich NICHT willkommen alle alten und neuen Faschisten und Kriegstreiber.

Im 60. Jahr der Befreiung vom deutschen Faschismus werden wir trotz aller aktuellen Kriegsgefahren durch die Politik der Supermacht heute nicht in erster Linie auf die USA und auf den Bushismus schauen, sondern auf das, was sich hier in Europa abspielt. Leider gibt es direkt vor unserer Haustüre Anlass zu großer Sorge:

Geschichtsverdrehung, Revision des Grundgesetzes und neuer Rechtsextremismus

Auf den Kinoleinwänden wimmelt es seit geraumer Zeit von "guten Deutschen" und Widerständlern. Über das Riesenheer der Täter im deutschen Faschismus weiß die Geschichtswissenschaft mehr denn je; doch in der Massenkultur wird eine neue "deutsche Tragik" inszeniert. Im Weltkriegsfilm sieht man nicht Millionen Kriegstote, sondern Zweikampf und Liebesgeschichten. Hartnäckig halten sich die Versuche, die zahlenmäßig größte Verbrecherorganisation im Nazi-Staat zu rehabilitieren: die deutsche Wehrmacht.

Die beiden wichtigsten Errungenschaften unseres Grundgesetzes werden derweil weiter demontiert. Die Sozialverpflichtung des Kapitaleigentums steht nur noch auf dem Papier. Dass unsere Verfassung Angriffskriege oder sog. Interventionskriege verbietet, will keiner mehr wissen.

Der neue Rechtsextremismus ist in unseren Straßen auf täglich mehr Jacken auch sichtbar gegenwärtig. Über einen anwachsenden Antisemitismus kann keiner mehr hinwegsehen. Unsere Regierenden meiden unbequeme Themen wie die Arbeitslosenzahlen und führen lieber eine Kopftuchdebatte. Hernach wundern sie sich scheinheilig über die zunehmende Fremdenfeindlichkeit oder hysterische "Islam-Angst".

Das politische Denken ist wieder von Militarismus verpestet

Wer die Geschichte nicht verdreht, weiß, dass all diese Entwicklungen keine schicksalhaften Naturkatastrophen sind. Wo man das brutalste aller denkbaren Wirtschaftssysteme heilig spricht, wird Krieg auf allen Ebenen produziert. Entsprechend ist das politische Denken gegenwärtig wieder vom Militarismus verpestet. Wer heute von Außenpolitik spricht, meint "Sicherheits"- oder Militärpolitik. Selbst angeblich kritische Köpfe fragen nicht mehr, ob man mit Militärinterventionen die Welt "ordnen" soll. Debattiert wird lediglich noch darüber, wo, wann und wie die Interventionen stattfinden sollen. Es ist, als sei ein halbes Jahrhundert Friedens- und Konfliktforschung an den Regierenden spurlos vorbeigegangen. Eine vor zwei Jahren neu installierte Denkfabrik hier an der Düsseldorfer Universität propagiert neue Militärdoktrinen. Vergleichbares im Dienste eine intelligenten Weltpolitik ohne Waffen gibt es nicht. Der EU-Verfassungsvertrag kennt entsprechend nur eine Agentur für Rüstungsgüter (Art. I-41,3). Über zivile Strategien wird bestenfalls im militärischen Kontext diskutiert. Wie sehnt man sich nach den Zeiten, in denen der Sozialdemokrat Willy Brandt verkündete: "Nicht Krieg, Frieden ist der Vater aller Dinge!"

Sicherheitspolitik für Wirtschafts- und Rohstoffinteressen

Erstmalig in der Geschichte würde mit dem EU-Verfassungsvertrag bei Ratifizierung ein Verfassungstext die stete Aufrüstung als Pflicht vorschreiben (Art. I-41,3). Wir haben genug Dokumente, um das richtig zu interpretieren. Die "Europäische Sicherheitsstrategie" (12.12.2003) spricht von "Bedrohungen dynamischer Art", bei denen "die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland" liegt. Das European Defence Paper (Paris, Mai 2004) erklärt beim Thema "Wohlstand", wie "künftige regionale Kriege . die europäischen Interessen tangieren" können, nämlich: "Unterbrechung der Ölversorgung", "Erhöhung der Energiekosten" oder "Störung der Handels- und Warenströme". (
http://www.iss-eu.org/chaillot/wp2004.html) Am deutlichsten hat Verteidigungsminister Peter Struck am 9. November 2004 bei einer Veranstaltung der Welt am Sonntag bewiesen, dass man sich das neue "sicherheitspolitische Engagement" nicht vordergründig als ein moralisches Projekt vorstellen sollte. Ihm geht es u.a. um den "Schutz vor illegaler Immigration" und um "Schutz der Energie- und Rohstoffversorgung". Die eigenen Grenzen sollen vor Menschen aus den Verliererregionen des Globus mit hohen Sicherheitszäunen geschützt werden, während man sich selbst für befugt hält, fremde Grenzen zum "Schutz von Rohstoffinteressen" [und zur Verteidigung unserer Wirtschaftsfreiheit in fernen Ländern] zu überschreiten. (Man fühlt sich erinnert an Vorstellungen, die der SPD-Kolonial- und Militärpolitiker Gustav Noske vor hundert Jahren verfochten hat.) Dergleichen hat ein Günther Verheugen Mitte der 90er Jahre für seine Partei noch vehement abgelehnt!

Wenn die neuen ökonomischen Kriegsargumente nicht vollständig zurückgenommen werden, wird die europäische Friedensbewegung in einer breiten Kampagne an das Gewissen von Eltern und angehenden Soldaten appellieren und zur Verweigerung aufrufen müssen.

Europa ist kein Anwalt des Völkerrechts

Leider ist es ein Mythos, der da sagt, das neue Europa wäre im Gegensatz zu den USA ein Anwalt des Völkerrechts. Artikel 26 unseres Grundgesetzes hat man bewusst im EU-Verfassungsvertrag nicht übernommen. Statt im Klartext zu sagen: "Wir führen keine Angriffskriege", bekennt man sich vage nur zu den "Prinzipien der UN-Charta" und will ansonsten das Völkerrecht offenbar "kreativ" weiterentwickeln. Deshalb führt man eine ganz neue Erfindung ein, sogenannte "Abrüstungskriege" (Art. II-309,1). Am Ende soll man womöglich in den UNO-Hallen die Liturgie der neuen Interventionsreligion feiern. - 60 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki bekennt das schon genannte European Defence Paper unverblümt: "Wir haben uns nicht gescheut, auch Szenarien zu präsentieren, in denen die nationalen Nuklearstreitkräfte explizit oder implizit mit einbezogen werden." Nach dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes über Atomwaffen (1996) kann man dergleichen nur als offene Verhöhnung des Völkerrechts bezeichnen.

Europa soll von oben diktiert werden - eine öffentliche Diskussion findet nicht statt

Die einzigen Nutznießer dieses neuen, militarisierten Europas sind Konzerne und die - namentlich in Deutschland wachsende - Milliardärselite. Kein Wunder also, dass man dieses Europa an den Menschen vorbei von oben herab diktieren will. Der Bundestag beabsichtigt, in Kürze klammheimlich den EU-Verfassungsvertrag zu ratifizieren. Die Bevölkerung wird nicht gefragt. Die Mehrheit der Medien spielt mit; die ungeheuerlichen Neuerungen z.B. der europäischen Militärdoktrin werden öffentlich so gut wie gar nicht diskutiert. Allein in den letzten zwei Jahren hat in der Bundesrepublik die Zufriedenheit der Menschen mit der Demokratie um 15 Prozent abgenommen (www.boecklerimpuls.de Nr. 3/2005). Diesen Tiefstand und gefährliche Ohnmachtgefühle hat unsere Regierung zu verantworten! Immer mehr sagen: "Der Politik sind unsere Wünsche und Bedürfnisse völlig egal!" Wir fordern wie beim Ostermarsch 2004 nach wie vor eine Abstimmung aller Menschen Europas über den Verfassungsvertrag. Ein von oben gebautes Europa ist eine Architektur, die auf Sand gebaut ist. Wir wünschen sehr, dass besonders auch unsere Freundinnen und Freunde aus den französischen Friedens- und Sozialbewegungen dieses windige Projekt zeitig zu Fall bringen.

Wir wollen ein anderes Europa

Wir wollen aus ganzem Herzen Europa, aber wir wollen nicht das Europa, das uns von oben herab vorgesetzt werden soll. Die seit den 90er Jahren grassierenden neuen Militärmachtphantasien haben auf allen Schauplätzen abgewirtschaftet; mit dieser bankrotten Politik soll das neue Europa nicht beginnen. Wir wollen ein Europa, das nicht wieder auf einem Nährboden steht, der schon zwei Weltkriege hervorgebracht hat. Wir wollen ein Europa als gleichberechtigte Föderation, ohne ein bis an die Zähne bewaffnetes "Kerneuropa" mit Deutschland an vorderster Stelle. Wir wollen ein Europa jener Werttraditionen, die Willy Brandt 1972 bei seiner Friedensnobelpreis-Rede genannt hat: echtes Christentum, Humanismus und Sozialismus. Wir wollen ein Europa, dessen Außenpolitik von den gewählten Parlamenten und vom Europäischen Gerichtshof kontrolliert wird. Wir wollen ein Europa, in dem nicht Generäle und Konzernmanager den Ton angeben, sondern Experten für zivile Problem- und Konfliktlösungen. 1945 gab es die breite Erkenntnis in unserer Gesellschaft: "Der Krieg ist für immer zu ächten!" Das hat die UN-Charta für das Langzeitgedächtnis der Menschheit festgeschrieben. Für uns ist nur ein Europa der Völkerfreundschaft annehmbar, das unter diesem Leitsatz gebaut wird. Das heißt: Keine Verwandlung aller Lebensräume in aggressive Profitzonen, sondern die Gestaltung einer solidarischen europäischen Gesellschaft. Kein Kulturimperialismus, sondern dialogische Weltbürgerkultur und demokratische Kontrolle der Medienmacht. Keine Milliarden für Eurofighter und andere Begehrlichkeiten der Kriegsmaschinerie, sondern Milliarden-Investitionen in eine intelligente Weltpolitik, die vorausschauend Kriege verhütet, und Milliardeninvestitionen in einen menschenwürdigen Lebensraum für alle Menschen auf diesem Planeten. Und, so sagte es der denkende Teil unserer Spezies im Jahr 1945 und so sagen wir es im Jahr 2005: "Nie wieder Kriegsvorbereitungen! Nie wieder Krieg!"



E-Mail: peter@friedensbilder.de

Website: www.ofdc.de
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