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2005


vom:
27.03.2005


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Ostermarsch 2005

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den 21. Ostermarsch 2005 am 26.03. in Würuburg

Ja zu einem Europa des Friedens, der Menschenrechte, der Demokratie und der Umwelt!

Michael Kraus (Würzburg)

Liebe Friedensfreunde, liebe Globalisierungskritikerinnen,
liebe Würzburgerinnen und Würzburger,

Europa - dieses Thema ist in Deutschland stark emotional behaftet. Wenn sich jemand für Europa äußert, gilt er erst einmal als guter Mensch. Wer hingegen etwas Kritisches zu Europa äußert, wird kritisch beäugt. Ein Europakritiker - das kann doch nur eine Person sein, die weit rechts oder weit links steht, am Rand des Verfassungsbogens. Was in Deutschland jedoch fast nie, in anderen Ländern auch nur selten diskutiert wird: Wofür steht Europa? Und: Was für ein Europa wollen WIR?

Schauen wir in den EU-Verfassungsvertrag, über den wir in Deutschland nicht abstim-men dürfen, weil man uns - der Bevölkerung - nicht über den Weg traut. Das allein ist übrigens schon ein Skandal in einem Land, das sich offiziell "Demokratie" - also "Volks-herrschaft" - nennt!

Was steht nun in der Verfassung? Wirtschaftspolitischer Grundsatz ist "Kapitalismus pur": Der Markt soll nach der neoliberalen Ideologie alles richten. Die Soziale Marktwirt-schaft hat ausgedient. In der EU gilt der "Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb" (Art. I-3,2) sowie der "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (III-69). International trägt die EU bei zu "freiem und gerechtem Handel" (I-3,4). Die Begünstigung öffentlicher Betriebe und Dienstleistungen ist verboten (III-55,1 und III-56,1). Bei öffentlicher Daseinsvorsorge wie Bildung, Gesundheit usw. droht dem-nach die vollständige Privatisierung. Studien- und Schulgebühren sowie die Praxisge-bühr sind nur ein erster Schritt zur Kommerzialisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge. Hiergegen gilt es Widerstand zu organisieren!

Aber es geht noch weiter: Auch die gesellschaftliche Solidarität wird aufgekündigt. Im EU-Verfassungsvertrag gibt es kein Sozialstaatsgebot wie im Grundgesetz. Eigentum ist nicht sozialpflichtig und kaum einschränkbar (II-17,1). Als Hauptziele werden Geld-wertstabilität, niedrige Staatsverschuldung, gute Wettbewerbsfähigkeit und hohes Wirt-schaftswachstum genannt. Vollbeschäftigung und soziale Gerechtigkeit spielen kaum ei-ne Rolle. Wir sagen NEIN zu einem solchen Europa des Kapitals!

Die "unternehmerische Freiheit" wird als Grundrecht (!) anerkannt (II-16). Geistiges Ei-gentum, und damit z.B. das Patentschutzabkommen TRIPS in der Welthandelsorganisa-tion WTO, wird rigoros geschützt (II-17,2). Damit werden Bauern weltweit in Abhängig-keit der großen Agrarkonzerne gebracht und können z.B. kein Saatgut mehr herstellen. Entwicklungszusammenarbeit soll erfolgen durch die neoliberalen Organisationen Inter-nationaler Währungsfonds, Weltbank und WTO (III-218). Auch hier gilt das Diktat des Marktes. All dies erinnert stark an die neoliberale chilenische Verfassung, die sich Ende der 1970er Jahre der Militärdiktator Augusto Pinochet schreiben ließ.

Auch im Bereich der Außen- und "Verteidigungs"politik droht Schlimmes, etwa eine Aufrüstungspflicht ("Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern", Art. I-40,3), die kontrolliert wird durch eine EU-Aufrüstungsbehörde (I-40,3), sowie die Aufstellung einer 60.000 Mann starken EU-Interventionstruppe (III-210,1). Wir lehnen ein imperiales, militarisiertes Europa ab!

Noch immer hat das gewählte EU-Parlament keine vollen parlamentarischen Rechte. Und im Bereich der Ökologie wird die Atomkraft als förderungswerte Energiequelle fest-geschrieben. Erneuerbare Energien erhalten hingegen keinen Verfassungsrang. Fazit: Die EU-Verfassung ist ein Rückfall hinter das Grundgesetz. Wir sagen NEIN zu diesem neoliberalen, imperialen, undemokratischen und antiökologischen Europa!

Was wollen wir dann? Wir begrüßen den europäischen Einigungsprozess. Auch eine EU-Verfassung ist überfällig, und die Charta der Grundrechte stellt einen klaren Fort-schritt dar. Es ist gut, dass auf europäischer Ebene nun ebenso wie im Grundgesetz die Grundrechte festgeschrieben werden. All das reicht jedoch nicht aus.

Darüber hinaus fordern wir ein solidarisches Europa. Wir protestieren gegen das Sozi-al- und Steuerdumping in der EU, das durch die EU-Verfassung weiter forciert wird! Wir wollen soziale Mindeststandards, wie z.B. Mindestlöhne, von denen man leben kann. Zudem brauchen wir endlich eine Steuerharmonisierung. Diese Standards müssen schrittweise nach oben und nicht nach unten angeglichen werden!

Es kann doch nicht sein, dass mit Steuergeldern die Verlagerung von Firmen unterstützt wird! Momentan droht z.B. die Geschäftsleitung von Siemens-VDO, die Firma von Würz-burg nach Ostrava/Ostrau in der Tschechischen Republik zu verlagern. 1.250 Arbeits-plätze sind in Gefahr. Der IG Metall - das sage ich auch als Gewerkschaftsmitglied - sind die Hände gebunden, weil die europäische Zusammenarbeit der Gewerkschaften leider noch in den Kinderschuhen steckt. Wir brauchen daher dringend eine Annäherung der europäischen Gewerkschaften, wir benötigen mehr internationale Solidarität. Nur mit Druck von unten, nur durch die organisierte Macht der Beschäftigten können wir aus dem Europa des Kapitals ein Europa der Menschen machen!

Im Umweltbereich brauchen wir dringend eine Strategie, um größere Unabhängigkeit von den fossilen Ressourcen wie Öl und Gas zu erlangen. Das umfasst Energiesparpro-gramme im Baubereich und im Verkehr ebenso wie die verstärkte Förderung erneuerba-rer Energien. Damit verringern wir die Gefahr weiterer Ressourcenkriege wie im Irak 2003. Wir brauchen ein friedfertiges, kein kriegerisches Europa!

Natürlich wollen wir auch ein demokratischeres Europa. Die Hürden für direkte Demo-kratie müssen deutlich abgesenkt werden, nach dem Vorbild der Volksdemokratie in der Schweiz. Wir brauchen realistische Möglichkeiten für Referenda auf allen Ebenen - kommunal bis europaweit. Auch muss das EU-Parlament endlich volle parlamentarische Rechte erhalten, zulasten des nicht gewählten Ministerrats.

Nicht zuletzt kämpfen wir zusammen mit der internationalen Friedens- und Anti-Kriegs-Bewegung für ein friedliches Europa. Wir brauchen eine EU, die nicht angriffsfähig ist, weil ihr dazu die Mittel fehlen. Beenden wir endlich die Spirale der Gewalt!

Fassen wir zusammen: Wir sind für Europa - aber nicht für diese EU!

Gegen ein Europa der Konzerne, Banken und Generäle!

Für ein Europa des Friedens, der Menschenrechte, der Demokratie, der Umwelt!

Kämpfen wir gemeinsam für ein solches Europa der Menschen: Die arbeitende Bevölke-rung in den Betrieben, Anti-Kriegs- und Friedensbewegte, die Globalisierungskritiker, die Ökologen in den Umweltverbänden und die Aktivisten, die sich für mehr Demokratie so-wie die Verwirklichung der sozialen und politischen Menschenrechte einsetzen.

Ein anderes, ein besseres Europa ist möglich und nötig!



Anmerkung:

Die Angaben zur EU-Verfassung (Numerierung usw.) beziehen sich übrigens auf die erste Version der EU-Verfassung, da sich in der nun vorliegenden zweiten Version die Numerierung geändert hat.


Michael Kraus ist aktiv bei ATTAC Würzburg.

E-Mail: michael_kraus_75@gmx.de

Website: www.attac.de/wuerzburg
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