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Ostermärsche und -aktionen 2006

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Begrüßung zum Ostermarsch 2006 in Düsseldorf, 15. April

"Die neue Weltkriegsordnung ist Krieg gegen die Armen"

Peter Bürger (in Düsseldorf)

- Es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Freundinnen und Freunde,

herzlich willkommen auch in diesem Jahr zum Ostermarsch Rheinland, herzlich willkommen: ganz gleich, wo ihr her kommt, ganz gleich, ob ihr in einer Kirche, Synagoge, Moschee oder Meditationsstätte betet oder überhaupt nicht betet. Ausdrücklich nicht willkommen, sollten sie hier sein, sind wieder alle, die das Geld, eine Nationalflagge oder den Krieg zum Götzen haben.

Leider müssen wir zum Ostermarsch sagen: "Nie war er so wertvoll wie heute." Wir werden bei der Kundgebung später noch viel zum geplanten Krieg gegen den Iran hören. Ein Militärschlag würde dem reichen Westen die Kontrolle über den gesamten Gürtel "Afghanistan-Irak-Iran" und seine Energiequellen eröffnen. Ich möchte nur einen Grund nennen, warum wir den offiziellen Gründen für einen solchen Schlag keinen Glauben schenken dürfen: In Gronau betreibt unser Land eine Urananreicherung, die für den Militärbedarf alles Nötige bereitstellt. Anders als im Iran stehen in Deutschlandland einsatzfertige Atomsprengköpfe, die gegen jegliches internationales Recht verstoßen. Die Bundeswehr trainiert für deren Einsatz. Wenn die Logik der offiziellen Iran-Propaganda stimmen würde, dann wären wir hier ein sicherer Kandidat für einen vom UN-Sicherheitsrat abgesegneten Militärschlag.

Seit mehreren Ostermärschen beschäftigt uns das Tempo, mit dem die neue Weltkriegsordnung sich den Weg bahnt. Unsere Freunde in Frankreich und anderen Ländern haben die militarisierte "Europa-Verfassung" erst einmal gestoppt. Doch die Politiker scheren sich einen Dreck um die Meinung der großen Mehrheit. Berlusconi hat vorgeschlagen, den Passus "Italien verabscheut den Krieg" aus der Verfassung zu streichen. Was uns hierzulande unter der Großen Koalition erwartet, war in der Frankfurter Rundschau vom 4. April nachzulesen. Der Bundesminister für das Militärressort, Franz Josef Jung (CDU), will das Grundgesetz ändern: "In der Verfassung steht als Auftrag der Bundeswehr: Landesverteidigung. Die Auslandseinsätze beruhen rechtlich alle auf einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994. Deshalb müssen wir über eine Anpassung der verfassungsrechtlichen an die tatsächliche Lage reden. [...] In dem von mir beschriebenen Sinn bin ich für eine verfassungsrechtliche Klarstellung."

Weltweit werden jährlich 957 Milliarden US-Dollar für Ausrüstung des Militärs und fürs Kriegführen ausgegeben. (Zum Vergleich der Posten für Entwicklungshilfe: 78 Milliarden US-Dollar.) Im aktuellen Haushalt der Bundesrepublik sind jährlich in allen Ressorts 30 Milliarden Euro für Rüstung und Militär vorgesehen! Speziell läuft zum Beispiel - bei laufendem Sozialabbau in Deutschland - das 20-Milliarden-Euro-Projekt "Eurofighter".

Angeblich soll dieser ganze Apparat menschenfreundlichen Zielen dienen, so genannten humanitären Interventionen in aller Welt. Merkwürdig ist, dass das Geld für eine durchgreifende AIDS-Prävention in Afrika und anderen Regionen nicht zusammenkommt. Nötig wäre nur ein Hundertstel des weltweiten Rüstungsetats. Merkwürdig ist, dass für mögliche Auslandseinsätze deutscher Soldaten immer nur wirtschaftlich interessante Ziele genannt werden: Im Sudan gibt es riesige Ölvorkommen zu erschließen; dort warten Milliardenaufträge für die deutsche Wirtschaft. An den Rohstoffen im Kongo sind Frankreich und Deutschland sehr interessiert.

In Wirklichkeit ist den reichen Weltzentren das Massensterben auf anderen Kontinenten völlig gleichgültig. Die traurige Wahrheit hinter dem menschenfreundlichen Gerede: Die neue Weltkriegsordnung ist ein Krieg gegen die Armen auf dem Planeten. Ein Riesenanteil der Wirtschaftserträge menschlicher Arbeit auf der Erde wird dazu benutzt, das Steinzeitprogramm des Krieges zu füttern. Wenige hundert Superreiche haben mehr Vermögen als die Hälfte der Weltbevölkerung. Die offizielle Blickrichtung fixiert unseren Blick noch immer auf mehre tausend unschuldige Opfer von Terroristen. Hundert- oder zweihunderttausend Opfer des so genannten Antiterrorkrieges sind schon viel weniger im öffentlichen Bewusstsein verankert. Aber auch die nichtstaatlichen "neuen Kriege", die die Globalisierung am laufenden Band produziert, stehen nicht an der Spitze der Todesproduzenten. "Seit 1990 sind vier Millionen Menschen, davon 90 Prozent Zivilpersonen, durch kriegerische Handlungen umgekommen ... Jedes Jahr sterben 45 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung." (Arbeitshilfe der Ev. Kirche im Rheinland 2005) Ohne Gewalt und Militarisierung ist das himmelschreiende Ungleichgewicht auf dem Planeten und auch in unseren westlichen Ländern gar nicht aufrechtzuerhalten.

Die wohl wichtigste Propagandawaffe der neuen Weltkriegsordnung ist der Kulturkampf gegen den Islam, der z.B. von Hollywood seit einem Vierteljahrhundert vorbereitet worden ist. Er erhält durch die Installierung eines neuen Weltfeindes nach Ende des Kalten Krieges das Weltbild von Gut und Böse aufrecht, das zur Beibehaltung einer mit militärischer Stärke operierenden Weltordnungsideologie und zur innenpolitischen Legitimierung des militärisch-industriellen Komplexes in den USA unerlässlich ist. Er liefert den konservativen Volksparteien unter dem Stichwort "Leitkultur" willkommenen Ersatz für verlorene "Werte" und den Vorwand für eine aggressive Asylpolitik. Er befreit uns von einer Wahrnehmung des kriegerischen Charakters des "christlich geprägten Kulturkreises" und von einer Wahrnehmung dessen, was Kolonialismus und Imperialismus in "unterentwickelten Regionen" produziert haben und noch immer produzieren. Er streicht den Umstand, dass "bewaffnetes Gotteskämpfertum" von Muslimen als Instrument vornehmlich von westlichen Geheimdiensten erfunden, approbiert und ausgestattet worden ist, aus unserem Gedächtnis. Er schädigt jene einflussreichen Zentren (z.B. Russland, Europa), die viel stärker als die USA in der Nähe auf eine friedliche Verständigung zwischen christlich geprägter und islamischer Kultur angewiesen sind. Er schwächt auf der Verliererseite des Globus eine der letzten kulturellen Identitäten, die dem allgemeinen Sieg des totalen Wirtschaftsliberalismus als bedeutsames Hindernis noch entgegenstehen und die einen Aufstand der Armen mittragen könnten. Er schwächt (vermeintlich) den Widerstand gegen jene autoritären und feudalen Regime innerhalb der islamischen Welt, die dem "Westen" genehm sind. Er liefert dem "Westen" einen Freibrief dafür, die öl- bzw. energiereichsten Regionen auf der Erde unter eigene Kontrolle zu bringen. ... Am Ende freilich, so sehen wir schon jetzt, werden sich all diese Strategien als Bumerang erweisen.

Nach den USA votiert nun auch der britische Militärminister John Reid für eine Revision der Genfer Konventionen von 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen. Diese schränkten die "Handlungsfähigkeit der Staaten im Kampf gegen den Terror ein. Man habe es mit einem Feind zu tun, der sich selbst an keine Beschränkungen halte". (Der Standard, 4.4.2006) - Wie viel Grausamkeit, Folter und Krieg des Westens muss uns noch präsentiert werden, bis wir verstehen: Das Feindbild "Islam" ist einfach notwendig, um den Abschied der so genannten christlichen "zivilisierten Welt" von vormals propagierten Idealen nicht allgemein bewusst werden zu lassen.

Wir können in unseren Städten und Straßen diesem Feindbild etwas entgegenhalten. Menschen mit Kopftüchern, anderer Hautfarbe und einem anderen Offenbarungsbuch sind nicht unsere Feinde. Was uns bedroht, das sind eine brutale Weltwirtschaftordnung, die über Leichen geht, und das dazugehörige Weltordnungsprogramm Krieg.

shalom-salaam-pace



Peter Bürger ist aktiv beim Ökumenisches Friedensnetz Düsseldorfer Christinnen & Christen. Vita siehe hier

E-Mail: peter@friedensbilder.de

Website: www.ofdc.de
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