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Ostermärsche und -aktionen 2006

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Ostermarschrede 15.04.2006 in Bielefeld

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Angelika Claußen (in Bielefeld)

Wie oft haben wir in den letzten Jahren gegen drohende Kriege oder gerade begonnene Kriege protestiert: 1991 Irak, 1999 Kosovo-Jugoslawien, 2002 Afghanistan, 2003 Irak und heute Iran.

Der Hauptakteur dieser Kriege war ausnahmslos die Weltmacht USA, mit Unterstützung von Großbritannien, teilweise mit Unterstützung der NATO, teilweise mit Unterstützung einer Koalition von "willigen Staaten". Dem letzten US-geführten Krieg gegen den Irak hatte die Bundesregierung zwar die aktive Unterstützung untersagt, ihn dann jedoch tatkräftig unterstützt, indem sie den USA und Großbritannien Überflugrechte gewährte und die logistische Nutzung der US-Militärbasen in Deutschland erlaubte.

Die damalige Bundesregierung traute sich nicht, eine wirklich unabhängige Politik von der Imperialmacht USA durchzuführen.

Heute stehen wir hier, weil wir einen neuen US-geführten Krieg befürchten, einen Krieg gegen den Iran.

Erst gestern bekräftigte US-Außenministerin Rice, die USA zögen die gesamte Bandbreite der Optionen des UN-Sicherheitsrates in Betracht, damit der Iran keine andere Chance habe, als sich zu fügen.

Aber: es gibt keinen Grund für den Aufbau einer solchen Drohkulisse: Unabhängige wissenschaftliche Experten und US-Geheimdienste sagen übereinstimmend, dass es noch 3 - 10 Jahre für die Produktion einer iranischen Atombombe dauern wird.

Warum sind die westlichen Politiker, der USA, der EU und eben auch diejenigen in der Bundesrepublik auf einem Auge blind, wenn sie die Sicherheitslage im nahen und mittleren Osten einschätzen? Warum wird die drohende Gefahr der Atombewaffnung des Iran, die in der Tat verhängnisvoll wäre, so deutlich gekennzeichnet, während gleichzeitig über die schon längst stationierten israelischen Atomsprengköpfe, etwa 1000 km weiter westlich, kein Wort verloren wird?

Statt auf Diplomatie zu setzen und nach wirklichen Lösungen zu suchen, wird die Spirale von Drohung und Eskalation weiter in Gang gehalten: Erst kürzlich berichtete der renommierte amerikanische Journalist Seymour Hersh unter Berufung auf Washingtoner Quellen von konkreten Plänen der US-Militärführung, nach denen die US-Regierung den Einsatz von bunker-brechenden Nuklearwaffen gegen die Atomanlage Natanz durchführen will.

Was würde ein solcher Angriff mit Atomwaffen für die betroffenen Menschen bedeuten? Eine IPPNW-Studie über die Folgen eines Angriffs auf Isfahan mit nuklearen Bunker-Bustern wurde 2005 von unserer US-amerikanischen Sektion erstellt. Sie kam zu dem Schluss, dass der radioaktive Fallout solcher Bunker-Buster Bomben weit entfernte Regionen bis hin zu Afghanistan, Pakistan und Indien betreffen könnte und schwere gesundheitliche Schäden sowohl der Zivilbevölkerung wie auch der Nuklearexperten zur Folge hätte.

Was steckt eigentlich hinter dieser Drohkulisse, der sich leider auch die EU-Staaten, einschließlich unserer Bundeskanzlerin Frau Merkel, angeschlossen haben? Ich denke, das Kernziel der US-Außenpolitik lautet: "Regime-change", Sturz des iranischen Regimes. Nun ist natürlich der Iran auch nicht vollkommen unschuldig an der Eskalation. Sein Präsident Ahmadinedschad liefert Washington Argumente für einen Angriff auf dem Silbertablett. Er attackiert Israel und verteidigt ein wirtschaftlich zweifelhaftes Atomprogramm. Er streitet mit seinen Verhandlungspartnern und strapaziert deren Geduld - und ist so ein dankbarer Gegner. Von den dauerhaften Menschenrechtsverletzungen und Folter, die der iranische Staat im Namen der Religion vollführt, ganz zu schweigen.

Und noch ein anderer Aspekt verkompliziert die Situation:

Der Atomwaffenstaat Israel droht regelmäßig damit, bald im Alleingang militärisch gegen den Iran vorzugehen. Die Israelis sehen im Iran mittelfristig die größte Bedrohung ihrer Sicherheit. Sie beharren darauf, dass Teheran schon in wenigen Monaten, spätestens aber in wenigen Jahren der Weg zur Bombe nicht mehr verwehrt werden könne. Deshalb müsse sofort schnell und entschieden gehandelt werden. Für die Lösung dieser außerordentlich komplizierten und gefährlichen Lage - nicht umsonst spricht man vom Pulverfass Nahost - taugen weder die Rezepte aus heißen Kriegen noch aus dem Kalten Krieg. Keine Atomwaffen, keine militärischen Lösungen.

Bei klarer und distanzierter Einschätzung, unabhängig von den USA, ist durchaus noch ausreichend Zeit und Möglichkeit für friedliche, diplomatische Lösungswege vorhanden. Deutschland und der EU, einschließlich Großbritannien, kommt hier eine Schlüsselposition zu:



1.Als erstes müssen Deutschland und die EU sich klar und unmissverständlich von jeglicher militärischen Lösung, wie sie die USA (und auch Israel) in der Hinterhand bereithalten, distanzieren. Bundesregierung und die EU müssen entschieden "Nein` zu den US-Plänen sagen. Es gibt kein einziges politisches Ziel, dass einen Angriffskrieg gegen den Iran rechtfertigen würden.



2.Als Übergangslösung ist im Interesse der Kriegsvermeidung die Umsetzung des russischen Vorschlags zur Urananreicherung hilfreich. Obwohl ich die außenpolitische Haltung der gegenwärtigen iranischen Regierung gegenüber Israel für inakzeptabel halte, hat der Iran ein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Urananreicherung (NPT). Der russische Vorschlag sichert dem Iran dieses Recht prinzipiell zu, unterbindet aber gleichzeitig die industrielle Urananreicherung auf iranischem Boden und erfüllt so die zentrale Forderung der EU und der USA. Dessen ungeachtet lehnt die Friedensbewegung im Verein mit der Anti-Atombewegung selbstverständlich die "friedliche" Nutzung der Atomkernspaltung ebenso wie die militärische weiterhin ab.



3.Die Friedensbewegung schlägt Deutschland und der EU vor, mit dem Iran eine intensive wirtschaftliche Zusammenarbeit auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien zu entwickeln. Denn die Sorge des Iran um die Zukunft der iranischen Energieversorgung, auch unabhängig vom Öl, ist ernst zu nehmen.



4.Deutschland und die EU sollten die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit vorschlagen, mit dem Ziel der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone, die Israel einschließt.


Dadurch würde es auch möglich, die Zukunft für die gesamte Region neu zu denken. Die Perspektive einer Organisation der regionalen Sicherheit und Zusammenarbeit für den Mittleren und Nahen Osten (OSZMNO) ist ohnehin die einzig denkbare Grundlage, nicht nur für die Existenz Israels und für eine dauerhafte Sicherheit der westlichen Ölversorgung, sondern auch für die friedliche Regelung zahlreicher anderer grenzüberschreitender ethnischer Konflikte sowie von Streitigkeiten um die Nutzung von Ölquellen, Wasserquellen und Wasserstraßen.

Es ist ein Trugschluss zu glauben oder sich vorzumachen, dass eine Unterscheidung zwischen ziviler und militärischer Nutzung der Atomtechnologie möglich ist. Das haben die letzten 50 Jahre bewiesen. Die Friedensbewegung fordert deshalb: Atomwaffen abrüsten und Atomkraftwerke abschalten und einen zügigen Umstieg auf die erneuerbaren Energien, in Deutschland wie auch global.

Die Zukunft in ein solares Zeitalter hat schon begonnen!



Dr. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Vorsitzenden der IPPNW. Vita siehe hier

E-Mail: angelika-claussen@web.de

Website: www.ippnw.de
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