Oster-
märsche
2006


 voriger

 nächster

Ostermärsche und -aktionen 2006

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag zum Ostermarsch 2006 in Wiesbaden am 15. April

Europäische Union: Militarisierung und Flüchtlingsabwehr

Rudi Friedrich (in Wiesbaden)

Liebe Freundinnen und Freunde,

Erinnern wir uns: Es ist nur wenige Monate her, dass verzweifelte afrikanische Flüchtlinge versuchten, die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an der Küste Marokkos zu erreichen, um auf das Territorium der Europäischen Union zu gelangen. Als Antwort schickte die spanische Regierung Militär. Die Europäische Union forderte zudem die marokkanische Regierung auf, schärfer gegen die Flüchtlinge vorzugehen.

Die spanischen und marokkanischen Sicherheitskräfte schritten darauf hin zur Tat. Ende September 2005 wurden von ihnen mehrere Menschen erschossen. Viele weitere wurden verletzt, durch die Militärkräfte, aber auch an mehrere Meter hohen Zäunen mit NATO-Stacheldraht.

Die marokkanischen Sicherheitsbehörden führten zudem Razzien in den Flüchtlingslagern durch, die sich rund um die Exklaven in den Wäldern gebildet haben. Tausende Flüchtlinge wurden verhaftet, gefesselt, in Busse gesetzt, ohne Wasser und Nahrung in die Wüste verfrachtet und dort ihrem Schicksal überlassen. Wie viele diese barbarische Aktion mit ihrem Leben bezahlt haben, ist unbekannt.



Die stetige Aufrüstung der EU-Außengrenzen und die militärische Bewachung der See- und Landwege in die Europäische Union in den letzten Jahren haben Tausende von Flüchtlingen in den Tod getrieben. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen schätzt, dass alleine vor den Toren Ceutas und Melillas und in der Mittelmeerregion zwischen Marokko und Spanien 6.300 Flüchtlinge ihre Flucht mit dem Leben bezahlt haben.

Den massenhaften Versuch von Flüchtlingen, europäisches Territorium zu erreichen, nahm die Europäische Union zudem zum Anlass, die Festung Europa noch undurchdringlicher zu machen. In Afrika und in den westlichen GUS-Staaten sollen Lager entstehen, in denen die Flüchtlinge interniert werden, um sie erst gar nicht an die Tore Europas kommen zu lassen.

Am 12. Oktober beschlossen die Innenminister der Europäischen Union auf der Ratssitzung für Justiz und Inneres den Aufbau exterritorialer Flüchtlingslager. Als Sofortmaßnahme wurden 40 Millionen Euro freigegeben, die der marokkanischen Regierung für die Flüchtlingsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden. Von dem Geld soll Marokko Schnellboote, Jeeps, Nachtsicht- und Radargeräte von der EU kaufen, um eine lückenlose Sicherung der Grenzen zu gewährleisten.

Alleine in Marokko sind auf Drängen der EU bis zu 11.000 Soldaten und Polizisten im Einsatz, um gegen so genannte "illegale" Immigranten vorzugehen, deren einziges "Verbrechen" darin besteht, in Europa Schutz vor politischer Verfolgung und Elend zu suchen.

Diese Art des Outsourcing des Flüchtlingsschutzes, gekoppelt mit einer rigorosen Abschiebepolitik in die zu errichtenden exterritorialen Lager ohne vorherige Prüfung von Asylgründen, stellt einen eklatanten Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar. Damit wird faktisch der Flüchtlingsschutz, so unzureichend er ist, abgeschafft. Diese Politik ist in höchstem Maße menschenverachtend.

An diesem Beispiel wird auch allzu deutlich, wie Flüchtlingsabwehr und Militäreinsätze der Europäischen Union ineinander greifen. Flüchtlinge sollen heimatnah in Lagern untergebracht werden, in denen sie auf Dauer unter erbärmlichsten Umständen ihr Leben fristen müssen. Zugleich setzt die Europäische Union Militär ein, um die Zuwanderung von Flüchtlingen zu verhindern.

Aber es sind nicht nur Fregatten des spanischen Militärs im Mittelmeer, die nach Flüchtlingen suchen, die sich mit Schlauchbooten auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen. Es sind auch handfeste militärische Einsätze, die dieses Ziel mit verfolgen.

Der deutsche Verteidigungsminister Franz Joseph Jung sprach Klartext, als es um den Einsatz der Bundeswehr als Teil einer EU-Truppe in der DR Kongo ging. "Die Stabilität in der rohstoffreichen Region Kongo nützt auch der deutschen Wirtschaft". CDU-Abgeordnete in Deutschland legen nach: Es gäbe strategische Rohstoffe wie Wolfram und Mangan.

Offiziell wird dieser Einsatz damit begründet, die Wahlen in der DR Kongo abzusichern. Menschenrechtsverletzungen und Kriege werden auch in anderen Fällen als Begründungen angeführt, um die Bundeswehr weltweit einzusetzen. Dabei geht es der Europäischen Union vielmehr darum, militärisch eigenständig im Ausland die Interessen zu vertreten, z.B. den Zugang zu Rohstoffen zu erhalten oder Einflussgebiete zu sichern.

Aber es geht um mehr, wie Verteidigungsminister Jung deutlich machte: Ein "zentrales Sicherheitsinteresse" sei beim Bundeswehreinsatz in der DR Kongo, dass nicht "ganz Europa ein großes Flüchtlingsproblem" bekomme. Es geht ihm also auch um Flüchtlingsabwehr und damit steht der Verteidigungsminister keineswegs allein. Eine solche Konzeption findet sich auch in einem Papier, dass der SPD-Verteidigungsminister Struck 2003 vorstellte. In den militärstrategischen Überlegungen wird folgende Risikoanalyse vorgenommen: "Ungelöste politische, ethnische, religiöse, wirtschaftliche und gesellschaftliche Konflikte wirken sich im Verbund mit dem internationalen Terrorismus, mit der international operierenden Organisierten Kriminalität und den zunehmenden Migrationsbewegungen unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit aus. Ihnen kann nur durch ein umfassendes Sicherheitskonzept und mit einem System globaler kollektiver Sicherheit begegnet werden." Mit dieser unerträglichen Assoziationskette werden Flüchtlinge und MigrantInnen zu einer Bedrohung erklärt, gegen die im Zweifelsfall militärisch vorzugehen ist.

Die Interventionspolitik der Europäischen Union ist schon weit fortgeschritten. Mit dem Einsatz von EU-Militär wird eine schon längst gescheiterte Politik im Stile der Kolonialherren fortgesetzt. Bei all diesen Einsätzen treten Bundeswehr und EU-Militär als Besatzungsarmee mit Kampfauftrag auf. Das macht sie zu einer Kriegspartei unter anderen in dem jeweiligen Konfliktgebiet.

Und die Bundeswehr wird nicht nur im Kongo einmarschieren, sie ist es bereits in Afghanistan, in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, im Sudan, am Horn von Afrika und vielen anderen Gebieten. Stolz benennt die Bundeswehr selbst den immensen Umfang auf ihrer Homepage: "vom Balkan über Djibouti bis Afghanistan: In Krisenregionen auf drei Kontinenten stehen derzeit circa 6.500 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz. Deutschland gehört somit zu den Nationen, die für internationale Einsätze die meisten Truppen stellen. Das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow bei Potsdam plant und führt grundsätzlich alle Einsätze deutscher Streitkräfte im nationalen und multinationalen Rahmen. Künftig soll das Einsatzführungskommando der Bundeswehr auch den Kern eines Hauptquartiers der strategischen Führungsebene für militärische Operationen der Europäischen Union bilden."

Der militärische Traum vom weltweiten Einsatz ist mit der Europäischen Union realisierbar, nein, wird mit der Europäischen Union bereits realisiert. Ein Ende 2003 verabschiedetes Strategiepapier der Europäischen Union sieht dafür vor, die finanziellen Mittel aufzustocken, um die "Streitkräfte zu flexibleren, mobilen Einsatzkräften umzugestalten".

Es wird auch deutlich benannt, wo die Einsätze in Zukunft durchgeführt werden sollen: "Als eine Union mit 25 Mitgliedstaaten, die mehr als 160 Mrd. Euro für Verteidigung aufwenden, sollten wir mehrere Operationen gleichzeitig durchführen können. Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen."

Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Europäische Union anschickt, selbst in anderen Ländern mit Militär ein- und anzugreifen, selbst Kriege zu führen. Hier erhält der Begriff der "Friedensmacht Europa" eine ganz andere, eine höchst bedrohliche Dimension. Das Strategiepapier macht es nur allzu deutlich, wenn darin geschrieben wird: "Eine aktive und handlungsfähige Europäische Union könnte Einfluss im Weltmaßstab ausüben." Das ist nichts anderes als eine Drohung an den Rest der Welt.

Eine menschenwürdige Politik kann jedoch nur heißen, diejenigen Kräfte zu unterstützen, die sich in diesen Ländern gegen Krieg, Gewalt und Unterdrückung wehren. Viele Menschen in diesen Ländern haben sich zusammen geschlossen, um einen Weg aus der alltäglichen Gewalt heraus zu finden. Tausende entziehen sich der Zwangsrekrutierung, dem Militär. Sie desertieren und riskieren damit Misshandlung, Folter und langjährige Haft. All sie brauchen Unterstützung. All sie brauchen Schutz.

Dieser Schutz muss auch einschließen, dass Menschen, die sich aufgrund untragbarer Zustände zur Flucht entschließen, Aufnahme und Asyl in den Ländern der Europäischen Länder erhalten müssen.

Wir fordern heute ein Ende der militärischen Logik. Die Wehrpflicht muss abgeschafft werden. Die Bundeswehr ist sofort aus allen Einsatzgebieten zurückzuziehen.

Die herrschende Politik, die der militärischen Logik folgt, sieht Krieg immer als Möglichkeit der Politik. Wir widersetzen uns dieser Politik, wir widersetzen uns der militärischen Logik. Erst dies schafft Raum, um all die vielen Ansätze, Menschen und Gruppen zu unterstützen, die sich in den Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt gegen die Herrschaft der Gewalt wenden. Dies schafft Raum, sich mit denen zu solidarisieren, die den mutigen Schritt gegangen sind und sich dem Kriegseinsatz verweigern. Dafür setzen wir uns ein.



E-Mail: office@connection-ev.de

Website: www.connection-ev.de
 voriger

 nächster




       
Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
          
Themen   FriedensForum Ex-Jugo Termine   Aktuelles