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Ostermärsche und -aktionen 2006

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede bei der Ostermarsch-Kundgebung Rheinland in Düsseldorf am 15. April 2006

Solidarität und sozialer Friede statt Aufrüstung und Krieg

Otto Meyer (in Düseldorf)

Liebe Friedens-Freundinnen und -Freunde!

Ich freue mich darüber, daß Ihr hier im Rheinland in so großer Zahl zum Auftakt des Ostermarsches 2006 gekommen seid. Wie jetzt seit 46 Jahren versammeln wir uns zu Ostern auch in Deutschland (seit 1958 in England) auf den Plätzen und marschieren durch die Straßen, um uns und das ganze Land daran zu erinnern: Eine andere Welt ist möglich - eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg, eine Welt in Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität, wo der Mensch ein Helfer ist des Menschen und nicht einer des anderen Feind.

Mit den Ostermärschen wollen wir das an der christlichen Kultur beerben, was daran allein zu beerben sich lohnt, Ostern bedeutet ja: Die Kräfte des Lebens siegen über die Mächte des Todes. Nicht das Kreuz von Karfreitag, also nicht Terror, nicht Folter, nicht Mord, nicht die Macht der Henker und Gewaltherrscher definieren den Ausgang der Geschichte. Nein, die Menschenwelt wird diese längst überholte Rüstung aus barbarischer Vorzeit abschütteln wie Plunder und aufstehen in ein Leben mit allen und für alle, immer wieder, hier und da, und eines Tages ein weltweites Ostern feiern als Aufstand und Sieg des Lebens über Krieg und Tod.

Ihr wisst, wir sind noch nicht angekommen im Reich der Freiheit und des Friedens, wir stehen noch unter dem Schock der bösen Nachrichten von Karfreitag, von Hinrichtung und Tod, weltweit. Und Ihr wisst, daß inzwischen auch von unserem Land, von Deutschland wieder Kriege möglich sind (Jugoslawien) und noch möglicher gemacht werden sollen. Dieses Land, seine Regierungen und seine großen Konzerne wollen dabei sein, wenn wieder verstärkt weltweit um Einfluss- und Herrschaftszonen gestritten wird - sie nennen das ihre "Globalisierung".

Die deutschen Eliten wollen dabei sein, wenn mit neoimperialistischen Strategien die Machthaber der sog. ersten Welt ihr Empire errichten - effektiver und intensiver als einst das Römische Imperium zu der Zeit von Christi Geburt. Deutschland ist Juniorpartner der US-Hegemonialmacht in dem sog. "Krieg gegen den Terror". In Afghanistan stehen Tausende deutscher Soldaten, am Hindukush sind "wir" Besatzungsmacht und bewachen die neue Ordnung, mit Freiheit für Opiumanbau und Todesstrafen gegen aufmüpfige Frauen oder Religionswechsler. Deutschland war ja auch im Irakkrieg vielfältig zu Diensten, ob mit Überflugrechten oder BND-Agenten vor Ort. Neue Eingreiftruppen werden zusammengestellt, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umgerüstet. Ob im Rahmen der EU oder der Nato, u. U. auch in eigener Regie wie im Kosovo oder Mazedonien. Der neue Verteidigungsminister, Herr Jung, verlangt die Änderung des Grundgesetzes, weil dort immer noch steht: "die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten" ist "verfassungswidrig . (und) unter Strafe zu stellen." Danke, Herr Minister, Sie machen uns darauf aufmerksam, daß wir schon länger von Verfassungsfeinden regiert werden!

Unter deutscher Führung soll ein EU Militärverband im Kongo intervenieren, damit dort "freie Wahlen" zelebriert werden können. - Geht es wirklich um Freiheit und Demokratie? Nein, es geht um freedom and democracy, wie Weltbank und IWF sie definieren: Freiheit für Multis und Kapital, freien Zugang für Waren und freien Zugriff auf Rohstoffe. Die Kongo-Mission ist dazu bestimmt, dieses Zentralafrikanische Land mit seinen reichen Bodenschätzen an Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold oder Uran für europäische Konzerne noch mehr zu "öffnen". Ganz unverfroren verlangt der Bundesverband der Deutschen Industrie: "Die Transformation der Bundeswehr von einer klassischen Verteidigungsarmee hin zu hochmobilen Krisen-Interventionskräften ist zwingend erforderlich.

Wenn es um das Militär geht, spielt Geld keine Rolle. Hunderte von Milliarden kostete bisher schon der Irakkrieg, die US-Regierung rechnet inzwischen mit weit über 1 Billion Gesamtkosten - bezahlt durch Kürzung der letzten noch vorhandenen Sozialprogramme im eigenen Land und durch Anleihen bei den reichen Kapitalbesitzern in der ganzen Welt.

Und genau so funktioniert das auch hierzulande. Das Militär darf kosten - obwohl doch unser Staat angeblich pleite ist. Rund 25 Mrd. Euro stehen offiziell im sog. Verteidigungshaushalt mit Steigerungsraten von 700 Mrd. pro Jahr. Das ist aber keineswegs alles. Die Auslandseinsätze werden weitgehend aus anderen Haushaltsstellen bezahlt, der Kongoeinsatz z. B. gilt ja als "Entwicklungshilfe"! Das seit Jahren laufende Programm zur Umrüstung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu weltweit einsetzbaren Eingreiftruppen wird auch bezahlt durch den Verkauf von nicht mehr benötigten Gelände und Kasernen oder durch alte Panzer, verkauft an arme Staaten in der Dritten Welt - freedom and democracy! Diese Einnahmen darf der Kriegsminister zusätzlich einstecken. Die Militärausgaben der EU waren schon 2001 mit 172 Mrd. Euro nach den USA die zweithöchsten der Welt, sie waren ebenso hoch wie alle Rüstungsausgaben von China, Japan, Russland, Afrika, Lateinamerika und Südasien zusammengerechnet.

Doch im EU-Verfassungsentwurf sollen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden zu noch entscheidend höheren Ausgaben für Aufrüstung. Und zugleich läuft in allen EU-Staaten das Programm zur Zerstörung bisheriger Sozialstandards. Schröder hatte seine Agenda 2010 ja fast buchstabengetreu nach den Vorgaben des EU-Ministerrates aufgelegt. Was hierzulande an Grausamkeiten gegen Arbeitslose mit den Hartzgesetzen angerichtet wurde, oder gegen Rentnerinnen und Rentner, gegen Pflegebedürftige, gegen Kranke und alle gesetzlich Versicherten oder im Bildungsbereich, in der Jugendhilfe usw., usw. " dasselbe wird in allen europäischen Ländern versucht es läuft dort aber zum Glück nicht immer so glatt wie bisher bei uns.

Die Große Koalition will hier weitermachen: mehr für Rüstung und Soldaten, Bundespolizei und Überwachungsstaat - aber striktes Sparprogramm bei allem Sozialen. Franz Müntefering - der Rattenfänger aus dem Sauerland - schickt Arbeitslose unter 25 wieder zurück an den Tisch zu Mama oder Papa (sofern vorhanden), damit die dem arbeitsscheuen Nachwuchs doch noch die rechte Arbeitsmoral beibringen... Müntefering will Rente erst ab 67 zahlen lassen - und verkündet mit treuwestfälischem Augenaufschlag: Für mein Vadder wär dat auch besser gewes`n, dann hätt der nich siebenmal im Frühjahr seinen Garten umgraben müssen.

Ulla Schmidt, die Frohnatur aus Eurem Aachener Rheinland, lässt Kommissionen so lange über Zuzahlungen und Einsparpotenziale bei den Kranken beraten, bis jeder zweite gelernt hat, sich zu Hause selber zu operieren und auszukurieren, und die Alten endlich kapieren, daß sie spätestens im Pflegefall "sozialverträglich" abzutreten haben, damit sie den Standort Deutschland nicht weiter belasten.

Die Arbeitsteilung zwischen Union und SPD in Berlin scheint perfekt: die CDU managt den Aufbau von Eingreiftruppen und Überwachungsstaat - die Sozialdemokraten schröpfen das gemeine Volk, und sei`s durch die weitere Steuerumschichtungen: weg von den Vermögenden und Unternehmern durch bald gänzliche Befreiung von Erbschafts- und Unternehmenssteuern, hin zu den abhängig Beschäftigten und Rentnern mit Kürzung der Pendlerpauschale und Mehrwertsteuererhöhungen.

Dieser finanzielle Zusammenhang auf staatlicher Ebene zwischen Sozialstaatszerstörung und Aufrüstung im Inneren und nach Außen ist aber nur der erste Aspekt.

Zugleich wird zweitens eine weitere Umschichtung von Geld und Kapital von unten nach oben innerhalb der Gesamtbevölkerung erreicht. Schon der frühere Arbeitgeberpräsident Hundt verlangte mehr soziale Unterschiede in der deutschen Konsensgesellschaft. Diese Vorgabe ist schon von Rotgrün in beachtlicher Weise erfüllt worden: Ihr Reichtums- und Armutsbericht von 2005 weist aus, daß die Zahl der statistisch Armen hierzulande in fünf Jahren um mehr als zehn Prozent zugenommen hat - durch Hartz IV ist ihre Zahl inzwischen noch einmal um 1 - 2 Millionen vergrößert worden. Und zugleich gab es noch nie so viele Millionäre und Milliardäre in Deutschland wie heute.

Sozialstaatszerstörung zwingt die Beschäftigten, auch niedrigere Löhne zu akzeptieren, und treibt sie in Eigenversicherungen und Verschuldungen. Zugleich bekommen Banken und Versicherungen mehr Gelder, die sie dann dem eigenen Staat leihen - oder gar zu höheren Prozentsätzen in US-Staatsverschuldungen investieren. Auf diese Weise finanzieren unsere Reichen die neokolonialen und neoimperialen Kreuzzüge von USA und EU - mit den Geldern, die sie zuvor den Rentnern, den Arbeitslosen und allen Lohnabhängigen vom Konto getrickst haben.

Es gibt noch einen dritten Aspekt für diesen Zusammenhang zwischen Aufrüstung und Sozialabbau: Das Setzen auf Rüstung und Krieg als Mittel der Weltinnenpolitik braucht kriegsbereite Menschen auch im Innern. Sozialstaatszerstörung weltweit und jetzt auch in den reichen Nationalstaaten hat genau diesen Effekt: Die Solidarität auch innerhalb der Klasse der Arbeiterschaft soll zerstört werden. Ausreichende Rente für alle von allen über Abzüge vom Lohn bezahlt? - Das ist doch "Sozialismus, "Unfreiheit", schreien die Sprecher von Kapital und Unternehmerschaft - jeder muß wieder lernen, für sich alleine zu sorgen, auch wenn er krank oder arbeitslos wird. Früher hätten die Leute doch auch sich mit selbstgebastelten Krücken zufrieden gegeben oder ihr Brot klaglos in den Kaffee getunkt, ohne nach neuen Hüftgelenken oder teuren Zahnersatz zu schreien - verkündet Herr Mißfelder von der Jungen Union. Die Spaltung der eigenen Gesellschaft in Reich und Arm reicht nicht. Die in der Mitte müssen es lernen, auf die Unteren zu treten. Und sie müssen lernen, gegeneinander zu konkurrieren, Wettbewerb, "Flexibilisierung", Kampf aller gegen alle, the survival of the fittest ist das wieder gefundene Naturgesetz, das der Kapitalismus braucht - im Zeitalter der "Globalisierung" mehr als je zuvor. Von Arbeitslosigkeit mit der Aussicht auf Hartz IV bedrohte junge Menschen lassen sich auch besser für den Soldatenberuf rekrutieren. Und in einer sozial zerstörten, insgesamt kriegerischen gestimmten Gesellschaft lassen sich viel leichter Feindbilder produzieren: "Die Islamisten" bedrohen uns, "Irans Präsident Ahmadinedshad" ist der neue Hitler - Vorsicht, zuvor waren schon Milosevic und Saddam Hussein "Hitler" - kurz darauf erfolgten die Kriegsüberfälle auf ihrer Länder! Verteufelungen aller Art, Nationalismen, Ethnozentrismen, Kulturalismen weltweit und vermehrt auch bei uns erhalten Hochkonjunktur. Ist das die Welt, in der wir leben wollen? Nein! und noch einmal: Nein! Eure Welt mit eurer Globalisierung von oben, der Globalisierung durch transnationale Konzerne, mit Militär und Eingreiftruppen, mit all den von Euch geplanten Kriegen als Mittel der Weltinnenpolitik wollen wir nicht! Wir setzen auf die Solidarität der Völker, auf Frieden, auf internationale Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe.

Wie groß die Bereitschaft für Völkerfreundschaft und Solidarität ist, zeigt sich immer wieder bei Naturkatastrophen. Wir sehen mit Freuden die Weltsozialforen in Porto Allegre oder Bombay. - Die alten Mächte dagegen aus big money and big government müssen sich bei ihren Treffen in Davos oder München von großen Polizeiaufgeboten schützen lassen oder auf einsame Inseln ausweichen...

Wir begrüßen die Ablehnung der unsozialen und kriegstreiberischen EU-Verfassung in Frankreich und Holland. Wir gratulieren der französischen Jugend zu ihrem so grandiosen Aufstand gegen die Zumutungen von Arbeitgebern und Regierung. Wir wünschen den Kollegen von ver.di und aus der IG-Metall viel Erfolg! - So wie wir uns freuen über jene bewiesene Kampfkraft der Kolleginnen und Kollegen von Gourmet am Flughafen hier in Düsseldorf, die wieder einen Tarifvertrag erstritten haben und die schlimmsten Lohnräubereien abwehren konnten.

Nein, ihr Politiker in Berlin oder Düsseldorf. Eure Welt der Sozialstaatszerstörung und der Aufrüstung erkennen wir nicht an. Wir fordern und realisieren eine Welt in Solidarität und Frieden, statt mit eurer Aufrüstung und euren Kriegen. Wir sagen den Sozialdemokraten: Eure Regierung ist weder sozial noch demokratisch, tretet ab, ihr Heuchler! Wir sagen den Christdemokraten: Schämt Ihr Euch nicht, Euch immer noch "Christen" zu nennen? Eure Politik ist nicht christlich, sie ist eine Verhöhnung des Namens Jesu Christi, auch eindeutig ein Bruch des zweiten Gebotes: Du sollst den Namen Deines Gottes nicht unnützlich führen!

Es ist, als wollten die alten Mächte in Washington, Berlin oder Paris ihre Welt gefangen halten in einem unendlichen Karfreitag: Kreuz, Folter, Hinrichtung und Krieg sollen ewig die Menschheit in Angst und Schrecken halten. Doch diejenigen, die sich in Wahrheit Christen nennen, glauben nicht an Euren Karfreitag. Wir glauben an Ostern, Christus ist auferstanden, heute in all den Menschen, die den Mächtigen ins Gesicht lachen und aufstehen. Ob wir uns nun Christen oder Muslime oder Buddhisten oder Atheisten nennen: Wir alle hier sind Ostermarschierer! Wir glauben an das Leben und nicht an den Tod. Wir arbeiten für den Frieden und nicht für den Tod: "Eine andere Welt ist möglich und wird kommen!"

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