Ostermärsche und -aktionen 2007

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09.04.2007


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Ostermärsche und -aktionen 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede am Ostermontag, 9. April, auf dem Römerberg Frankfurt, zum Abschluss des Ostermarschs 2007: "Kriege beenden statt Kriege vorbereiten"

Liebe Friedensfreunde und Friedensfreundinnen, meine Damen und Herren,

Ulrich Gottstein (in Frankfurt)

- Sperrfrist: 09.04., Redebeginn 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

unsere Veranstaltung steht unter der Überschrift "Kriege beenden statt Kriege vorbereiten", und ich füge hinzu: dazu brauchen wir Diplomatie und Friedenspolitik, nicht nur "Verteidigungsministerien", die sich fast ausschließlich mit Militäreinsätzen und der Bestellung von neuen Waffen beschäftigen, also weiterhin Kriegsministerien sind. Wir brauchen dringend "Friedensministerien", die sich professionell mit gewaltloser Konfliktlösung und Friedenserhalt befassen.

Natürlich sind wir heute alle froh und dankbar, dass Europa den 50. Jahrestag der Römischen Verträge feiern konnte, und dass die europäischen Länder immer näher aneinander rücken und wir uns heute keinen Krieg mehr innerhalb Europas vorstellen können, obgleich der "jugoslawische" noch nicht lange zurück liegt. Aber außerhalb unserer europäischen Grenzen herrschen weiterhin Unvernunft, Friedlosigkeit, nationalistischer Egoismus, brutale Gewalt und Krieg. Denken Sie nur an die ständigen Kämpfe zwischen der Türkei und dem kurdischen Volk, an den Krieg zwischen Israel und Palästina sowie Libanon, an den Krieg der USA im Irak und in Afghanistan, an die neue Kriegsgefahr und die Bedrohung Irans durch die USA und nun die Sanktionen der UN, und denken Sie weiter an die so unvernünftige, illegale und gefährliche Atomwaffenpolitik der USA mit den Neuproduktionen und Modernisierungen ihrer Atomwaffen, die sie auch gegen Nicht-Atomwaffenstaaten einzusetzen bereit sind. Denken Sie an die weiterhin 150 Atombomben-und -raketen der USA in Deutschland, denken Sie an die zunehmenden Gefahren durch Terroristen, die sowohl mit Sprengstoffattentaten, als auch irgendwann mal mit gekauften oder gestohlenen Atomwaffen insbesondere unsere westlichen Länder in Angst und Schrecken versetzen werden, wenn wir nicht alle für Verständigung und Frieden sorgen und für die Beseitigung aller Atomwaffen.

Gerade der heutige Feiertag, also der Tag nach Ostersonntag, der uns ja nicht an Osterhasen erinnern soll, sondern an die Friedensbotschaft von Jesus Christus, sollte alle sogenannten christlichen Regierungen verpflichten, an die Mahnungen von Christus zu denken, dass Frieden herrschen soll. "Selig sind die Friedfertigen", sagte er bei seiner Bergpredigt nahe Jerusalem, und " was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan", positiv wie negativ, Gutes wie Schlechtes, das sagte er zu den Fragenden seiner Zeit. Würden die angeblich so frommen christlichen Regierungschefs, wie besonders George W. Bush und Tony Blair, mehr an die Aussagen von Christus denken und davon ihre Politik beeinflussen lassen, dann ginge es der Welt besser. Dann wäre nicht ein Krieg gegen das gesamte afghanische Volk begonnen worden, der nun schon 5 Jahre wütet, dann wären amerikanische und britische Bomben nicht auf die Menschen in Afghanistan geworfen worden, wo viele tausend Zivilisten getötet wurden, nur weil die USA nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington den Al-Qaida Führer BIN LADEN nicht ausgeliefert bekam.

Die US-Truppen konnten BIN LADEN 2001 und 2002 nicht fangen, daraufhin wurde 2003 SADDAM HUSSEIN als Ersatzfeind gewählt und das irakische Volk mit einem brutalen und illegalen Krieg überzogen. Über 600.000 Iraker, Zivilisten sowie schuldlose Soldaten wurden getötet, (The Guardian, 28.03.2007) weil Bush und Blair die Welt mit ihrer Propaganda belogen hatten, Irak verfüge über Atomwaffen, obgleich die UN-Inspektoren das ganze Land durchsucht und nichts gefunden hatten.

Jetzt wird Iran vorgeworfen, Atomwaffen herstellen zu wollen, und in den USA droht man dem Land mit gezielten Bombenangriffen, auch notfalls Atombomben, um unterirdische Laboratorien zu zerstören. Gleichzeitig ertönt der amerikanische Ruf nach einem Regimewechsel im Iran. Dieses Trick kennen wir vom Irak, bei dem auch der "Regimewechsel" von Präsident Bush gefordert worden war, um so die Weltmeinung auf den notwendigen Krieg vorzubereiten.

Meine Damen und Herren, wir leben weiterhin in einer Zeit ständiger gefährlicher Kriege und Bürgerkriege, 20-25 jedes Jahr, die mit Waffen vorwiegend von der westlichen Industrie geführt werden, die damit große Geschäfte macht. Außerdem leben wir wegen der Atomwaffen " nahe dem Abgrund" " wie amerikanische Wissenschaftler und frühere Regierungsmitglieder aussagen. Der Leiter der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO EL-Baradei, der im letzten Jahr den Friedensnobelpreis erhielt, hat in letzter Zeit mehrfach betont, dass die Gefahren des Einsatzes von Atomwaffen heute größer seien als je zuvor.

Der frühere UN- Generalsekretär KOFI ANNAN, (der ebenfalls den Friedensnobelpreis für seine mutigen Bemühungen um Frieden erhalten hatte), forderte immer wieder die USA auf, ihre Atomwaffenrüstung zu beenden und den Atomwaffen Teststopvertrag zu ratifizieren und den "Nichtverbreitungsvertrag" einzuhalten, statt ihn fortwährend zu brechen. In dem 1970 in Kraft getretenen Vertrag, auch von den USA unterschrieben, heißt es eindeutig, dass sich die Atomwaffenmächte verpflichten, keine neuen Atomwaffen herzustellen, sondern sie mit dem Ziel der totalen Abschaffung kontinuierlich zu reduzieren. Entgegen dem Vertragstext werden in den USA neue Atomwaffen für das Gefechtsfeld und zur Durchdringung tiefer Erdschichten, sogen. bunkerbuster, entwickelt, und es werden mit neuen Atomsprengköpfen für die britischen Trident-Atomunterseeboote tödliche Geschäfte gemacht.

Am 16. Januar ds. Js. berichtete der amerikanische Journalist und bekannte Buchautor Daniel Ellsberg in einem Vortrag in Hamburg, dass " George W.Bush und (Vizepräsident) Richard Cheney ihre Militärstäbe insgeheim angewiesen (haben), mögliche Atomangriffe auf unterirdische Atomenergieanlagen im Iran zu planen sowie umfassende konventionelle Luftangriffe auf überirdische militärische Energie-Anlagen und Kommandoposten vorzubereiten.

Für solche Atomangriffe hat sich Präsident Bush bereits im Jahr 2001 vom amerikanischen Kongress seine neue Atomwaffenstrategie verabschieden lassen, den sogen. "nuclear posture review", der den Einsatz von Atomwaffen auch gegen nicht-nukleare Staaten im Bedarfsfall erlaubt. Diese Anweisungen wurden am 15. März 2005 bestätigt in der " Doctrine for Joint Nuclear Operations", d.h. den gemeinsamen Einsatz von konventionellen und nuklearen Waffen, wie offenbar auch gegen den Iran geplant.

Diese Handlungen der USA sind unverantwortlich, denn sie verstoßen nicht nur gegen das sogen. Kriegsvölkerrecht und das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag sowie die Genfer Konventionen, sondern demonstrieren auch allen Nationen, dass die USA auch in Zukunft die Welt als Geisel nehmen wollen. Da ist es verständlich, dass auch viele andere Nationen sich Atomwaffen anschaffen wollen, um sich gegen die Vergewaltigung vor allem durch die USA, aber auch der anderen Atomwaffenmächte zu schützen. So wird die Zahl der Atomwaffenmächte ständig größer.

Am 4. März dieses Jahres haben im Wallstreet Journal die früheren US-Außenminister HENRY KISSINGER und George P.SHULTZ sowie der frühere Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im US Senat Sam NUNN und William J.PERRY, der bis 1997 US-Verteidigungsminister war, an die Regierung von Präsident BUSH appelliert, den Atomwaffensperrvertrag einzuhalten und sofort in intensiver Zusammenarbeit mit den anderen Regierungschefs mit der Reduzierung aller Atomwaffen zu beginnen, mit dem Ziel der totalen Abschaffung. Der Appell endet mit dem Satz:" Wir rufen dazu auf, die atomwaffenfreie Welt zum Ziel zu setzen, energisch an den Schritten zu arbeiten, die zur Erreichung des Ziels erforderlich sind ......". Die Risiken des Einsatzes von Atomwaffen, insbesondere durch die neuen Atomwaffenstaaten sowie durch Terroristen seien nicht kalkulierbar und daher größer, als sie im Kalten Krieg gewesen seien.

Am 31. Januar, also vor etwa 2 Monaten, unterstützte M.GORBATSCHOW diesen Appell Henry Kissingers sowie vieler amerikanischer Intellektuellen, ebenfalls im amerikanischen Wallstreet Journal.

Meine Damen und Herren, 150 amerikanische Atomwaffen lagern in Deutschland, die im Rahmen der NATO-Strategie und der deutschen "nuklearen Teilhabe im Rahmen der NATO" zum eventuellen Einsatz bestimmt sind . Im neuen "Weißbuch der Bundesrepublik Deutschland" zur Sicherheitspolitik von diesem Jahr steht wieder geschrieben, dass Deutschland auch künftig auf das Abschreckungspotential von Atomwaffen setze, also auf den Schutz durch Atomwaffen auch in Zukunft nicht verzichten könne. Das deutsche Volk fühlt sich aber dadurch nicht geschützt, sondern hochgradig gefährdet. Die Umfragen haben mehrfach ergeben, dass nahezu 90 % fordern, dass alle Atomwaffen von deutschem Boden entfernt werden. Wir wollen diese Atomwaffen nicht ! Diese Forderung muss Bundeskanzlerin Merkel im deutschen Namen auch bei George W.Bush und der NATO erheben !

Auch wir fordern hier in Frankfurt: Frau Bundeskanzlerin Merkel, bitte verlangen Sie von Präsident Bush den Abtransport aller Atomwaffen aus Deutschland. Wir wollen ein atomwaffenfreies Land sein!

Es ist eine Tragödie, dass Deutschland mehr und mehr in fremde Kriege hineingezogen wird, wie jetzt mit dem Tornado-Einsatz in Afghanistan. Dort waren die Deutschen bislang sehr beliebt, weil sie sich nicht an den Kampfhandlungen der USA beteiligten und erfolgreiche Aufbauarbeit leisten. Jetzt aber wurden die deutschen Tornados angefordert, um mit ihren aufgezeichneten Kamera-Beobachtungen den US- Kampftruppen ihre Ziele für die Bombardierung und Artilleriebeschuss zu geben. Das heißt eindeutig Beteiligung am Krieg und nicht nur Beobachtung ! Man soll uns doch nicht für dumm verkaufen !

Uns Deutschen wird immer wieder gesagt, wir seien "mündige Bürger", deren Meinung ernst genommen werde. Warum nimmt unsere Regierung die Meinung der Deutschen zum Tornadoeinsatz nicht ernst, denn vor 9 Wochen ( am 2. Februar) haben in einer FORSA-Befragung sich 77% gegen den Tornadoeinsatz ausgesprochen, selbst 68% der CDU-Wähler, 78 % der SPD-Wähler, 69% der FDP-Wähler, 81 % der Grünen-Wähler und 95% der Wähler der Linken, also quer durch alle Parteien.

Wir wissen, dass Regierungen ihre Bevölkerung gerne nur dann als "mündige Bürger" bezeichnen, wenn diese ihnen zustimmen, sonst nicht. Heute sagen wir als mündige Bürger mit lauter Stimme: "Der Tornado-Einsatz in Afghanistan zieht uns in den von den USA begonnenen Krieg hinein. Das ist gegen unseren Willen. Wir sind enttäuscht, dass der Bundesgerichtshof den Einsatz nicht für illegal erklärt hat, die Welt aber soll wissen: Wir lehnen die Beteiligung am Afghanistan Krieg und den Einsatz deutscher Tornados ab !

Meine Damen und Herren, vor 3 Wochen erhielt ich aus dem Irak, wo ich für unsere ärztliche Friedensorganisation IPPNW 9 mal aus humanitären Gründen und mit Hilfstransporten war, zuletzt im Mai 2003, folgenden Brief von einem irakischen Arzt aus Bagdad: Er berichtet von chaotischen Verhältnissen in Stadt und Land und in den Krankenhäusern, die nicht nur durch die täglichen Todesopfer auf den Straßen und die Hunderte von Verwundeten überfordert sind, sondern außerdem durch die ausgebrochenen religiösen Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten, die auch vor den Krankenhäusern nicht halt machen. Der Kollege schreibt mir von einem 5 jährigen Kind, das auf der Straße spielte und durch einen Schuss in den Hals getötet wurde, im Rahmen einer Schießerei auf einer entfernteren Brücke. Die armen Eltern fuhren zum Bagdader El-Yarmuk Krankenhaus, um einen Totenschein zu erhalten, damit das Kind beerdigt werden könne. Die dortige Miliz lehnte das ab, sodass die Eltern nach Abu Ghraib fahren mussten. Der Kollege schreibt weiter, viele Iraker fühlen sich auch in den Krankenhäusern nicht mehr sicher, denn viele kommen da nicht mehr lebend heraus.". Das ganze Leben ist katastrophal, unter "amerikanischer Kontrolle". Und der Brief endet verzweifelt mit den Worten "uns Irakern geht es schlecht, vielen Dank für Deine Hilfen...."

Wie chaotisch die Lage ist, erkennen wir auch aus den Befragungsergebnissen von ARD, BBC, ABC und der Amerikanischen Zeitung "USA today," vom 19.März (FAZ 20.3.07): 74 % der Iraker fühlen sich unsicher, selbst in den eigenen Wohnungen. 82% haben kein Vertrauen in die ausländischen Truppen und lehnen ihre Anwesenheit ab. 51 % halten sogar Angriffe auf die Besatzungstruppen für legitim, und 30% würden am liebsten das Land verlassen. Das ist kein Wunder, denn 1,8 Millionen Iraker sind bereits ins Ausland geflohen und 2 Millionen innerhalb Iraks. 30-40 Iraker werden täglich entführt und Hunderte durch Schießereien und Attentate getötet. Weit über 200 Ärzte und 500 Akademiker wurden seit dem Mai 2003 ermordet, dazu 92 Journalisten. Über 30% der irakischen Ärzte haben mit ihren Familien das Land verlassen. "Es ist eine Hölle im Irak" schreibt eine irakische Journalistin in der englischen Zeitung " The Guardian" am 6.1.07. Das Leben war unter Saddam Hussein viel besser. All diejenigen, die den Mund hielten und nicht opponierten, lebten in Sicherheit. Jetzt aber leben die Menschen in ständiger Furcht vor Tod, Wunden und Verschleppung, und in voller Abneigung und größtenteils Hass gegen die amerikanische Besatzung. Während wir hier für Frieden und gegen Krieg demonstrieren, tun das Zehntausende von Irakern in der schiitischen Stadt Nadjef ebenfalls. Obgleich sie unter Saddam Hussein ein benachteiligtes Leben geführt hatten, sind sie jetzt ausschließlich wütend über die amerikanische und britische Besatzung und fühlen sich überhaupt nicht befreit, sondern in einer Hölle von Demütigungen, Unfreiheit, Tod und Chaos.

Da die amerikanische und britische Regierung nicht wissen, wie sie sich ohne Gesichtsverlust aus dem Irak zurückziehen sollen, rufen wir ihnen zu: Verlassen Sie den Irak so schnell wie möglich, denn Sie haben Ihr "Gesicht", Ihr Ansehen ja bereits verloren. Das Chaos, das Sie angerichtet haben, kann schlimmer nicht mehr werden. Lernen Sie aus der Katastrophe, beenden Sie Ihre Kriege und beginnen Sie nicht einen weiteren Krieg, nun gegen Iran!

Wir bleiben unserer vorigen Regierung dankbar dafür, dass Deutschland sich aus dem Irakkrieg heraushielt, und so soll das auch bleiben.

Wir rufen laut :Beendet die Kriege und bereitet keine neuen vor. Gebt die Milliarden Euro und Dollar nicht für das Militär und die Rüstung aus, sondern für das Wohlergehen der Menschen und für Mitmenschlichkeit, nicht für Zerstörung und Tod !



Prof. Dr. Ulrich Gottstein ist Ehrenvorstandsmitglied der IPPNW.

E-Mail: gottstein (at) vff (Punkt) uni-frankfurt (Punkt) de

Website: www.ippnw.de/index.php?/s,1,198/o,article,1033/
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