Ostermärsche und -aktionen 2007


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Ostermärsche und -aktionen 2007

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim Ostermarsch 2007 in Kiel am 7. April

Liebe Freundinnen und Freunde,

Horst Leps (in Kiel)

Über die Raketen-Abwehr-Raketen, die die USA in Polen stationieren wollen, ist in der Friedensbewegung noch nicht intensiv diskutiert worden. Ich möchte einen Beitrag dazu versuchen, wer von Euch hier anders über diese Raketen und darüber, wie wir auf sie reagieren sollen, denkt, der nehme das, was ich gleich sagen werde, als ihm freundlich zueignete Anregung.

Ich werde diese Raketen an den Maßstäben messen, die unmittelbar nach dem Ende der Systemkonfrontation galten. Am 19.-21. November 1990 tagten die 34 Staats- und Regierungschefs in Paris auf einer fast vergessenen Folge-Konferenz der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa". Dort wurden die Grundzüge der Architektur eines neuen Europas beschlossen.

Es ging der Konferenz um Schlussfolgerungen aus dem Ende der Konfrontation der Systeme:

"Wir, die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, sind in einer Zeit tiefgreifenden Wandels und historischer Erwartungen in Paris zusammengetreten. Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen. Wir erklären, daß sich unsere Beziehungen künftig auf Achtung und Zusammenarbeit gründen werden. Europa befreit sich vom Erbe der Vergangenheit. ...

Nun ist die Zeit gekommen, in der sich die jahrzehntelang gehegten Hoffnungen und Erwartungen unserer Völker erfüllen: Unerschütterliche Bekenntnis zu einer auf Menschenrechten und Grundfreiheiten beruhenden Demokratie, Wohlstand durch wirtschaftliche Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gleiche Sicherheit für alle unsere Länder."

Ein neues Europa sollte geschaffen werden: Auf der Basis von Demokratie und Wohlstand in jedem Land sollte ein Europa der Kooperation, der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Sicherheit entstehen. Kooperation, das war das Stichwort, unter dem man damals vor 16 Jahren die Politik in Europa zusammenfasste, es ging um das gemeinsame Haus Europa.

Inzwischen drängt sich wieder eine andere, eine zu überwindende alte Art von Politik in den Vordergrund. Da geht es darum, unter den anderen Staaten Gegensätze auszunutzen, sie zu vertiefen, um auf diese Weise den eigenen Vorteil zu gewinnen.

Die USA haben diese Wende zu einer auf den eigenen Vorteil bezogenen Politik vollzogen, völlig egal, was andere Staaten, die auch die Charta von Paris unterzeichnet haben, davon halten.

In Polen sollen Raketen stationiert werden, mit denen man Raketen abschießen kann. Nach Tschechien soll die dazu gehörende Radaranlage kommen. Mit diesen Raketen sollen wie mit Schrotschüssen, so hört man, solche Raketen abgeschossen werden, die vom Iran gen USA fliegen.

Das Seltsame ist, dass es solche iranischen Raketen gar nicht gibt. Und genauso seltsam, dass diese Raketensysteme der USA gar nicht funktionieren. Sie sind noch nie erfolgreich getestet worden. Zwar sollen sie gen Iran ausgerichtet werden, aber sie können jederzeit auf andere Himmelsrichtungen umprogrammiert werden. Zwar sollen es jetzt nur 10 Raketen werden, was für eine ernsthafte Bedrohung der russischen Raketenstreitkräfte nicht ausreichen wird, aber es können ja mehr werden, wenn sie denn mal funktionieren.

Man versteht diese Raketen nicht, wenn man sich nur auf eine militärische Diskussion einlässt. Sie ergeben unter diesem Aspekt keinen Sinn, jedenfalls jetzt noch nicht. Weshalb es auch Leute gibt, die den Schluss ziehen, es lohne sich nicht, sich über sie aufzuregen, vor allem sei die russische Reaktion völlig unbegründet. Es würde ja gar nichts passieren.

Vielleicht sollte man sie als den Beginn einer großen Serie ansehen, von den USA darauf angelegt, irgendwann einmal als Teil eines weltweiten Systems jedem anderen Staat der Welt seine Raketen zerschlagen zu können, also als Teil eines Planes zu einer weltweiten Erstschlagsfähigkeit.

Der unter dem Stichwort "no rivals" bekannt gewordene Leitlinien-Entwurf des Pentagon vom 18.2.1992 sagte dazu unter dem Stichwort "militärstrategische Ziele": "Unser erstes Ziel ist, dem (Wieder-)Aufstieg eines neuen Rivalen zu verhüten, sei es auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion oder sonstwo, der eine Bedrohung der Größenordnung darstellt, wie früher die Sowjetunion." Es geht dem Pentagon darum, jederzeit an jedem Ort und in jedem militärischen Bereich die Überlegenheit zu haben. Ein ebenso alter wie sinnloser Traum. Denn er setzt voraus, dass die anderen Staaten der Welt einfach so zuschauen, was sie natürlich nicht tun werden. Diese "no rivals"-Perspektive führt deshalb zu jeder Art von Wettrüsten.

Über dieses Raketen ist vor allem politisch nachzudenken. Diese Raketen werden von Russland im Sinne der Charta von Paris zutreffend als Störung der friedlichen Zusammenarbeit in Europa angesehen, sie belasten das Verhältnis Russlands zu Europa und Russlands zu den USA. Der russische Präsident Putin hat das auf der Münchener Sicherheitskonfernz unmissverständlich, in einer die westliche Politik aufstörenden Weise ganz deutlich zum Ausdruck gebracht.

Zugleich zielen diese US-Raketen auf die EU, sie teilen die EU in solche Staaten, die auf jeden Fall mit den USA zusammengehen, und solche Staaten, die ihren eigenen Interessen ein besonderes Gewicht geben. Die außenpolitsche Handlungsfähigkeit der EU soll geschwächt werden. Eine "Allianz der Willigen" wird gegen das "Alte Europa" gesetzt, wie beim Krieg gegen den Irak.

Politisch stören diese Raketen also mehrfach, und das dürfte angesichts der Weigerung der USA, über diese Raketen innerhalb der NATO zu entscheiden, auch politische Absicht sein: Unruhe stiften, die Staaten gegeneinander bringen. Sie sind auch Teil eines Machtkampfes im Westen: in der NATO, in der Europäischen Union.

So ist hier in Europa wieder eine sehr ernste Situation entstanden. Wie regiert die Bundesregierung darauf? Die Bundeskanzlerin kennt die Reaktion Russlands. Die Bundeskanzlerin will diese Raketen zu einem Thema der NATO machen und damit über sie mitentscheiden können, vielleicht, um selbst Einfluss zu gewinnen, vielleicht auch, um die Entscheidung in der NATO auf die lange Bank zu schieben, kennt sie doch den zunehmenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss Russlands in Europa, insbesondere im Punkt Energieversorgung. Aber das bleibt undeutlich.

Der Standpunkt der Friedensbewegung kann da nur der sein, der sich im Aufruf zum Kieler Ostermarsch befindet:

"Die für 2010 geplante Stationierung amerikanischer Raketen in Europa sind Teil des US-Star-War-Programms. Diese Pläne bedeuten nicht mehr Sicherheit, sondern erhöhen die Kriegsgefahr und heizen das weltweite Wettrüsten an."

Das ist völlig richtig. Hinzuzufügen ist, dass die Perspektive auf ein kooperatives Europa wieder gewonnen werden muss. Zu diesem Europa, dem der KSZE, gehören aber auch, was oft übersehen wird, die USA und Kanada.

Wir leben, mit Blick auf die heranziehende Klimakatastrophe, auf die oft negativen Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung, in einer Welt, in der die Staaten und Völker von den ökologischen und wirtschaftlichen Verhältnissen selbst zur Zusammenarbeit gezwungen sind, in der jede absichtliche Störung dieser Zusammenarbeit durch wen auch immer für jeden und damit auch für ihn selbst schädlich ist. Das ist schon längst keine Frage weltfremder und frommer Moral, das sind schon längst die Notwendigkeiten des gemeinsamen Lebens und Überlebens.

Wie lehnen diese Raketen strikt ab. Wir wollen zu einem kooperativen Europa.



E-Mail: horstleps (at) gmx (Punkt) de
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