Ostermarsch
2008


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Ostermärsche und -aktionen 2008

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede für den Ostermarsch 2008 in Braunschweig auf dem Kohlmarkt am 22. März

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

Sabine Dreßler-Kromminga (in Braunschweig)

"Es braucht überhaupt keinen Glauben, Verstand und Mut dazu, mit den Wölfen zu heulen: dass der Krieg leider eben doch zur Ordnung der Welt ... gehöre ... und dass man sich von vornherein auf den Krieg als auf den Ernstfall einzurichten habe. Es braucht aber ... Glauben, Verstand und Mut dazu ... den Völkern und Regierungen zuzurufen, dass umgekehrt der Friede der Ernstfall ist."



das ist nicht von mir, sondern das ist ein Zitat des reformierten Theologen Karl Barth und kennzeichnet den Hintergrund meiner kirchlichen Tradition, in der ich zu Ihnen als Pastorin heute spreche.

Mit Blick auf den Krieg in Afghanistan frage ich deshalb:

Wie ernst ist es uns also mit dem Frieden und was sind dann die richtigen Entscheidungen, die zum Frieden führen?

Ich kann Ihnen zwar keine schnellen Lösungsmodelle aufzeigen - ich möchte Ihnen aber meine Wahrnehmungen und Einschätzungen mitteilen:

Man kann in unserer komplizierten, globalisierten und kriegserschütterten gegenwärtigen Welt wohl darüber streiten, was richtig und was falsch ist - nicht bestreiten lässt sich jedoch die Tatsache, dass der Krieg in Afghanistan immer mehr menschliche Opfer fordert, die afghanische Zivilbevölkerung und die Soldaten inbegriffen; ganz abgesehen davon, wie zerstört das Land, seine Städte und Dörfer, seine Kultur, seine Infrastruktur insgesamt ist, und das nun schon seit Jahrzehnten.

Nicht bestreiten lässt sich auch, dass der inzwischen mehr als 6 Jahre andauernde Krieg nicht dazu geführt hat, den weltweiten Terrorismus einzudämmen, das Gegenteil ist eher der Fall.

Zu bestreiten ist dagegen, dass die Militarisierung der Außenpolitik überhaupt irgendwo zu mehr oder dauerhaftem Frieden geführt habe.

Zu bestreiten ist die Aussage, dass die Sicherheit Deutschlands auch am Hindukusch zu verteidigen sei; ich halte sie aus verschiedenen Gründen für falsch und absurd - und wenn damit jemals die Überzeugung verbunden war, dass es um unsere Sicherheit vor möglichen Terroranschlägen in Deutschland geht, dann hat sich auch das mittlerweile als falsch herausgestellt.

Zu bestreiten ist, dass tatsächlich eine Befreiung der Frauen in Afghanistan stattgefunden hat; erinnern wir uns daran, welche Rolle dieses Thema zu Beginn des Krieges gespielt hat; und welche Solidarität von Politikern es plötzlich mit den unterdrückten Frauen gab. Was ist daraus geworden? Was hat sich für Mädchen und Frauen grundlegend verbessert? Die Selbstmordrate unter Frauen in Afghanistan ist erschreckend hoch. Wo und von wem werden Frauen tatsächlich einbezogen in die Frage ihrer Befreiung? Es genügt nicht, die Burka ablegen zu dürfen, als wäre damit alles erreicht. Frauen und Mädchen, brauchen, so wie Männer und Jungen, Chancen auf ein Leben in Würde, in Sicherheit, mit einer Aussicht auf Zukunft. Die wird es nicht geben, wenn die Taliban wieder stark werden; aber ich wage die Prognose, dass dies auch nicht durch fortwährende Kriegshandlungen erreicht wird.

Was wir heute sehen, ist, dass der Wiederaufbau Afghanistans, zu dem Deutschland Soldaten entsandt hatte, nicht erfolgreich ist; vielmehr müssen wir erkennen, dass das Land, je länger dieser Krieg sich hinzieht, desto mehr im Chaos zu versinken droht:

die Regierung erweist sich als machtlos - wobei ohnehin zu fragen ist, welche Regierungsform dem Vielvölkerstaat Afghanistan angemessener und zukunftsfördernder wäre - hingegen gewinnen diejenigen Gruppen, die keinerlei Interesse an der Stabilisierung des Landes haben, ständig an Einfluss. Warlords und Drogenbarone verschaffen sich mehr und mehr Macht, die Taliban sind längst zurück.

Die Situation ist vollkommen verfahren - dieser Krieg kann nicht mit militärischen Mitteln gewonnnen werden. Wir sehen das auch an den Reaktionen der Bevölkerung: in der täglichen Wahrnehmung verschwimmen die Grenzen zwischen Besatzern und zivilen Aufbauhelfern, was - je länger desto mehr - zu noch mehr Opfern führen wird - auf beiden Seiten.

Wir kennen das aus anderen Kriegen: ab einem bestimmen Punkt verselbständigt sich die Spirale der Gewalt und niemand kann dann noch den Zeitpunkt des Endes bestimmen und die Folgen absehen.

Man hat dann zwei Möglichkeiten:

entweder, weil man ja einmal angefangen hat, einfach weiterzumachen, die Kriegsführung zu intensivieren - wie es jetzt geschieht - oder sich irgendwann erfolglos zu verabschieden und nur noch Chaos zurückzulassen.

Oder man entscheidet sich für einen ganz anderen Weg, und vielleicht ist es im Blick auf Afghanistan noch nicht zu spät, sich einzugestehen: die bisherige Politik, und damit auch die Bündnispolitik der Bundesregierung und die Ausweitung der Mandate für die Bundeswehr, wie jetzt mit der sog. Schnellen Eingreiftruppe, sind nicht das probate Mittel, solche Konflikte zu lösen, geschweige denn, Frieden zu schaffen.

Frieden ist nur - und wenn das auch noch so schwer ist - durch zivile Maßnahmen, durch Verhandlungen und nochmals Verhandlungen - auch mit unliebsamen Gesprächspartnern - zu erreichen - und nicht zuletzt durch ein politisches Handeln, das auf die Demütigung des Gegenübers verzichtet. Weil der Friede, nicht der Krieg, der Ernstfall ist!

Die Bundesregierung braucht und sollte sich dabei - nach meiner Wahrnehmung - nicht unter Druck setzen zu lassen von ihrem großen Bruder USA, dem sie zu Beginn des Krieges mit den Worten Gerhard Schröders "uneingeschränkte Solidarität" zugesichert hat. Deutschland verliert nicht sein Gesicht, wenn es sich jetzt innerhalb der NATO für einen anderen Weg stark machen würde, im Gegenteil:

Die Bundesregierung würde Stärke beweisen, wenn sie jetzt, angesichts der eskalierenden Situation, mit der Stimme der Vernunft und der klaren Analyse spräche und darauf drängen würde, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen.

Noch einmal: ich habe keine schnell greifenden Konzepte anzubieten.

Ich bin aber der Meinung,

- dass es richtig und geboten ist, die Waffenzufuhr für die destabilisierenden Kräfte in Afghanistan zu stoppen, d.h. überhaupt die weltweiten Waffengeschäfte und die Rüstungsindustrie zu kontrollieren;

- dass es richtig und geboten ist, das überaus einträgliche Drogengeschäft - Afghanistan ist der weltweit größte Opiumlieferant - auszuhebeln: d.h. den Kleinbauern wirkliche Alternativen als Einkommensquelle anzubieten und dort Aufbau- und Entwicklungshilfe zu leisten, wo bisher die Taliban und Drogenbosse am meisten abkassieren, um ihren Krieg zu finanzieren;

- dass es richtig und geboten ist, in Maßnahmen für zivile Konfliktlösungen in Afghanistan wirklich zu investieren - der Etat für Kriegsführung ist um ein Vielfaches höher als der für zivile Maßnahmen - und dann Möglichkeiten zu schaffen, die Konfliktparteien und die verschiedenen Gruppen Afghanistans zu Verhandlungen zu bringen.

Das erfordert allerdings den Wechsel des Denkens: nämlich den Frieden für den Ernstfall zu halten und alle Anstrengung darauf zu konzentrieren und nicht auf den Krieg.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.



Sabine Dreßler-Kromminga ist Pastorin der Evangelisch-reformierten Gemeinde in Braunschweig.

E-Mail: dressler-kromminga (at) gmx (Punkt) de
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