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Ostermarsch
2008


vom:
18.03.2008


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Rede zum Ostermarsch am 24. März 2008 auf dem Breitscheidplatz in Berlin

Dem Frieden ein Chance geben!
An- und Einsichten aus den Erfahrungen in Deutschland und Afghanistan


Christiane Ernst-Zettl (in Berlin)



- Es gilt das gesprochene Wort! -

- Sperrfrist: 24.03.08, Redebeginn: ca 14 Uhr -



Sehr geehrte Versammelte, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Zuerst einmal bedanke mich recht herzlich, dass ich die Gelegenheit erhalten habe - heute, hier vor Ihnen - reden zu dürfen. Sicherlich wird sich der ein oder andere unter Ihnen fragen, was eine Soldatin bei einem Ostermarsch
für den Frieden beizutragen hat. Sind doch Soldaten naturgemäß eigentlich Handwerker des Krieges. Und sicherlich mag sich manch einer unter Ihnen auch fragen ob denn eine Soldatin, die (üblicherweise) eine Staatsbürgerin in Uniform ist, überhaupt so einfach in der Öffentlichkeit reden darf? Ja, das darf sie, wenn sie es als Staatsbürgerin ohne Uniform tut und deutlich macht, dass sie nichts weiter als ihre eigene, ganz persönliche Auffassung vertritt - was ich hiermit tue.

Ich bin Teil unserer Gesellschaft und als solcher verstehe ich mich neben meinem beruflichen auch in meinem persönlichen Tun und Handeln, besonders wenn es um die Bewahrung des Friedens geht. Dazu sind wir alle, allein schon vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte mit Recht und Gesetz verpflichtet. Und wir sind es den Opfern des 2. Weltkrieges, der Kriegs- und Nachkriegsgeneration und nicht zu letzt der Zukunft unserer Kinder schuldig. Auch deshalb gehöre ich dem Darmstädter Signal an, einem Arbeitskreis kritischer Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr deren Hauptanliegen friedliche Lösungen statt militärische Gewalt ist. Wir haben eine Chance ohne militärische Gewalt friedliche Lösungen herbeizuführen. Wenn wir dem Frieden eine Chance geben!

Nirgendwo bringt Krieg eine Lösung, weder in Darfour, Afghanistan, Irak noch Palästina. Angesichts des sogenannten "Krieges gegen den Terror" oder "Globalisierungskrieges" mache ich mir Sorgen um den Frieden. Denn diesem weltweitem Globalisierungskrieg sind Tausende unschuldige Zivilisten, Männer, Frauen, Kinder und Alte zum Opfer gefallen. Und Tausende Menschen leiden unter den Kriegsfolgen, auch heute am 24. März 2008. In Afghanistan scheitert die friedliche Entwicklung des Landes am Militäreinsatz der USA sowie der NATO-Staaten. Und leider ist die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Streitkräften beteiligt. Wir sind nicht mehr neutral sondern bereits Angriffsziel und eben auch Konfliktpartei.

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Ostermarsch
2008
Lassen Sie mich deshalb kurz zurück schauen um uns zu vergegenwärtigen, welche Entwicklung Deutschland als Bündnispartner mit seinen Streitkräften genommen hat. Sie können sich sicher noch erinnern, als Ende des Jahres 2006 der Bundespräsident erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auch der in Auslandseinsätzen "getöteten Soldaten" der Bundeswehr gedacht hat. Dies hat nicht zuletzt auch ernsthaftes Nachdenken über den Sinn der Auslandeinsätze angestoßen. Die große Mehrheit der Deutschen ist - und dass nicht von ungefähr - gegen Krieg. Diese Mehrheit will, dass sich Deutschland an keinem Krieg beteiligt.

Anfang des Jahres 2007 sind durch das Wochenmagazin "Stern" erstmals "unsere versteckten Toten" plötzlich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen. Der Deutsche Bundeswehrverband hat schließlich für die Soldaten und deren Angehörigen - richtigerweise auch deren Hinterbliebenen - Mut bewiesen, in dem er von "gefallenen Soldaten" sprach, was unsere gewählten Volksvertreter bis heute in der Öffentlichkeit tunlichst vermeiden. Gefallene Soldaten gibt es bekanntlich nur im Krieg. Nun stellt sich die Frage, in welchem Krieg Bundeswehrsoldaten fallen? Nun, in dem 1999 völkerrechtlich umstrittenen Ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr nach Ende des Zweiten Weltkrieges auf das ehemalige Jugoslawien, in dem es 10.000 Todesopfer auf beiden Seiten gab, hat die damalige Bundesregierung offiziell nie Verluste auf Seiten der Bundeswehr bekannt gegeben. Insofern bleiben vordergründig die Afghanistaneinsätze. Bekannt als ISAF und OEF. Beide Einsätze laufen unter Führung der NATO. Eine klare Trennung der Mandate ist schon lange nicht mehr erkennbar. Lassen sie mich an dieser Stelle auf den ISAF Einsatz eingehen, da ich an diesem Einsatz im Jahr 2005 als Sanitätsfeldwebel teilgenommen habe. Die ISAF Bundeswehrsoldaten werden in Afghanistan (beginnend im Jahr 2001) unter "kriegsähnlichen Einsatzbedingungen" eingesetzt und entsprechend alimentiert. Sie dürfen ihren Auftrag auch unter Anwendung militärischer Gewalt durchsetzen, was hier in Deutschland verboten ist, da wir (noch) im Frieden leben. Dabei entstehen, wie der Verteidigungsminister einräumte "Kollateralschäden", also Tote und Verletzte die militärische Angriffe begleiten und dort werden auch "Gefechte" ausgetragen. Die ISAF als internationales Bündnis verzeichnet mittlerweile selbst Hunderte toter Soldaten. Darunter auch Bundeswehrsoldaten. Dass ist das Gesicht des Krieges. Heute nennen wir solche Szenarien nicht mehr Krieg sondern "Friedens- und Stabilisierungseinsätze". Dass klingt scheinbar harmlos. Doch ich kann mich noch genau erinnern als im Jahr 2003 die ersten Bundeswehrsoldaten der ISAF, Opfer der bewaffneten Konflikte in Afghanistan wurden. In den Köpfen ist bis heute das Wort "Busunglück" hängen geblieben. Dass wird dem Szenario in kleinster Weise gerecht. Denn ein Unglück ist sicher nicht die von "irregulären" oder "paramilitärischen Kräften" [im militärischen Sprachgebrauch feindlichen Kräfte] geplante Tötung und Bekämpfung von Menschen bzw. Soldaten.

Bereits im Jahr 2004 wurde der Begriff "Gefallene" wieder offiziell in den Sprachgebrauch der Bundeswehr aufgenommen und zivile Pressevertreter haben sogar die Möglichkeit bei der Bundeswehr sich für ihren Einsatz in den "Krisen- und Kriegsgebieten" vorbereiten zu lassen.

Dass was naturgemäß Kriege mit sich bringen, sind neben Verletzten, Verwundeten, Getöteten und Gefallenen auch seelischen Verwundungen. Seelische Verwundungen können jeden treffen, Zivilisten, Männer, Frauen, Kinder und Soldaten Und auch in Afghanistan ist man davor nicht gefeilt. "Vietnam-Syndrom" "Golfkriegssyndrom" oder in Deutschland einst als "Kriegszittern" bekannt. Die Rede ist von Posttraumatischen Belastungsstörungen, unter denen auch Bundeswehrsoldaten zu leiden haben, auch bis hin zu "Dienstunfähigkeit". Man kann sagen, dass Gesicht des Krieges in die Seele gebrannt.

Und wie es in Kriegen natürlich ist, werden auch in Afghanistan Gefangene (mutmaßliche Terroristen oder Terrorverdächtigte) gemacht, die wir heute als "in Gewahrsam genommene Personen" bezeichnen, um sie dann - in aller Regel - in das Gefangenenlager nach Guantánamo verbringen zu lassen, wo ihnen ihre Rechte als Kriegsgefangene verwehrt bleiben. Stattdessen werden sie als so genannte ungesetzliche Kombattanten, sinngemäß ungesetzlicher Kämpfer in besonderen Lagern des Stützpunkts interniert, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen verbleiben oder auch sterben. Allein die Einstufung als ungesetzliche Kombattanten ist mit dem Völkerrecht und Menschenrechten nicht vereinbar. Und leider muss man an dieser Stelle offen legen, dass Deutschland als Bündnispartner mit seinen Streitkräften nicht unbeteiligt ist.

Allein die Auffassung des Bundesministerium der Verteidigung, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr wegen ihres Charakters als "Friedens- und Stabilisierungseinsätze" von den Regeln des Genfer Konventionen befreit seien und deshalb das Sanitätspersonal der Bundeswehr allgemeinen Waffendienst mit dem Auftrag der "Feindbekämpfung" befohlen wird, zeigt die fatale Entwicklung. Denn gerade bei Auslandeinsätzen, in asymmetrischen Konflikten und in Situationen, wo es ohnehin schwierig ist, völkerrechtliche Prinzipien zur Geltung zu bringen, sollte der Nichtkombattantenstatus von Sanitätspersonal uneingeschränkt deutlich gemacht werden. Auch die Verwendung der Schutzzeichen "Rot-Kreuz" nach belieben des jeweiligen Vorgesetzten, so wie das in Afghanistan betrieben wird, höhlt die Regelungen der Genfer Konventionen aus.

In der Öffentlichkeit wird der Afghanistaneinsatz ISAF von den politischen Verantwortlichen jedoch in einen "humanitären Hilfseinsatz" der Bundeswehr bis hin zu einer Entwicklungshilfe in einem befriedeten Afghanistan verklärt. Und der OEF-Einsatz wird als zwingende Bündnisverpflichtung für den Krieg beworben. In Afghanistan verteidigen wir unsere Freiheit und Sicherheit, damit wir hier in Deutschland friedlich in unserem Wohlstand weiter leben können? Sie merken bereits wie weit wir uns vom Frieden entfernen und auch an meinem Vokabular. Auf der Verpackung [Krieg] mag heute ein anderes Etikett kleben, aber der Inhalt der gleiche bleibt.

Und auch deshalb bemühen sich die kritischen Offiziere und Unteroffiziere des Darmstädter Signals (zudem ich auch gehöre) für friedliche Lösungen. Wir haben die Situation in Afghanistan auch mit Fachleuten staatlicher und ziviler Organisationen intensiv diskutiert. Dabei wurde in erschreckendem Maße bestätigt, dass sich durch das militärische Eingreifen ausländischer Truppen die Sicherheit für die afghanische Bevölkerung wie für die Soldaten zunehmend verschlechtert, die Politiker durch falsche Zielsetzungen, durch Anpassung und Verharmlosung der tatsächlichen Lage im Land und Hinnahme von Korruption versagt haben. Projekte staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen zum Wiederaufbau unzureichend koordiniert und häufig über die Köpfe der Bevölkerung hinweg begonnen werden - und wieder aufgegeben werden müssen. Der Frieden und der Wiederaufbau der Zivilgesellschaft sind mit den bisherigen Mitteln nicht zu erreichen - ein Strategiewechsel in Afghanistan ist nötig!

Deshalb fordern wir; der auch mit Unterstützung deutscher Tornados geführte Luftkrieg, der besonders die Zivilbevölkerung trifft muss sofort eingestellt werden. Der sogenannte Anti-Terror-Kampf (OEF) ist rechtswidrig. Er entzieht sich öffentlicher Kontrolle; die derzeitige Praxis in Bagram und Guatanamo ist zu beenden. Jeglicher militärische Einsatz in Afghanistan muss von den Vereinten Nationen legitimiert und geführt werden. Die derzeitige Vermischung von Aufgaben der Zivilregierung und ausländischer Organisationen fördert Korruption, Kriminalität und Gruppenkonflikte. Die Hilfe muss endlich bei der Bevölkerung Afghanistans ankommen. Die bisherige Praxis der internationalen Hilfe bevorzugt den Einsatz ausländischer Experten. Diese Aufgaben sind der afghanischen Zivilgesellschaft zu übertragen!

Die Einsätze ausländischer Truppen sind kontraproduktiv. Die Bundesregierung muss stattdessen vorhandene "Exit-Strategien" aufgreifen und umsetzen und gleichzeitig die Finanzmittel für den zivilen Aufbau massiv erhöhen. Wir fordern die Bundesregierung und den Bundestag auf, für die Umsetzung eines militärischen Rückzugs- und zivil ausgerichteten Friedensplans die Einsetzung eines unabhängigen, Afghanistan-kompetenten Sonderbeauftragten zu beschließen. Die Verteufelung islamisch-traditioneller Strukturen muss aufhören. Mit allen Gruppierungen - unabhängig von ihrer politischen Position - ist ein vorbehaltloser Dialog zu führen! Und es ist ausschließlich Sache des afghanischen Volkes, zu bestimmen, welche politische Ordnung es sich gibt. Menschenrechte, rechtsstaatliche Verwaltung und eine demokratische Mitwirkung sind unverzichtbar, müssen aber an die lokalen Traditionen anknüpfen.

Es ist an der Zeit etwas von meinen Erfahrungen zurückzugeben und wenn es nur ein wenig Solidarität und die Gewissheit ist, dass dieser Krieg nicht mein Krieg ist.


Christiane Ernst-Zettl ist Hauptfeldwebel der Bundeswehr und Vorstandsmitglied Darmstädter Signal. Vita iehe hier

E-Mail:   ChristianeErnst@Darmstaedter-Signal.de
Internet: http://www.Darmstaedter-Signal.de
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