Ostermarsch
2008


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Ostermärsche und -aktionen 2008

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Begrüßungsansprache zur Gedenkstunde in der Bittermark, Karfreitag 2008

Sehr geehrte Frau Marschefski,
sehr geehrter Herr Forest,
liebe Gäste aus dem In- und Ausland,
meine Damen und Herren,

Gerhard Langemeyer (in Dortmund)

- Es gilt das gesprochene Wort! -

- Sperrfrist: 21.03.08, Redebeginn, ca. 15 Uhr -

mehr als 60 Jahre trennen uns mittlerweile von den schrecklichen Ereignissen im April 1945 in der Bittermark - eine lange Zeit. Gleichwohl haben wir nie eine gedankliche oder emotionale Distanz zu den Karfreitagmorden am Ende der NS-Zeit in unserer Stadt entstehen lassen.

Wir halten das Gedenken und die Erinnerung an diese Gräueltaten wach. Alljährlich erinnern wir hier am Mahnmal in der Bittermark an dieses Verbrechen. Unmenschlichkeit und Mord dürfen nicht in Vergessenheit geraten.

Ich danke allen, die heute an dieser Gedenkstunde teilnehmen. Uns vereint der Wunsch, die Erinnerung wach zu halten und dafür Sorge zu tragen, dass solche Verbrechen niemals wieder geschehen können.

Bei vielen, die heute unter uns sind, kommen persönliche Gefühle hinzu. Sie trauern um Familienangehörige, Freunde und Kameraden, deren Schreckenszeit der Zwangsarbeit im Martyrium der Bittermark-Morde endete.

Diesen Menschen, die vielfach im Laufe der Jahrzehnte zu Freunden unserer Stadt wurden, gilt mein Gruß.

Ich begrüße Herrn Jean-Louis Forest, Ehrenpräsident des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten, und die Mitglieder seines Verbandes, die zu uns nach Dortmund gekommen sind.

Lieber Herr Forest,

ich freue mich sehr, dass Sie sich noch einmal der Mühe unterzogen haben, unsere Stadt zu besuchen. Der Anlass ist historisch. Vor 50 Jahren, nämlich 1958, erfolgte die feierliche Einweihung der Krypta " die Herzstück des Mahnmals in der Bittermark ist. Die Krypta ist zentrale Gedenkstätte für die französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten. Sie, lieber Herr Forest, waren von Anfang an mit dabei und haben die Geschichte des Mahnmals und der jährlichen Gedenkstunden hier in der Bittermark persönlich mitgestaltet und geprägt.

Ich begrüße Frau Gisa Marschefski, die Generalsekretärin des Internationalen Rombergpark-Komitees sowie die Vertreterinnen und Vertreter ihres Verbandes.

Dank und Willkommen sage ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Belgien, Polen, den baltischen Staaten - und auch denjenigen aus unserer Stadt und unserem Land, die als Angehörige der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten und des Sachsenhausen-Komitees an dieser Stunde teilnehmen, um mit uns der Ermordeten der Bittermark zu gedenken.

Es erfüllt mich mit Genugtuung und Freude, dass wieder einmal eine große Zahl von Dortmunderinnen und Dortmundern hier in der Bittermark versammelt ist. Wir alle bringen so gemeinsam unseren Respekt vor den Toten zum Ausdruck. Die Morde in der Bittermark haben auch nach mehr als 60 Jahren nichts an Aktualität und Gegenwartsbezug eingebüßt.

Meine Damen und Herren,

Gewalt, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Hass existieren auch heute noch - oft in neuem Gewand, in anderer Ausprägung - doch mit den gleichen menschenfeindlichen Grundgedanken.

Deshalb freue ich mich besonders, dass zu der heutigen Feierstunde auch Schülerinnen und Schüler der Europaschule Dortmund ihren Beitrag leisten. Paula Cara D`Agnese, Friederike Bade, Bianca Meier, Sebastian Pape und Tim Röper sage ich ein herzliches Willkommen.

In Dortmund ist es zum Glück selbstverständlich, dass sich Jugendliche, Jugendverbände und Schulen kritisch mit unserer Geschichte auseinandersetzen. Und in diesem Zusammenhang möchte ich betonen: Ich bin stolz auf die jungen Menschen in Dortmund; ich bin stolz auf die Arbeit, die in den Dortmunder Jugendorganisationen und Schulen geleistet wird. Sie treten ein für Vielfalt, Toleranz und Demokratie.

Es freut mich sehr, dass wir vor einigen Tagen 40 Dortmunder Schulen auszeichnen konnten, die sich an dem Projekt Stolpersteine beteiligen. Die Stolpersteine, eine Initiative des Künstlers Gunter Demnig, erinnern an Opfer der NS-Diktatur. Sie sind wie kleine Mahnmale vor dem jeweils letzten Wohnsitz dieser Opfer. 111 solcher Stolpersteine wurden bereits in Dortmund verlegt - 40 davon mit Unterstützung unserer Schulen.

Ich bin stolz auf die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer des Hombrucher Schulzentrums. Als dort vor wenigen Wochen Neonazis ihre Hetzschriften verbreiten wollten, ergriffen sie die Initiative, zeigten Zivilcourage und verhinderten die Aktion der Rechtsradikalen. Dabei wurde auch deutlich: Rechtsradikale werden in ihren Aktionen, sowohl im Auftreten als auch in der Kleidung, immer subtiler, um ihre menschenverachtende Ideologie bei Kindern und Jugendlichen zu verbreiten. Umso wichtiger ist es, sofort zu reagieren, wie in Hombruch geschehen.

Vor wenigen Wochen habe ich den "Zug der Erinnerung", der auch einige Tage in Dortmund Station machte, besucht. In diesem Zug wird die Deportation der Kinder aus Deutschland und Europa in die Vernichtungslager der Nazis dokumentiert. Nur wenige von ihnen überlebten. Auch aus Dortmund wurden mehr als 100 jüdische Kinder in die Todeslager geschickt. Bei diesem Besuch bin ich mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch gekommen, die das Leben dieser Kinder in Dortmund erforscht haben. Die Ergebnisse dieser Arbeit waren beeindruckend und bedrückend zugleich.

Bei diesem Gedankenaustausch mit den Schülerinnen und Schülern wurde klar: Erinnerungsarbeit ist wichtig. Es ist ein Unterschied, abstrakt über die Nazizeit in einem Geschichtsbuch zu lesen oder konkret das Schicksal eines Menschen - in diesem Fall waren es ja gleichaltrige Kinder und Jugendliche, die deportiert wurden - nachzuempfinden. Dieses einzelne Schicksal verdeutlicht oft viel nachhaltiger die Unmenschlichkeit des Regimes, als es abstrakte Zahlen können.

Erinnerungsarbeit schafft "neue Zeitzeugen". Diejenigen, welche die Schrecken des Nationalsozialismus selbst erleiden mussten, werden immer weniger. Die Erinnerung und vor allem das persönliche Erleben, dürfen jedoch nicht verblassen. Mahnung und Erinnerung müssen weiter leben. Dazu können Projekte, wie der Zug der Erinnerung oder die Stolpersteine, einen wichtigen Beitrag leisten.

Meine Damen und Herren,

die grausamen Ereignisse in der Bittermark haben die Dortmunder Nachkriegsgeschichte entscheidend mitgeprägt. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt haben sich stets für Frieden, Völkerverständigung und Demokratie eingesetzt. Dies gilt für die Geschichte der Gedenkstunde am Mahnmal Bittermark ebenso wie für den Nelly Sachs Preis, unser Engagement in den Städtepartnerschaften oder die Einrichtung der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache. Und nicht ohne Grund steht das Dortmunder Rathaus am Friedensplatz, wo die Friedenssäule in vielen Sprachen zu Frieden und Völkerverständigung mahnt.

Unser Engagement ist nicht nur auf die Vergangenheit bezogen. Das Eintreten für Vielfalt, Demokratie und Toleranz gehört heute zu unserem Selbstverständnis. Dortmund versteht sich als weltoffene Stadt, in der Fremde Freunde sind und wo Rassismus, Intoleranz und neonazistisches Gedankengut keinen Platz haben. Unser städtisches Lebensgefühl ist von Neugierde, Gastfreundschaft, Herzlichkeit, Offenheit und der Vielfalt der Lebensformen geprägt.

Der Rat der Stadt Dortmund hat am 13.12.2007 einen Aktionsplan für Vielfalt, Toleranz und Demokratie beschlossen. Mit Hartmut AndersHoepgen, dem langjährigen Superintendenten der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund, konnte eine herausragende Persönlichkeit als Sonderbeauftragter gewonnen werden, der den Aktionsplan engagiert und umsichtig mit Leben erfüllen wird.

Wir werden es nicht zulassen, dass unsere Werte untergraben werden. Wir werden unserer demokratischen Grundeinstellung in Dortmund stets Geltung verschaffen. Vielfalt ist etwas Schönes, das unser Leben bereichert. Toleranz, die Achtung des Anderen, der Respekt vor anderen Menschen, Weltanschauungen und Religionen ist eine Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft.

Die Vergangenheit nie vergessen, daraus lernen und eine demokratische Gegenwart gestalten - Ich glaube so können wir das Vermächtnis der Ermordeten der Bittermark bewahren - heute und in der Zukunft.



Gerhard Langemeyer ist Oberbürgermeister der Stadt Dortmund. Vita siehe hier

E-Mail: mgacek (at) stadtdo (Punkt) de

Website: wwww.dortmund.de
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