Ostermarsch
2008


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Ostermärsche und -aktionen 2008

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Rede beim Ostermarsch 2008 in Kiel, 22. März 2008

Liebe Freundinnen und Freunde,

Volker Bethge (in Kiel)



- Es gilt das gesprochen Wort! -



Deutschland ist im Krieg; unter Missachtung des Völkerrechts, unter Missachtung der Menschenrechte. In Afghanistan, im Irak, - nicht nur, sondern durch die exorbitanten Ausfuhren an Kriegswaffen in allen Krisengebieten der Welt; mit Landminen und Streubomben führt unser Land Krieg gegen die betroffenen Bevölkerungen.

Für den Herbst ist die Ausweitung des Kriegs-Einsatzes in Afghanistan vorgesehen. Ein trauriges Fazit zu Ostern?

Können wir noch sagen, was wir vor langer Zeit so sagten: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin?

Der Propaganda, dass dort in Afghanistan und anderswo Demokratie und Freiheit verteidigt würden, sind wir alle ausgesetzt, besonders aber auch deutsche Soldatinnen werden auf den Schachbrettern der Kriegstreiber und Kriegsgewinnler verschoben. Warum lassen sie das eigentlich zu?

Nicht alle tun das. Ich will heute einen Namen nennen - den der Sanitätssoldatin Christiane Ernst-Zettl, die zu völkerrechtswidrigem Dienst an der Waffe befohlen wurde und wegen ihrer Weigerung vor deutschen Militär- und Zivilgerichtsbarkeit kein Recht fand.

Die da nun zusätzlich in den Krieg geschickt werden sollen, sind keine anonyme Masse; es sind Frauen und Männer, mit Familien, mit Kindern, mit Angehörigen. Sie sind unsere Nachbarn. Es sind auch Menschen mit eigenen politischen Einsichten, mit eigenen Gewissen.

Es ist richtig, wenn betont wird, dass sie an einer Stelle stellvertretend für die Bevölkerung hohe Verantwortung tragen.

So liegt es nahe, sie zu bitten, diese Verantwortung wirklich zu tragen: keine, keiner von ihnen muss sich in den Krieg in Afghanistan abkommandieren lassen. Die Bevölkerung in Deutschland steht vor allen Dingen dann zu ihren Soldaten, wenn sie den Dienst in Afghanistan und Auslandseinsätze generell verweigern.

Wir müssten mehr mit ihnen reden! Warum überlassen wir sie der Propaganda der Kriegsparteien? Sie brauchen unsere Solidarität.

Die Kultur der individuellen Verantwortung und des einzelnen Gewissens hat unter dem Druck allgemeiner Verunsicherung und Unübersichtlichkeit in den politischen Dingen schwer gelitten. Wir sollten versuchen, sie neu zu stärken.

Liebe FreundInnen aus der Friedensbewegung -

Das ist die eine Baustelle, auf der wir auch in Zukunft gebraucht werden.

Seit 50 Jahren gibt es den Ostermarsch - einige von uns sind schon lange dabei. Die Schwerpunkte haben sich verändert, aber unterm Strich dürfen sie immer noch gelten als ein Indiz für eine politische Kultur, die den machtvollen Trends zur Militarisierung der Politik nach innen und außen widerspricht.

Waren wir erfolgreich?

Ich nenne eine zweite Baustelle, die im Widerspruch steht zu allen Friedensschalmeien der veröffentlichten Politik aus Berlin.

2006 so die letzten Zahlen wurden aus der Bundesrepublik Kriegswaffen im Wert von 7,7 Milliarden Euro ausgeführt. Häufig über NATO-Länder und damit unter Umgehung der nationalen Exportrestriktionen. Die deutschen Waffenhersteller profitieren von dem wachsenden Markt an Kriegswaffen - und von der mangelnden politischen Kontrolle, bzw. von der bewussten Nicht-Kontrolle.

Ich nenne eine dritte Baustelle: von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, bzw. unwidersprochen hat sich die Bundeswehr flächendeckend - vom Bund über die Länder bis in die Kreise hinein - in den zivilen Strukturen der Katastrophen- und Nothilfe eingenistet, und betreibt über diesen Umweg ihren Einsatz im Inland. Das geschieht national über die Zivil-militärische Zusammenarbeit (kurz ZMZ) und im Rahmen der NATO über entsprechende Planungen, die es seit Jahren gibt. (CIMIC)

Die freundlichen Bilder der Soldaten auf den Deichen sind die Nebelkerzen hinter denen die militärischen Strukturen immer stärker in die Zivilgesellschaft hineinwirken, und so dem Einsatz der Bundeswehr im Innern - wie selbstverständlich - Vorschub leisten.

Waren wir also erfolgreich? Im Einsatz für eine zivile deutsche Politik nach innen und außen?

Die Antwort bleibt ambivalent!

Die Friedensbewegung war in all den Jahrzehnten Teil einer Kraft aus der Mitte unserer Bevölkerung, die sich immer neu dem Machtwahn und der Kriegstreiberei der Partei- und Wirtschaftseliten in diesem Land entgegen stemmte - manchmal bewusster, manchmal weniger politisch reflektiert, aber doch politisch wirksam.

Deshalb müssen sie ja lügen, tricksen, betrügen, um der deutschen Bevölkerung halbwegs zu verkaufen, dass deutsche Soldaten überall in der Welt den Frieden sichern. Der Gegenbeweis wird jeden Tag in den Nachrichten geliefert.

Sie reden von "Neuordnung" und "Verantwortung" - mit verbrauchten und entleerten

Propaganda-Begriffen: Das Friedens-Diktat der Großmächte, zu denen sich Deutschland gerne zählen möchte, bringt im Nahen Osten nicht - und anderswo auch nicht - Frieden hervor, sondern Angst unter den Zivilbevölkerungen, Leid und Tod und verhindert auch nichts an lokalen Entwicklungen - auch unwürdigen sozialen Bedingungen - für die die Länder selbst verantwortlich wären.

Es gibt in der deutschen Bevölkerung ein aus der historischen Erfahrung gespeistes Misstrauen gegen den Einsatz deutscher Soldaten und Waffen außerhalb unserer Grenzen.

Es gibt ein Wissen gegen die Kriegstreiber und Beutemacher,

dass die Militarisierung der Politik immer auf Kosten der friedlichen, gut nachbarschaftlichen, sozial und ökologisch gerechten Entwicklung der Völker geht - draußen und hier bei uns auch.

Wir wissen, Zukunft ist so nicht zu gewinnen - nicht für die betroffenen Länder, nicht für uns selbst im Innern.

Und deshalb gibt es eine vierte Baustelle - auch für die Wahrnehmung der Friedensbewegung:

Wir wollen und sollten an der Seite derer sein, die in diesen Wochen den Streik auf die Straßen tragen.

Es steht den vielen zu, dass sie in diesem reichen Land und in voller Teilhabe an den kulturellen Standards ein materiell gesichertes Leben mit ihren Familien, vor allem ihren Kindern leben können, ohne Scham und Verstecken-Müssen.

Unterm Strich:

Wir wollen die Erfahrungen nicht vergessen - aus den Niederlagen in zwei Weltkriegen, aus dem Faschismus, und auch aus den Spaltungen und Feindschaften des Kalten Krieges, dem Antikommunismus, den Berufsverboten, den Sicherheitsgesetzen der 60iger Jahre.

Wir müssen anderen Nationen darin nicht gleichen -

in der Fantasielosigkeit der militärischen Option,

der ökonomischen Unvernunft der Waffenexporte,

der Konterkarierung aller Entwicklungsbemühungen,

der Vernichtung menschlicher Wertschöpfung,

der Aushöhlung der Freiheitsrechte auf dem Altar der nationalen Sicherheit - ein Programm aller Diktaturen.

Wir sollten uns diesen Sonderweg leisten - und dann ist das kein Schimpfwort.

Es gibt keine Alternative zu einem unendlich geduldigen Prozess des Brückenbauens zwischen den Kulturen und zwischen Habenichtsen und Reichen - gestützt immer wieder durch einseitige vertrauensbildende Maßnahmen - gerade der ökonomisch und politisch Stärkeren, - ohne Beschämung der Schwächeren.

Ich nenne deshalb eine letzte Baustelle für uns als Friedensbewegung - und zwar diesmal nach innen:

Wie zufrieden sind wir mit der richtigen, aber möglicherweise nicht zureichenden Parole: Bundeswehr raus aus Afghanistan?

Haben wir ein Mandat, den Mut, die Kraft für das Nachdenken über eine Exit-Strategie zu einem Krieg, den wir nicht gewollt haben und den wir verurteilen?

Können wir die Anstrengung der Orientierung auf zivile Politik, die den Menschen dient - ergänzen durch eine Anstrengung, Alternativen aufzuweisen - in den nun einmal gegebenen Konflikten und Kriegen? Ohne die militärische Option?

Von wem sonst als von uns selbst wollen wir das denn erwarten?

Als Pastor erinnere ich zum Schluss an eine bekannte Geschichte in meiner Bibel - mit trauriger Berühmtheit: die von David und Goliath.

Der Starke glaubt, er brauche sich nur hoch gerüstet aufzublasen und der scheinbar schwache Gegner würde klein beigeben und herausrücken, was man haben möchte. Es wird so nicht gehen.

Der Schwache glaubt - und das ist das traurige Missverständnis, der treffsicher gesetzte Kiesel in der Schleuder, die kleine Bombe am Wegesrand würde den Ausgleich im Kampf und zwischen den Kulturen bewirken. Es wird auch so nicht gehen.

Diese Art Realitätsverlust auf allen Seiten bestimmt den israelitisch-palästinensischen Konflikt. Er bestimmt das Verhältnis der Türkei zu den Kurden. Und er bestimmt die Politik der USA und ihrer europäischen Verbündeten im Kampf gegen den sog. Terrorismus.

Es bleibt nur ein Ausgleich des Hasses, des gegenseitigen Unverständnisses - und der ständigen Wiederholung von Gewalt und Gegengewalt.

Das ist keine wirklich menschliche Option.

Zum Glück haben wir andere Traditionen, mit denen wir Zukunft gewinnen können. Es gibt sei in allen Kulturen, in allen Religionen.

Bleibt mir eine Vision, dass die heute 20jährigen in 50 Jahren nicht mehr auf der Straße sein müssen, um etwas eigentlich Selbstverständliches zu leben: die Geschwisterlichkeit unter den Menschen aller Länder, Nationen und Kulturen.

Ich danke euch.



Volker Bethge ist Pastor im Ruhestand. Vita siehe hier

E-Mail: BethgeHL (at) t-online (Punkt) de
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