Ostermärsche und -aktionen 2009

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12.04.2009


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Ostermärsche und -aktionen 2009

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede beim Ostermarsch 2009 in Augsburg am 11. April

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Jost Eschenburg (in Augsburg)



- Es gilt das gesprochene Wort -



"Yet I have always acted with the best interests of our country in mind." - Immer habe ich bei meinen Handlungen die besten Interessen unseres Landes im Sinn gehabt, sagte George W. Bush in seiner Abschiedsrede. Warum war trotzdem alles falsch, was er gemacht hat?

Warum hinterlässt er die Welt schlimmer, als er sie bei seinem Amtsantritt vorgefunden hat? Lassen Sie mich mit einem Gleichnis antworten. Es stammt nicht von Jesus, sondern von der RAND Corporation und heißt Gefangenenparadox. Zwei kleine Ganoven werden verhaftet. Sie sollen an einem großen Einbruch beteiligt gewesen sein, aber man kann ihnen nichts nachweisen. Die Polizei macht deshalb jedem ein Angebot: "Wir haben einiges gegen dich in der Hand. Für ein Jahr Gefängnis reicht es allemal. Aber wenn du uns hilfst, den Einbruch aufzuklären, vergessen wir das." Die beiden können sich nicht absprechen. Jeder für sich überlegt: "Ich weiß nicht, was mein Kumpel macht. Wenn er schweigt, ist es besser für mich, zu reden, denn dann komme ich frei. Wenn er mich verpfeift, ist es auch besser, zu reden, denn dann bekomme ich nur 3 statt 4 Jahre Gefängnis. Es ist also in beiden Fällen besser für mich, auszupacken." Daher "singen" sie beide und kommen für drei Jahre ins Gefängnis. Die bestmögliche Verfolgung der eigenen Interessen hat sie zum schlechtest-möglichen Ergebnis geführt. Hätten sie ihren Egoismus wenigstens mit ein bisschen Ganoven-Moral abgemildert - seinen Kumpel verpfeifen, so etwas tut man nicht - dann hätten sie beide nur ein Jahr bekommen.

In vielen Konflikten ist der Gegenentwurf zum Egoismus das Prinzip Moral: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu" ("goldene Regel"). Jesus drückt dasselbe positiv aus: "Alles was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten." (Mt.7,12) Es wird nicht gefragt, ob die anderen es wert sind, gut behandelt zu werden. Die Regel ist der schlichte Ausdruck der Solidarität aller Menschen, ja alles Lebendigen überhaupt.

Das Gefangenenparadox ist ein Gleichnis für jedes planende Handeln ohne Möglichkeit der sicheren Absprache, bei Individuen ebenso wie bei Gruppen und ganzen Gesellschaften.

Auf der obersten Ebene der Gesellschaften ist es am gefährlichsten, weil es uns in einen globalen Krieg stürzen kann, wenn wir es nicht aufbrechen durch Moral. Die prophetische Aufgabe der Friedensbewegung ist es, hieran zu arbeiten. Im Umgang von Gruppen und Gesellschaften müssen dieselben moralischen Standards gelten wie zwischen Individuen. Statt "Clash of Civilizations" Moral zwischen den Gesellschaften: Achtung der anderen Gesellschaft, Hineinversetzen in ihre Situation, Anerkennung ihrer Bedürfnisse (ohne Aufgabe der eigenen), Offenheit und Bemühung um Verstehen statt Mauern und Konfrontation.

"Warum siehst Du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge bemerkst du nicht?" (Mt.7,3) Diesen Satz lassen wir in der persönlichen Moral gelten, aber in der Politik ist es üblich, mit dem Finger immer nur auf die vermeintlichen Fehler der anderen zu zeigen.

Wir sollten nicht meinen, dass ein solches Umdenken uns persönlich nichts abverlangt.

Wir bleiben Teil unserer westlichen Gesellschaft, selbst wenn wir ein paar ihrer Lügen durchschaut haben. Wir teilen zum Beispiel weitgehend ihre Einstellung zum Kriegsgegner in Afghanistan, den Taliban, die ohne Zweifel andere Vorstellungen von einer guten Gesellschaftsordnung haben als wir. In der Politik von Milosevic und sogar von Saddam Hussein konnten wir als Linke noch einige positive Momente erkennen, aber mit den Taliban tun wir uns schwer, und entsprechend geringer war und ist der Widerstand gegen den Afghanistankrieg. Doch die Bundeswehr und die Armeen der anderen NATO-Staaten haben in Afghanistan nichts zu suchen, es ist nicht ihr Land! Frieden in Afghanistan bedeutet insbesondere Frieden mit den Taliban, daran führt kein Weg vorbei. Wir können uns unsere Gegner nicht aussuchen, schon gar nicht danach, ob uns ihre Vorstellungen ins Konzept passen. Die Aufgabe ist Frieden mit genau diesen Menschen.

Oder nehmen wir den Palästina-Konflikt. Vielen von uns fällt es leicht, den Gazakrieg als das zu bezeichnen, was er war: ein Massaker. Aber in Israel war dieser Krieg populär, und ich kenne auch hier bei uns Menschen, die ihn rechtfertigen. Den Juden, so argumentieren sie, wurde in Europa buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen. Die " Uberlebenden fanden Zuflucht in Pal" astina, aber auch dort waren sie nicht willkommen.

Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig als um das Stück Land zu kämpfen, und das hat sich bis heute nicht geändert. Es ist einfach, die israelische Politik zu verurteilen und nach Gerechtigkeit für die Palästinenser zu rufen, wenn man selbst nicht unter der ständigen Bedrohung lebt.

Wir müssen als Friedensbewegung auch dieses Denken ganz ernst nehmen. Die angeführten Tatsachen lassen sich nicht bestreiten. Das Gefühl der Bedrohung lässt sich nicht wegoder kleinreden. Und dennoch bleibt es wahr, dass die rücksichtslose Verfolgung der eigenen Ziele in die Hölle führt. "Rücksichtslos" meint, die furchtbaren Auswirkungen auf die andere Gesellschaft in Kauf zu nehmen, bedauernd oder billigend oder gar mit Befriedigung: die Schikanen, die Abschnürungen, die Landwegnahme, die Verhaftungen, die ständige Lebensbedrohung, die Liquidierungen, die Bombardierungen, die Zerstörung jedes normalen Lebens. Ich wünschte, ich hätte die Fähigkeit, die gegen diesen Gedanken aufgerichteten Mauern zu durchbrechen!

Wir Menschen haben es gern klar und einfach. Unsere Leute sind die Guten, die anderen die Bösen. Das ist die grundlegende Lüge der Kriegspropaganda, und sie wird gern gehört. Die Friedensbewegung hat dagegen die Aufgabe, im Sinne der "goldenen Regel" von der eigenen Seite einzufordern, was sie der anderen abverlangt. Sie hat nach der Wahrheit zu streben (Satyagraha), der ganzen Wahrheit, die nichts glattbügelt oder ausblendet und die zu verstehen versucht statt zu rechtfertigen oder zu verurteilen. Daraus erwächst unser Protest, unser Widerstand, der sich immer gegen die eigene Seite richtet, so oft sie die Wahrheit in ihrem Interesse verbiegt und damit schlimmes Handeln rechtfertigt. Wir wollen uns bei dieser Arbeit am Frieden gegenseitig stärken und ermutigen.

Vielen Dank!



Jost Eschenburg ist Sprecher der Pax Christi Bistumsstelle Augsburg. Vita siehe hier

E-Mail: eschenburg (at) math (Punkt) uni-augsburg (Punkt) de

Website: www.paxchristi.de
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