Ostermärsche und -aktionen 2010

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03.04.2010


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Ostermärsche und -aktionen 2010

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zum Ostermarsch 2010 in Stuttgart am 3. April 2010

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Hagen Battran (in Stuttgart)



-- Sperrfrist: 3. April 2010, Redebeginn: ca. 14 Uhr -


- Es gilt das gesprochene Wort! --



Margret Thatcher, die inzwischen geadelte ehemalige britische Premierministerin, soll das TINA-Prinzip entwickelt haben, das inzwischen in den meisten Bereichen unseres neoliberal verwüsteten Lebens gilt und - wenn es nach seinen Nutznießern geht - auch die nächsten 1.000 Jahre gelten soll. TINA, also "There is no alternative!", ist zur Kernbotschaft aller Herrschaftstechnik geworden.

Frieden, Sozialismus, ein menschenwürdiges Dasein für alle Erdenbewohner, ein respektvoller Umgang mit Natur und Klima und vieles andere mehr müssen als realitätsferne utopische Leitbilder denunziert und damit wirkungslos gemacht werden. Noch besser: Diese Leitsterne werden aus den Köpfen möglichst aller Menschen ganz entfernt und herausgehalten, damit alle ergeben in die neoliberale Gebetsmühle: "Es gibt keine Alternative!" einstimmen und jede Vorstellung von einer möglichen anderen, besseren Welt verlieren bzw. als gefährlichen Irrweg bekämpfen.

Bei diesen Operationen muss behutsam vorgegangen werden. Am besten ist, wenn die Menschen gar nicht oder zu spät merken, was mit ihnen geschieht, wie ihnen mit den Alternativvorstellungen die Instrumente genommen werden, ihre Gegenwart und Zukunft kritisch zu untersuchen und ihr Leben verändernd selbst in die Hand zu nehmen.

Starke Worte, ich weiß! Aber am Beispiel der Kooperationsvereinbarung zwischen Bundeswehr und baden-württembergischem Kultusministerium, abgeschlossen am 4. Dezember 2009, glaube ich sie rechtfertigen zu können. Ich brauche dafür sechs Punkte.



1.Die baden-württembergische Vereinbarung ist Ausdruck einer Offensive der Bundeswehr. Der damalige Kultusminister Helmut Rau hat das eingeräumt, als er am 18. Februar dieses Jahres an den Präsidenten des Landtags schrieb: "Die Initiative zum Abschluss einer Kooperationsvereinbarung ... ging vom Bundesminister der Verteidigung aus... Die Bundeswehr hat auf Anfrage mitgeteilt ... (e)s werde mit allen Bundesländern der Abschluss solcher Kooperationsvereinbarungen angestrebt." Die ersten Durchbrüche waren da schon im Oktober 2008 in NRW und im März 2009 im Saarland erzielt, und Ende Februar kamen Rheinland-Pfalz, im März wahrscheinlich auch Mecklenburg-Vorpommern (siehe SZ vom 26. 03.) dazu. In Hessen und Bayern wird um den Abschluss der inhaltlich immer gleichen Vereinbarung noch gerungen.



2.Auffallend wenig Aufwand wurde betrieben, um das Projekt und die gelungenen Abschlüsse in der Öffentlichkeit bekanntzumachen. Es vergingen Wochen, bis z.B. die baden-württembergische Variante im Internet zur Verfügung stand, und auf die besorgten Anfragen der GEW Baden-Württemberg und der Friedensorganisationen wurde abwiegelnd geantwortet. Es bleibe alles beim Alten, Lehrkräfte, Schulen und Ministerium seien zu nichts Neuem verpflichtet, und weiterhin bleibe "der Unterricht ... in der Verantwortung des Lehrers ..." (Schreiben vom 18. 02. 10). Manche von uns haben sich einlullen lassen. Das hat die Gegenwehr zumindest der Gewerkschaft verzögert. Aber seit Anfang März stehen dann doch die wichtigen Worte im Beschluss des Hauptvorstandes: "Die GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und -fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden."



3.Ich kann meinen Kolleginnen + K. nur dankbar sein, mit welcher Deutlichkeit sie darauf hingewiesen haben, worin die neue alarmierende Qualitätsstufe besteht, auf die das Einwirken der Bundeswehr auf die Schule mit diesen angeblich so harmlosen Vereinbarungen gehoben worden ist. Vielleicht kann eine selbstbewusste Lehrerschaft ja noch achselzuckend das Amtsblatt beiseite legen oder die Onlinemedien des Ministeriums wegklicken, in denen in Zukunft die Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote der Bundeswehr veröffentlicht werden sollen. Aber dass KM und Armee "die Möglichkeit der Einbindung der Jugendoffiziere in die Aus- und Fortbildung von Referendarinnen und Referendaren sowie von Lehrkräften" sozusagen einklagbar "vereinbaren" - das ist erschreckend neu und gefährlich. Und das sind nicht nur Worte! Anfang Februar wurde den Anwärterinnen und Anwärtern eines baden-württembergischen Ausbildungsseminars für Grund- und Hauptschullehrkräfte bei der Begrüßung ein Jugendoffizier vorgestellt, der in der Ausbildung für den Hauptschulfächerverbund "Welt - Zeit - Gesellschaft" für bestimmte Themen zumindest teilweise eingebunden werde. Die jungen gehetzten und von ihren Ausbildern existentiell abhängigen Anwärterinnen + A. werden da schon keinen Widerstand leisten.



4."Wir, das Team der Jugendoffiziere Freiburg, haben beide teilgenommen am Auslandseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan und können somit aus "erster Hand` über friedenssichernde Maßnahmen und Konfliktbewältigung im Ausland berichten." Mit diesem Satz endet das Schreiben der beiden "Referenten für Sicherheitspolitik" an die Geschichts-, Gemeinschaftskunde-, Religions- und Ethiklehrkräfte der Freiburger Gymnasien. Vorher haben die beiden Hauptleute eine "intensive Abiturvorbereitung in Seminarform" zum Schwerpunktthema "Struktur der Staatenwelt und Konfliktbewältigung" angeboten. In dem halb- oder ganztägigen Seminar können nach "einem Grundlagenvortrag zu den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen sowie Deutschlands Rolle in der internationalen Staatengemeinschaft ... alle weiteren relevanten und auch tagespolitisch aktuellen Themen besprochen und erarbeitet werden." Wer leitet eigentlich dieses Seminar? Wer hat Einfluss auf seine Inhalte? Die Antwort versteht sich von selbst. Aus dem weiteren Themenangebot sei nur weniges zitiert. "Auftrag, Aufgaben und Transformation der Bundeswehr", "Friedenssicherung durch Streitkräfte: Die Bundeswehr im Auslandseinsatz", "Friedenssicherung und Konfliktbewältigung durch Institutionen: Die UNO ... Die NATO auf dem Weg ins 21. Jahrhundert ... Die EU als globaler Akteur in der Sicherheitspolitik", "Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik" etc., etc. Wie viele der chronisch überlasteten Lehrkräfte dankbar auf dieses Angebot eingehen werden, kann nur vermutet werden. Aber zu befürchten steht, dass die Zahl derer, die sich der notwendig militärlastigen Interpretation der Jugendoffiziere inhaltlich entgegenstellen können, abnimmt, je mehr das TINA-Prinzip in Medien, Lehrbüchern, Aus- und Fortbildungsveranstaltungen durchgesetzt wird. Diese fatale Entwicklung scheint der Text der Kooperationsvereinbarung schon vorwegzunehmen, wenn dort zu lesen steht: "Jugendoffiziere informieren ... Schülerinnen und Schüler über die zur Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik. Dabei werden Informationen zur globalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung genauso wie Informationen zu nationalen Interessen einzubeziehen sein." Dass die Jugendoffiziere diese hochkomplexen pädagogischen Aufgaben bewältigen können, ist angesichts ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrungen schlicht nicht vorstellbar. Sie werden und sollen wohl auch nur allen die militaristische Brille aufsetzen, damit die neue Militärdoktrin, unsere Freiheit werde am Hindukusch verteidigt, endlich von mehr als 30 % der Bevölkerung gutgeheißen wird.



5.Damit führen Kultusministerium und Bundeswehr einen schweren Schlag gegen das wichtigste Gesetz der modernen Pädagogik, das da lautet: Wer nicht im Abwägen von Alternativen geübt ist, kann nicht kritisch denken. Wer nicht kritisch denken kann, kann nicht zum mündigen Bürger werden. Wer kein mündiger Bürger ist, wird die Demokratie nicht verteidigen, nicht einmal die unvollkommene und geschwächte von heute. Weimar hat gelehrt, was dann in Gesellschaft und Staat passiert!



6.Also: Vernunft muss her statt Militär. Die Bundeswehr hat in der Schule nichts zu suchen, ebenso wenig wie in Afghanistan und anderswo in der Welt. Dafür will ich als Lehrer und Gewerkschafter eintreten und verlasse mich - sicher im Bunde mit euch allen - auf die Wahrheit von Schillers Worten: "Verbunden werden auch die Schwachen mächtig." Ich hätte auch sagen können: Auf, zeigen wir`s ihnen!




Hagen Battran ist ehem.Lehrer und langjährig aktiv in der GEW. Vita siehe hier

E-Mail: hagen (Punkt) battran (at) gew-bw (Punkt) de

Website: www.gew-bw.de
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