Ostermärsche und -aktionen 2010

update:
08.04.2010


 voriger

 nächster

Ostermärsche und -aktionen 2010

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Ostermarsch-Kundgebung in Oldenburg am 3.April 2010

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Ostermarsches hier in Oldenburg!

Friedrich Scherrer (in Oldenburg)



- Es gilt das gesprochene Wort! -



Schön, dass Sie alle da sind, sich auf den Weg gemacht, sich in Bewegung gesetzt haben gegen den Afghanistankrieg. Wir sind nicht allein. Bis zu 69% der Bundesbürger sprechen sich heute für einen schnellen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan aus. Der Rückhalt der Soldaten ist 2008-2009 von 64 auf 50 Prozent gesunken. Trotzdem ist am 22.Februar im Bundestag die Höchstgrenze für das deutsche Kontingent zum 6.Mal angehoben worden auf 5.350 Soldaten; erstmals 2001 ging es um "nur" 1.200 Soldaten. Wir haben also allen Grund, gegen das Weitermachen des Krieges zu protestieren. Es ist Krieg. Heute Morgen wurde in den Nachrichten berichtet: Fünf afghanische Soldaten sind aus Versehen von deutschen Soldaten erschossen worden und zuvor sind drei deutsche Soldaten erschossen und acht verletzt worden.

Mit ihrer Aussage "Nichts ist gut in Afghanistan" hat die nun ehemalige Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Ev. Kirche in Deutschland Margot Käßmann den Nagel auf den Kopf getroffen. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein Drittel der afghanischen Bevölkerung ist auf Nahrungsmittel aus dem World-Food-Programm der UNO angewiesen. In einem Land Krieg zu führen, in dem ein Viertel der Kinder nicht einmal 5 Jahre alt wird und 80% der Bevölkerung in völliger Armut auf dem Lande leben - das ist doch absurd, wenn man mit bedenkt: Die Ausgaben für Entwicklungshilfe, für Gesundheit und Ernährung in Afghanistan 2002-2006 bewegten sich in einer Größenordnung von etwa 10% gegenüber den Militärausgaben. Auf einer Veranstaltung von IPPNW Mitte März in Bremen veranschaulichte ein afghanischer Arzt die Situation konkret vor Ort und sagte: Statt Krankenhäusern werden Gefängnisse gebaut, statt einer Frauenklinik wird ein Flughafen gebaut.

Ich denke: Die Logik der Kriegsgewalt schafft ihre Menschen verachtenden Strukturen. Die Menschenrechte, die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan werden nicht geschützt, sondern mit Füßen getreten. Der Krieg nimmt der Zivilbevölkerung die Zukunft. Medico international schätzt die Zahl der erwerbsfähigen Afghanen ohne regelmäßiges Einkommen auf 50-70 Prozent. Dies ist die Basis für den armutsgetriebenen Widerstand, Menschen schließen sich den Taliban an.

Darüber hinaus: Der Krieg macht die Menschen krank; sie tragen körperliche und auch seelische Verletzungen davon. Bei uns meldet sich heute die sog. vergessene Generation langsam zu Wort, Menschen, die als Kinder und Jugendliche Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt haben, bis heute davon geprägt, traumatisiert. Als Gemeindepastor moderiere ich seit Oktober letzten Jahres eine Gesprächsreihe von und für Betroffene. Welche schlimmen Erfahrungen machen die Menschen in Afghanistan. Ihre Zahl ist - wie oft in solchen Konflikten eher unbekannt. Wir wissen nur: Die Zahl der traumatisierten deutschen Soldaten aus Afghanistan steigt: 2007 130, 2008 226 und 1.Halbjahr 2009 schon 186.

Zahlreiche humanitäre Hilfsorganisationen vor Ort distanzieren sich von der Sicherheit durch Militär. Schon der Gründer des Roten Kreuzes Henri Dunant war der festen Überzeugung. "Der beste Schutz ist überhaupt kein Schutz. Wenn ein Panzer vor dir herfährt, zieht er doch nur das Feuer auf sich." Das ISAF-Militär ist nicht in der Lage, die zivilen Helfer zu schützen und außerdem halten die Afghanen Helfer unter militärischem Schutz nicht für neutral, sondern für einen Teil der militärischen Intervention. Sicherheit kann bekanntlich nur durch Vertrauen und mit den Menschen vor Ort geschaffen werden und das geschieht auch in Einzelprojekten in Afghanistan, aber findet kaum den Weg in die veröffentlichte Meinung.

Dort am Hindukusch wird nicht unsere Sicherheit und Freiheit verteidigt, sondern genau umgekehrt: eher verspielt. Mit jedem Kriegstag kann die Terrorgefahr in Europa wachsen und zugleich erleben wir den Abbau demokratischer Grundrechte und Freiheiten eines jeden Bürgers bei uns durch verstärkte Überwachungsstrukturen - ein gefährlicher Teufelskreis, der gestoppt werden muss.

Bekanntlich ist das erste Opfer im Krieg die Wahrheit. Endlich muss die Wahrheit gesagt werden: Dieser Krieg ist politisch falsch, moralisch schändlich und militärisch nicht zu gewinnen. Doch was sind die Hintergründe, die Energien dieses Krieges?

Ich möchte drei nennen:

1.

In Wirklichkeit ging und geht es um geostrategische und wirtschaftliche Ziele. Für die Beschaffung von Erdöl- und Ergasreserven ist dieses Land von entscheidender Bedeutung. Als die Taliban Juli 2001 in Bonn Erdölpiplines ablehnten, waren die Angriffspläne -unabhängig vom 11.Septmber 2001 - unter den Optionen des Pentagon in den USA. Bis heute werden Gründe gesucht, in diesem Land strategisch präsent zu bleiben.

Die Idee, dass Demokratie und Frauenbefreiung von außen gebracht werden können, ist eine koloniale Denkweise und eine rassistische Ideologie, die tief in den Köpfen selbst wohlmeinender Menschen im Westen verwurzelt ist. Den Afghanen wird nicht zugetraut, ihr Land selbst organisieren und untereinander friedlich leben zu können, wie es der Bremer Anwalt aus Afghanistan Karim Popal vor kurzem formulierte.

Die ganze Idee, zuerst Sicherheit zu schaffen und dann Entwicklung ist eine Entschuldigung dafür, weder Entwicklung und noch Wiederaufbau voranzubringen. In der vergangenen Woche wurde Medien wirksam das Augenmerk auf den Polizeiaufbau in Afghanistan gelenkt. Vertreter der Polizei bei uns sagen, sie sind für diese Aufgabe gar nicht ausgebildet und möchten sich auch nicht in diesen Krieg hineinziehen lassen, der politisch zu lösen ist. Sicherheit für die Menschen dort hat etwas mit sozialer Sicherheit, mit einer sicheren Lebensperspektive zu tun. Hier muss radikal umgedacht werden. Beim Propheten Jeremia heißt es schon: "Das Tun der Gerechtigkeit wird Friede sein und die Arbeit der Gerechtigkeit wird ruhige Sicherheit auf Dauer bringen" (Jeremia 32,17). Andreas Buro sagt es so: "Erst wenn die afghanische Bevölkerung eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erkennen kann, wird die sich auch für Frieden statt Konfrontation einsetzen."

2.

In Wirklichkeit geht es um die großen Gewinne der Rüstungsindustrie, die durch Kriege gemacht werden - nicht zuletzt in Oldenburg und Bremen. Ich denke an das bittere Sprichwort, das mir ein altes Kirchengemeindeglied sagte: "Was des einen Brot, ist des anderen Tod." An diesem Krieg beteiligen sich auch Truppen aus Oldenburg, die Luftbrigade 31, die vor kurzem in Seedorf nach Afghanistan verabschiedet wurde. Die Bundesregierung ist Europameister in Sachen Waffenexport, auch in Länder wie Afghanistan und Israel. Im weltweiten Maßstab liegt Deutschland auf dem 3.Platz hinter den USA und Russland. Auf der anderen Seite fehlen bei uns die Gelder im sozialen Bereich, wächst die Armut, vor allem bei Kindern, welch ein Skandal: jedes 3.Kind lebt unterhalb der Armutsgrenze. Alleinerziehende und alte Menschen sind schon jetzt und werden perspektivisch immer mehr von Armut betroffen sein. Hartz-IV-Empfänger werden diffamiert. Wir stehen hier für Abrüstung statt Sozialabbau auf der Straße. Es muss umgesteuert werden, dass mit technischen Tötungsgeräten massiv Gelder verdient werden können, während in den sozialen Bereichen, die unsere Gesellschaft zusammen halten, gespart bzw. schlecht bezahlt wird.

3.

In Wirklichkeit geht es um eine dumm machende, verführerische und gefährliche Ideologie, wenn mit dem angeblich notwendigen Kampf gegen die Terroristen, gegen die Bösen argumentiert wird. Dieses Denkschema in Gute, da sind natürlich wir als Kämpfer für Menschenrechte und Demokratie und in Böse, das sind natürlich die anderen, prägt Generationen. Waren es einst die Kommunisten, sind es heute die Islamisten. Deutschland ist infolge seiner NATO-Mitgliedschaft eingebunden in militärische Aktionen. Kritische Selbsterkenntnis wird zumeist ausgeblendet. Die berühmten Finger der ausgestreckten Hand, die auf einen selbst zeigen, werden nicht wahrgenommen. Für mich ist es heute eine der Hauptaufgaben der Kirche, diese selbstgerechte und verhängnisvolle Denkweise zu hinterfragen und zu überwinden. Bekanntlich sagt Jesus im Zusammenhang der Feindesliebe in der Bergpredigt: "Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte".

Heute am Ostermarsch 2010 fordern wir - und es werden wohl immer mehr: von den Pazifisten bis zu den Angehörigen von Soldaten, die dort ihr Leben verloren haben - wir fordern ein wirkliches Umsteuern: Die Finanzmittel, übrigens unsere Steuergelder, müssen allmählich in friedens- und entwicklungspolitische Aktivitäten umgelenkt werden. Deutschland könnte eine wichtige Rolle durch eine friedenspolitische Wende seiner bisherigen Politik spielen und gleichzeitig eine Exitstrategie eröffnen mit einem konkreten Abzugsdatum. Das würde unserer Regierung gut anstehen. Sie würde nicht ihr Gesicht verlieren, sondern ein ganz neues Gesicht gewinnen. Die Initiative "Kooperation für den Frieden" hat einen konkreten Abzugsplan vorgelegt. Über regionale Waffenstillstände und Gespräche mit den Vertretern der afghanischen Friedensjirga sollen umfassende Friedensverhandlungen gebahnt werden. Jeder weiß, die Situation kann nicht schlagartig verändert werden. Aber man muss den ersten Schritt in eine neue Richtung tun, solange mehr Soldaten geschickt werden ist die Richtung falsch.

Nur dieser sicher nicht leichte und schnelle Weg des sozialen Aufbaus und des Dialogs führt zur Gerechtigkeit und zum Frieden - in Afghanistan und bei uns.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Osterfest. Mit ihm verbindet sich eben gerade nicht der Sieg des Todes, sondern der Sieg des Lebens.



E-Mail: friedrich_Scherrer (at) web (Punkt) de
 voriger

 nächster




       


Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Themen   FriedensForum Termine   AktuellesHome