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21.04.2011


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Ostermärsche und -aktionen 2011

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2011 in Kassel am 24. April

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

Michael Schulze von Glaßer (in Kassel)



- Es gilt das gesprochene Wort -

- Sperrfrist: 24. April, Redebeginn: ca 12 Uhr -



mein Name ist Michael Schulze von Glaßer, ich bin 24 Jahre alt, studiere in Kassel Politikwissenschaft und habe im Oktober 2010 ein Buch über die "Öffentlichkeitsarbeit und Nachwuchswerbung der Bundeswehr" veröffentlicht. [Buch hochzeigen]. Bei meinen Recherchen ist herausgekommen, dass die Bundeswehr seit Jahren verstärkt an Schulen um neuen Nachwuchs wirbt. Darüber möchte ich euch heute etwas erzählen.

Die deutsche Armee hat an der Heimatfront zwei grundlegende Probleme: Zum einen sind ihre Einsätze - etwa der ISAF-Militäreinsatz in Afghanistan - in der deutschen Bevölkerung unpopulär. Seit Jahren lehnen laut Bevölkerungsumfragen rund 70 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger den Militäreinsatz am Hindukusch ab. Der ehemalige Bundespräsident Hort Köhler sprach in diesem Zusammenhang einmal zutreffend von einem "freundlichen Desinteresse" der Bevölkerung an der Armee. Bundeswehr und Regierung sind sich der mangelnden Popularität deutscher Militärinterventionen bewusst und versuchen daher mit Propagandamaßnahmen gegenzusteuern.

Das zweite grundlegende Problem der Bundeswehr sind fehlende Rekruten. "Junge, gut ausgebildete Soldaten sind die Grundvoraussetzung für die Einsatzbereitschaft", heißt es im aktuellen Strategischen Konzept der Bundeswehr, dem "Weißbuch 2006". Klar: ohne Soldaten kann man keine Kriege führen. Bereits 2009 konnte die Bundeswehr nicht genügend neue Rekruten finden: 23.700 neue Soldaten hätten eingestellt werden müssen, man bekam aber nur 21.700. Das Problem für die Bundeswehr verschärft sich, wenn man überlegt, dass von diesen 21.700 Soldaten, 7.800 durch Binnenwerbung gewonnen werden konnten - das waren etwa Wehrdienstleistende, die ihren Vertrag bei der Armee verlängert haben. Mit Aussetzung - also dem quasi Wegfall - der Wehrpflicht, gibt es auch keinen Pool von Wehrdienstleistenden mehr, aus denen die Bundeswehr ihren Nachwuchs rekrutieren kann. Ohne Wehrpflicht muss die Bundeswehr ihren Nachwuchs vollends aus dem öffentlichen Raum werben, und das ist für die Armee ein riesen Problem. So beklagte der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Werner Freers, Anfang des Jahres, dass die Landstreitkräfte 2.000 Soldaten im ersten Quartal 2011 hätten werben müssen, aber nur 433 neue Rekruten fanden.

Der Dienst an der Waffe ist bei vielen jungen Leuten unpopulär: über die Gefahren des sinnlosen Afghanistan-Einsatzes wird fast täglich in den Medien berichtet und auch "Befehl und Gehorsam" schrecken Jugendliche vom Dienst in der Bundeswehr ab. Um dies zu ändern geraten vor allem Schulen ins Fadenkreuz der Armee-Werber - in den Klassenzimmern sitzt der potentielle Soldaten-Nachwuchs und, nicht zu vergessen, auch der Wähler und die Wählerin von Morgen, die schon früh von weltweiten Bundeswehr-Militärmissionen überzeugt werden sollen.

Die Armee Propaganda an Schulen gliedert sich dabei in drei Bereiche, die ich hier kurz ausführen möchte: Eigene Werbeveranstaltungen der Bundeswehr; Eigene Werbemedien der Bundeswehr und Bundeswehr-Werbung in zivilen Jugendmedien.

Eigene Veranstaltungen

Um die Bevölkerung vom Sinn und Zweck der Bundeswehr zu überzeugen wurde bereits 1958 - also kurz nach Gründung der damals noch umstrittenen neuen deutschen Armee - die Einheit der "Jugendoffiziere" ins Leben gerufen. Jugendoffiziere sind junge Soldaten - etwa 30 Jahre alt - mit Führungserfahrung, die besonders "cool" rüberkommen. Die von der Bundeswehr rhetorisch geschulten Soldaten treten nicht in olivgrünen Tarnanzügen auf, sondern im lockeren Hemd mit Sonnenbrille. Auch militärischen Befehlston wird man von den jungen Soldaten nicht hören, stattdessen Jugendsprache, denn das Haupteinsatzgebiet der Werbe-Spezialeinheit sind Schulen. Allein 2010 haben die bundesweit 94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Jugendoffiziere bei rund 6.000 Veranstaltungen über 140.000 Menschen - fast ausschließlich Schülerinnen und Schüler - erreicht. Meist halten die Jugendoffiziere vor Schulklassen Vorträge etwa über die "Aufgaben der deutschen Armee" oder gleich über die "Militärmission in Afghanistan". Auch spielen Jugendoffiziere mit Schülern das Bundeswehr-Planspiel "Pol&IS" - was für "Politik und internationale Sicherheit" steht. Mit dem mehrtägigen Spiel möchte die Bundeswehr den jungen Schülern einbläuen, dass Kriegseinsätze manchmal unausweichlich seien und es daher einer hochgerüsteten eigenen Armee bedarf. Daneben bieten die Jugendoffiziere noch Seminarfahrten an und führen Schüler durch die örtliche Bundeswehrkaserne - dabei wurden schon oft ganze Schulklassen in Schießsimulatoren gebracht und durften sich an den Waffen üben.

Um sich den Zugang in die Schulen zu sichern, hat die Bundeswehr im November 2010 eine so genannte "Kooperationsvereinbarung" mit dem hessischen Schulministerium vereinbart [Vereinbarung hochhalten]. Die Vereinbarung sieht vor, dass die Bundeswehr schon bei der Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern zum Einsatz kommen soll. Des Weiteren heißt es in der Kooperationsvereinbarung, dass die Jugendoffiziere die Schülerinnen und Schüler im Unterricht über die "nationalen Interessen" Deutschlands informieren sollen. Laut dem schon erwähnten "Weißbuch der Bundeswehr" und laut Aussagen des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg gehören zu den "nationalen Interessen" Deutschlands auch die militärische Sicherung von Rohstoffen und Handelswegen. Hier muss deutlich die Frage gestellt werden: wollen wir, dass schon Kinder beigebracht bekommen, dass Kriegsführung zur Rohstoffsicherung notwendig ist?

Neben den Jugendoffizieren, die offiziell nur über Sicherheitspolitik informieren, sind es vor allem Wehrdienstberater, mit denen die Armee an den Schulen neuen Nachwuchs sucht. Wehrdienstberater informieren die Schülerinnen und Schüler direkt über mögliche Armee-Laufbahnen. Auch die Einsatzzahlen der Wehrdienstberater an Schulen sind - ähnlich wie bei den Jugendoffizieren - enorm. So fanden 2009 über 12.500 Wehrdienstberatungs-Veranstaltungen an Schulen mit 280.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Oft kommen die Laufbahnberater gemeinsam mit Jugendoffizieren an die Schulen oder sind bei Jobmessen anwesend.

Dass sowohl die Wehrdienstberater als auch die Jugendoffiziere nur einseitig über den Dienst an der Waffe berichten und negative Aspekte des Soldatenberufs - etwa die Gefahren bei Auslandseinsätzen - gern unter den Tisch fallen lassen, könnt ihr euch denken.

Eigene Medien

Die Bundeswehr erobert die Klassenzimmer der Republik aber nicht nur mit ihren Jugendoffizieren und Wehrdienstberatern, sondern auch mit eigenen Unterrichtsmaterialien.

Das Verteidigungsministerium ist Mitherausgeber so genannter "Frieden & Sicherheit"-Unterrichtsmaterialien [Heft hochhalten]. Zunächst zum "Frieden & Sicherheit"-Schülerheft: Schon mit dem Titel des Hefts wird versucht die Deutungshoheit über die Begriffe "Frieden" und "Sicherheit" zu gelangen. Laut diesem Heft bringt die Bundeswehr beispielsweise in Afghanistan Frieden, und Sicherheit ist ohne Militär nicht möglich. Neben den Texten im Heft müssen die Schülerinnen und Schüler Aufgaben lösen - dabei werden ihre Gedanken gezielt in die von den Herausgebern gewünschte Richtung gelenkt. Bei Lehrern scheinen die kostenlosen Armee-Unterrichtsmaterialien sehr beliebt zu sein. So wurden allein 2007 mehr als 325.000 Schüler- und über 16.000 Lehrerhefte - Lösungshefte für die Lehrkräfte - bestellt.

Nun zu dem, was hinter den "Frieden & Sicherheit"-Heften steckt: federführend werden die "Frieden & Sicherheit"-Unterrichtsmaterialien von der "Arbeitsgemeinschaft Jugend und Bildung e.V." herausgegeben. Für Herstellung und den Vertrieb bekam der Verein im Jahr 2008 über 300.000 Euro von der Bundesregierung. Wer sich einmal näher mit dieser Arbeitsgemeinschaft beschäftigt, stellt fest, dass sie über einige Ecken zu 50 Prozent der FDP gehört - und so neoliberal wie die FDP, ist auch der Inhalt der Hefte, die die Schülerinnen und Schüler im Unterricht beeinflussen.

Werbung in Schülermedien

Neben eigenen Veranstaltungen und Unterrichtsmaterialien wirbt die Bundeswehr auch verstärkt in Jugendmedien. Zwischen 2006 und 2009 hat die Bundeswehr 6 Millionen Euro für Werbung in Jugendzeitungen ausgegeben. Allein 2007 war in bundesweit über 170 Schülerzeitungen Armee-Werbung zu finden. So kann man sowohl in kleinen, nur lokal verteilten Schülerzeitungen Bundeswehr-Werbung finden, als auch in großen Zeitungen wie der bundesweit an Schulen ausliegenden Schülerzeitung SPIESSER, der eine Auflage von knapp einer Million Exemplaren hat. Oft findet sich auch Armee-Werbung in Zeitungen, die sich an Abiturientinnen und Abiturienten richten und über Berufsperspektiven nach dem Abitur informieren [Zeitschrift hochhalten]. Nicht zu vergessen sind an dieser Stelle auch Werbespots der Bundeswehr in Radio und Fernsehen, die Jugendliche und junge Erwachsene als Zielgruppe hat.

Fazit

Ihr seht: die Bundeswehr wirbt in Schulen auf vielfältige Weise. Zum einen um neuen Nachwuchs zu gewinnen, zum Andern um schon junge Leute von weltweiten Militärinterventionen zu überzeugen. Beides kann uns nicht recht sein, denn friedlicher wird die Welt dadurch nicht. Ich kann daher nur auffordern sich kritisch mit der Bundeswehr-Werbung an Schulen auseinanderzusetzen und aktiv für friedliche Schulen zu kämpfen.

Die Argumente sind auf unserer Seite! Mit militärischer Gewalt lassen sich keine Probleme lösen. Und auch speziell gegen Bundeswehr-Einsätze an Schulen gibt es gute Argumente: die Jugendoffiziere und Wehrdienstberater verstoßen bei ihren Schulbesuchen gegen die im Politikunterricht geltenden "Minimalbedingungen für die politische Bildung in Deutschland" - den so genannten "Beutelsbacher Konsens". Der Konsens sieht etwa vor, dass alles, das in Politik und Gesellschaft kontrovers diskutiert wird auch im Schulunterricht kontrovers dargestellt werden muss. Wenn die Bundeswehr in Schulen etwa über den Afghanistan-Einsatz spricht, gibt sie dabei aber natürlich nicht die Position der Friedensbewegung wieder, sondern verbreitet nur die Meinung von Regierung und Armee-Führung. Zudem sind Jugendoffiziere Soldaten und keine Lehrer - sie wurden zum morden ausgebildet und nicht dazu Schülern im Politikunterricht die Welt zu erklären.

Gern stellt sich die Bundeswehr an Schulen auch als ein "normaler"-Arbeitgeber dar. Doch dies ist eine Lüge - immerhin gelten für "Angestellte" der Bundeswehr nicht alle Grundrechte und es gibt wohl keinen Anderen Job in dem von einem verlangt wird andere Menschen zu morden oder selbst getötet zu werden.

Geht also in eure Stadt und sucht euch Bündnispartner! Die Lehrergewerkschaft GEW hat sich bereits im vergangenen Jahr klar gegen Jugendoffiziere im Schulunterricht ausgesprochen. Die Landesschülervertretung Hessen hat sich auch kritisch zu den Bundeswehr-Schuleinsätzen geäußert. Auch immer mehr Elternvertretungen werden gegen die Beeinflussung ihrer Kinder durch das Militär aktiv. Ein wichtiger Bündnispartner sind auch Kinderrechtsorganisationen wie etwa "terre des hommes", die ein Ende der Begeisterung von Schülerinnen und Schülern für Krieg durch die Bundeswehr fordern. Trefft euch und überlegt euch gemeinsam Aktionen gegen Bundeswehr-Schulbesuche und sorgt endlich für Frieden an Schulen.

Abschließen möchte ich mit einem Zitat Kurt Tucholsky, aus seinem 1931 in der Zeitung "Die Weltbühne" erschienenen Text "Die brennende Lampe":

"Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und alle Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der reinen Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber kriegablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht. Man kennt nur staatlich verhetzte Jugend."

In diesem Sinne: sorgen wir endlich für eine friedliche Welt. Wenn die Bundeswehr keinen Nachwuchs mehr findet kann sie auch keine Kriege mehr führen!



Michael Schulze von Glaßer ist Student der Politikwissenschaft. Vita siehe hier

E-Mail: michael (at) schulze-von-glasser (Punkt) eu
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