2011
Inhalt

update:
23.04.2011


 voriger

 nächster

Ostermärsche und -aktionen 2011

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Rede zur Auftaktkundgebung des Kieler Ostermarsches am 23. April 2011

Liebe Friedensfreundinnen und - freunde.

Luise Albers (in Kiel)

Neuaufnahme: Bitte bearbeiten!



- Es gilt das gesprochene Wort -



Am Dienstag ist in der taz ein Kommentar des Hamburger Friedensforschers Reinhard Mutz zum notwendigen Schweigen der Waffen in Libyen erschienen. Ein Bild, das er gebraucht, hat mir besonders gefallen:

"Wer nur einen Hammer im Werkzeugkasten hat, wird in jedem Problem den Amboss erkennen."

Gerade wir Christinnen und Christen hierzulande - und ich bin ja eingeladen, als Vikarin zu Ihnen und euch zu sprechen - haben durchaus ein gewisses Problembewusstsein für die Krisen dieser Welt. Wir hören, wie alle anderen ja auch, von Ausbeutung, Unterdrückung, gewaltsamen Übergriffen, und da meldet sich schnell eine Art Verantwortungsgefühl. Soweit, so gut, wenn es auch häufig ziemlich paternalistisch daherkommt.

Aber vor lauter "Da müssen wir doch was tun, wir können die Menschen in Afghanistan - oder eben jetzt in Libyen - doch nicht allein lassen", lassen wir uns allzu oft zum Hammer machen. Etliche Menschen aus meinem Kirchenkreis sind oder waren, durchaus unter persönlichen Opfern, im Afghanistaneinsatz. Als würde irgendetwas besser durch Bomben und Bodentruppen. Mich macht daran besonders wütend, dass von solchen oft gut gemeinten Absichten eben nicht die jeweilige Landesbevölkerung sondern eine profitgierige Minderheit etwas hat. Diejenigen nämlich, die hinter dem Hammer und dem Amboss sitzen und wissen: Libyen hat die größten Ölvorkommen Afrikas, Afghanistan hat geostrategische Bedeutung und je größer die Absatzmärkte für Rüstungsprodukte, desto besser.

Gerade als Christinnen und Christen müssten wir schon etwas mehr im Werkzeugkasten haben als ausgerechnet den Hammer.

Ein uraltes Beispiel dafür möchte ich hier erzählen. Es hat sich auch im nordafrikanischen Kulturraum abgespielt und steht im biblischen Buch Exodus (Kap.1):

Die jüdische Bevölkerung war versklavt in Ägypten, doch sie ließ sich nicht unterkriegen, hielt zusammen, wuchs. Da beschloss der Herrscher der Ägypter, die kommende Generation von Hebräern auf perfide Weise auszurotten. Er ließ die zuständigen Hebammen - zwei von ihnen werden mit Namen genannt: Schifra und Pua - zu sich rufen und befahl ihnen: "Wenn ihr die Hebräerinnen entbindet, gebt acht bei der Geburt: Ist es ein Sohn, so tötet ihn!" (V.15)

Doch die Hebammen gehorchten nicht und ließen alle Neugeborenen am Leben. Es war ja aber nun ein Befehl gewesen, und natürlich zitierte der König sie zu sich und fragte: "Warum habt ihr das getan und die Knaben am Leben gelassen?" (V.18)

Als Antwort hielten die Hebammen Schifra und Pua keine großen oppositionellen Reden, die sie nur ins Gefängnis gebracht hätten, sondern sie hielten sich an ihre Berufserfahrung, von der der König schließlich wenig Ahnung hatte und behaupteten: "Die Hebräerinnen sind nicht wie die ägyptischen Frauen. Sie gebären wie die Tiere, noch bevor die Hebamme kommt, haben sie geboren." (V.19)

Normalerweise würde ich sofort protestieren, wenn irgendjemand andere Menschen mit Tieren vergleicht. Aber hier rettet es Leben, zeugt von kreativer Gewitztheit, die manchmal mehr wert sein kann als die moralisch-korrekteste Argumentation.

Was ich damit sagen will: es gibt in jedem Land Widerständige, Mutige, Freundinnen des Lebens. Auf ihre Ideen zu vertrauen, ihnen Raum zur Konfliktlösung zu lassen, ist auch in den heutigen Krisenherden angesagt.

Für Libyen fordert die Türkei wie die Afrikanische Union berechtigterweise: einen sofortigen Waffenstillstand, die Einleitung eines politischen Verhandlungsprozesses zwischen den libyschen Konfliktseiten und die Bereitstellung - echter!- humanitärer Hilfe.

Für Afghanistan gilt - beginnt endlich mit dem Truppenabzug und lasst die Friedensjirga zum Zuge kommen, sind es auch ganz andere Ansätze, als uns vielleicht einfallen würden.

Die biblischen Gestalten Schifra und Pua zeigen uns: es gibt immer mehr im Werkzeugkasten - oder auch: Hebammenkoffer - als den Hammer. Öffnen wir uns und allen den Blick für Alternativen.

Das heißt nicht, dass es einfach ist. Die biblische Geschichte des hebräischen Volkes in Ägypten steht mit den Hebammen Schifra und Pua noch ganz am Anfang, und viele Grausamkeiten von Seiten der Herrschenden folgen.

Man kann nur froh sein, dass sie damals noch keine Atomwaffen hatten. Ein Grund mehr, deren vollständige Vernichtung zu fordern, und die Abschaltung der Atomkraftwerke, die schon immer auch zur Gewinnung von Atomwaffenpotenzial dienen konnten, gleich mit.

Nein, einfach ist es nicht, von Hammer und Amboss Abstand zu nehmen und sich trotzdem und gerade verantwortlich und solidarisch zu verhalten. Aber es ist richtig und es ist schön, das Leben und gewaltfreie Mittel zu wählen.

Dazu noch ein Zitat, diesmal von einer brasilianischen Befreiungstheologin - auch Brasilien hat für die Entwicklung in Libyen übrigens andere Vorschläge als Bomben -, Nancy Cardoso:

"A luta é bela porque é necessária."

"Der Kampf ist schön, weil er notwendig ist."

Lassen wir uns des Glücks unseres friedlichen Kampfes nicht berauben; schön ist, dass wir heute hier sind und Friedensfreunde bundesweit mit uns auf der Straße. "Selig sind, die Frieden stiften." (Mt 5,9)



Luise Albers ist Vikarin in der Kirchengemeinde St. Jürgen, Rendsburg. Vita siehe hier

E-Mail: luise_albers (at) yahoo (Punkt) de
 voriger

 nächster




       


Bereich:

Netzwerk
Die anderen Bereiche der Netzwerk-Website
        
Themen   FriedensForum Termine   AktuellesHome