2011
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24.04.2011


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Ostermärsche und -aktionen 2011

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2011 in Bremen am 23. April

Aufstehen für eine Welt des Friedens

Martin Warnecke (in Bremen)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde, liebe Atomkraftgegnerinnen und -Atomkraftgegner,

gemeinsam stehen wir heute auf für eine Welt des Friedens. Gegen alles Verharmlosen und Lügen über Krieg und Atomkraft setzen wir unsere Energie und die Wahrheit.

Deshalb beginne ich mit einem Dank meine Rede. Mein Dank gilt unserem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler. Bei einem Truppenbesuch in Afghanistan im vergangenen Jahr plauderte er aus Versehen etwas aus, was offiziell nicht ausgeplaudert werden darf, nämlich, dass der Krieg in Afghanistan aus wirtschaftlichen Gründen geführt wird, für den Zugriff auf Rohstoffe, für sichere Abtransportwege und ähnliche Dinge.

Das war zwar für viele von uns nicht neu, dass Krieg für wirtschaftliche und politische Interessen geführt wird, doch es machte viele Menschen hellhörig, die bisher geglaubt hatten, es ginge dabei um Demokratie, Menschenrechte, den Weltfrieden oder ähnliche edle Ziele. Die Wahrheit weckte viele auf. Unter dem politischen Personal unseres Landes erhob sich ein Sturm der Entrüstung, der den Bundespräsidenten letztendlich wegfegte. Grund der Entrüstung war nicht der Umstand, dass so lange Lügen über den Krieg in Afghanistan verbreitet worden waren, sondern dass einer von ihnen mal die Wahrheit gesagt hatte.

Bezüglich der Atomkraft sprechen die Katastrophen von Fukushima, Tschernobyl und Harrisburg eine unmissverständliche Sprache. Die Wahrheit macht wach. Die Wahrheit lässt viele Menschen in unserem Land aufstehen gegen Krieg und Atomenergie. Die Ostermärsche finden ja bewusst um Ostern herum statt, weil Ostern das Fest der Auferstehung, das Fest des Aufstehens ist. Wir stehen auf für eine Welt des Friedens. Wir stehen auf gegen die Lügen, mit denen der Afghanistankrieg, andere Kriege und die Atomtechnologie gerechtfertigt werden.

Schon seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999, dem ersten Angriffskrieg seit dem zweiten Weltkrieg, an dem die Bundeswehr beteiligt war, wird die Wirklichkeit des Krieges durch eine schönfärberische und verharmlosende Sprache geleugnet. Bundeskanzler Schröder sagte damals einfach "Wir führen keinen Krieg". Der Krieg wurde und wird seitdem als "humanitärer Einsatz" bezeichnet. Es wird also menschenfreundlich gebombt. Die zivilen Opfer solcher Humanität heißen heutzutage "Kollateralschäden".

Den Zweck solcher Irreführung erklärte schon 1995 der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vier-Sterne-General Klaus Naumann. Er sagte, als er über die neue Rolle der Bundeswehr als globale Interventionsarmee sprach: "Wir wollen allerdings bei solchen Einsätzen - in der Regel Einsätze außerhalb Deutschlands und aus einer Gesellschaft heraus, die weiter in Frieden lebt - die Mehrheit unserer Mitbürger hinter uns wissen." Eine Mehrheit soll innerlich Ja sagen zum Krieg.

Dafür wird nicht nur gelogen, sondern durch neue Wortschöpfungen die Wirklichkeit verschleiert und verharmlost. Da ist von "Einsatzkräften" die Rede, und gemeint ist eine Angriffsarmee. Das Tun der Bundeswehr in Afghanistan wird als "Einsatz" oder als "Friedensmission" bezeichnet. Gemeint ist Krieg. Krieg wird Frieden genannt. Und die angeblichen Gründe für den Krieg werden beliebig ausgetauscht. Mal geht es darum, Terroristen zu fangen, mal geht es um allgemeine Menschenrechte, um Frauenrechte, um Demokratie, um die Freiheit oder um den Weltfrieden. Und Atomkraftwerke sind in den Reden der Betreiber sicher, sauber, klimafreundlich und natürlich unverzichtbar.

Gegen diese Irreführungen stehen wir heute auf. Krieg ist Krieg. Kriege werden geführt, um damit Geld zu verdienen, genau wie die Atomkraftwerke. Diese sind die reinsten Gelddruckmaschinen. Und Kriege werden geführt, um sich fremde Güter und Rohstoffe anzueignen und um die eigene Macht zu festigen. Der schon erwähnte frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, sagte: "Es gibt zwei Währungen in der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen." Diese Vorgabe wurde in dem 2006 erschienen Weißbuch der Bundeswehr umgesetzt. Darin erscheint ein neues Verständnis der Begriffe "Sicherheit" und "Verteidigung", das mit den Vorgaben des Grundgesetzes, der UNO-Charta und des Völkerrechts nicht in Einklang zu bringen ist. So werden dort als Zielsetzungen und Interventionsgründe genannt: offenes Welthandelssystem, freie Transportwege, funktionierende Kommunikationssysteme, gesicherte Rohstoffzufuhr und nachhaltige Energieversorgung. Dafür wird Krieg geführt, in Afghanistan, in Libyen, am Horn von Afrika und an anderen Orten.

Heute stehen wir gegen all diese Kriege auf. In besonderer Weise bewegt uns der Krieg in Afghanistan, weil dieser angeblich auch in unserem Namen geführt wird.

Doch seit Jahren melden die Umfragen, dass 70 - 80% der Menschen in unserem Land Nein sagen zu diesem Krieg. Leider gehört dazu nicht die Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland. In einem gemeinsamen Papier aus dem Januar 2010 verharmlosten der jetzige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider, der Militärbischof Martin Dutzmann und der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms diesen Krieg als "militärische Seite" eines politischen Konzepts für Afghanistan. Sie sprechen in ihrem Papier gar nicht von Krieg, sondern von einer "Intervention mit militärischen Zwangsmitteln". Sie bekunden darin "allen, die in Afghanistan für den Frieden arbeiten, einschließlich der Angehörigen der Bundeswehr und anderer ausländischer Streitkräfte, Respekt und Dankbarkeit."

Im Februar dieses Jahres reisten die drei zu einem Truppenbesuch nach Afghanistan. Sie nannten es eine Pastoralreise, eine seelsorgerliche Reise. Auf plumpe Weise machte Präses Schneider die Soldaten zu seiner Gemeinde, die er besucht, weil er "ein ordentlicher Pfarrer" ist. Wir sind zu Ihnen gekommen, um zu sagen: "Wir stehen dazu, dass Sie unsere Leute sind", sagte Schneider zu den Soldaten.

Nach der Reise lautete ihre Botschaft, dass die Soldaten zum Schutz der Menschen in Afghanistan sind. Welch ein Hohn angesichts der vielen, auch zivilen, Opfer der ISAF-Truppen, an denen auch die Bundeswehr beteiligt ist. Eine Begegnung mit den Hinterbliebenen der Opfer von Kundus, also jenem vom deutschen Oberst Klein befohlenen Massaker, fand nicht statt. Opfer sind in den Berichten der drei Reisenden erst einmal die Soldaten. "Sie wissen gar nicht warum sie in Afghanistan sind. Sie halten ihren Kopf hin", wurde gesagt. Deshalb sollen wir ihr Handeln in Afghanistan wertschätzen. Angeblich sind sie ja in unserem Namen dort. "Unser Land" hat sie nach Auskunft der drei Reisenden geschickt, also wir alle.

Auch gegen solchen Unsinn stehen wir auf. Dieser Krieg wird nicht in unserem Namen geführt. Zusammen mit der großen Mehrheit unserer Bevölkerung fordern wir den Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und aus anderen Kriegsgebieten. Wir wollen nicht, dass angeblich in unserem Namen Krieg geführt wird und Menschen ermordet werden. Deshalb stehen wir heute hier und protestieren gegen den Afghanistan-Krieg und alle Versuche, ihn zu verharmlosen und schön zu reden.

Es ist fatal, dass ein Ratsvorsitzender der EKD mal wieder einen Krieg der eigenen Regierung hinnimmt und sich damit in Widerspruch zur biblischen Friedensbotschaft stellt. Präses Schneider sagte nach dieser Reise: "Ich halte das konkrete Vorgehen der Soldaten in Afghanistan für ethisch hinnehmbar." (FR 5.2.2011)

Und worin besteht dieses konkrete Vorgehen?

Der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Calw, Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, sagte im vergangenen Jahr: "Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten. Darum herumzureden, erscheint mir verkehrt". (20.5. 2010 in einem Interview mit der Rheinischen Post online)

"Töten und töten lassen", so beschrieb die "Süddeutsche" am 29.7.2010 in einer Überschrift den Kampfauftrag der Bundeswehr. Dieses Gebot "Töten lassen" war hier nicht als Appell an die persönliche Opferbereitschaft der Soldaten zu verstehen, sondern als Aufruf zur passiven Duldung von fremden Killer-Kommandos in Afghanistan. Damit sind die uns befreundeten Todesschwadronen der USA gemeint, die im regierungsamtlichen Schönsprech "Spezialeinheiten" genannt werden. Daran sind auch Bundeswehrsoldaten beteiligt.

Zehn Jahre dauert dieser Krieg nun schon. Er eskaliert immer mehr. 2010 war das blutigste Jahr. US und ISAF-Soldaten, einschließlich Bundeswehr, bringen bei ihren rücksichtslosen Bombardements, verpfuschten Stoßtruppunternehmen, an ihren Kontrollposten im ganzen Land, bei Durchsuchungen von Häusern und Ortschaften sowie bei Gefechten mit Aufständischen noch viel mehr Zivilisten um, als bisher gelegentlich gemeldet wird.

Und die FAZ schrieb: "Der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan ist voller Gefahren. Aber sie haben ihr Handwerk gelernt. Es ist Kriegshandwerk." Die Kunst dieses Handwerks besteht darin, andere Menschen fachgerecht vom Leben zum Tod zu befördern.

Vom Leben zum Tod, zum plötzlichen oder schleichenden Tod, befördert auch die Atomkraft unzählige Menschen. Beim Blick auf Satellitenfotos von der Ostküste Japans kommen auch Erinnerungen an die Atomwüste von Hiroshima. Seit dem 11. März erleben wir aus der Ferne eine Naturkatastrophe und eine atomare Katastrophe in Japan mit. Das Ausmaß der radioaktiven Verseuchung ist noch gar nicht absehbar, und die Gefahr eines Super-Gau besteht immer noch. Unzählige Menschen sind davon betroffen. Voller Trauer und Mitgefühl denken wir heute auch an sie.

Und wir stehen auf gegen die sogenannte zivile Nutzung der Atomtechnologie, und gegen die Atomwaffen. Beides gehört zusammen. Die Atomtechnologie wurde entwickelt, um möglichst viele Menschen möglichst schnell umzubringen. Und das tut sie.

Wer die Atomkraftwerke abschaltet, tut gleichzeitig etwas für die Abrüstung. Deshalb ist es gut, dass übermorgen, am 25. April, alle 17 Atomkraftwerke Ziel von Ostermärschen sind. Alle 17 Anlagen werden umzingelt werden mit der Forderung nach einem sofortigen Abschalten und einer bald möglichen Stilllegung. Atomkraft tötet.

Und weil wir den Worten der Politiker nicht mehr glauben, die uns mit ihrem überraschenden Sinneswandel beruhigen wollen, fordern wir Abschalten sofort, und zwar ohne jedes Wenn und Aber. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, dass so viele Menschen aufstehen gegen Atomkraft, dass Ihr alle heute hier seid.

Ein Zeichen der Hoffnung ist es auch, dass die Bundeswehr Nachwuchsprobleme hat. Sie findet nicht mehr genug Azubis für ihr tödliches Handwerk. Immer weniger junge Menschen wollen lernen, wie man das Leben und die Gesundheit von Menschen zerstört.

Um neue Rekruten zu werben und um eine größere Zustimmung unserer Bevölkerung zu erlangen, verstärkt die Bundeswehr ihre Werbekampagnen. Bei Messen und Festen, vor und in Arbeitsagenturen, sogar beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, ist die Armee präsent. Auch in Schulen wirbt die Bundeswehr regelmäßig, um neues Kanonenfutter zu bekommen. Doch es regt sich Widerstand dagegen. Immer mehr Menschen erkennen, dass die Bundeswehr in Schulen nichts zu suchen hat.

Wir sagen heute auch Nein zur Militarisierung unserer Gesellschaft und zur militärischen Indoktrination in den Schulen. Die Kooperationsvereinbarungen der Bundeswehr mit den Kultusministerien müssen gekündigt werden.

Das alles geht nur, wenn sehr viele Menschen an ihren Orten, an ihren Arbeitsplätzen, in ihren Kirchengemeinden, in ihren Familien, in ihren Vereinen und wo sie sonst noch Einfluss haben, aktiv den Todeshandwerkern entgegen treten, auch den Todeshandwerkern in der Atomindustrie.

Gemeinsam mit vielen Menschen stehen wir heute auf für eine Welt des Friedens, in der alle Menschen in Würde und Glück leben werden. Wir stehen für Versöhnung, für das Recht auf Leben und Unversehrtheit aller Menschen. In einer Welt des Friedens wird es keinen Krieg und keine Atomkraft mehr geben. Die Energie liefern Sonne, Wind und Wasser. Die Menschen werden sich gegenseitig das Leben gönnen. Die Feindschaft wird vernichtet werden, nicht die Feinde. Eine andere Welt ist möglich. Dafür werden wir gemeinsam weiter arbeiten.

Ich danke Euch für Eure Aufmerksamkeit.





Martin Warnecke ist Friedensbeauftragter der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK). Vita siehe hier

E-Mail: pastor (Punkt) warnecke (at) kirche-bremen (Punkt) de

Website: www.kirche-bremen.de/gemeinden/02_andreas/02_andreas.php
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