2011
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26.04.2011


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Ostermärsche und -aktionen 2011

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2011 in München am 23. April

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Friedensaktivisten und Atomkraftgegner

Christina Hacker (in München)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Am kommenden Dienstag, den 26. April 2011 jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 25. Mal. Als ich im Februar von der Friedensinitiative angefragt wurde, ob ich mich mit einem Redebeitrag am Ostermarsch beteiligen könne, war klar, den Tschernobyl-Jahrestag mit der unseligen Laufzeitverlängerung der schwarz-gelben Regierung und der Problematik der zivil-militärischen Verflechtung zu verbinden.

Inzwischen haben sich die Ereignisse überschlagen, mit der Katastrophe in Japan hat sich die Welt verändert. So wird uns zumindest in den Medien berichtet. Die EU möchte so genannte Stresstests an den europäischen Atomkraftwerken durchführen, wobei bis heute noch nicht definiert ist, was damit gemeint ist, von wem sie durchgeführt werden sollen und überhaupt, was das Ziel ist und welche Konsequenzen daraus gezogen werden. Werden die Tests von den Betreibern der AKWs gemacht, ist heute schon klar was dabei herauskommt: Alle sind sicher. Wie eh und je.

Was sollte auch Anderes dabei herauskommen, denn in unseren Atomkraftwerken hat sich tatsächlich nichts geändert. Sie sind exakt auf dem gleichen technischen Stand wie vor Fukushima. Und davor hat es immer geheißen: Unsere AKWs sind die sichersten der Welt. Egal, in welchem Land.

Frau Merkel, Herr Westerwelle, Herr Söder: War es das wert? Musste wirklich erst dieser neue atomare Unfall mit unvorstellbar katastrophalem Ausmaß für die Menschen und die Umwelt passieren, bis Ihre Ignoranz gegenüber den längst bekannten Risiken der Atomkraft endlich gebrochen wird?

Oder ist es doch nur wieder politisches Kalkül, vertrauend auf die kurze Halbwertzeit des menschlichen Erinnerungsvermögens?

Immerhin: Deutschland ist energisch vorgeprescht. Oder ist auch das wiederum nur Aktionismus? Die gleichen Parteien, die vor einem halben Jahr die Laufzeit- verlängerung unserer AKWs gegen den in beachtlichen Massendemonstrationen geäußerten Mehrheitswillen der Bevölkerung rücksichtslos durchboxten, haben sich scheinbar über Nacht gewandelt und siehe da: CDU, FDP und CSU überbieten sich im Wettlauf: "Wer ist der schnellere Aussteiger aus der Atomkraft". Da musste man sich schon mal morgens die Augen reiben und sich fragen, träum ich noch? Oder ist es wirklich wahr? Und tatsächlich: Von einem Tag zum anderen war es möglich, dass die sieben ältesten Atommeiler einem Moratorium unterworfen wurden. Was heißt: In kürzester Zeit waren zusammen mit dem seit Jahren abgeschaltetem AKW Krümmel acht von unseren 17 AKWs vom Netz. Und die Lichter sind nicht ausgegangen!

Doch die Atomlobby schläft nicht. Sofort kamen Meldungen, dass Deutschland nun auf Stromimporte angewiesen sei, aus Frankreich und Tschechien bezögen wir jetzt unseren Strom, natürlich aus Atomkraftwerken, die doch viel unsicherer seien, als unsere.

Tatsache ist dagegen, dass Strom schon seit vielen Jahren europaweit gehandelt wird, exportiert und importiert, über alle Ländergrenzen hinweg. Tatsache ist auch, dass Deutschland seit 2003 ein Netto-Strom-Exportland ist, d.h., wir produzieren weit mehr Strom, als wir verbrauchen. Der Stromimport der vergangenen Wochen hat nichts und wieder nichts mit den aktuell abgeschalteten acht, inzwischen sind es mit Grafenrheinfeld sogar schon neun, Atomkraftwerken zu tun. Wir haben in Deutschland stille Kraftwerksreserven, die die fehlende Leistung leicht ersetzen könnten. Aber die Konzerne kaufen lieber den gerade billigeren Strom aus dem Ausland, als ihre eigenen, etwas teureren Kraftwerke ans Netz zu bringen. Und wenn die Differenz auch nur ein Cent pro Kilowatt-Stunde ist!

Außerdem folgt der Stromhandel gerade mit Frankreich einer zeitlichen Kurve: Im Winter ist Frankreich auf Strom-Importe angewiesen, weil in Frankreich überwiegend mit Strom geheizt wird. Auch im Sommer muss Frankreich zukaufen, weil in den zunehmend heißen Perioden die Flüsse die Kühlleistung für die Atomkraftwerke nicht mehr aufbringen können. Dagegen exportiert Frankreich Strom im Frühjahr und im Herbst, wo der Stromverbrauch im eigenen Land gering ist. Im Moment ist es also nur ein zeitlich bedingtes Zusammentreffen, hat aber nichts Ursächliches mit unseren abgeschalteten Atomkraftwerken zu tun!

Wir dürfen uns nicht mit den üblichen Scheinargumenten abbringen lassen von unserem Ziel, die Abschaltung und Stilllegung aller Atomkraftwerke einzufordern. Sie werden weiter versuchen uns zu belügen, aber sie können uns nichts mehr weis machen! Denn, liebe Freundinnen und Freunde, wir schaffen die Wende, der Druck von unten muss nur groß genug bleiben! Sonst werden die Politikerinnen und Politiker schnell in ihr altes Muster zurückfallen und den Kniefall vor der allmächtigen Industrie wieder weiter pflegen! Damit muss jetzt Schluss sein!

Unsere Forderung ist klar: Die im Rahmen des Moratoriums abgeschalteten Altmeiler dürfen keinesfalls mehr ans Netz gehen. Und die anderen müssen deutlich schneller abgeschaltet werden, als im damaligen Atomkonsens festgelegt. Mit Aktivierung unserer Kraftwerksreserven können wir die Wende bis Ende nächsten Jahres schaffen.

Ja, es wird nicht ohne massive Einsparungen gehen! Ja, wir brauchen ein anderes Netzsystem und ja, wir brauchen Strom-Speichermöglichkeiten. Der Umbau wird auch nicht kostenfrei sein und es wird zumindest kurzfristig zu Lasten unserer CO2- Bilanz gehen. Aber dies ist allemal kalkulierbarer als eine neue Atomkatastrophe!

Schauen wir zurück, wie alles angefangen hat. "Atoms for Peace", Atome für den Frieden, hieß die Strategie, die der US-amerikanische Präsident Eisenhower Anfang der 1950er Jahre ausgegeben hat. Doch Frieden schaut anders aus!

Japan hat es in zynischer Weise doppelt getroffen: Militärisch durch die verheerenden Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki am Ende des 2. Weltkriegs und heute mit einer der größten zivilen Nuklearkatastrophen in Fukushima, die vor allem deshalb so dramatisch ist, weil sie noch nicht zuende ist! Das gesamte Ausmaß der Zerstörung ist heute noch gar nicht absehbar. Selbst von der atom-freundlichen Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA ist Fukushima inzwischen auf die höchst-mögliche Stufe, nämlich die von Tschernobyl gehoben worden.

Raus aus der Atomkraft muss aber zwangsläufig auch heißen: Abrüsten aller Atomwaffen! Die so genannte zivile Atomtechnik hat dafür gesorgt, dass heute mindestens neun Staaten in Besitz von Atomwaffen sind. Zu den fünf Atommächten, die bis 1967 "erfolgreich" die zivile Nutzung der Atomenergie zur Entwicklung von Atomwaffenprogrammen missbrauchten, sind bis heute vier weitere dazu gekommen: Neben USA, Frankreich, Großbritannien, China und der ehemaligen Sowjetunion gehören heute auch Pakistan, Indien, Nordkorea und Israel dazu.

Und im Iran wird seit langem schon ein Atomwaffenprogramm vermutet. Mit seinem hartnäckigen Ausbau der Urananreicherungsanlagen besteht der zwingende Verdacht, dass hier der Atomwaffenpfad eingeschlagen wurde.

Zu Zeiten des Kalten Krieges stand die Welt schon mehrfach am nuklearen Abgrund. Zu Hochzeiten umfasste das Atomwaffenarsenal 65.000 Sprengköpfe. Auch wenn es heute "nur" noch gut 20.000 sind, sind das immer noch gut 20.000 zuviel! Die lagern aber nicht alle in den Atomwaffenstaaten, weit gefehlt! Während bei den westeuropäischen Atommächten Frankreich etwa 300 und Großbritannien 200 Sprengköpfe verblieben sind, lagern unter dem Deckmantel des so genannten Nato- Schutzschirms etwa 10 in Büchel in Deutschland, zwischen 10 und 20 im belgischen Klein-Brogel, ebenso viel im niederländischen Volkel, in Aviano, Italien etwa 50 und ca. 90 in Incirlik in der Türkei. Herr Westerwelle, Sie wollten sich doch dafür einsetzen, dass Deutschland atomwaffenfrei wird! Da ist es aber seitdem sehr verdächtig still geworden!

Die zivile und die militärische Atomtechnik lassen sich nicht trennen. Erst die zivile Verbreitung der Nukleartechnologie hat dafür gesorgt, dass heute in vielen Staaten die technischen Voraussetzungen für den Bombenbau bestehen. Neben Atomkraftwerken gehören Wiederaufbereitungsanlagen, Urananreicherungsanlagen und Forschungsreaktoren dazu.

Wir haben derzeit weltweit 442 Atomkraftwerke in 31 Staaten in Betrieb. Dazu 11 Wiederaufarbeitungsanlagen in 7 Ländern (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Nordkorea und Japan) und 15 Urananreicherungsanlagen in 9 Ländern (USA, Russland, Frankreich, Großbritannien, China, Niederlande, Deutschland, Japan und Iran). Dazu kommen 234 Forschungsreaktoren in über 60 Ländern.

Auch Deutschland betreibt Forschungsreaktoren. Und Deutschland, das unter dem weltweit einzigen und einzigartigen Atomminister Franz Josef Strauß mit der geplanten Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf schon einmal ein Atomwaffenprogramm andachte, schert auch diesmal aus: Mit dem Forschungsreaktor München II hat Deutschland vor den Toren Münchens in Garching einen schädlichen Präzedenzfall geschaffen: Um einen besonders leistungsfähigen Reaktor zu bekommen, haben die Planer des FRM-II ein international aufgelegtes Abreicherungsprogramm missbraucht.

Das Programm sollte dafür sorgen, dass hochangereichertes und damit waffenfähiges Uran als Brennstoff aus dem zivilen Kreislauf herausgenommen wird. Denn Forschungsreaktoren wurden in der Regel mit hochangereichertem Uran betrieben, während in Atomkraftwerken niedrig angereichertes und damit nicht waffenfähiges Uran zum Einsatz kommt. Die Münchner Planer haben nun folgenden Coup gelandet: Sie haben den extra für dieses Abreicherungsprogramm entwickelten, niedrig angereicherten aber dafür hoch dichten Brennstoff mit Uran hoher Anreicherung kombiniert - und damit alle bisherigen Abrüstungsbemühungen untergraben.

Internationale Kritik hat zwar dazu geführt, das die Genehmigung des FRM-II mit der Auflage verknüpft war, bis Ende 2010 auf niedriger angereichertes Uran umzurüsten. Die Frist wurde nicht eingehalten, mit der Begründung, dass sich die Entwicklung des neuen Brennstoffs aufgrund technischer Schwierigkeiten verzögerte. Aber die Garchinger Betreiber haben von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass sie den FRM-II nicht umrüsten wollen. Damit geht von Deutschland ein fatales Signal aus, denn mit welcher Begründung sollte einem anderen Land der Bau eines solchen Reaktors verwehrt werden?

Und dann bleibt da noch ein Problem, das zurzeit eher vernachlässigt wird in den Diskussionen: der Atommüll. Weltweit gibt es bis heute kein betriebsbereites Endlager für hochradioaktive Abfälle. Für eine Million Jahre, so sagen die Experten, müsse der radioaktive Müll sicher verwahrt werden. In der Asse im hoch- industrialisierten und sicherheitsfanatischen Deutschland hat man es nicht einmal geschafft, den strahlenden Müll für 30 Jahre sicher zu lagern. In den japanischen Atomkraftwerken lagern die abgebrannten Brennstäbe in den Reaktoren, noch nicht einmal in externen Zwischenlagern. Deshalb ist dort das radioaktive Inventar um ein Vielfaches höher als anderswo, deshalb sind die Atomkraftwerke in Japan so gefährlich.

Gott sei Dank - kann man da nur sagen - hat Italien seine Pläne, in die Atomenergie einzusteigen, vor wenigen Tagen wieder fallengelassen. Man denke bloß an Italiens Umgang mit normalem Hausmüll, da könnte einem schon Angst und Bange werden! Insofern hat Japan einen Beitrag zum Ausstieg geleistet.

Jetzt hat Deutschland die Chance, ganz vorne dabei zu sein. Wenn die Politiker ernst machen und den Ausstieg wirklich vorantreiben, dann kann Deutschland zum Wegweiser und Exportweltmeister der Erneuerbaren Energien werden. Und wenn andere Staaten sehen, dass dies möglich ist, werden sie nachziehen.

Anstatt Unmengen von Geld in die Rüstung zu stecken, finanzieren wir doch lieber den Umbau unserer Energieversorgung. Das, liebe Freundinnen und Freunde, würde den Frieden in der Welt mehr beschleunigen als jegliche kriegerische Einmischung in interne nationale Konflikte in fernen Ländern!

Jeder und jede, die heute noch an der Atomtechnik festhalten wollen, müssen sich später einmal vorwerfen lassen, dass sie eine Mitschuld tragen an der nächsten atomaren Katastrophe! UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon z.B. hält Atomenergie nach wie vor für unverzichtbar, wie er in Kiew anlässlich eines Symposiums zum 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe erklärte:

Zitat: "Kernenergie scheint relativ sauber zu sein und eine logische Wahl bei knapper werdenden Ressourcen." Und ergänzt: "Aber wir müssen uns unbequemen Fragen stellen: Haben wir Kosten und Risiken richtig bewertet, alles getan, um die Völker der Welt zu schützen?"

Herr Ban, die Antworten auf die "unbequemen Fragen" liegen längst auf der Hand! Natürlich wurden die Risiken von den Verantwortlichen nicht richtig bewertet! Was gibt es da noch zu beschönigen? Dieser Satz vor dem unsagbaren Leid der japanischen Bevölkerung ist schon mehr als Zynismus. Herr Ban, nehmen Sie Ihren Hut und treten Sie zurück!

Es darf keine weiteren atomaren Katastrophen mehr geben. Tschernobyl und Fukushima sind schon zwei zuviel. Also lasst uns endlich das Hirn einschalten, die Atomkraftwerke abschalten und die Atomwaffen abrüsten!

Vielen Dank!



E-Mail: ch (at) umweltinstitut (Punkt) org

Website: www.umweltinstitut.org
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