Ostermärsche und -aktionen 2012

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03.04.2012


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Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Bodensse Ostermarsch 2012 in Friedrichshafen am 9. April

Liebe Freundinnen und Freunde,

Martina Knappert-Hiese (in Friedenshafen)



- Sperrfrist: 07. April, Redebeginn: ca 15 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Über die Einladung, auf der heutigen Abschlussveranstaltung zur Waffenproduktion in Friedrichshafen zu sprechen, habe ich mich sehr gefreut - vielen Dank dafür! Mit der Überschrift "Empört Euch - abrüsten, umrüsten!" werde ich zunächst einen Blick zurück wagen - auf die Geschichte der Rüstungsindustrie in Friedrichshafen. Weil wir nicht nur aus der Geschichte lernen, stelle ich Parallelen zum aktuellen politischen Geschehen her. Damit möchte ich erkennbar machen, warum das notwendige Umrüsten eine dringend erforderliche Änderung des Denkens und des Wahrnehmens benötigt.

In der offiziellen und meistens konservativ ausgerichteten Politik des Landratsamtes und der Rathäuser im Bodenseekreis gelten nach wie vor die eher antiquierten Vorstellungen von Fortschritt, Wohlstand und Wachstum. Es ist in vielen Köpfen noch immer nicht angekommen, dass die aktuelle Wirtschafts-und Finanzkrise uns vor neue Herausforderungen stellt. Es stimmt nicht, dass Wachstum immer zu Wohlstand führt und Reichtum per se positiv ist. Wenn die Differenz zwischen Arm und Reich unüberbrückbar wird, dann schadet zunehmender Reichtum ganz erheblich. Wir müssen anerkennen, dass wir keineswegs in einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft leben. Deshalb ist auch mit der Produktion totbringender Rüstungsgüter niemandem gedient. Die Waffenindustrie beschleunigt die negativen Entwicklungen in unserem ungeregelten Wirtschaftssystem ganz erheblich und hat keinerlei positive Auswirkungen. Eine rüstungsfreie Zone Bodensee ist zwingend erforderlich, weil die exportorientierte Produktion von Rüstungsgütern das ökonomische Ungleichgewicht in der Euro-Zone und weltweit nur vergrößert. Die ungebrochene Fortschritts- und Wachstumsgläubigkeit vieler Zeitgenossen könnte schlimmstenfalls zum globalen Kollaps führen, auch wenn wir das lieber verdrängen.

Auch auf den Industriestandort Friedrichshafen trifft ein universelles Spannungsverhältnis zu, das die "Umrüstung des Denkens", also die notwendige Bewusstseinsveränderung, erschwert. Schließlich sind die Menschen hier stolz auf die bekannten Namen Claude Dornier, Karl Maybach und Graf Zeppelin. Wer denkt schon daran, dass es sich bei diesen Männern eben auch um Rüstungsbarone handelte? Der positive Glaube an den Fortschritt wurde natürlich auch mit der schwäbischen Eisenbahn und der Bodensee-Dampfschifffahrt genährt. Zudem profitierten die Menschen dieser Region von dem sich entwickelnden Tourismus ganz erheblich. Die Bodenständigkeit der Oberschwaben ermöglichte eine positive Identifikation der Bevölkerung mit der prosperierenden Industrie, die im Jahr 2012 einer gründlichen Kritik standhalten muß.

In Friedrichshafen war die Rüstungsindustrie seit jeher ein entscheidender wirtschaftlicher Faktor, der für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgte. Allerdings führte sie auch zu dem größten Unglück in der Stadtgeschichte: Am 28. April 1944 wurde nahezu die gesamte Altstadt durch den Luftangriff alliierter Streitkräfte zerstört. Doch schon im Ersten Weltkrieg war Friedrichshafen ein bedeutender Fertigungssandort für Militär- und Rüstungsgüter. Besonders der Zeppelin-Konzern mit dem Luftschiffbau weckte bei den Machthabern der Weimarer Republik großes Interesse. Zeppeline konnten Luftangriffe auf feindliche Städte im europäischen Ausland fliegen. Mit über 70 Militärluftschiffen hatte der Konzern einen entscheidenden Anteil an der Bombardierung englischer Städte. Wenn wir ihn im Sommer über dem See fahren sehen, denken wir nicht mehr an diese Schattenseiten. Einheimische und Urlauber freuen sich über gutes Wetter, idyllische Dörfer im Hinterland und einen sichtbaren Wohlstand, der seinesgleichen sucht in dieser Republik. Betrachten wir dazu einige Fakten: Die Beschäftigtenzahlen des Zeppelin-Konzerns zu Beginn des 20. Jdts. zeigen, dass der damalige Wohlstand eng mit dem Tod unserer Nachbarn verknüpft war. Die Anzahl stieg von knapp 1.000 im Jahr 1914 auf über 5.000 im Jahr 1918. Zudem konnte sich der Konzern mit den Gewinnen, die in den Kriegsjahren erwirtschaftet wurden, über die Weltwirtschaftskrise retten. Die begann mit dem Schwarzen Freitag am 25.10.1929. Mir persönlich ist es vollkommen unverständlich, warum nach weniger als 90 Jahren die politisch Verantwortlichen heute nicht anerkennen, dass wir wieder auf ein vergleichbares Datum zusteuern. Allerdings besteht jetzt im 21. Jahrhundert überhaupt kein Zweifel mehr daran, dass die Auswirkungen letztlich die gesamte Menschheit und den Planeten selber betreffen könnten. Informationen über die unausweichliche Krise zu sammeln, empfiehlt sich insbesondere dann, wenn wir den erreichten Wohlstand nicht leichtfertig verspielen wollen. Wer seinen Kindern und Enkeln auch noch ein Stück vom Kuchen übrig lassen will, der muß sich entrüsten und politisch oder bürgerschaftlich engagieren.

Doch zurück zu der Zeit vor knapp 100 Jahren: Neben dem Zeppelin Konzern gab es noch die Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH, die im Ersten Weltkrieg von großer militärischer Bedeutung war. Mit der Niederlage Deutschlands wurde es dann zunächst still um die Bedeutung Friedrichshafens als Rüstungsgüterstandort. Die boomende Automobilindustrie in den 30er Jahren brachte ebenso große Erfolge, es schien ständig bergauf zu gehen. Das änderte sich schlagartig mit den Nazis. Im Auftrag des NS-Regimes kamen leistungsstarke Motoren der Maybach Motorenbau GmbH schnell in deutschen Panzern zum Einsatz. Auch der Zeppelin-Konzern wurde bald wieder für die Produktion von Rüstungsgütern benötigt. Mit Kriegsbeginn startete dort die Fertigung eines Großteils der deutschen Funkmessgeräte, Radarteile und V2 Einzelteile. In allen Firmen wurden nun verstärkt Arbeiter benötigt, so dass in Friedrichshafen sogar ein Außenlager des KZ Dachau entstand.

Der Blick auf die Geschichte kann kaum darüber hinweg täuschen, dass sich an der Problematik nichts Wesentliches geändert hat. Auch heute, 20 Jahre nach dem Kalten Krieg, leben wir wieder in einer Zeit großer Umwälzungen und Veränderungen. Dennoch wird die Rüstungsindustrie keineswegs geschmäht in dieser Region. Dass uns wieder eine kriegsähnliche Krise droht, wollen nur die wenigsten wahrhaben. Auch in Friedrichshafen und anderen Orten des Bodenseekreises fehlt es an Geldern für Schulen, Jugendarbeit, soziale Maßnahmen oder den Ausbau einer öffentlichen Infrastruktur. Vereinsarbeit und bürgerschaftliches Engagement gilt bei vielen Bürgermeistern als unentgeltliche und unerschöpfliche Ressource, die dort zum Einsatz kommen muss, wo öffentliche Gelder nicht mehr fließen. Warum Kommunen jedoch von der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise am stärksten betroffen sind, interessiert in den Rathäusern in der Regel niemanden. Welcher Bürgermeister wollte wohl drauf hinwirken, dass ein florierender Industriebetrieb seine Rüstungsgüter-Produktion umstellen müsste? Hauptsache, es fließen Gewerbesteuern in die ewig klammen Kassen. Zudem unterstützten viele Rüstungsfirmen öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Vereine, Kindergärten oder Kirchengemeinden. Sie finanzieren sozusagen den sozialen Kitt in vielen Kommunen, für den sich angesichts der Finanzkrise keine Gelder mehr auftreiben lassen. Und viele Bürgermeister verstehen nicht, warum fehlende Investitionen für soziale Maßnahmen die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Bildungschancen begünstigen.

So wird bereitwillig akzeptiert, wenn die großen Arbeitgeber der Region ihren militärischen Bereich hinter sauberen Namen verbergen, wie z.B. die ZF mit ihrer Sparte Sonderantriebstechnik. Bei unwissenden, unkritischen und fortschrittsgläubigen Zeitgenossen spielt Ethik offensichtlich keine Rolle und die Frage der Moral bleibt ausgespart. Unter dem Deckmantel der Angst gilt offensichtlich eine unausgesprochene Übereinkunft zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Z.B. baut die MTU zwar die Motoren für Panzer, Fregatten und U-Boote, geht dem Konflikt jedoch geschickt aus dem Weg. Wenn sich der ehemalige Vorsitzende der Geschäftsführung, Volker Heuer, in der Zeit vom 4.10.10 zitieren lässt, verleugnet er einfach die moralische Wahrheit. Für ihn macht es dann nämlich sehr wohl einen Unterschied, ob die Kanone für einen Panzer hergestellt oder nur dessen Motor gebaut würde. Deshalb spreche die MTU bewusst von Defence-Systemen, also von Fahrzeugen, die nicht im Angriff eingesetzt werden, sondern lediglich der Verteidigung dienten. Auf einem Globus, der nur noch das Überleben eines Teils der Menschheit garantiert, macht Verteidigung aber keinen Sinn mehr. Es sei denn, Heuer akzeptiert, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts auch Verteidigung in den totalen Krieg um Ressourcen führen könnte.

In einem Gespräch mit Dr. Dollak vom GZG über Schulkooperationen mit Häfler Rüstungsbetrieben musste ich leider feststellen, dass er meiner Argumentation gar nicht folgen wollte. Genau wie Heuer verleugnete er die moralisch-ethische Dimension des Problems und berief sich ausschließlich auf vermeintlich objektive Fakten, die für Schul-Kooperationen positiv zu werten seien.

Die MTU beschäftigt in Friedrichshafen rund 5.500 Mitarbeiter. Etwa ein Fünftel des Gesamtumsatzes wird mit dem Verteidigungsgeschäft erwirtschaftet. Das waren im Jahr 2009 rund 500 Millionen Euro. Gerade wegen der aktuellen Lage in vielen arabischen Ländern wurde die MTU von Rüstungsgegnern dafür kritisiert, dass sich ihre Motoren auch in Kriegsschiffen des ägyptischen Regimes befanden. Heuer und Dollak sollten sich einmal die Frage stellen, ob die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Nachbarländern der EU überhaupt noch eine saubere Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungskrieg ermöglichen. Wenn sie ehrlich sind, müssen sie zugeben, dass Kriege auf diesem Globus prinzipiell keine derartige Unterscheidung zulassen. Eigentlich geht es sowohl bei Verteidigung als auch bei Angriff nur noch um die Vorherrschaft derjenigen, die ihren Zugriff auf Märkte, Energie und Ressourcen sichern wollen. Längst befindet sich der Globus im Zustand des Krieges, worauf der bekannte Schweizer Weltbürger Jean Ziegler mit seinen zahlreichen Veröffentlichungen immer wieder hinweist. Die Strategen dieses Krieges verantworten indirekt auch, dass durch die wirtschaftliche Vorrangstellung einzelner Länder andere Staaten an ihrer Entwicklung gehindert werden. Dieser Krieg ist längst in Europa angekommen. Das Beispiel Griechenlands zeigt eindeutig, wie die Bevölkerung darunter leidet, dass die EU dem Land Sparmaßnahmen aufzwingt, die angeblich das europäische Finanzsystem retten sollen. Wenn das System aber krank ist, kann es aber nicht geheilt werden, indem an einzelnen Stellschrauben gedreht wird. Zu Wachstum und einem steigenden Bruttosozialprodukt trägt auch die Kriegsindustrie in Deutschland ganz erheblich bei. Ziegler spricht von der Rückkehr des Feudalismus, der auch die Demokratie bedroht. Das ist jedoch kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken und zu resignieren. Wir leben nun mal in aufregenden Zeiten, die jedem Menschen eine große Aufgabe zuweisen. Und die ist eigentlich ganz einfach: Liebe Gott über alle Dinge und den Nächsten wie Dich selbst! Denken Sie auch einmal daran, dass Gebete alleine nicht immer wirken müssen, sondern dass Gott sich auch im Handeln Ihres Nächsten zeigen könnte. Schwimmen Sie gegen den Strom, widersetzen Sie sich den Konsumzwängen des Alltags, fliegen Sie weniger in Urlaub, kaufen Sie bewusst ein, engagieren Sie sich politisch und besuchen Sie die Bürgerfragestunden in Gemeinderat und Kreistag, damit unsere Demokratie lebt! Nutzen Sie politische Bildungsangebote, üben Sie sich im Widerspruch und bei kontroversen Diskussionen und sprechen Sie mit Ihren Kindern und Nachbarn auch über unbequeme Sachverhalte. Und lassen Sie sich nicht aufhalten, selbst wenn andere sich über Sie aufregen oder Sie stoppen wollen. Empört Euch - abrüsten, umrüsten! Das gilt sowohl für die Gesellschaft als Ganzes als auch für jedes Individuum alleine!



Martina Knappert-Hiese ist

E-Mail: martina (Punkt) knappert-hiese (at) freenet (Punkt) de
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