Ostermärsche und -aktionen 2012

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07.04.2012


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Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2012 in Augsburg am 7. April

Liebe Freundinnen und Freunde!

Jost Eschenburg (in Augsburg)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Frieden hat auch mit Gefühlen zu tun. Nur wer ganz emotionslos ist, kann wie die Süddeutsche in aller Gemütsruhe schreiben, dass die israelischen Piloten bereits die Ziele auf ihren Cockpit-Karten markieren. Ich möchte Ihnen von Sarah erzählen, einer jungen Studentin, die meine Frau und ich vor zwei Jahren in Isfahan, Iran, kennen gelernt haben. Wie alle Frauen dort trägt sie in der Offentlichkeit ein schwarzes Kopftuch, das auch die Schultern bedeckt, und eine Art leichten Mantel; ihrer ist dunkelblau und sieht durchaus elegant aus. Sie ist sehr hübsch, keine Ausnahme in diesem Land. Sie studiert Informatik an der Technischen Universität Isfahan. Viele junge Frauen im Iran machen eine technische Ausbildung, viel mehr als bei uns. Eigentlich hätte sie lieber Kunst studiert, aber sie weiß nicht, ob sie davon leben kann. Als Jugendliche hat sie bei einem Weber gearbeitet, einem der besten des Landes, der nach alten Techniken kostbarste Stoffe herstellt. Wir haben ihn in seiner Werkstatt besucht. Tags darauf zeigt sie uns den zentralen Platz in Isfahan mit seinen Moscheen und Palästen aus dem 17. Jahrhundert, der Blütezeit dieser Oasenstadt, durchströmt vom "Fluss des Lebens", Sayanderud. Ich habe nie im Leben etwas Schöneres gesehen. Sarah arbeitet neben ihrem Studium im "House of Mathematics", einer Institution, die sich u.a. der Beziehung zwischen Mathematik und islamischer Kunst widmet; hier treffen sich unsere Interessen. Wir haben in diesem Land unglaublich viel Wärme, Freundlichkeit und Offenheit erfahren. Wir freuen uns schon auf den nächsten Besuch.

Iran ist ein Schwellenland mit großen Problemen, inneren wie äußeren. Die Sanktionen haben schon in der Vergangenheit schlimme Auswirkungen gehabt. Die Airbus-Flotte des Landes stammt aus den 70ger Jahren. Ersatzteile können nur auf dem schwarzen Markt beschafft werden. Seit dem 17. März wurde der Zahlungsverkehr mit Iran über das SWIFT-System der Banken blockiert. Der Handel mit dem Westen wird ganz zum Erliegen kommen. Die USA setzen alles daran, Firmen zu bestrafen, die sich nicht an das Embargo halten.

Wir kennen alle den Grund, der für diese Maßnahmen angeführt wird: der Verdacht, Iran könne sich möglicherweise Kernwaffen verschaffen. Der letzte Bericht der IAEA vom 8.

November 2011, der die augenblickliche Kampagne auslöste, ist im Netz veröffentlicht.

Er enthält keine neuen Informationen; dagegen wird 39-mal auf Informationen von Mitgliedsstaaten verwiesen, also auf Geheimdienstberichte von Organisationen wie CIA oder Mossad. Die Vertrauenswürdigkeit solcher Berichte ist uns aus der Zeit vor dem Irakkrieg in bester Erinnerung. Präsident Ahmadinedschad wird nicht müde, mit guten Gründen die Sinnlosigkeit eines iranischen Kernwaffenprogramms zu betonen, zuletzt noch in dem sehr hörenswerten ZDF-Interview vom 19.3.2012, das auf YouTube zu finden ist. Der oberste religiöse Führer Ayatolla Chamenei erließ 2005 sogar eine Fatwa gegen Kernwaffen, 1) und noch kürzlich sagte er auf einem Treffen iranischer Atomwissenschaftler: "Die Islamische Republik Iran betrachtet den Besitz von Kernwaffen als eine große Sünde und glaubt, dass die Einlagerung solcher Waffen sinnlos, schädlich und gefährlich ist."2) Doch weder solche Erklärungen noch die vergebliche Suche nach Beweisen werden den Westen und seine Medien davon abhalten, wieder und wieder zu behaupten, Iran greife "nach der Bombe" (Süddeutsche Zeitung, 10.3.12, S.10). Die Lüge von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen ist uns noch gut in Erinnerung. Iran wird sich aber durch kein Embargo und keine Drohung davon abbringen lassen, seine Rechte als Mitglied des Atomsperrvertrags wahrzunehmen. In diesem Ziel sind sich Regierung und Opposition einig.

Das sieht auch der israelische Ministerpräsident Netanyahu. Bei seinem USA-Besuch Anfan gMärz erklärte er: "Israel hat geduldig darauf gewartet, dass die internationale Gemeinschaft dieses Problem löst. Wir haben abgewartet, ob die Diplomatie funktioniert. Wir haben abgewartet, ob Sanktionen greifen. Niemand von uns kann sich erlauben, noch länger zu warten. Als Ministerprsident Israels werde ich niemals mein Volk im Schatten einer drohenden Vernichtung leben lassen."3) Starke Worte! Aber völlig absurd. Da spricht der Regierungschef eines Landes, das nicht dem Atomsperrvertrag angehört, das Kernwaffen besitzt und keinerlei Kontrollen duldet, gegen ein Mitgliedsland dieses Vertrages, das keine Kernwaffen besitzt und unter der Aufsicht der IAEA steht; der IAEA-Bericht vom November gibt davon Zeugnis. Keine auch nur annährend ähnlich aggressiven " Außerungen in umgekehrter Richtung sind bekannt. Was dahinter steckt, ist klar. Iran unterstützt die Palästinenser, und da Israel nicht in der Lage ist, mit seinen engsten Nachbarn Frieden zu schließen, muss es alle bekämpfen, die diesen Nachbarn wohlgesonnen sind. Sollte es wirklich zu einem Angriff kommen, brauchen die verständnisvollen Kommentare unserer Zeitungen nur noch aus der Schublade gezogen werden. Mir aber geht es so, dass ich an diese Möglichkeit nicht einmal zu denken wage. Sie ist für mich wie ein schwarzes Loch, absolut unvorstellbar in ihrer Furchtbarkeit. Ich bin Günter Grass sehr dankbar dafür, dass er diese Dinge öffentlich ausgesprochen hat.

Politik hat es mit der Gewalt zu tun. Deshalb hat sie zu den größten Katastrophen der Menschheit geführt. Danach gab es jedesmal den Versuch einer Eindämmung. Der letzte dieser Versuche war die Gründung der UNO und das damit verbundene Verbot des Angriffskrieges. Dieses Verbot ist heute ausgehebelt: Der Starke behält sich das Recht vor, einen Angriffskrieg zu führen als präventive "Verteidigung" oder aus "humanitären" Gründen. Beide Argumente begründeten die lange Kette westlicher Angriffskriege von 1991 bis heute. Sie haben auch schon zur Rechtfertigung von Hitlers Angriffskriegen gedient.

Genau dagegen war die UN-Charta gerichtet gewesen.

Wer dieser Tage in die Kirche geht, weiß, dass die Passionsgeschichte vom Gegensatz zweier Menschen bestimmt ist: Jesus von Nazareth, der Inbegriff der Gewaltfreiheit, und Pontius Pilatus, der Vertreter des römischen Imperiums. Leben in Fülle gegen todbringende Gewalt. Am Karfreitag scheint letztere die Oberhand zu behalten, aber Ostern feiern wir den Sieg des Lebens über den Tod. Jesus, nicht Pilatus. Ob nun aus religiösen oder aus anderen Herzensmotiven: Wir stehen hier, weil wir dem waffenstarrenden Tod keinen Zentimeter einräumen wollen, aller Propaganda und Hasspredigt der Medien zum Trotz, weil wir an Gerechtigkeit (das Recht der anderen) und Liebe glauben, nicht an Egoismus und Tod. Als wir 2010 mit Pax Christi in Palästina waren, hat ein Vertreter der Organisation "Parents Circle" palästinensischer und israelischer Eltern, die Kinder in dem Konflikt verloren haben, diesen Gedanken in einem Wortspiel auf den Punkt gebracht: "Justice" (Gerechtigkeit), nicht "just us", nur wir. Vielen Dank! (Jost Eschenburg, 7.4.2012)



Anmerkungen:

1)
http://www.ww4report.com/node/929

2)
http://iranprimer.usip.org/blog/2012/feb/22/part-i-khamenei-de
nies-nuclear-weapon


3) Botschaft des Staates Israel, Berlin, Infobrief vom 6.3.2012



E-Mail: eschenburg (at) math (Punkt) uni-augsburg (Punkt) de

Website: www.pax-christi.de
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