Ostermärsche und -aktionen 2012

update:
08.04.2012


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Ostermärsche und -aktionen 2012

 Reden/Kundgebungsbeiträge

Redebeitrag für den Ostermarsch 2012 in Frankfurt am 9. April

Sahlom Salam - Friede sei mit Euch, meine lieben Freunde hier in Frankfurt.

Shula Keshet (in Frankfurt)



- Sperrfrist: 9. April, Redebeginn: ca. 13 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Ich bin sehr stolz darauf, heute hier beim Ostermarsch dabei zu sein und Eure Vision von Frieden mit Euch zu teilen.

Ich heiße Shula Keshet, und ich bin die Vorsitzende der Achoti-A-Mizrahi-Bewegung in Israel. Ich bin eine misrachische Feministin, eine politische Aktivistin und Künstlerin.

Im Rahmen meines politischen Engagements arbeite ich mit benachteiligten Frauen in Israel und im Westjordanland. Mein Ziel ist der Kampf für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit - von einem feministischen Standpunkt aus, der Volkszugehörigkeit, Identität, Klassenzugehörigkeit, Nationalität und Geschlecht einschließt.

Der Begriff "Misrachi" wurde ursprünglich von offizieller israelischer Seite allgemein für Juden aus arabischen oder islamischen Ländern verwendet. Oft war das mit einem Hinweis auf die hinterwäldlerische Einstellung der Misrachim verbunden.

Bei unserem Kampf um unsere Würde ging es - und geht es bis heute - immer auch darum, diese negative Bedeutung umzukehren in die, wie wir Misrachim uns selbst definieren.

Wie wir dieses Wort heute verwenden, markiert unseren heutigen Standpunkt: Nach unserer Erfahrung und Analyse bedeutet Misrachi sein gewöhnlich, innerhalb Israels zu einer unterdrückten und benachteiligten Bevölkerungsgruppe zu gehören.

Seit der Gründung des Staates Israel hat es, vor dem Hintergrund fortgesetzter Diskriminierung, Widerstand von Misrachim gegeben, zum Beispiel die Black-Panthers-Bewegung, die Vadi-Salib-Revolutionäre, Gewerkschaftskämpfe und andere. Zu diesen Protestbewegungen gehört auch der fortgesetzte Kampf der Palästinenser, der seinen Gipfel in den beiden Intifadas erreichte.

Aber - wie die meisten feministischen Bewegungen der Welt erfahren müssen - ist der Großteil politischer Auseinandersetzungen von Männern dominiert und die Stimmen der Frauen bleiben meist ungehört.

Deshalb, und wegen des oft niedrigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Status der misrachischen, palästinensischen und äthiopischen Frauen, steht der Misrachi-Feminismus vor den gleichen ethnisch und geschlechtlich begründeten Herausforderungen wie die farbigen Frauen, ihre Kämpfe und Bewegungen auf der ganzen Welt.

Die ganzen 1990er Jahre hindurch haben die Misrachi-Feministinnen um ihre politische Identität gekämpft, um innerhalb der feministischen Bewegung in Israel Gehör zu finden, um deren Agenda zu erweitern und um farbigen Frauen Zugang zu verschaffen.

Im Zuge dessen sind wir Kooperationen mit arbeitenden und unterprivilegierten Frauen eingegangen, um der farbigen Frau einen Platz im Kern der feministischen Bewegung unserer Region zu verschaffen.

Farbige Frauen teilen feministische Ziele, weil sie selbst vielfach marginalisiert sind, und weil sie diese Ziele aktiv in Entscheidungsprozesse im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich einbringen.

Am 14. Juli 2011 begann in Israel ein langer Sommer sozialer und ökonomischer Proteste gegen zu hohe Wohnungskosten. Sie wurden begonnen von einer Gruppe junger Aktivisten aus der israelischen Mittelschicht. Nach ein paar Tagen beschlossen wir, eine Gruppe von Misrachi-Feministinnen, ein Protestzelt für die unterprivilegierten Gruppen aufzuschlagen.

Unser Protestzelt war das erste von vielen, die aus den sozial und wirtschaftlich am meisten benachteiligten Communities heraus entstanden. Israel ist als Gesellschaft immer noch relativ blind für geschlechtliche und ethnische Diskriminierung. Deshalb war es unbedingt nötig, diese Themen, diese Triebfedern der Diskriminierung in die Protestbewegung des Juli 2011 zu integrieren.

Für einen Moment mag es so ausgesehen haben, als sei unser Kampf derselbe - aber leider stimmte das nicht. Beim Protest der Mittelschicht ging es um das Recht auf Wohnung. Wir hingegen kämpften für das Grundrecht auf Anerkennung und die Legitimität unseres Anliegens.

Und während sich der Protest der Mittelschicht um erschwingliche Mietpreise drehte, ging es uns um grundlegende Infrastruktur-Leistungen.

Aber umn es kurz zu machen - eine Menge Aktivisten schlossen sich dem Protest unseres Zeltes an: Misrachim, äthiopische Juden, Palästinenser, Russen, politische Flüchtlinge, Obdachlose und Opfer von Frauenhandel.

Gemeinsam brachten wir die Bevölkerung dazu, immer mehr Zelte für die Unterprivilegierten zu errichten, für die weit unterhalb der Mittelschicht, und für diese seit Jahrzehnten Ausgeschlossenen gemeinsam unsere Stimme zu erheben.

Wer in den 90er Jahren vor dem Hintergrund eines optimistischen Friedensprozesses von einem neuen Nahen Osten geträumt hat, dachte üblicherweise daran, wie Israel als nicht egalitäre Gesellschaft im neuen Nahen Osten prosperieren würde. Infolgedessen machte man sich um den Riss, der quer durch die Beölkerung ging, wenig Gedanken.

Genau deshalb streben wir heute einen neuen Nahen Osten an, in dem die diskriminierten und geknebelten Minderheiten gesehen und gehört werden.

Wir wollen die Machtverhältnisse in der israelischen Gesellschaft aufbrechen, soziale und ökonomische Alternativen für marginalisierte Gruppen schaffen; wir wollen eine neue öffentliche Diskussion gegen Rassismus und gegen Geschlechterdiskriminierung und ethnische Benachteiligung entfachen.

Wir fordern multi-kulturelle Sichtbarkeit, die Entwicklung kritischen Denkens und politische Einmischung.

Wir kämpfen für Toleranz, Gleichheit und Menschenrechte - speziell für die Männer und Frauen der benachteiligten und armen sozio-ökonomischen Bevölkerungsgruppen aus den kulturellen und geografischen Randgebieten Israels - allen voran die Misrachim, Palästinenser, Beduinen, Äthiopier sowie politische Flüchtlinge und Arbeitsmigranten.

Tatsächlich gelingt es uns, diese Themen und Stimmen innerhalb der Protestbewegung nach vorn zu bringen - dank der Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen, die sich in ihrem Kampf für Anerkennung, Teilhabe und eine Stärkung ihrer gesellschaftlichen Position zusammengefunden haben.

Wir machen wirklich große Fortschritte und setzen uns zunehmend an die Spitze innovativer, kulturübergreifender und friedenstiftender Programme in unserer Region.

Ich glaube, dass unsere Arbeit vor allem deshalb möglich ist, weil die ideologischen Grundlagen des Misrachi-Feminismus zutiefst facettenreich sind und die starken Bande zwischen den jüdischen, arabischen und sonstigen Erbschaften des Nahen Ostens bewahren.

Ich glaube daran, dass es diese vielfältigen Beziehungen zwischen Frauen aus den verschiedensten Communities sind, die ein echtes und dauerhaftes Fundament für Frieden, gegenseitiges Verstehen und Gemeinschaft bilden können.

Heute feiern die Juden auf der ganzen Welt das Passah-Fest. Das Passah-Fest symbolisiert den Auszug aus der Sklaverei in die Freiheit. Um das zu erreichen, muss der Tanz des Todes und der Zerstörung beendet werden.

Wir verlangen, dass Krieg keine Option mehr, dass Gewalt keine Strategie und Töten keine Alternative mehr sein darf. Stattdessen müssen wir anfangen, eine Gesellschaft des Friedens zu errichten, in der jeder und jede Einzelne ein Leben in Sicherheit führen kann - in jeder persönlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hinsicht.

Wir fordern dies, weil es unübersehbar deutlich ist, dass es die Frauen und andere marginalisierte Gruppen sind, die den höchsten Preis im israelisch-palästinensischen Konflikt zahlen. Diejenigen, die schon immer im toten Winkel der Gesellschaft stehen, die außen vor gelassen werden, und die allenfalls in Kausalitätsstatistiken auftauchen und als machtlose Randfiguren der politischen Diskussion.

Ich danke euch.

Übersetzung aus dem englischen: Ostermarschbüro Frankfurt (WvO)



Englisches Orginal:

Shalom Salam, Peace to you all my dear friends in Frankfurt.

I am very proud of being here today in the Easter March and sharing your vision of Peace

My name is Shula Keshet and I am the executive director of Achoti- A Mizrahi Feminist Movement in Israel. I am a Mizrahi feminist, political activist and artist."

"Along with my political engagement working with marginalized women in Israel and the West Bank, my goal, is to promote issues of social and economic justice, from a Feminist viewpoint that combines ethnicity, identity, social class, nationality and gender.

Mizrahi is an expression, first given by Israeli authorities to Jews whose country of origin is Arabic or Islamic in general. Often the term was used to describe the backward nature of the Mizrahim.

Part of our struggle for dignity was and is turning this negative usage around into one in which we, the Mizrahim, employ to define ourselves.

And in our own new usage we take a new stand saying that we have already thought out and analyzed the experience of Mizrahim, usually as one of oppressed and degraded people in Israel.

Since the establishment of the state of Israel, in light of continued discrimination, there have been struggles by Mizrahi people. Movements such as the Black Panthers, Vadi Salib revolutionists, trade union struggles, and more. Alongside these protest movements, the ongoing Palestinian struggle reached its peak in the two Intifadas.

However, as most feminist movements throughout the world encounter, the majority of political struggles are dominated by men and the voices of women are mostly left unheard.

"In general, because of these events and the often low economic, social, and political status of Mizrahi, Palestinian and Ethiopian women " Mizrahi feminism shares the ethnic and gendered challenges faced by women of color - their struggles and movements throughout the world.

"Throughout the 1990`s Mizrahi Feminists, struggled for the politics of identity, in order to make their voices heard within the feminist movement in Israel, and to diversify the agenda and include women of color.

As a response, we created a collaboration of blue collar/underprivileged women as a means to place women of color in the centre of the feminist movement in the region."

Women of color share feminist agendas by representing marginalized women and inserting them into processes of decision-making in political, economic, and social arenas.

On July the 14th 2011, Israel saw the birth of a long summer of social and economic protests which focused on the high cost of housing. It started with a group of young Israeli activists from the middle class. After a few days, we, a group of Mizrahi Feminist activists, decided to pitch a protest tent for the underprivileged groups.

Our protest tent was the first of many that emerged out of the socially and economically most deprived communities. Since Israel is still relatively a gender blind and ethnicity blind society, it was most necessary to channel these elements, which still function as forces of discrimination, into the July 2011 protest movement.

For a moment, some might have thought that there we were living the same struggle - but alas that was not so. While the Middle Class protest was focused on the right for housing, we struggled for the basic right for recognition and legitimacy.

And while the middle class protest was for reasonable rent prices, we struggled for basic infrastructure services.

In short, many activists joined our protest tent: Mizrahim, Ethiopian Jews, Palestinians, Russians, Political refugees, Homeless people, and victims of women trafficking.

Together we urged people to construct more and more tents for the underprivileged, way below the middle class, and together to cry out loud for those who have been excluded for decades.

Those who dreamed of a New Middle East in the 1990`s against the background of an optimistic peace process, usually thought of the way a non -egalitarian Israeli economy would prosper in the new middle east. And, the division of well being amongst Israeli citizens was not a focus of concern.

Therefore, we aim today to a new middle east that gives voice and visibility to the discriminated and silenced minorities.

We strive to deconstruct the basis of power relations in Israeli society, create social-economic alternatives for marginalized groups, promote new public discourse against racism and discrimination against gender and ethnic minorities in Israel.

We demand multi-cultural visibility, develop critical thinking, and promote activism.

We act to promote tolerance, equality, human rights " especially among women and men from disadvantaged and low-income socio-economic groups from the cultural and geographic peripheries of Israel, in particular Mizrahi, Palestinian, Bedouin, Ethiopian as well as political refugees and working immigrants.

And indeed we succeed in bringing these issues and voices to the forefront of the protest, due to the collaboration that was created amongst the various groups in their struggles for acknowledgement, empowerment, and strengthening their situations.

In fact, we are making great strides and becoming a leader in innovative, cross-cultural, and peace building programs in the region."

"I believe, our work is possible because of the ideological foundations of Mizrahi Feminism which is inherently diverse and maintains strong ties to our unique combination of Jewish, Arab and other Middle Eastern heritages.

I believe, it is through the diverse relationship built between women from these various communities that real and lasting foundations of peace, understanding, and corporation can be founded."

Today, Jews all over the world are celebrating Passover. Passover holiday symbolizes exiting From Slavery to Freedom. To achieve that, the dance of death and destruction must come to an end.

We demand that war no longer be an option, nor violence as a strategy, nor killing as an alternative. Instead, we must begin to build a society of peace where in which every individual, both male and female, can lead a life of security - on all personal, economic, and social levels.

This comes, as it is desperately clear that the highest prices paid in the Israeli - Palestinian conflict are by women and other marginalized groups. Who now, as in the past, are always excluded from the public eye, left aside, only to be considered in causality statistics and as powerless players in dominant discourses.

"Thank you."



Shula Keshet ist Vorsitzende der "Achoti-A-Mizrahi"-Bewegung in Israel und aktiv bei den Sozialprotesten in Tel Aviv.
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