OM 2013

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29.03.2013


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Ostermärsche und -aktionen 2013

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2013 in Bern am 1. April

Liebe Freundinnen und Freunde,

Andreas Cassee (in Bern)



- Sperrfrist: 1. April, Redebeginn: ca. 14 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Am 9. Juni ist es wieder einmal so weit: Wir stimmen über eine neuerliche Revision, sprich: eine weitere Aushöhlung des Asylrechts ab.

Lange hat die Rechte in diesem Land vorgegeben, nichts gegen sogenannt "richtige" Flüchtlinge zu haben, man wolle bloss den "Missbrauch" des Asylwesens durch sogenannt "falsche" Wirtschaftsflüchtlinge bekämpfen. Das war von Anfang an ein falsches Spiel. Doch spätestens mit der neuesten Verschärfung sollte allen klar geworden sein, dass es SVP und Konsorten in Wahrheit sehr wohl gegen politisch Verfolgte geht.

Mit dem Botschaftsverfahren soll nämlich ausgerechnet der Weg zum Asyl abgeschafft werden, bei dem es überhaupt keinen "Missbrauch" gibt. 96 Prozent der Gesuchstellerinnen, die im Rahmen eines Botschaftsverfahrens in die Schweiz eingereist sind, wurden als schutzwürdig eingestuft. Die Rechte will nun also, dass diese schutzwürdigen Personen kein Asyl mehr erhalten. Klarer kann man seine Verachtung für die Rechte politisch Verfolgter fast nicht mehr ausdrücken.

Sagen wir also offen, was die ewigen Verschärfer wollen: Sie wollen nicht den Missbrauch, sondern den Gebrauch des Asylrechts bekämpfen. Sie wollen, dass an Leib und Leben bedrohte Menschen bleiben, wo sie sind, statt bei uns um Asyl zu ersuchen. Und um dies zu erreichen, wollen die Verschärfer dieses Land für Schutzsuchende so unattraktiv machen, dass irgendwann niemand mehr bei uns Schutz sucht.

Das Problem ist nur, dass Flüchtlinge natürlich ohnehin keine besonders attraktiven Optionen haben. Und deshalb wird immer weiter an der Verschärfungsspirale gedreht. Ihr habt im Herkunftsland kein menschenwürdiges Leben? Dann sorgen wir dafür, dass es euch hier in der Schweiz nicht besser geht! Euch droht im Herkunftsland Lagerhaft? Dann stecken wir euch eben auch in Lager, wenn ihr in die Schweiz kommt!

Zur Rechtfertigung dieser Politik wird dann jeweils angeführt, man müsse halt die "Ängste in der Bevölkerung" ernst nehmen. Das sollten wir zweifellos tun. Doch Ängste ernst zu nehmen, heisst nicht, sie für bare Münze zu nehmen oder gar weiter zu schüren. Und die Schweiz kommt mir je länger je mehr vor wie eine psychiatrische Klinik, in der Verfolgungswahn "therapiert" wird, indem man den Patienten bewaffneten Schutz vor ihren vermeintlichen Verfolgern gewährt.

Oft wird die unmenschliche Asylpolitik auch damit gerechtfertigt, dass es sich bei den Betroffenen ja mehrheitlich um "gesunde junge Männer" handle. Sie müssen mal googeln, wie oft die Phrase "gesunde junge Männer" in der asylpolitischen Diskussion in letzter Zeit verwendet wird. Dazu möchte ich gerne mal zwei Dinge loswerden: Erstens finde ich in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nirgends eine Ausnahmeklausel für diese Personengruppe: Die Menschenrechte gelten also auch für gesunde junge Männer!

Und zweitens sind es natürlich gerade die Asylverschärfer selbst, die dafür sorgen, dass vor allem junge, gesunde und männliche Schutzsuchende überhaupt noch eine Chance haben, in der Schweiz Asyl zu erhalten. Genau diese Wirkung hat nämlich die Abschaffung des Botschaftsverfahrens: Man reisst die letzte Brücke ein, über die Schutzsuchende in die Schweiz gelangen, welche die gefährliche irreguläre Reise nach Europa nicht überstehen würden. Und dann beklagt man sich, dass übers Mittelmeer, diesen Burggraben der Festung Europa, vornehmlich junge Männer zu uns kommen.

Eine Gruppe junger Menschen steht ganz besonders im Visier der Asylverschärfer, nämlich die Kriegsdienstverweigerer. Sie werden als Drückeberger und Scheinflüchtlinge diffamiert. Dabei gibt es kaum etwas, was so vorbehaltlos als mutig bezeichnet werden kann wie der Entscheid, einem Unrechtsregime den Kriegsdienst zu verweigern. Die Menschen, die diesen Weg gehen, nehmen ein erhebliches persönliches Risiko in Kauf, um sich nicht an Gewalttaten beteiligen zu müssen. Sie sind keine Scheinflüchtlinge, sondern Helden.

In der Solidarität mit den Kriegsdienstverweigerern und Deserteurinnen verbindet sich das asylpolitische Thema des diesjährigen Ostermarsches mit der langen friedenspolitischen Tradition dieser Veranstaltung. Ich möchte deshalb alle, die sich der Humanität und dem Frieden verpflichtet fühlen, dazu aufrufen, sich aktiv an der Kampagne gegen die Verschärfung des Asylgesetzes zu beteiligen und am 9. Juni ein Nein in die Urne zu legen. Ein Nein zur Politik der Angst, ein Nein zur Politik des Hasses und ein lautes Nein zum Nationalismus, der schon mehr als genug Leid über die Menschheit gebracht hat!


Andreas Cassee ist Autor und Co-Herausgeber von "Migration und Ethik". Vita siehe hier

E-Mail: cassee (at) philos (Punkt) uzh (Punkt) ch

Website: www.ethik.uzh.ch/afe/ma/andreascassee.html
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