OM 2013

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30.03.2013


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Ostermärsche und -aktionen 2013

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2013 in Ellwangen am 30. März

Liebe Freundinnen und Freunde des Ostermarsches,

Rolf Siedler (in Ellwangen)



- Sperrfrist: 30. März, Redebeginn: ca. XX Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -



Bassekou Kouyate ist ein bekannter Musiker in Mali, ein Geschichtenerzähler, ein Star. Heute mehr denn je. Er war mit Freunden gerade im Studio, um eine neue CD aufzunehmen, als draußen vor dem Fenster Schüsse fielen. Der Krieg, bisher begrenzt auf den Norden Malis, hatte endgültig den Süden, auch die Hauptstadt, in der er weilte, erreicht. Was sich lange abgezeichnet hatte, traf also ein.

Bassekou Kouyate und seine Musiker überfiel die Angst. Was tun? Aufhören, sich in Sicherheit bringen, schweigen, abwarten, sich verstecken, Hilfe rufen - aber wen, oder: weitermachen. Denn da war dieses Lied: "Jama ko" - was so viel bedeutet, wie: lasst uns zusammen kommen. Genau dieses Lied wollte er in diesen Augenblicken aufnehmen. Jama ko, ein Lied ganz im traditionellen Stil, aber mit einem unüberhörbaren, wütenden politischen Appell. Radikale Islamisten wollten mit allen Mitteln unterbinden, was in der Tradition Malis einen zentralen kulturellen Wert darstellt: zusammen zu kommen, um gemeinsam Musik zu machen, ein Fest zu feiern, den Geschichten zuzuhören, zu plaudern, zu überlegen; und dies ohne Rücksicht auf religiöse, ethnische oder politische Zugehörigkeiten. Jamo ko - alle, so die Botschaft des Songs, sollten zusammen kommen. In öffentlichen Räumen, für jeden sichtbar. Wann immer sie wollten. Jama ko. Genau dies also wollten sie sich nicht verbieten lassen. Von niemand. Schon gar nicht von islamistischen Milizen, die die Zerstörung der malischen Gesellschaft und Tradition zur Tugend erhoben.

Jama ko. Der Aufruf: lasst uns zusammen kommen, eigentlich völlig unspektakulär, wurde so mit einem Mal zu einer gefährlichen Botschaft. Während die Aufnahme lief, wurden die Gefechte intensiver. Kouyate hatte sich entschieden. Er machte weiter. Alle machten sie weiter. Jama ko. Sie nahmen das Lied auf, während draußen der Krieg und mit ihm das Misstrauen, die Angst, Feindbilder und ideologische Kälte den Alltag zu diktieren begann.

Die Botschaft des Liedes, ihr wütender, engagierter Unterton wurde von seinen Landsleuten verstanden und verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land. Mit immer neuen Textvarianten wurde Jama ko zur Hymne gegen jede Form kultureller Bevormundung, gegen alle Versuche, Ethnien, Religionen gegeneinander aufzubringen und auszuspielen, gegen alle Versuche, das Menschliche unter einer Wolke aus Angst und Mutlosigkeit zu ersticken.

In Mali kennt jeder das Lied. Die Botschaft ist nicht mehr aus der Welt zu kriegen. So was macht die Machthaber immer nervös. Denn offensichtlich werden sie, die Machthaber in aller Welt immer dann unruhig, wenn das Volk, wenn Menschen sich nicht mehr verstecken, sondern wenn sie - allen Verboten zum Trotz - zusammen kommen. Wenn sie den Frühling proben. Wenn sie sich nicht vorschreiben lassen, was sie zu denken haben, wie sie zu fühlen haben und wen sie wann zu ihren Feinden erklären sollen. Jama ko - ein paar Worte in ein Lied gekleidet gegen die Zerstörung der Gesellschaft in Mali. David gegen Goliath. Worte gegen Waffen. Jama ko - Kouyate meint es ernst.

Unweigerlich hört man im Hintergrund die schulmeisterliche Zurechtweisung, ja Verspottung all derer durch unsere Politiker, die wie Kouyte an die Kraft von Worten, an die Kraft von Liedern, an die Kraft des Zusammen kommens, an die Kraft der Phantasie zu glauben wagen. Wie aberwitzig, wie naiv, wie weltfern sei die Vorstellung, dass damit ein Krieg verhindert oder beendet werden kann.

Seit Jahren wird unserer Republik, wird uns allen mit erhobenem Zeigefinger unablässig erklärt, dass es zu dem, was politisch entschieden ist, keine Alternative gibt. Nicht zu Hartz IV, nicht zu Afghanistan, nicht zu Euro-Rettung, nicht zu Griechenland, nicht zu Zypern, nicht zu Niedriglohn, nicht zum Töten mit Drohnen und natürlich auch nicht zum Einsatz in Mali. Basta. Der erhobene, zurechtweisende Zeigefinger der Dompteure - nicht nur der von Angela Merkel - hat das Sagen in unserem Land und nicht die einladende Hand. Alternativen gibt es nicht. Punkt. Der Glaube daran, dass in Mali andere, nicht-militärische Lösungen des Konflikts angestrebt oder wenigstens angedacht und versucht hätten werden können, wird in unserer zunehmend militarisierten "Zeigefinger-Demokratie" im Keim erstickt.

Würde man den drohend erhobenen Zeigefinger mal senken, sich etwas bescheidener geben, in sich gehen und kritisch nachdenken, dann müsste man ganz nüchtern zugestehen, dass man nichts, aber auch gar nichts dafür getan hat, die mit modernsten Waffen hochgerüsteten lybischen Krieger, die sich nach dem Fall Gadaffis samt ihren Waffen, auch aus Furcht vor Racheakten, in den Süden, also auch nach Mali abgesetzt hatten, zu entwaffnen.

Man müsste ferner zugeben, dass man nichts dafür getan hat, ihnen, die nichts anderes als das rohe Kriegshandwerk gelernt haben, eine andere oder überhaupt eine persönliche oder soziale Perspektive in einem Land zu ermöglichen, in dem sie als Fremde unter verarmten Touaregs nicht gerade willkommen waren.

Man müsste zugeben, dass man unterschätzt, besser gesagt: ignoriert hat, wie hoch die Unzufriedenheit im Norden Malis ist, der sich seit Jahren vom Süden Malis vernachlässigt fühlte.

Man müsste zugeben, dass man viel zu wenig unternommen hat, um die soziale Situation zu verbessern, die Infrastruktur zu stärken, die demokratischen Institutionen zu stützen, auch die Kultur, die Nichtregierungsorganisationen, die Initiativen von Menschen.

Man müsste eingestehen, dass es eine Katastrophe ist, wenn die Bauern in Mali auf ihren Felder Baumwolle pflanzen und immer weniger dafür auf dem von der USA dominierten Weltmarkt bekommen. Man müsste zugeben, dass in Mali Uran für europäische Atomkraftwerke zu einem Spottpreis und mit erheblichen gesundheitlichen Gefährdungen der Arbeiter ausgebeutet und abgebaut wurde, vor allem für die französischen Meiler.

Man müsste sehr erschrocken sein über die Gleichgültigkeit, mit der man kollektiv mit den Achseln gezuckt und erklärt hat: so ist halt der Wettbewerb in einem neoliberal konstruierten Weltmarkt.

Über 50% der Menschen in Mali leben in extremer Armut. Nur 64% haben Zugang zu frischem Trinkwasser. Gerade mal 31% können lesen und schreiben. Die Kindersterblichkeit ist enorm hoch. Bodenschätze sind rar. Ja gewiss: Konflikte haben oft eine lange Geschichte. Haben eine Menge Ursachen. Sie sind eben nicht nur das Produkt islamistischer Krieger.

Dennoch wurde die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik für Mali 2010 ausgesetzt. So steht es ganz schlicht auf der Seite des Niebel-Ministeriums, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Kein Wunder: das Ministerium nennt sich Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Erst die wirtschaftliche Zusammenarbeit, dann, wenn überhaupt, die Entwicklung, die Dirk Niebel - man weiß nicht, wie er es eigentlich gemeint hat - als "schärfstes Schwert" bezeichnet hat.

120 Millionen Euro Entwicklungsgelder hatte man dem bitterarmen Land zugesagt. Setzt man diesen zugesagten und nach dem Putsch eingestellten Etat für die Entwicklungszusammenarbeit in Relation zu den Hunderten von Milliarden, die für die Rettung der maroden Banken in fragwürdigen Nacht- und Nebelaktionen freigemacht wurden und setzt man dies in Relation zu dem, was der Militäreinsatz, vor allem der Franzosen in Mali verschlingt, und setzt man dies in Relation zu den Tausenden von Euro, die das Fotoshooting von Dirk Niebel in Mali vor ein paar Wochen gekostet haben dürfte - Niebel auf dem Staudamm, Niebel vor traditionell gekleideten Frauen, die in die Hände klatschen, Niebel mit der Hand auf Nahrungsmittelsäcken, die nicht die Bundesrepublik, sondern die Welthungerhilfe dahin gebracht hat, dann kann man nur mit dem kürzlich verstorbenen Stephane Hessel sagen: indignez vouz, empört Euch über solch kurzsichtige, bornierte, falsche, grausam unmenschliche politische Alternativlosigkeit, die nur verschleiert, dass uns das bitterarme Land egal war. Wir haben uns nicht mit der Situation dort auseinandergesetzt.

Mali ist nur ein Beispiel für den gegenwärtigen Umgang mit Krisenregionen. Wenn man lange genug untätig geblieben ist, wenn alle gesellschaftlichen Institutionen darniederliegen, wenn Milizen, Terroristen oder sonst wer plündernd durch das Land ziehen, und wenn der internationale Verkehr gefährdet ist, und, wie die Kanzlerin sagte, auch unsere Sicherheit bedroht ist - dann, ja dann hat man endlich das buchstäblich schlagende Argument dafür, dass keine andere Wahl bleibt, als mit militärischen Feldzügen das Land zu befrieden, die wie am Beispiel Mali praktiziert unweigerlich Bilder aus der Kolonialzeit hervorbeschwören.

Doch es ist in Mali wie in allen anderen Krisenherden, in denen militärischen Interventionen mit nahezu vergleichbaren Zielsetzungen in den zurückliegenden Jahren begründet wurden, zu befürchten, dass es nicht oder nur vorübergehend gelingen wird, die offiziell ausgegebenen Ziele zu erreichen, geschweige denn die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen zu beseitigen. Es ist eher das Gegenteil zu befürchten: dass die Solidarisierung mit gefährlichen Gruppierungen zunimmt und diese dadurch erst recht stark gemacht werden.

Es geht nichts daran vorbei, eine andere Politik zu machen. Die Militarisierung der Außenpolitik ist ein schleichender Prozeß. Wir müssen laut sagen, dass es eine Lüge ist zu behaupten, es gäbe keine Alternativen. Wir müssen laut sagen, dass die Politik der neoliberalen Arroganz versagt hat, dass sie vorbei ist, dass sie keine Lösungen bereit hält für die notwendigen Entwicklungen der Verlierer. Wir müssen dafür sorgen, dass nicht weiter herablassend ignorant auf die Leute in Mali, in Spanien, Portugal, Cypern oder sonst wo herabschaut wird, um ihnen - immer wieder mit erhobenem Zeigefinger - unseren Willen und unsere Vorstellung von Politik aufzuzwingen. Kouyate würde statt dessen singen: Jama ko - lasst uns doch bitte um Gottes Willen zusammenkommen, es gibt so viel zu erzählen, es gibt so viel zu besprechen. Wir müssen reden. Über die strukturellen Ursachen, über Drogenhandel, Goldreserven, über die Situation der Stämme im Norden, der Bauern, der Frauen. Wir müssen reden über eure Rolle. Ihr müsst uns zuhören. Wir wollen auf Augenhöhe mit euch sein. Wir sind kein Rumpfstaat. Wir haben gelernt, mit sehr, sehr wenig zu Recht zu kommen. Ob ihr das auch könnt?

Aber unsere Politik funktioniert - leider - anders: aus der jeweils vorher versprochenen Exit-Strategie, bei der Ziele - mit und ohne UNO - formuliert werden, entstehen über Nacht

"moving targets" - bewegliche Ziele. Wenn sich die Giftgasfabriken nicht finden lassen, mit denen der Krieg gegen den Irak begründet wurde, dann lässt man sich halt ein anderes Ziel einfallen. Moving Targets. Das ist Betrug! Das ist das Vortäuschen falscher Tatsachen. Das ist vorsätzliches Vergessen. Das darf so nicht sein!

Die Politik ist mit anderen Themen beschäftigt. Mit der Entwicklung und dem Einsatz von Drohnen etwa, die lautlos über die Republik schweben sollen. Zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes. Zum Sammeln von Daten. Natürlich nicht bewaffnet. Ein Millionengeschäft. Der größte Wachstumsmarkt im Bereich der Rüstungsgüter. Dass damit eine neue, noch perfidere, noch mehr der demokratischen Kontrolle entzogene Form der Kriegsführung einhergeht, das Töten auf Knopfdruck ohne eigene Verluste, das wird nicht gefragt, solange sich damit Geld verdienen lässt. Der Tode ist ein Meister aus Deutschland. Und Deutschland findet sich in der Spitzengruppe der Waffenhersteller. Ein kleiner Klüngel entscheidet, was an wen exportiert wird.

Deshalb, liebe Freunde, Jama ko - lasst uns zusammen kommen. Lasst uns die Dinge offen besprechen, lasst uns der Zeigefinger-Politik den Garaus machen. Oder, um es mit Kästner zu formulieren: was auch immer geschieht, niemals sollt ihr soweit sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.

Ein frohes, friedfertiges Osterfest. Lasst uns zusammenkommen und zusammenbleiben. Bassekou Kouyate hätte gewiss seine Freude daran, dass in Ellwangen seit Jahren Friedensfreunde treu zusammenkommen. Vielleicht kommt ja eines Tages auch mal der engagierte Rapper Heinz Ratz hier vorbei - der hat eine Band gegründet mit Musikern, die in Asylantenheimen in Deutschland hausen, ja: hausen - Musiker auch aus Mali; mit den Konzerteinnahmen und Spenden kauft er den oft völlig deprimierten Instrumente, motiviert sie zum Musizieren " die 1000-Brücken Tour war ein grandioser Erfolg. Es gibt sie also doch, die Alternativen. Eine andere Welt ist möglich.



Dr. Rolf Siedler ist tätig bei der Kath. Betriebsseelsorge Ostwürttemberg.

E-Mail: aalen (at) betriebsseelsorge (Punkt) de
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