OM 2013

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04.04.2013


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Ostermärsche und -aktionen 2013

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Redebeitrag für den Ostermarsch 2013 in Augsburg am 30. März

Liebe Freundinnen und Freunde!

Jost Eschenburg (Augsburg)



- Es gilt das gesprochene Wort -



Der Nahostkonflikt findet kein Ende. Dabei scheint eine Lösung auf der Hand zu liegen: Die Palästinenser bekämen im Wesentlichen die 1967 besetzten Territorien als eigenes Staatsgebiet mit Ostjerusalem als Hauptstadt. Die Mauer würde abgerissen und die beiden Staaten gingen eine enge wirtschaftliche und politische Allianz ein. Alle Friedenspläne der Vergangenheit und Gegenwart laufen auf diese Lösung hinaus. Aber dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Auf unserer Pax-Christi-Reise nach Israel und Palästina im September 2012 haben wir besser verstanden, woran das liegt.

Ich möchte Euch mit Bob Lang bekannt machen, ein gebürtiger Amerikaner jüdischer Ab-stammung mit deutschen Wurzeln. Er wohnt in Efrata, einer jüdischen Siedlung auf einem Hügel südlich von Bethlehem, mitten im besetzten Westjordanland. Nach Tätigkeiten in verschiedenen israelischen Regierungen arbeitet er heute in der Gemeindeverwaltung von Efrata und in der Siedlerbewegung. Er lädt Besuchergruppen wie die unsere in sein schönes Haus ein und erklärt ihnen die Situation aus seiner Sicht. Wir sind für die Einheit Palästinas, so sagt er. Hier in Judäa und Samaria - so nennen wir die besetzten Gebiete - hier hat sich der wichtigste Teil unserer biblischen Geschichte abgespielt. Wir haben jedes Recht, hier zu leben, mehr als jeder andere. Auch aus strategischen Gründen müssen wir die Hügelkämme besetzen. Palästina ist wie ein Dach zwischen Mittelmeer und Jordan-tal; wer auf dem Dachfirst sitzt, hat das Land unter sich. Das Leben hier ist bequem, die Verkehrsverbindungen sind ausgezeichnet. in einer halben Stunde sind wir im Zentrum von Jerusalem, in einer Stunde in Tel Aviv. Deshalb sind die Grundstückspreise hier schon fast so hoch wie in der Großstadt. Die arabischen Palästinenser sind uns willkommen; wir haben gute Beziehungen zu zwei arabischen Nachbardörfern und versorgen sie sogar mit unserem Wasser; darüber dürfen wir aber nicht so laut reden. Wir meinen, sie sollen die Rechte der arabischen Bürger Israels bekommen. Aber dieser Staat muss ein jüdischer Staat bleiben.

Die Idee einer Einstaatenlösung hat vieles für sich; nicht wenige unserer Freunde aus der palästinensischen und israelischen Friedensbewegung halten sie mittlerweile für die einzig mögliche. Aber ein Staat für zwei Völker wäre kein jüdischer Staat mehr, sondern ein jüdisch-palästinensischer.

Logisch gesehen gibt es nur diese beiden Wege zum Frieden zwischen den beiden Völkern: Entweder sie teilen das Land in zwei Staaten oder sie teilen sich einen Staat. Aber beide Wege sind blockiert: Die Mehrheit der Israelis lehnt einen gemeinsamen Staat ab (was die Palästinenser mehrheitlich denken, ist unbekannt), und die Siedler wollen die Westbank ("Judäa und Samaria") nicht den Palästinensern überlassen.

Was bleibt, ist der Status Quo, die für die Palästinenser mit Abstand schlechteste Lösung. Die jetzige Situation ist aus den gescheiterten Oslo-Verträgen von 1993 hervorgegangen. Damals wurde die Westbank in drei Zonen eingeteilt, A, B und C, die nacheinander an die Palätinensische Autonomie übergeben werden sollten. Zone A und B umfasst die palästinensischen Städte und Ortschaften, Zone C das Land dazwischen, fast zwei Drittel des Bodens. Diese Zone steht noch immer vollständig unter israelischer Militärhoheit. Hier auf den Hügelkämmen liegen alle israelischen Siedlungen. In Zone C wohnen dreimal so viele israelische Siedler wie Palästinenser; sie kontrollieren fast die Hälfte des Bodens und haben eine eigene Infrastruktur (Verkehr, Wasser, Industrie und Landwirtschaft), die von den Palästinensern nicht beeinflusst werden kann und ihnen nur wenig zugute kommt, vielfach aber schadet, weil ihnen das Wasser abgegraben, das Land beschlagnahmt und ihre Bewegungsfreiheit beschränkt wird und die stark subventionierten israelischen Betriebe auf ihrem Grund ihre eigene wirtschaftliche Entwicklung blockieren.

Können wir in Deutschland etwas beitragen, um Frieden und Gerechtigkeit voranzubringen in diesem Konflikt, der nicht nur den unmittelbar Beteiligten schadet, sondern auch den Weltfrieden bedroht und schon vielfach direkt oder indirekt zu Kriegen Anlass gegeben hat? Ein kleiner Beitrag ist die von Pax Christi ins Leben gerufene Kampagne "Besatzung schmeckt bitter", an der sich alle beteiligen können. Dabei geht es um Lebensmittel mit der Herkunftsbezeichnung "Israel". Stammen sie wirklich aus Israel oder wurden sie in israelischen Siedlungen in der Westbank hergestellt? Fragen Sie im Laden nach! Zollrechtlich ist es ein Unterschied; Waren aus Israel werden fast wie EU-Waren behandelt, aber die besetzten Gebiete werden nicht zu Israel gezählt. Die Zollbehörden kennen also die genaue Herkunft, nur die Verbraucher erfahren sie bisher nicht. Solange nicht die Palästinenser darüber entscheiden, welche israelischen Betriebe sich bei ihnen ansiedeln dürfen, sondern die israelische Militärverwaltung, solange möchten wir als Verbraucher darüber informiert sein, woher die Waren wirklich kommen. In England besteht bereits eine solche Kennzeichnungspflicht, und in anderen EU-Staaten (Holland, Belgien, Dänemark) und auch auf EU-Ebene wird sie diskutiert.

Was tun die Palästinenser selbst in dieser Situation? Ihre Reaktion ist erstaunlich. Sie se-hen, dass große Pläne und Verhandlungen über 20 Jahre nicht viel Gutes gebracht haben. Sie haben daher ein Konzept entwickelt, das nur auf ihre eigene Kraft baut. Es heißt "Sumud", das arabische Wort für Standhaftigkeit, es könnte aber auch die "Ubersetzung des Gandhischen "Satyagraha", Festhalten an der Wahrheit sein. Es ist ein Konzept des Ausharrens und gewaltfreien Widerstehens gegen die Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft auf allen Ebenen, persönlich, kulturell, politisch. Verschiedene Formen davon konnten wir auf unserer Reise erleben: bei unseren Gastgebern, dem AEI in Bethlehem, die das Leben in den von der Mauer betroffenen Teilen Bethlehems kulturell neu organ-isieren, bei Sumaya Farhat-Nasser mit ihrer vielfältigen Arbeit zur Stärkung von Frauen und Jugendlichen, bei den Freitags-Demonstrationen gegen die Sperranlagen in dem Dorf Bilin, dessen Gemeindeland durch Siedlungen und Mauerbau konfisziert wurde; jetzt haben sie einen Teil zurückbekommen. Uri Avneri, der bekannteste israelische Friedensaktivist, sagte: "Ich bin ein Biliner"! Im Herbst kommen acht junge Menschen aus Bethlehem zu uns; sie werden uns selbst von ihren Erfahrungen erzählen. Wer mithelfen möchte, ihnen Unterkunft, ein interessantes Programm und ein Forum zu bieten, ist herzlich willkommen.

Nora Carmi vom palästinensischen Zentrum für Befreiungstheologie (Sabeel) schreibt über Sumud: "Die Fakten vor Ort nicht zu akzeptieren. Aufzuwachen und zu einem Checkpoint zu gehen und die Erniedrigung zu durchleben, aber doch etwas dagegen tun zu wollen - nicht nur um unseretwillen als Palästinenser, sondern auch, um den Unterdrücker zu verändern und ihn zurückzubringen in diese schöne Harmonie mit Gottes Schöpfung." Ich denke, das hat etwas mit Ostern zu tun!

Vielen Dank.



E-Mail: eschenburg (at) math (Punkt) uni-augsburg (Punkt) de
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