Netzwerk Friedenskooperative

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vom:
04.04.1997
Update: 15.11.2005


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Wie uns die anderen sehen

Seit die Friedensbewegung nicht mehr hunderttausende in Großdemonstrationen auf die Straße bringen kann, werden die vielfältigen und oft mühsamen Projekte und Aktionen der verbliebenen aktiven Gruppen und Organisationen in den Medien kaum noch registriert. Manchmal (z.B. bzgl. des Krieges im ehemaligen Jugoslawien) wird teils aggressiv, teils ironisch gefragt "Wo bleibt sie denn, die Friedensbewegung?". Wenn JournalistInnen aber mal eingehender mit uns reden, registrieren sie immerhin, daß Friedensarbeit bei weniger Aktiven aus mehr besteht als der legendären Demo im Bonner Hofgarten. Dazu Beispiele:

"Vom Hofgarten in den Hinterhof - kein Rückzug"
aus: Stuttgarter Zeitung vom 26.08.95, Seite 3

"Was macht eigentlich ..."
aus: dpa-Meldung vom 10.10.96

"60-Stunden-Woche für eine Welt der Menschlichkeit"
aus: Kölner Stadtanzeiger 08.12.95, Seite 3

ddpADN zu den Ostermärschen 1997

Luftwaffeln mit Schlagsahne
aus: Die Zeit, 18/2002, 25.04.2002, Feuilleton (Auszug)

Wiedererweckung aus bürgerlicher Normalität
aus: Süddeutsche Zeitung, 25./26. Januar 2003

Ergraute Revolutionäre
aus: Rheinischer Merkur, Nr. 07, 13.02.2003

Aufmarsch gegen BUSH
aus: Stern, 12/2003, 13.03.03



Dies Feature erschien am 26.8.95 - also vor dem Abkommen von Dayton - in der "Stuttgarter Zeitung" auf Seite 3. Einiges hat sich im ehemaligen Jugoslawien seither verändert, aber die Grundprobleme sind geblieben. Auch die Bezüge zur "Pazifismusdebatte" im Gespräch mit dem Korrespondenten sind nach wie vor aktuell.

Quelle: Stuttgarter Zeitung, 26.8.95

Was macht eigentlich die Friedensbewegung?

Vom Hofgarten in den Hinterhof - kein Rückzug

Das "Netzwerk Friedenskooperative" sieht seine Aufgaben heute anders als noch vor wenigen Jahren

Von Stephan-Andreas Casdorff, Bonn

Im Hinterhof herrscht die Idylle. Fahrräder parken in Reih und Glied, an den Rändern des gepflegten Rasenstücks blühen Rosen. Die Sonne scheint. Der Lärm der Autos ist ausgesperrt. Nur das Klingeln von Telefonen dringt aus dem kleinen flachen Haus, dessen Türe offensteht.

 zum Anfang


Netzwerk
Manfred Stenner sitzt vor seinem Computer und ruft die Adresse des "Bundes für Soziale Verteidigung auf" auf. "Ihr solltet euch an die wenden, die bereiten da schon was vor, sagt er in die Muschel. "Mani", wie er von seinen Freunden genannt wird, wirkt angestrengt. Er dreht sich eine Zigarette. "Wir sind ja keine Konzernzentrale, wo wir auf den roten Knopf drücken und, wums, sind 200.000 Leute auf der Hofgartenwiese", sagt Stenner. Er ist 40 Jahre alt und offiziell Geschäftsführer des "Netzwerk Friedenskooperative" in Bonn. Das Netzwerk, das als eine Art Dachverband firmiert, hat zwei festangestellte Mitarbeiter. Sie sind auf 100 Quadratmetern untergebracht, mit einem Sitzungssaal und zwei Lagerräumen. 420 Mark kostet die Miete. Es herrscht drangvolle Enge: selbst unter Stenners Schreibtisch sind Flugblätter und Hintergrundmaterial gelagert.

Von dieser Stätte aus wurde 1991 die große Demonstration gegen den Golfkrieg vorbereitet. Das ist heute schon Geschichte - wie die Friedensbewegung? "Gegen die falsche Politik Genschers im Fall Jugoslawien lassen sich keine 200.000 auf die Beine bringen", sagt Stenner trocken. Er kennt den Vorwurf schon, daß die Friedensbewegung in Deutschland nicht mehr sichtbar sei. "Eine Demo auf der Hofgartenwiese interessiert Milosevic, Karadzic, Tudjman nicht", sagt er zur Verteidigung. Statt dessen hätten sie in den letzten Jahren Massenaktionen wie die "Friedenskarawane", den Friedensmarsch "Mir Sada - Frieden jetzt" oder die Kundgebung in Sarajewo mit 100.000 Leuten organisiert, eben dort, wo es interessiere.

Doch manche Friedensfreunde in Slowenien, Kroatien und der Republik Jugoslawien hat das nicht beeindruckt. Ihre Kommentare waren hart: "Ineffektiv" und "Verschwendung von Energie" nannten sie die Proteste. Auch die Freunde aus alten Tagen wie Walter Jens, der Rhetorikprofessor aus Tübingen, halten der Friedensbewegung wortmächtig deren Ohnmacht vor; andere, wie Erhard Eppler, scheinen sich von ihr abzuwenden. Und dann Joschka Fischer mit seinem Papier zum Pazifismus! Stenner verzeichnet das alles ganz genau. Sein Archiv wird täglich umfangreicher. Und trotzdem ist aus seiner SIcht nur die Form des Engagements der achtziger Jahre überholt.

Prominenz gegen die Großen

Die Welt der achtziger: Prominente von Heinrich Böll bis Carl-Friedrich von Weizsäcker waren vereint im Protest gegen die Pershing II-Raketen. Als Ronald Reagan Bonn besuchte, protestierten 350.000 gegen die amerikanische Sicherheitspolitik. Eine halbe Million stand im "heißen Herbst" 1983 zusammen auf der Hofgartenwiese. Ostermärsche, Blockaden von Atomwaffenlagern - fast jede Aktion zog Massen an. In der Welt der Neunziger sind die Nachrüstungsdebatten vergessen, kommen zu den Märschen und Blockaden manchmal nur noch ein Dutzend Demonstranten. "Heute", sagt Stenner mit einem Hauch von Trauer in der Stimme, "ist es ungleich schwieriger, in Deutschland unsere Positionen rauszustellen."

Zumal es sich um so viele Gruppen handelt, die alle "die Friedensbewegung" ausmachen. Pax Christi, der Bund für Soziale Verteidigung, Ärzte gegen den Atomkrieg, die Deutsche Friedensgesellschaft/Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, das Komitee für Grundrechte und Demokratie - die Liste der Initiativen nimmt kein Ende. Das Netzwerk ist kein Mitgliederverband, es gibt keine Mitgliedsausweise. Aber 3.000 Abonnenten hat die Zeitschrift
"FriedensForum", der "Rundbrief der Friedensbewegung". Ein Exemplar kostet vier Mark. Dies und kleine Spenden sichern "Mani" Stenners Arbeitsplatz. Greenpeace, zentral und straff geführt, hat es da einfacher; auch in der Meinungsbildung und der öffentlichen Wahrnehmung. "Wir haben unter uns schon lange eine Diskussion über den Pazifismus. Zuerst beim Golfkrieg, seit zwei Jahren über Jugoslawien", sagt Stenner. Unter uns, das heißt in diesem Fall nicht nur im deutschen Netzwerk, sondern auch mit den Friedensbewegten in Großbritannien und den USA - und mit den Aktivisten in Bosnien, Kroatien und Serbien. Die Bosnier drängen schon lange, einen militärischen Schlag zu führen "oder wenigstens Waffen zu liefern". Immer wieder finden sich solche Meldungen in der Computermailbo, nach wie vor eine Militarisierung der Politik verhindern will. "Außerdem lenkt die Diskussion darüber ab von dem, wie wir helfen können, was wir tun können." Stenner spricht von politischer Aufklärungsarbeit in den Teilrepubliken, von Versöhnungsprojekten, die von den Kirchen viel stärker gefördert werden müßten, von der Chance, über die Städtepartnerschaften Einfluß zu nehmen. Was etwa Schulen im kleinen machten, "müßte sich auf der gesellschaftlichen Ebene ausbreiten". Er beugt sich von seinem Stuhl herunter und zieht aus einem Stapel eine dicke Übersicht: mehr als Komitee für Grundrechte und Demokratie hat sieben Millionen Mark in Projekte gesteckt", berichtet Stenner mit leisem Stolz. Eines ist ein Urlaub für 1.500 Kinder auf der Insel Hvar vor Split. "Wenn wir hier mehr machten, statt militärischen Aufwand zu betreiben, wären wir weiter."

Den Frieden attraktiv machen

Naivität ist der Friedensbewegung auch vorgeworfen worden. "Wer meint, Massaker mit gutem Zureden verhindern zu können, redet in den meisten Fällen irre", sagte Tilman Zülch von der "Gesellschaft für bedrohte Völker" vor kurzem. Stenner hat auch das gelesen. Er setzt sich sehr aufrecht hin und erklärt: "Ich bin durchaus dafür, das Embargo durchzusetzen. Aber das läuft doch zynisch daneben. Was wird denn getan, um den Donauverkehr wirklich wirksam zu verhindern? Das ginge auch nur, wenn die Nachbarländer von der EU finanziellen Ausgleich erhielten." Stenner fürchtet die "Rieseneskalation", die ein militärisches Eingreifen nach sich ziehen könnte. "Was jetzt humanitär möglich ist, würde angegriffen. Die Blauhelme würden Kriegspartei, und der Westen müßte noch stärker intervenieren. Dann könnte sich Milosevic in Belgrad zum Eingreifen gezwungen sehen, und damit wäre der Flächenbrand in Serbien-Montenegro, im
Kosovo, in Albanien. Und was wäre das politische Ziel? Zehn Jahre UN-Protektorat mit 500.000 Soldaten? Stenner argumentiert wie Oskar Lafontaine. Der meint auch, der gemeinsame politische Wille in der Kontaktgruppe fehle, und deshalb würden Chancen für eine friedliche Konfliktlösung versäumt. "Geradezu zynisch" sei die Politik der Rüstungsexporte. Stenner nimmt den Faden auf: Kroatien und Slowenien werde die EU als Perspektive verheißen, Serbien nur der Status eines Agrarstaates. "Warum wird den Serben nicht eine bessere Perspektive als der Krieg geboten: Hoffnung? Man müßte ihnen eine EU-Assoziierung anbieten, und sie müßten dafür den Schutz der Minderheiten und die Menschenrechte garantieren. Der Frieden ist für die Serben nicht attraktiv genug."

Der Friedensaktivist hält inne, schaut durch die vergitterten Fenster. Die Regierung müßte sich dafür einsetzen. "Ohne die staatliche Ebene geht es nicht". Auch sie müßte mehr beisteuern, um differenzierte Antworten möglich zu machen, sagt Stenner nach einer Weile. Er bemüht sich um Differenzierung: es gehe nicht um einen abstrakten Pazifismus, sondern darum, in jedem Fall konkret die Eskalationsrisiken abzuwägen und "herauszufinden, was wäre am vernünftigsten, nicht, was wäre am pazifistischsten". Das erinnert an die Erklärung des Sprechers von Pax Christi, Joachim Garstecki: "Pazifismus ist fehlbar in gewisser Hinsicht, bezogen auf Bosnien und anderswo, wo wir ähnliche Konfliktlagen haben." Sich genau dieser Erkenntnis auszusetzen und sich dennoch weiter für die "Zivilität der Gesellschaft" einzusetzen, verlangt Manfred Stenner. Er will, daß die "Entfeindung nach dem Krieg" nicht vergessen wird. "Agression ist lernbar. Kinder beispielsweise lernen sie in Familien, im Fernsehen. Frieden halten ist genauso lernbar. Ein Beispiel dafür ist das Projekt für einen
Zivilen Friedensdienst, das die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg mit dem Bund für Soziale Verteidigung fordert." Stenner blickt unwillkürlich zum Telefon. Der Anrufer von vorhin fragte genau deshalb beim Netzwerk nach der Adresse. Sie arbeiten eben alle weiter - "verzweifelt, aber unverdrossen", sagt Stenner leicht ironisch und schaut dabei auf die Idylle im Bonner Hinterhof.



Quelle: Deutsche Presseagentur (dpa) vom 10.10.96, 11.20 Uhr

Die Friedensbewegung: "Leute haben auf Demos keinen Bock"

Von Ulrike Hofsähs, dpa

Bonn (dpa/lnw) - Die Friedensbewegung hat ihre Adresse in Bonn an einem symbolischen Ort - in einem Hinterhof. Inmitten hartnäckig klingelnder Telefone, brummender Faxgeräte und Stapeln von Flugblättern verknüpfen Manfred Stenner (42) und Kristian Golla (33) beim "Netzwerk Friedenkooperative" die vielen Initiativen, die meist lokal und im kleinen Kreis die Fahne der Friedensbewegung hochhalten.

Als Ende der 80er Jahre die Bewegung mit dem Symbol der Friedenstaube immer weniger wahrgenommen wurde, löste sich ihr einst stimmgewaltiger Koordinierungsausschuß auf. An seine Stelle trat 1989 die Friedenskooperative, die von rund 120 pazifistischen, christlichen und Menschenrechts-Gruppen getragen wird. Mitglieder sind unter anderem Aktion Sühnezeichen, die Ärzteorganisation gegen den Atomkrieg (IPPNW), Pax Christi und das Neue Forum Berlin.

"Wir sind ein Service-Büro für die
Türkei politische Häftlinge in den Hungerstreik traten und Informationen über Gefängnisse und den kurdisch-türkischen Konflikt gefragt waren. Andere möchten eine Demonstration anmelden und fragen, wie das geht.

Gemessen an früheren Zeiten mobilisiert die pazifistische Bewegung heute nur wenige Menschen. Bei den
Ostermärschen gingen in diesem Frühjahr bestenfalls ein paar tausend Demonstranten mit - drei Jahre zuvor waren es noch 70.000. "Latsch-Demos sind zur Zeit gesellschaftlich nicht in", sagt Stenner und konstatiert ein allgemein schwächeres politisches Engagement: "Die Leute haben keinen Bock auf Demonstrationen".

Zu den größten von dem Büro organisierten Kundgebungen zählt eine aus dem Jahr 1991. Damals protestierten an einem kalten Januartag auf der Hofgartenwiese in Bonn 200.000 Menschen gegen den Golfkrieg. Die Bonner Polizei hat mit dem Büro der Friedensbewegung keine Probleme. Stenner und Golla haben dort schon unzählige Demonstrationen angemeldet. Man kennt sich, und teils schätzt man sich auch. "Die Friedenskooperative ist in vielerlei Fällen Garant für einen friedlichen Ablauf der Kundgebungen gewesen", urteilt der Sprecher der Bonner Polizei, Harry Kolbe.

Doch inzwischen macht sich Stenner viel seltener von seinem Hinterhof auf ins Polizeipräsidium. Selbst der Krieg im ehemaligen Jugoslawien hat keinen neuen Protestgeist geweckt. Die Friedensbewegung leidet zudem unter
Geldknappheit und will um Spenden werben - in der Hoffnung auf einen neuen Aufschwung. Ein Schwerpunkt der künftigen Arbeit soll die geplante NATO-Osterweitung sein. "Hier tritt wieder einmal das militärische Denken in den Vordergrund und nicht ein an den Menschen orientierter Lösungsansatz", sagt Golla. (dpa/lnw ho lr)



Quelle: Kölner Stadtanzeiger vom 08.12.95, Seite 3 (Auszüge)

60-Stunden-Woche für eine Welt der Menschlichkeit

Verzweifert, aber unverdrossen kämpft die einst mächtige Friedensbewegung weiter für Gewaltfreiheit ...

Von unserem Redakteur Philipp Selldorf

... Auch in ihrer Blütezeit Anfang der 80er Jahre, als sich in ihrem namen Hunderttausende gegen Nachrüstung,
Atomwaffen und Kalten Krieg zusammenschlossen, besaß die Friedensbewegung keine repräsentative Adresse in der Hauptstadt. Wie auch? Die Friedensbewegung mag damals wie mit einer Stimme gesprochen haben, doch sie ist niemals ein einheitliches Gebilde, sondern immer nur die Summe ihrer vielen Mitglieder gewesen. Das gilt heute, da sich die Aktivisten in verschiedene politische Richtungen zerstreut haben, mehr denn je.

Oder, wie Manfred Stenner es sieht: "Die Aktionsformen haben sich geändert. Sie sind praktischer und professioneller geworden." Sichtbar wird das an der Liste der Mitstreiter, die sich innen- und außenpolitisch engagieren. Um nur einige zu nennen: Die Flüchtlingsinitiative "Pro Asyl" (
http://www.proasyl.de), die "Ärte gegen den Atomkrieg" (http://www.ippnw.de), die "Kritischen Aktionäre Daimler Benz" (http://www.kritischeaktionaere.de), die katholische Friedensgruppe "Pax Christi" (http://www.paxchristi.de), das "Komitee für Grundrechte und Demokratie", das "Balkan Peace Team" (http://www.antenna.nl/bpt) ... Viele dieser Initiativen haben ihren festen Platz im gesellschaftlichen Diskurs, sie werden nicht nur von Journalisten regelmäßig befragt. Da erstaunt es nicht, daß das vom "Förderverein" getragene "Netzwerk Friedenskooperatuive", das die Aktivitäten in Bonn koordiniert, wie ein Verband oder Unternehmen auch Lobbyarbeit im Bundestag leistet.

Den letzten großen Auftritt erlebte die Friedensbewegung vor fast fünf Jahren. An die 200.000 Menschen kamen Ende Januar 1991 auf der Bonner Hofgartenwiese unter dem Motto "Kein Blut für Öl" zusammen; der Krieg am Golf vereinte noch einmal die alten Kräfte, die mit der deutschen Einheit und dem Wandel in Ost-Europa allmählich auseinandertrieben. Seitdem wirkt die stolze Bewegung aus dem Hintergrund. Zwei Deutungen, eine skeptische und eine zuversichtliche, hält Stenner dafür bereit: "Wir sind, außer den drei staatlichen Gewalten und den Medien als vierter Kraft im Land, das fünfte Rad am Wagen. Man könnte aber auch sagen: Wir sind Stachel im Fleisch."

Sicherlich gibt es weiter Gründe für öffentlichen Protest, doch lassen sich dafür eben mehr wie in den 80er Jahren Tausende von Menschen mobilisieren. Die klaren Feindbilder damaliger Prägung sind verblichen, die Trennung zwischen "aggressiven" und "friedvollen" Elementen fällt schwerer als zu den Zeiten der beiden Blöcke.

Besonders der Krieg auf dem Balkan hat der resoluten Gesinnungsethik deutscher Friedensfreunde einen harten Schlag versetzt. Militärische Mittel betrachten nun viele, die früher die Gewaltfreiheit zur Maxime erhoben, als legitimen Weg, Konflikten zu begegnen - wie die Grünen jüngst auf ihrem Parteitag bezeugt haben.

"In der Pazifismus-Diskussion befinden wir uns in der Defensive wie nie zuvor", gibt Stenner umstandslos zu. Daß Gewalt - in Form amerikanischer Bomben - die Kämpfe auf dem Balkan beruhigte, beweist seiner Überzeugung nach aber keineswegs die Überlegenheit militärischer Lösungen.

"Die Frage, was aktiver Pazifismus bewirken kann, ist ja niemals geklärt worden", wendet Stenner ein. "Was die kleinen, privaten Gruppen in Jugoslawien leisten, das müßte große Politik sein. Ich behaupte, daß der Krieg dann nicht so lange gedauert hätte."

"Unsere Arbeit bleibt wichtig"

Die "kleinen Gruppen", das sind jene idealistischen Organisationen, die sich in
Dutzenden von Projekten um Hilfe, Versöhnung und Aufklärung auf dem Balkan bemühen: "Zarte Versuche gegen die nationalistische Verhetzung" (Stenner), Fluchthilfe für bedrohte Zivilisten, Einrichtung von Begegnungshäusern, in denen die verfeindeten Volksgruppen den gemeinsamen Alltag ohne Krieg erproben. Bis hin zu humanitärer Unterstützung reicht das Handeln.

Inmitten der schrankenlosen Gewalt in Ex-Jugoslawien sahen sich die deutschen Pazifisten allerdings auch einer "permanenten inneren Zerreißprobe" (Stenner) ausgesetzt. "Die Debatte ging quer durch jeden Einzelnen und es gab schmerzhafte Diskussionen zwischen den deutschen Helfern und den kroatischen, serbischen und bosnischen Friedensgruppen, die militärisches Eingreifen des Westens gefordert haben."

Als politischer Faktor mag die Friedensbewegung in Deutschland an Macht verloren haben, die Zahl ihrer Mitstreiter mag kleiner geworden sein - doch ein Rückzug kommt nicht in Frage. "Unsere Arbeit bleibt wichtig, auch wenn wir eine Politik vertreten, die im Moment nicht "in" ist," sagt Stenner. Also kämpfen sie weiter für eine Welt der Menschlichkeit und des Friedens.

"Verzweifelt, aber unverdrosen", wie Stenner einmal sagte.



Neben den vielen kontinuierlichen Projekten, Kampagnen und Aktivitäten führen -regional und thematisch sehr unterschiedlich - viele Gruppen die "traditionellen"
Ostermärsche durch. Zu den Ostermärschen 1997 als Beispiel eine Zusammenfassung der Presseagentur ddpADN:

Quelle: ddpADN, 31.03.97, 16.06 Uhr

Initiatoren der Ostermärsche zufrieden: Zehntausende Teilnehmer

Frankfurt/Main (ddpADN). Die Initiatoren der diesjährigen Ostermärsche in Deutschland sind mit der Beteiligung an den Friedensaktionen zufrieden. Die zentrale Informationsstelle Ostermarsch 97 in Frankfurt am Main sprach am Montag nachmittag auf ddpADN-Anfrage von "mehreren zehntausend Teilnehmern" seit Karfreitag. Am Ostermontag sei die Resonanz "besser als in den Vorjahren" gewesen. Insgesamt wurde in mehr als 50 deutschen Städten und Gemeinden für Frieden und Abrüstung demonstriert.

Schwerpunkt der Aktionen waren die Forderung nach verstärkter Abrüstung, Warnungen vor Umstrukturierungen von Bundeswehr und
Nato zu "Eingreifarmeen" sowie die Gefährung des sozialen Friedens durch die Massenarbeitslosigkeit. Nach Ansicht des Netzwerks Friedenskooperative in Bonn wurde mit den Osteraktionen auf "gewichtige und gefährliche Fehlentwicklungen der derzeitigen Verteidigungs- und Außenpolitik" aufmerksam gemacht.

Zum Abschlußtag am Montag hatten sich nochmals jeweils mehrere hundert Teilnehmer an Ostermärschen unter anderem in Berlin, Frankfurt am Main, Dortmund sowie Calw in Baden-Württemberg zusammengefunden.

Die Aktionen in Ostdeutschland richteten sich mit Schwerpunkt Brandenburg und Sachsen-Anhalt gegen Bundeswehr-Truppenübungsplätze. Einen der größten Ostermärsche verbuchte die Friedensbewegung am Sonntag erneut in der nordbrandenburgischen Ruppiner Heide, wo die Bundeswehr einen der modernsten Gefechtsübungsplätze auf dem ehemaligen russischen
Bombodrom Wittstock einrichten will. Rund 3.000 Menschen waren nach übereinstimmenden Angaben von Polizei und Organisatoren dem Aufruf der Bürgerinitiative "Freie Heide" gefolgt. Angereist war neben Bundestags- und Europaabgeordneten aus London der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll.

Für Uexküll ist die Ruppiner Heide ein Ort, an dem "Ewiggestrige fanatisch nach einem neuen Feind suchen". Wozu sonst werde von der Bundeswehr das Bombodrom gebraucht, das früher von russischen Truppen genutzt wurde, fragte Uexküll. Er unterstütze daher rückhaltlos den symbolischen Kampf der Brandenburger gegen ein "Blockdenken der Vergangenheit". In Wittstock werde aus seiner Sicht "nur Geld verschwendet und Zukunft verbaut". Hingegen blieb der Ostermarsch in der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt am Samstag mit rund 150 Teilnehmern hinter den Erwartungen der Friedensbewegung zurück.

In der Bundeshauptstadt Berlin demonstrierten am Montag mehr als 600 Menschen für inneren und äußeren Frieden. Auf der Abschlußkundgebung wandten sich die Redner vor allem gegen sozialen Abbau, zunehmenden Fremdenhaß und rechte Tendenzen sowie gegen deutsche
Waffenexporte. Der Zug war am Brandenburger Tor gestartet und führte zum Lustgarten, wo die Teilnehmer mit gelben Osterglocken das Friedenszeichen auf dem Pflaster "nachzeichneten".

Bündnis 90/Die Grünen widersprachen indes vor dem Hintergrund sinkender Teilnehmerzahlen bei den Ostermärschen der Einschätzung, die Friedensbewegung sei am Ende. Die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Angelika Beer, erklärte am Montag in Frankfurt am Main, allein die unzähligen Petitionen an den Verteidigungsausschuß gegen den
Eurofehrere unterschiedliche Akteure im Feuilleton der Zeit. Wir haben nur die Passage über das Netzwerk dokumentiert. Der gesammte Beitrag ist (hoffentlich später auch noch) bei der Zeit abrufbar. [http://www.zeitehrere unterschiedliche Akteure im Feuilleton der Zeit. Wir haben nur die Passage über das Netzwerk dokumentiert. Der gesammte Beitrag ist (hoffentlich später auch noch) bei der Zeit abrufbar. [http://www.zeit.de/2002/18/Kultur/200218_frieden_echt.html]

Quelle: DIE ZEIT, Feuilleton 18/2002, 25.04.02

Luftwaffeln mit Schlagsahne

Deutschland führt Krieg gegen den Terror. Und wo ist die Friedensbewegung? Sie backt für Gerechtigkeit und wartet auf George W. Bush

von Christof Siemes

(...)

Im Zentrum steht ein Hühnerstall

"Man muss aber auch mal nix tue dürfe", wirft eine alte Kämpin zaghaft ein. Der Job, die Kinder, das Haus, der Garten - irgendwann ist alle Kraft aufgezehrt, nichts bleibt für das Ehrenamt des Pazifismus. Und nichts ist leichter, als bei der Friedensbewegung nicht mehr mitzumachen: Man geht einfach nicht mehr hin. Es gibt keine Mitgliedschaft, die man kündigen müsste. Sie ist nur eine soziale Bewegung, an der man teilhat, weil man an die Bergpredigt glaubt oder an Mahatma Ghandi. Andere können die Bombennächte des letzten großen Krieges nicht vergessen, und viele wollen bloß, dass man um Ressourcen nicht kämpft, sondern sie gerecht verteilt. Unberechenbar wie ein Gebirgsbach ist die Bewegung mal mitreißend, mal fast versickert. Im Moment herrscht Vorfrühling, viel altes Eis, aber die Säfte steigen wieder, in der Eifel wird bereits ziviler Ungehorsam praktiziert: Unlängst schnitten ein paar Aktivisten einen "öffentlichen Zugang" in den Zaun des Fliegerhorstes Büchel.

"Es gärt wieder", sagt auch Mani Stenner, und der muss es wissen, schließlich hat er die Hochzeit der Friedensbewegung mitorganisiert, aber auch die Resignation danach durchlitten: die erste Niederlage 1983, "als Kohl den Raketenbeschluss durchwinkt", 1989 das endgültige Ende des Kalten Krieges, das einige für einen Erfolg der Friedensbewegung, viele fälschlich für den Beginn eines Weltfriedens halten, 1991 Golfkrieg, 1995 Srebrenica, wo die Alternative nun Militäreinsatz oder Völkermord heißt, schließlich, seit 1998, das Umfallen der Grünen, einst so etwas wie der politische Arm der Friedensbewegung, der nun Marschbefehle für deutsche Soldaten erteilt.

All diese Niederlagen hat Mani Stenner "mit heiterer Gelassenheit" eingesteckt und ist noch immer bei der Sache, als einer von zwei Festangestellten beim Netzwerk Friedenskooperative Bonn. So heißt, was blieb vom legendären "Koordinierungsausschuss" der Friedensbewegung, jenem rund 30 Gruppen umfassenden ZK, das in Bonn Millionen auf die Beine brachte. Die "Oberpostdirektion der Friedensbewegung" nennt mancher aus den eigenen Reihen die beiden Büroräume in einem Bonner Hinterhaus, das so viel Charme, Platz und Fenster hat wie ein Hühnerstall. Die Picasso-Taube über dem Kopierer ist das einzige sentimentale Interieur, der Rest ist das Chaos, das überall abfällt, wenn sich Besessene in 70-Stunden-Wochen durch den Sinn ihres Lebens wühlen. Stenners Kollege Kristian Golla zerrt ein Buch aus dem Gerümpel, wischt Staub und Spinnweben ab: Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung, erschienen 1997.

Wie ein altes Ehepaar hocken Golla und Stenner in der Mitte des Netzwerkes, koordinieren Termine, pflegen Kontakte und eine Homepage, eines der virtuellen Zentren der Friedensbewegung, die ja nichts anderes ist als ein gleichberechtigtes Nebeneinander Aberhunderter Kleinstinitiativen, in Nischen hoch spezialisierte Anteilnahme. Fast 30 eng beschriebene Seiten lang ist das Netzwerk-Adressenverzeichnis, vom Aachener Friedenspreis über Frauen in Schwarz Hamburg bis zum Zusammenarbeitsausschuss der FB Schleswig-Holstein. Ist diese Zersplitterung nicht lähmend? "Die Bewegung ist so vielgestaltig und föderal verfasst wie die Bundesrepublik", sagt Golla. Allerdings sei die neue Hauptstadt ein Problem: Nach Bonn kam die ganze Republik zum Protestieren (und abends wieder rechtzeitig nach Hause), in Berlin ist eine nationale Großdemo oft nur eine lokale Angelegenheit.

Hat die Friedensbewegung also nur ein logistisches, kein Imageproblem? Wer will, kann ja trotz aller Desillusionierung und Professionalisierung die Klischees bestätigt finden, die Batikhosen, den Geruch ewig ungelüfteter WGs, die nah am Wasser Bauenden, die schon beim Verlesen einer Liste der Kriege weltweit in Tränen ausbrechen. Cool ist das nicht. Cool ist Attac, die Vereinigung der Globalisierungsgegner. Attac ist neu, jung, international, voller Action. Vor denen verschanzen sich sogar die Regierenden! Da gucken die Netzwerker süßsauer und fragen mit dem bekannten Werbespruch für Halsbonbons: "Wer hat`s erfunden?" Attac bediene sich der alten Formen, werde aber als ganz neu in der Presse bejubelt. Das Problem, sagt Stenner, sei ein anderes Klischee: Früher wart ihr groß, heute seid ihr klein.

Er hasst die ewige Erbsenzählerei, Ostermärsche sind kein "Zählappell"; lieber spricht er, die Erschöpfung von der eigenen bundesweiten Ostertingeltour noch im Gesicht, vom "Lackmustest für Themen und Stimmungen". Es ist "gut für die Moral", dass in diesem Jahr erstmals wieder Zehntausende marschiert sind. Nicht so gut ist, dass palästinensische Politprofis mit heiseren Arafat-Rufen das friedvolle A-Moll-C-Dur-Geklampfe übertönten.

Die Netzwerker haben gelernt, dass auch eine Protestbewegung nachhaltig agieren muss, sonst verschwindet sie, sobald ein Minimalziel erreicht ist. Stenner hat der Angst als Hauptantrieb der Friedfertigen nie getraut; kaum war sie weg, herrschten Friede, Freude und die Generation Golf. Empörung über Krieg als Mittel der Politik, Solidarität mit den Opfern, Lust auf außerparlamentarische Opposition - das allein sind Motive, die dauerhaft den Protest begründen. Nur so fundiert erträgt man wohl die tagtägliche Ernüchterung, mit der die Friedensbewegung leben muss, solange es sie gibt: "Wir haben Recht, kriegen es aber nicht." (...)



Quelle: Süddeutsche Zeitung, 25./26. Januar 2003

Renaissance der deutschen Friedensbewegung

Wiedererweckung aus bürgerlicher Normalität

Angesichts eines drohenden Krieges am Persischen Golf hoffen ehemalige Aktivisten auf Demonstrationen wie einst in Bonn

Von David Schraven

(Bonn) - Manfred Stenner ist sicher, dass es bald wieder los geht. "Die Leute kommen wieder", sagt er. Stenner muss es wissen, denn er ist so etwas wie der Geschäftsführer der deutschen Friedensbewegung. Seit 14 Jahren kämpft er von einem Bonner Hinterhof aus gegen Krieg und Wettrüsten. " Netzwerk Friedenskooperative" heißt die Organisation, die aus dem "Koordinierungsausschusses" der Friedensbewegung hervorgegangen ist, oder wie Stenner es nennt, "dem guten alten ZK".

Die alte Zeit lebt fort an der schweren Eingangtür zu Stenners Wirkungsstätte. Ein Ostermarsch-Plakat von 1990 klebt dort mit der Aufschrift: "Es geht auch ohne Armee". Durch drei kleine Fenster fällt fahles Licht in den Raum. Auf einem Aktenschrank wird eine Kanne Tee warm gehalten. An den Wänden stapeln sich staubige Ordner. Hier laufen die Fäden für Aktionen der Friedensbewegung zusammen, werden Demo-Termine aus der ganzen Republik erfasst und über das Internet weiterverbreitet, Flugblätter geplant und Plakate gedruckt. Als "Informationsservice" bezeichnet Stenner den Job. Sein Mitstreiter Kristian Golla sitzt vor einem Rechner und beantwortet E-mails. "Poldel 1" will wissen, wo man in Stuttgart und Umgebung demonstrieren kann. Das Seniorenmedienforum Bonn meldet: "Wir haben einige Links zu euch auf unserer Seite aufgenommen."

An manchen Tagen gehen bis zu 500 elektronische Briefe bei den Friedenskämpfern ein. Vor dem Kopierer tütet eine Schülerin Flugblätter der Kampagne "resist the war" ein. Die Gruppe will am Tag X vor der Rhein/Main Airbase eine Sitzblockade organisieren. Über 4.000 Leute haben sich schon schriftlich bereit erklärt, an der Aktion teilzunehmen. Stenner ist sich sicher, dass die Empörung die Menschen auf die Straße treiben werde - Empörung über das Kriegsprogramm Blut für Öl, über die imperialistische Politik, über die Arroganz der einzigen Weltmacht. "Die Menschen wollen sich wehren und suchen Gruppen, wo sie andocken können", sagt der Friedensmann, "Wir vermitteln Kontakte."

Scheinriese Tur Tur

Seit sich gefährlich abzeichnet, dass die USA unter allen Umständen in den Krieg gegen den Irak ziehen wollen, erlebt die Friedensbewegung hierzulande eine Renaissance. Und ihre einstige Aktivisten sind plötzlich wieder gefragte Leute. Stenner sitzt in seinem ehemaligen

Hinterhof-Stall und stützt seine Hand aufs Kinn, während er redet. Von den vielen selbst gedrehten Zigaretten ist die Kuppe seines rechten Zeigefingers gelb geworden.

Stenners Erinnerungen an frühere Zeiten ähneln dem freundlichen Scheinriesen Tur Tur aus dem Kinderbuch Jim Knopf und die Wilde 13. Je weiter man von Tur Tur weggeht, umso größer wird der Scheinriese. Bei Stenner wird die Vergangenheit immer lebendiger, je länger das Erlebte zurück liegt.

Die Geschichte des 48-Jährigen ist die Geschichte der großen Friedensdemos. Am 10. Oktober 1981 waren 300.000 Menschen nach Bonn gekommen, um gegen den Nato-Doppelbeschluss zu demonstrieren." Stenner war damals ein engagierter Student und Sprecher des Bonner Friedensplenums. Ein halbes Jahr später protestierten 500.000 Menschen beim Besuch von US-Präsident Ronald Reagan gegen die amerikanische Rüstungspolitik. Der Koordinierungsausschuss wird gebildet, um den Widerstand gegen die Aufrüstung zu organisieren. In dem Gremium hätten sich Kommunisten; Jusos, Kirchenräte und Gewerkschafter belauert, erinnert sich Stenner. "Etwa 30 Leute waren das", sagt er. Doch die Proteste nutzen nichts. Die Nato beschließt die Stationierung von Pershing-Raketen auf deutschem Boden. "Wir regieren, andere demonstrieren", erklärt der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl. Sechs Jahre später fällt die Mauer und viele Friedenskämpfer träumen von der "Friedensdividende". Der Koordinierungsaussschuss löst sich auf. Statt dessen wird das Netzwerk Friedenskooperative gegründet. Die Demonstranten und Blockierer von Militärbasen kehren in den Alltag zurück, widmen sich ihren Karrieren. Viele von ihnen führen ein bürgerliches Leben. Stenner erhält eine halbe Stelle, um das Netzwerk zu leiten.

Fremde Grüne

Aus dem Weltfrieden ist nichts geworden. 1991 beginnt der Golfkrieg "Da haben uns die Kids fast überholt", sagt Stenner über die damaligen Proteste. Vier Jahr später folgt das Massaker von Srebrenica. Die Parole heißt nicht mehr "Nie wieder Krieg", sondern "Nie wieder Auschwitz." Stenner sagt, "die Pazifismusdebatte hat uns fast innerlich zerrissen". Viele Gruppen hätten der Friedensbewegung den Rücken gekehrt. "Da war Resignation dabei", sagt er. Das endgültige Aus schien gekommen zu sein, als die grünen den Einsatz deutscher Soldaten im Kosovo befürworteten. Eine schmerzhafte Erfahrung, schließlich seien es viele ehemalige Mitstreiter gewesen, die da im Bundestag mit Ja stimmten. "Ich kann noch mit Angelika Beer reden", sagt Stenner über die ehemalige verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion und die jetzige Partei-Chefin. "Aber sie ist mir fremd geworden." Stenner erinnert sich an andere Friedensaktivisten, die heute für das "Falsche" eintreten, wie er sagt. Er nennt Winni Nachtweih und Claudia Roth, die für die Grünen im Bundestag sitzen, SPD-Generalsekretär Olaf Scholz oder Jo Leinen, den ehemaligen saarländischen Umweltminister, der die SPD im Europaparlament vertritt.

Stenner hat sein Lehrer-Studium nie beendet. Er habe lieber demonstriert, sagt er. Immer wieder ist er los gezogen, auch wenn der einstige Strom Friedensbewegung im Lauf der Zeit zu einem Rinnsal verkam.

Der weite offene Platz vor dem Kölner Dom liegt im Dunkeln. Ein kalter Wind fegt Papierschnipsel vorüber. Gabi Gillen hastet mit einem Kopfnicken vorbei. "Kann schon sein, dass jemand die Klagemauer wieder aufbauen will. Ich weiß von nichts.", sagt sie. Im Golfkrieg hingen tausende Pappschilder am Dom. Auf jedem stand der Wunsch nach Frieden. "Ich bin immer noch Vorsitzende des Kleingartenvereins, glaube ich jedenfalls", sagt Gillen. Nun, wo ein neuerlicher Irak-Krieg droht, engagiert auch sie sich wieder. Das Friedensschiff mit dem vor einer Woche prominente Kölner auf dem Rhein fuhren hat Gillen mitorganisiert. Die Haltung der Menschen zur Friedensbewegung hat sich. verändert", sagt sie. Die Leute seien zwar wütend, aber würden trotzdem nicht von alleine auf die Straße gehen. "Die sind froh, wenn sich einer bewegt, dem sie sich anschließen können. "Entweder erwarteten sie das Spektakuläre oder gingen dort hin, wo schon Hunderttausende andere warten. Eigene Initiativen würde kaum einer entwickeln. "Bevor sich etwas bewegt, müssen wir uns erst von den Medien emanzipieren und begreifen, dass man selbst etwas tun kann. Vielleicht brauchen wir extreme Losungen, wie "Verbietet die Tagesschau."` Gabi Gillen arbeitet beim WDR bei der Sendung Zeitzeichen. Gerade hat sie die Lebensgeschichte von Jose Martiy gedreht, dem kubanischen Freiheitshelden des neunzehnten Jahrhundert. Als nächstes möchte Gillen szenische Lesungen des Buches "Stupid White Man" von Michael Moore in Kölner Theatern organisieren. "Da rennen uns die Leute bestimmt die Tür ein", sagt sie.

Das Friedensplenum in Bochum trifft sich auf einem Dachboden im alternativen Kultur-Zentrum Bahnhof Langendreer. Wenn eine S-Bahn vorbei donnert, schweigen alle im Raum. Ulli Böcker ist seit 20 Jahren Teil der Friedensbewegung. Ansonsten kämpft er bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi für bessere Arbeitsbedingungen. "Es wird den Tag X geben", sagt er. "Da müssen wir uns jetzt überlegen, wie wir dann mehr oder weniger spontan auf die Straße gehen." "Wir haben noch die Transparente vom letzten Mal. Die kann man bequem zu zweit nehmen", sagt Annemarie Grajetzky. "Wenn man zu dritt ist, kann einer Flugblätter verteilen", ergänzt Böcker. "Drei Leute reichen für jede Kreuzung. Wir haben vier wichtige Kreuzungen in der Innenstadt Wer will mitmachen?" Acht Leute melden sich, etwa vierzig sitzen im Saal.

Kein Bock mehr

Im Asta der Essener Uni herrscht Ruhe. Die Wände auf dem Flur sind kalkweiß gestrichen. Auf dem schwarzen Brett hängt kein Flugblatt. Nur ein Werbe-Aufkleber pappt in der Mitte der leeren Tafel. "Ich bin doch nicht blöööd" steht darauf. In einem neonbeleuchteten Seminarraum hocken sechs Studentinnen. "Demonstrationen machen doch keinen Spaß mehr", sagt Jennifer Quartermann. Es war ihr zuviel geworden in letzter Zeit. Die Demos gegen die Studiengebühren und die Sache mit der Uni-Fusion. "Ich bin irgendwie leer demonstriert." Sabine Schorning hat schon resigniert. "Die Politiker machen doch eh was sie wollen." Marianne Sch(...) fühlt sich von den Ereignissen nichts sonderlich betroffen. "Da ist doch eine große Distanz von uns bis zum amerikanischen Präsidenten." Außerdem sei Deutschland doch gegen den Krieg - was wolle man denn mehr erreichen, fragt sie.

Friedensaktivist Stenner ging früher häufig ins "Bazooka", einem beliebten Kneipentreff der autonomen Szene. Irgendwann hatte das "Kollektiv" keinen Bock mehr. In dem Cafe, in des Stenner jetzt geht herrscht Rauchverbot und die Tür zum Klo ist verchromt. "Ich war der ideale Gesamtfriedensbewegte", sagt er. "Deshalb bin ich Geschäftsführer des Netzwerkes Friedenskooprative geworden:" Es lohne sich immer noch, dafür zu sorgen, dass sich Deutschland nie wieder an einem Krieg beteiligt.



Quelle: Rheinischer Merkur, Nr. 07, 13.02.2003

FRIEDENSBEWEGUNG / Die organisierten Pazifisten suchen nach neuer Orientierung

Ergraute Revolutionäre

Der drohende Irak-Krieg beschert den in die Jahre gekommenen Aktivisten Sympathien im Volk. Aber die Mobilisierung frischer Kräfte läuft schleppend.

JOHANNES MEHLITZ

"Dort geht`s lang, tönt es aus dem kleinen Lagerraum. Aus der Tür tritt ein hagerer Mann mit kurz geschnittenem Bart, einer Weste über dem weiten Strickpullover, enger schwarzer Hose und Turnschuhen. Die strubbeligen grau melierten Haare verleihen seinem Gesicht einen spitzbübischen Ausdruck. Kristian Golla deutet auf die Eingangstür seines Büros: Hier ist unsere Zentrale.

Der verwinkelte kleine Raum ist erfüllt vom Duft frisch aufgebrühten Tees. Zeitungen, Fotokopien und Flugblätter türmen sich auf den abgenutzten Büromöbeln. Kartons mit Plakaten versperren die ohnehin schmalen Durchgänge. In der hintersten Ecke steht der Computer fürs Internet. Heute erledigen wir unsere Arbeit größtenteils übers Netz, erklärt Golla. Seit fast zehn Jahren ist er Koordinator des Netzwerks Friedenskooperative in Bonn. Früher mussten wir die Post per Brief oder Fax verschicken. Das nahm Zeit und Nerven in Anspruch.

Ansonsten hat sich in den vergangenen Jahren wenig verändert beim Netzwerk, das zu den größten bundesweiten Aktionsbündnissen der deutschen Friedensbewegung zählt. Seit langem schon ist es in dem heruntergekommenen Hinterhaus im Norden der Stadt untergebracht für wenig Miete und Nebenkosten, sagt Golla. 18 Jahre alt war er, als die Massendemonstrationen in der früheren Bundeshauptstadt Hunderttausende im Kampf gegen den Nato-Doppelbeschluss auf die Straßen brachten. Seinen Höhepunkt fand der Protest am 10. Oktober 1981: 250.000 Menschen kamen damals zur Demo auf der Bonner Hofgartenwiese. Diese Ereignisse haben mich geprägt, erinnert sich Golla. Heute, 22 Jahre später, gehört er zusammen mit seinem Mitstreiter Manfred Stenner von der Friedenskooperative zu jenen Unerschütterlichen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, den Geist linker Gesellschaftskritik und das Lebensgefühl der Anti-KriegsBewegung aus den achtziger Jahre am Leben zu halten.

Im Fahrwasser der Politik

In den neunziger Jahren, nach Ende des Kalten Krieges, war das öffentliche Interesse für friedenspolitische Themen in Deutschland so gut wie erloschen. Heute dagegen erscheinen den Friedensaktivisten die politischen Bedingungen günstig wie schon lange nicht mehr. Im Fahrwasser der aktuellen Debatte um eine militärische Intervention im Irak erleben Deutschlands organisierte Pazifisten eine Renaissance. Landauf, landab schließen sich derzeit lokale Gruppen zusammen, um wie zu alten Zeiten Demos auf die Beine zu stellen, Mahnwachen zu organisieren und an Samstagen Tapeziertische für Infostände in den Fußgängerzonen aufzubauen. Für dieses Wochenende hat das Aktionsbündnis 15. Februar zur Großdemo in Berlin aufgerufen. Steht die Front linker Pazifisten im Jahre 2003 wieder geschlossen Seit an Seit?

Ein Blick hinter die Kulissen lässt Zweifel aufkommen: Jenes Wir-Gefühl, das die Bewegung in den achtziger Jahren unter dem Zeichen der Taube zusammenschweißte und Großdemonstrationen gegen amerikanische Pershing-2-Raketen den Status von Kultveranstaltungen verlieh, hat an Anziehungskraft verloren.

Das zeigt das Beispiel von Dagmar Kirsche. Die Leipzigerin engagierte sich nach der Wende in verschiedenen linken Studentengruppen ihrer Heimatstadt, bevor sie aus beruflichen Gründen ins Rheinland zog und dort erneut Anschluss an die Friedensbewegung suchte. Der hält sie jetzt mangelndes Integrationsvermögen vor: Als Neue hat man es ziemlich schwer, in den etablierten Kreisen der Friedensbewegung Fuß zu fassen. Bei Demos trifft man fast immer auf dieselben Leute jene, die schon seit mehr als 20 Jahren dabei sind. Die pochen auf ihre Erfahrungen und merken scheinbar nicht, dass sie potenzielle Interessenten vergrätzen. Wer sich so einigele, sagt Kirsche, brauche sich nicht zu wundern, dass junge Kräfte fernblieben. Und die wenigen Neuen seien für spontane Aktionen kaum zu begeistern.

Ortswechsel: We shall overcome, intoniert die Band auf Berlins Flaniermeile Unter den Linden. Die flotte Rockversion des Klassikers aus den Sechzigern soll die frierenden Demonstranten an diesem eisigen Montagabend in Stimmung bringen. Erst zaghaft stimmen die Protestler ein, von Strophe zu Strophe jedoch wird ihr Gesang lauter. Der letzte Takt ist kaum verklungen, da gehen die Demonstranten zu Sprechchören über: Make law, not war und Ölspur gleich Blutspur erschallt es im Zentrum der Hauptstadt. Als der Protestzug stoppt, ergreift Tatort-Kommissar Max Palu alias Jochen Senf das Wort: Krieg sei keine Lösung, ruft er seinen begeisterten Zuhörern zu.

Auf zur After-Job-Demo!

Jeden Montag um 18 Uhr haben sich die Berliner Friedensaktivisten seit dem 20. Januar vor der Humboldt-Universität versammelt, um beim Zug in Richtung Brandenburger Tor ihrem Unmut über die amerikanische Irak-Politik Luft zu machen. Die After-Job-Demo erfreut sich wachsender Beliebtheit: Vergangene Woche zählten die Veranstalter, darunter die christliche Friedensbewegung Pax Christi und die Gruppe Frauen für den Frieden, mehrere hundert Teilnehmer.

Die Leute kommen aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Viele hatten mit der Friedensbewegung vorher nie etwas zu tun, freut sich Organisator Fred Klinger von Pax Christi. Unlängst, als ich in einem Café saß, um mit einem Bekannten die Planung der nächsten Demo durchzusprechen, stand ein älterer Herr vom Nachbartisch auf und sprach mir Mut zu, weiter gegen den Irak-Krieg auf die Straße zu gehen.

Auch Klinger gehört mit 52 Jahren zum alten Eisen der Friedensbewegung. Wie Kristian Golla war auch er, der promovierte Philosoph, 1981 im Hofgarten mit von der Partie. Die enormen Mobilisierungsprobleme der Gruppen und Netzwerke in den neunziger Jahren kennen der Leiter der Pax-Christi-Arbeitsgruppe Rüstung, Militarisierung, Krieg und seine Mitstreiter aus eigener Erfahrung: In den Achtzigern war es für viele Jugendlichen ein Wochenendvergnügen, auf eine Demo zu gehen. Nach der Wende jedoch flachte das Interesse rapide ab ungeachtet des ersten Golfkriegs 1991, der nur kurzfristig für eine größere Resonanz unserer Aktivitäten in der Bevölkerung sorgte.

Nähe zu Gleichgesinnten

Die Organisatoren der Berliner Montagsdemos haben jedoch Konsequenzen gezogen: Sie setzen mit ihren Märschen jetzt bewusst darauf, offen für alle zu sein. Wo sonst haben die Leute Gelegenheit, die Nähe Gleichgesinnter so intensiv zu spüren? Solidarität bleibt auf den Demos eben keine Worthülse, sondern wird praktiziert, sagt Klinger. Für ihn steht nach den Erfahrungen mit den Montagsdemos fest: Nur wenn es die Friedensbewegung schafft, sich zu öffnen und einen breiten bürgerschaftlichen Diskurs über eine Welt zu führen, in der eine arme Hälfte immer weiter abzudriften droht, ist sie auf Dauer überlebensfähig. Es stimmt nicht, wenn behauptet wird, die Jugend von heute sei desinteressiert. Insbesondere Jungendliche stellen uns kritische Fragen. Einsatz für den Frieden bleibt aber eine gesellschaftliche Randerscheinung, wenn sich nur einige ideologisch polarisierte Gruppen dafür stark machen.

Dass der Gang zu einer lokalen Organisation für Friedensbewegte heute längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist, zeigt das Beispiel einer Bonner Schülerin. Sie kam den Organisatoren des lokalen Friedensbündnisses zuvor und meldete für dieses Wochende eine eigene Irak-Demo bei der Stadt an. Protest statt Party lautet ihr Motto: Am Wochenende habe sie Geburtstag. Statt eine Fete zu organisieren, gehe sie mit ihren Freunden lieber gegen den Krieg auf die Straße. Dem Aufruf will sich die örtliche Friedensbewegung nun wohl oder übel anschließen.

Jens-Peter Steffen, friedenspolitischer Sprecher von Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), sieht in der Kritik aus den eigenen Reihen an den verkrusteten Strukturen der Friedensbewegung und im Rückgang des Gemeinschaftsgefühls jedoch auch eine Chance: Es gibt wieder mehr Menschen, die sich engagieren wollen. Meist handelt es sich aber um Einzelkämpfer, die mit Stil und Jargon der alten Friedensbewegung nichts anfangen können.

Zeit also für eine Umorientierung? Ja, um diese Menschen sollten wir uns kümmern. Die Welt ist komplizierter geworden als noch vor 20 Jahren. Einfache Antworten, wie Frieden geschaffen und gesichert werden kann, gibt es nicht mehr, sagt Steffen. Wer sich natürlich selbst genügt, kann die Stagnation nicht überwinden.



Quelle: Der Stern, 12/2003, 13.03.03, S. 44-48

Aufmarsch gegen BUSH

Nie waren Proteste besser organisiert. Aktivisten mobilisieren binnen Stunden WELTWEITE DEMONSTRATIONEN. Am Wochenende werden wieder Millionen auf die Straße gehen. Die letzte Chance für Frieden?

Von Uli Hauser

Sie haben kaum eine Chance und wollen sie nutzen. Auf fünf Prozent taxiert Manfred Stenner von der Friedenskooperative Bonn die Aussicht, dass es nicht zu einen Krieg gegen den Irak kommt Die letzte Hoffnung: Großbritanniens Friedensbewegung mobilisiert Millionen Menschen und steigert den ohnehin ungeheuren innenpolitischen Druck auf Premier Tony Blair. Zwei Drittel der britischen Bevölkerung sind gegen eine Kriegsbeteiligung ohne UN-Mandat. Schon verweigern erste Kabinettsmitglieder Blair die Gefolgschaft.

An diesem Wochenende, ein Monat nach den weltweit bisher massivsten Protesten gegen die Politik der US-Regierung, werden noch einmal Millionen Menschen in London, New York, Madrid, Rio, Sydney, Tokio und Berlin auf die Straßen gehen. Zwei Tage vor Ablauf des US-Ultimatums gegen Saddam Hussein, zwei Tage bevor in Bagdad vielleicht die ersten Bomben fallen. Ein letzter Ansturm der Straße gegen die Arroganz einer Militärallianz.

Ein Teil der Weltöffentlichkeit sitzt in Gestalt von Manfred Stenner in kariertem Flanellhemd in einem sehr unordentlichen Büro in einem sehr kleinen Haus in einem Bonner Hinterhof. Der 48-Jährige dreht seine Zigaretten selbst; dass es zu viele sind, zeigt die gelbe Fingerkuppe seines recht Zeigefingers. Stenner, den sie hier "Friedens-Manni" nennen, wäre vielleicht Soziologe geworden, hätte er nicht nach den großen Nachrüstungsdemos im Bonner Hofgarten in den 8Oer Jahren den Job bekommen, der deutschen Friedensbewegung eine Struktur zu geben.

75 Organisationen und Persönlichkeiten finanzieren seitdem die Friedenskooperative, die sich als eine Art Dienstleistungsagentur der Firma Protest & Co. versteht. Kirchliche Gruppen geben Geld, die Jusos, auch der grüne Bundesvorstand überweist noch jährlich 150 Euro. Geschäftsführer Stenner sitzt bis zu zwölf Stunden am Tag vor seinem Laptop und kann gleichzeitig reden und schreiben. Eine Motivation, sich für knapp 800 Euro netto im Monat selbst auszubeuten, ist seine Konsequenz aus der Lebensgeschichte des Vaters, eines Maschinengewehrschützen im Krieg gegen Russland. "Der hat bestimmt Hunderte Menschen auf dem Gewissen."

Stenner zählt zu den 15, 20 wichtigen Leuten in der deutschen Friedensbewegung. Sozialarbeiter, Ärzte, Lehrer, die nie das Träumen verlernt, das Hoffen nicht aufgegeben haben, Menschen in Bewegung setzen. In schlechten Zeiten hielten sie zu viert mit einem Transparent Mahnwache, heute bekommen sie, wie zuletzt in Berlin, eine halbe Million Menschen auf die Straße. Das Thema hat Konjunktur, die Sehnsucht nach Frieden füllt Plätze und Herzen. Keine Stunde, da nicht irgendwo in Deutschland, irgendwo auf der Welt gemahnt, gewacht, gebetet wird. Schülerdemos, Sitzblockaden, Hungerstreiks, und am schnellsten bewegt es sich im Land des Tony Blair.

Manfred Stenner und seine Freunde halten seit 20 und mehr Jahren durch. Ihre Beharrlichkeit zahlt sich aus in diesen Tagen. Die Aktivisten haben sich nie aus den Augen verloren und geduldig am Netzwerk geknüpft. Zu den Machern gehören Hochschullehrer Peter Strutynski mit seinem Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel, die Ärzte von IPPNW zur Verhinderung eines Atomkriegs oder der Theologe Clemens Ronnefeldt vom Intrnationalen Versöhnungsbund, der in den 80ern zur Verstärkung der Cruise-Missile-Gegner aufs Dorf in den Hunsrück zog. Und die Katholiken von Pax Christi, die mit ihren 200 Basisgruppen aus dem Stand mehr als 10.000 Menschen mobilisieren können. Man hat sich gestritten und versöhnt, die Debatten sind geführt. Jetzt ist Demo-Zeit.

(...)



E-Mail:   friekoop@bonn.comlink.org
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