Redebeitrag von Stephan Brües für den Ostermarsch Rhein-Neckar in Heidelberg am 31. März 2018

 

- Sperrfrist, Redebeginn: 31.03.2018, ca 11 Uhr -

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!
Einen schönen guten Tag Euch allen!

Ich gehe seit mehr als 30 Jahre regelmäßig auf den Ostermarsch, früher in Westfalen, in jüngster Zeit in Stuttgart, Mannheim oder eben heute hier in Heidelberg.

All die Jahre waren die Forderungen ziemlich ähnlich: Abrüstung, Aussöhnung mit dem Osten (heute Russland), Stopp von Rüstungsexporten, ja und bei manchen Organisationen wie dem Bund für Soziale Verteidigung oder der DFG-VK, um zwei zu nennen, bei denen ich aktiv bin, geht es um die Abschaffung von Militär und Rüstung überhaupt.

Was das letzte angeht, so sind wir da nicht so richtig weiter gekommen. Die Militarisierung nimmt ja eher zu – siehe das NATO-Ziel 2 % des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung und eine verstärkte Aufrüstungsforderung innerhalb der EU (Stichwort: PESCO).

Ein Problem bei der Ächtung von Armee und Rüstung könnte darin bestehen, dass wir der Bevölkerung – als die zu Mobilisierenden – und der Politik – als Entscheider – noch nicht plausibel vermitteln konnten, wie ein Weg fort von Militär und Rüstung konkret aussehen könnte. Die Kampagnen „Bundesrepublik ohne Armee“ oder „Fünf für Frieden“ haben das m.E. nicht leisten können.

Ein Lichtblick in diese Richtung kommt nun aus der Evangelischen Kirche Baden. Sie hat vor mehr als fünf Jahren einen friedensethischen Diskussionsprozess eingeleitet, an dessen Ende ein Synodenbeschluss stand, der besagte, dass sich die Kirche auf den Weg zu einer „Kirche des gerechten Friedens“ begeben wolle.

Was heißt das? Gewaltfreie Konfliktaustragung sollte in allen Institutionen der Kirche – von Kindergärten, Schulen, Erwachsenenbildung, bis zur Pfarrer*innenausbildung Bestandteil der Lehre werden. Es wurde neben dem schon bestehenden Arbeitsstelle Frieden eine Stelle eingerichtet, die sich mit Rüstungsexporten und Rüstungskonversion befasst und eine weitere, die die Möglichkeiten und Vorzüge des Zivilen Friedensdienstes in Schule und Gemeinden tragen sollte.

Die Badische Landeskirche ist Mitglied bei Aktion Aufschrei und ihr Bischof, Prof Jochen Cornelius-Bundschuh und einige weiteren Oberkirchenrat haben aktiv an der Menschenkette gegen das EUCOM während des Kirchentages in Stuttgart 2015 teilgenommen.

Wovon ich aber hier und heute berichten möchte, ist die Konkretion 1.6 des genannten SynodenBeschlusses vom November 2013, wonach eine Arbeitsgruppe gebildet werden solle, deren Aufgabe es sei, [ZITAT] "Gleich dem nationalen Ausstiegsgesetz aus der nuklearen Energiegewinnung, (...) ein Szenario zum mittelfristigen Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung zu entwerfen.“

Dieses Szenario, an dem ich aktiv mitgewirkt habe, ist nun nach 2 Jahren Arbeit fertig und wird in genau vier Wochen, am Samstag, den 28.04.2018 im Oberkirchenamt in Karlsruhe vorgestellt.

Wer Zeit und Lust hat, möge dorthin fahren. Und melde sich bitte bei der Arbeitsstelle Frieden an.

Wir haben einen 160-seitigen Text, eine 32-seitige Kurzfassung und sind gerade dabei, einen Flyer in Postkartengröße zu entwerfen, der die längeren Texte bewerben soll.

Wie stellen wir uns also den Weg zu einer zivilen Sicherheitspolitik vor? Dazu zitiere (und kommentiere) ich einige Passagen aus der Kurzfassung unseres Szenarios:

Nachhaltige zivile Sicherheitspolitik beruht auf einer Friedensethik, in der sich die Gedanken und Handlungen nicht nur auf die eigenen nationalen Interessen beziehen, sondern zugleich reflektieren, welche Folgen diese für die Menschen in anderen Ländern haben. Sicherheit besteht in dieser Perspektive (nur) als gemeinsame Sicherheit aller Beteiligten. Das gilt sowohl für den Einzelnen in seinem privaten Alltag als auch für die Akteure in Wirtschaft, Politik, Kultur, Erziehung und Wissenschaft.

In diesem Szenario entwickelt die Gesellschaft als Ganze eine Orientierung gemeinsamer Sicherheit als Weg und Ziel, um der Kultur der Gewalt entgegentreten und eine Kultur des Friedens entwickeln zu können.

Gemeinsame Sicherheit bedeutet, für die eigene Sicherheit einen Lebens- und Wirtschaftsstil zu praktizieren, der die ökologischen Ressourcen der Erde nur entsprechend unseres Bevölkerungsanteils in Anspruch nimmt und weltweit zu ökologisch und sozial gerechten Wirtschaftsbeziehungen führt. Es geht um eine konsequente Umsetzung der auf UN-Ebene vereinbarten Ziele weltweiter nachhaltiger Entwicklung bis zum Jahr 2030. Dieses Szenario führt dazu, finanzielle Mittel bis zum Jahr 2040 konsequent von militärischer Sicherheitspolitik hin zu ziviler Konfliktprävention und –bearbeitung umzulenken. Deutschland agiert dann mit anderen Staaten als ziviler Akteur innerhalb von EU, OSZE, UNO und NATO und fördert auf diese Weise europa- und weltweit eine bewusste Lernkultur für gewaltfreie Konfliktbearbeitung, die international eine entmilitarisierte Konfliktbearbeitung durch UNO-Polizeikräfte, die Ächtung und Abschaffung von Krieg und Militär sowie die Förderung gewaltfreier Konfliktkultur einleitet.

Das Szenario beruht auf fünf Säulen:

1. Gestaltung ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechter Außenbeziehungen

2. Förderung wirtschaftlicher Perspektiven und staatlicher Sicherheit östlich und südlich der EU

3. Teilhabe an der Internationalen Sicherheitsarchitektur: Deutschland als ausschließlich nicht-militärisch tätiges Mitglied der EU, der OSZE, der NATO und der UNO [Anmerkung: angesichts der Tabuisierung der NATO-Mitgliedschaft in der politischen Parteienlandschaft haben wir uns im Konsens geeinigt, sozusagen dem Vorbild Islands zu folgen, das NATO-Mitglied ist, aber kein Militär hat und sich auch nicht an Militäraktionen beteiligt)

4. Der Aufbau einer Widerständigen Demokratie (man könnte auch sagen Sozialen Verteidigung), d.h. u.a. Ausbau der zivilen Konfliktkultur (in allen Bereichen der Gesellschaft), Aufbau nationaler und internationaler Mediationszentren, Gründung von Fachverbänden und Lehrstühlen zur Friedensforschung und zur Förderung des Ansatzes 'Gemeinsame Sicherheitspolitik', Ausbau Ziviler Friedensdienste, Förderung der Unbewaffneten zivilen Friedenssicherung, Vorbereitung des Zivilen Widerstands gegen demokratiefeindliche, autokratische oder rassistische Tendenzen in der Gesellschaft; Unterstützung Zivilen Widerstands im Ausland; Gewaltfreier Widerstand gegen Terror

5. Konversion der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie

Wie schaffen wir das?

Um klarzustellen, dass ein Weiter so in die Sackgasse führt, haben wir ein Trendszenario (das sowohl die zunehmend negativen, d.h. militärischen, als auch die positiven, zivile Elemente der Außenpolitik in ihrer weltpolitischen Entwicklung fortspinnt) und ein Negativszenario erstellt (das die militaristischen, autokratischen und rassistischen Tendenzen in der Politik fortspinnt und das fast in der Apokalypse endet), Im Positivszenario gehen wir davon aus, dass eine Kampagne entsteht, in der Friedens-, Eine-Welt, soziale und kirchliche Gruppen zusammenarbeiten. Dabei nehmen wir gezielt Bezug auf jene in der deutschen Außenpolitik bereits verankerten Instrumente wie dem Zivilen Friedensdienst und unbewaffneten Beobachtungsmissionen. Oder aber auf konkrete Beispiele, die im Vierten Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ oder dem Leitbild „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ von 2017 nachzulesen sind.

Diese Bezugnahme soll zeigen, dass wir nicht bei Null anfangen. Und dass wir keine unrealistischen Träumer*innen sind, sondern eine Fort- und Umsetzung dessen fordern, was die Regierung bereits benannt hat. Eine Milliarde Euro wird für unbewaffnete Maßnahmen der Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung ja bereits ausgegeben.

Das ist toll, aber es sind nur 2-3% vom aktuellen Militärhaushalt.

Schritt für Schritt sollen die Politiker durch den politischen Druck von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Lobbyarbeit dazu gebracht werden, einen Ausstiegsprozess einzuleiten.

Ein paar Meilensteine von 2018-2040 seien genannt:

  • 2018 Die Evangelische Kirche in Baden bringt das Szenario in die öffentliche Debatte
  • 2019 EKD fordert Studie zu einer nachhaltigen zivilen Sicherheitspolitik Deutschlands
  • 2020 Gründung der zivilgesellschaftlichen Kampagne für eine zivile Sicherheitspolitik
  • 2021 Beendigung staatlicher Bürgschaften für den Export von Rüstungsgütern
  • 2022 Vergabe einer Studie zur nachhaltigen zivilen Sicherheitspolitik
  • 2023 Papst-Enzyklika „fructus justiciae pax erit“ (Die Frucht der Gerechtigkeit wird Frieden sein)
  • 2024 Studie der Bundesregierung empfiehlt die Umsetzung des Kampagnen-Szenarios
  • 2025 Bundestagsbeschluss zum Umstieg Deutschlands zu einer zivilen Sicherheitspolitik
  • 2027 Das ITHW übernimmt erste Ausrüstungen der Bundeswehr
  • 2028 Beginn von Verhandlungen über eine Sicherheitspartnerschaft mit Russland
  • 2029 Gewaltfreier Umgang mit Konflikten und Instrumenten der Widerständigen Demokratie (= Soziale Verteidigung) werden verbindliche Lehrinhalte an allen Schulen
  • 2030 Wirtschafts- und Sicherheitsabkommen mit Russland & der Eurasischen Wirtschaftsunion
  • 2032 Eröffnung des OSZE-Zentrums „Zivile Krisenprävention und –intervention“ in Stockholm und des UN-Zentrums für Widerständige Demokratie in Bonn, eines Ausbildungszentrums für Instrumente der Sozialen Verteidigung
  • 2035 Bundestags-Beschluss zur vollständigen Konversion der Bundeswehr im Jahr 2040
  • 2037 Die NATO akzeptiert den rein zivilen Beitrag Deutschlands zur Friedenssicherung.
  • 2040 Vollständige Konversion der Bundeswehr

Ich will damit schließen, denn ich wollte Euch nur einen gewissen Eindruck von dem umfangreichen Text und den dahinter stehenden Ideen vermitteln. Die Texte werden demnächst auf der Homepage der Arbeitsstelle Frieden der Ev. Kirche Baden einsehbar sein. Und es wäre toll, wenn wir gemeinsam an solch einer Kampagne mitarbeiten könnten.

Ganz im Sinne von Martin Luther King, der vor 50 Jahren ermordet worden ist, und unser aller Vorbild ist. Er schrieb:

"Wir müssen aus der Unentschlossenheit heraus zum Handeln kommen. Wir müssen neue Mittel und Wege finden, um für den Frieden … und für die Gerechtigkeit überall in der (...) Welt einzutreten, in einer Welt, die vor unserer Haustür beginnt. Wenn wir jetzt nicht handeln, so wird man uns in jene dunklen und schrecklichen Verließe der Zeit werfen, die für jene bestimmt sind, die Größe ohne Mitleid, Macht ohne moralische Verantwortung und Stärke ohne Weitsicht handhaben. Lasst uns jetzt anfangen.“

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit und weiterhin schöne Ostertage!

 

Stephan Brües ist aktiv beim Bund für Soziale Verteidigung (BSV).