Netzwerk Friedenskooperative



Antikriegs-
tag 2002


vom:
02.09.2002

Antikriegstag 2002:

  Reden/Kundgebungsbeiträge

Tischrede beim Magdeburger Friedenstafel am 1. September 2002

Gabriele Herbst

Liebe Tischnachbarinnen und Tischnachbarn,

das ist eine gute Idee. Uns alle hier am heutigen Antikriegstag 2002 zu einer Magdeburger Friedenstafel einzuladen, uns also direkt oder auch nur symbolisch an einen Tisch zu setzen. Bei Tischgesprächen wird möglich, was ein Philosoph so ausdrückte: kommt reden wir zusammen, wer redet ist nicht tot.

Vielleicht sitzen die meisten von uns viel zu oft allein an ihren Schreibtischen, allein in Versammlungen, allein vor dem Fernseher, allein in der Kirche oder auf Konferenzen . Wir nehmen einander zu selten wahr, sehen uns zu selten ins Auge, hören einander zu selten zu. In Gewerkschaften, Parteien, Umwelt und Initiativgruppen, in Kirchen und Gemeinden denken und arbeiten wir - ähnlich und unterschiedlich - für Frieden, Gerechtigkeit und Umweltbewahrung. Aber manche von uns schleppen immer noch und immer wieder Vorurteile gegeneinander mit sich herum. Tischtücher sind irgendwann einmal zerschnitten worden - es gab Missverständnisse, es gab Unwahrheiten, es gab fehlende Informationen. Aber wann, wenn nicht heute, müssen zerschnittene Tischtücher zwischen friedensengagierten Menschen wenigstens geheftet werden. Wann, wenn nicht heute, wo zwischen dem Antikriegstag 2001 und dem heutigen Antikriegstag so viele entsetzliche Ereignisse von Krieg, Zerstörung und Gewalt in und außerhalb Europas geschehen sind, müssen sich alle friedenswilligen Menschen verbünden. Ganz gleich, welcher Partei und welcher Religion wir angehören, welches Geschlecht und welche Hautfarbe uns auszeichnen. Zum Weltfrieden gibt es keine Alternative !

Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot.

Worüber zu reden ist, ist klar. FRIEDE ernährt, UNFRIEDE verzehrt. Kürzer und prägnanter kann man das Thema dieser Friedenstafel nicht ausdrücken. Verstehen kann jeder, worüber diskutiert werden soll. Das ist beim Thema Krieg und Frieden lebenswichtig. Denn, so wissen wir es aus Exuperys "Kleinem Prinzen", die Sprache kann die Quelle von Missverständnissen, vielleicht sogar von Kriegen sein. Oder anders ausgedrückt: der Friede fängt bei der Wortwahl an.

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Antikriegs-
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Falsche Parolen, aufgesetzte Sprüche, hohle Versprechungen, fromme Floskeln, verdeckte Lügen haben noch nie und werden auch in Zukunft niemals Frieden stiften.

Und dabei meine ich nicht nur das Wortverhalten der anderen: Der Friede fängt bei der Wortwahl eines jeden von uns an. Friede ist etwas sehr Konkretes und etwas sehr Verletzliches.

Mir geht es so, daß ich an diesem heutigen 1. September überdeutlich spüre, wie sehr der von mir erlebte Unfriede seit dem 1. September des letzten Jahres meine körperlichen und seelischen Kräfte angegriffen, verzehrt hat. Bilder ungeahnter Brutalität und Grausamkeit sind in mir noch nicht verdaut, nicht richtig betrauert, keineswegs verarbeitet. Am Freitag sah ich im Fernsehen noch einmal einen zusammenfassenden Film über den schwarzen 11. September des vergangenen Jahres. Desorientierte Menschen in New York, lebende Fackeln, die aus den Türmen des World Trade Center springen. Ich sehe die gekidnapten Flugzeuge noch einmal albtraumartig auf die Gebäude der Macht zusteuern und weiß, daß kein Aufwachen mir diese Bilder je wieder abnehmen wird.

Ich denke auch noch einmal an Robert Steinhäuser, den hasserfüllten jungen Mann aus Erfurt, der nur einen Tag, nachdem ich in diesem Frühjahr Erfurt besucht hatte,

die von mir geglaubte Idylle dieser Stadt für mich für immer zerstörte. Ich denke an Israel und Palästina und die fast täglich gemeldeten Ermordeten aus dieser Region...

Afghanistans Frauen fallen mir ein, denen die mutige iranische Journalistin Siba Shakib in ihrem dringlich zu lesenden Buch "Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen" ein erschütterndes Denkmal gesetzt hat.

New York, Erfurt, Kabul, aber auch Hamburg, in dem Mohammed Atta lebte, Pakistan, Simbabwe, die Hungernden im Sudan, die Fluten, die von China über Russland und Tschechien auch unser Land, die Tiere, die Ernten, die Hoffnungen verwüsteten. Unfriede verzehrt. Unfriede verzehrt ! Nicht nur auf Plakaten, liebe Freunde und Freundinnen muß ein Ruck des Entsetzens und des Aufschreis und des Protestes über unsere zutiefst kranke, von Ungerechtigkeit, Egoismus und Fanatismus gezeichnete Welt gehen. Jeder von uns muß diesen Ruck vollziehen - jetzt, unaufschiebbar jetzt, nicht irgendwann, wenn der oder die abgerückt ist von neuen Kriegsgelüsten, neuen Racheaktionen, neuen Schlägen gegen unsere Mitwelt. Wir dürfen nicht länger immer nur auf andere warten, die Schuld auf andere schieben, die Verantwortung auf andere wälzen. Rücken, abrücken vom Unfrieden, von der Unwahrheit, vom Egoismus, von der Feigheit, vom Fanatismus und der Bequemlichkeit muß und kann jeder einzelne von uns jetzt, heute - allein und gemeinsam an diesem Tisch. Der Friede fängt nicht nur bei der Wortwahl, sondern auch vor der eigenen Haustür an. Das ist ja gerade das verhängnisvolle Missverständnis der amerikanischen Regierung, die Achse des Bösen an anderen Haustüren zu suchen und nicht wahrzunehmen, das in jedem Land dieser Welt, also auch im eigenen, gute und böse Kräfte ineinander greifen. Und daß Friedensarbeit bedeutet, den Ländern der Welt Mut zu machen und politische Möglichkeiten zu schaffen, sich ihrer guten, lebensschaffenden Traditionen zu besinnen. Daß Friedensarbeit bedeutet, um es mit Worten meiner christlichen Tradition zu sagen, sich in der Wahl zwischen Segen und Fluch für den Segen zu entscheiden. Das ist ein schweres, mühsames Unterfangen. Und den Christen ist es in ihrer langen Geschichte weiß Gott viel zu oft nicht gelungen. Auch den Kommunisten nicht. Auch den Moslems nicht.

Auch Dir nicht, mir nicht. Der Weg des Friedens, den ich auch den Weg des Segens für Mensch und Tier und Natur nenne, ist - um es mit Worten Bert Brechts zu sagen, das Einfache, das schwer zu machen ist. Denn dieses Einfache, das schwer zu machen ist verlangt dreierlei:

1.Friedensarbeit verlangt, den anderen so wichtig zu nehmen, wie man sich selbst nimmt.

2.Friedenarbeit verlangt, sich die Welt bewohnbar zu wünschen, auch dann, wenn man davon selbst nichts mehr haben wird.

3.Friedensarbeit verlangt, die Güter der Erde wie Luft und Wasser und Boden und Energie und Nahrung neu und gerecht zu verteilen.

Das versteht jedes Kind.

Kinder würden, wenn sie durch Kriege, Armut und ideologischen Fanatismus nicht schon deformiert sind, eine friedliche Welt so malen, so beschreiben, wie ich es in den drei Punkten versucht habe. Das traurige ist, daß wir auf unserer Welt schon Millionen deformierter Kinder haben, deren Träume vom Frieden ausgeträumt sind, bevor sie politische Realität werden konnten. Und das ist nicht nur bei den Kindern der sogenannten Dritten Welt der Fall. Auch die Kinder reicher europäischer Länder

leiden mehr und mehr unter einer Traumlosigkeit vom Frieden.

Liebe Tischnachbarinnen und Nachbarn,

über unsere Kinder und über unsere erlebten und gefürchteten Albträume muß geredet werden. Und vor allem: es muß gehandelt werden durch jeden und jede von uns. Dr. Ullmann, der am vergangenen Donnerstag im Magdeburger Haus der Gewerkschaften einen für mich hervorragenden Vortrag über die auch heute noch

geltende Vision der "Schwerter zu Pflugscharen" gesprochen hat, sagte zum Schluß seines Vortrages, daß die Kriegstreiber unserer Welt die große Kraft des und der Einzelnen nicht unterschätzen sollten. Und damit hat er wohl mehr als hundertmal recht. Er, der alte, für mich beinahe prophetische Friedensliebhaber, weiß, wovon er spricht, wenn er vor nur etwa 16 Zuhörern beinahe flehend für Friedensarbeit in unserer Welt eintritt. Fang du an, Schwerter zu Pflugscharen zu schmieden, fang du an, den geplanten kriegerischen Angriff auf den Irak öffentlich zu ächten. Fang du an, Ausländer und Ausländerinnen zu schützen, fang du an, Menschen zur Mitgestaltung der Demokratie zu ermutigen. Fang du an, die Natur nicht mehr als Eigentum, sondern als Lebensraum zu achten. Hör auf, es beim bloßen Meckern gegen die Politiker, die Kirchen, die Verantwortlichen, die Kapitalisten, die kleinbürgerlichen Nachbarn zu belassen. Fang du an, ein Stein des Anstosses für andere zu werden.

So habe ich Dr. Ullmann verstanden. Und so verstehe ich Friedensarbeit konkret.

Wir haben in den vergangenen Wochen erlebt, daß in der Tat, ungeheure Kräfte entstehen, wenn einzelne anfangen, gemeinsam etwas gegen zerstörerische Gewalt zu tun. Es brauchte keine Programme, damit Menschen einander gegen die Fluten halfen. Soldaten, Kräfte des THW und unzählige Freiwillige riskierten viel, manchmal ihr eigenes Leben, um das Leben anderer zu schützen. Der Kampf gegen das Wasser war wichtiger als Schlaf und Geld und die eigene Bequemlichkeit. Wir teilten Brot und Decken und Medikamente und die Hoffnung, daß die Wasser wieder zurückgehen würden. Die Menschlichkeit geht nicht unter, diese Parole ist an vielen Litfasssäulen unserer Stadt zu lesen.

Möge es so sein. Daß wir uns hier an der Magdeburger Friedenstafel - zusammen mit den vielen Friedliebenden der Welt - darauf besinnen, daß wir das können:

SAND zu sein im Kriegsgetriebe der Welt. Sand, der die Kriegsmaschinen in den Köpfen und in den realen Waffenarsenalen blockiert, anhält und vernichtet.

Denn Unfriede verzehrt. Aber Friede ernährt.

Nur zu einem solchen Friedenshandeln, niemals aber zu Kriegsabsichten, daran glaube ich als Christin fest, gibt Gott seinen Segen.



E-Mail:   gabiherbst@hoffnungsgemeinde.de
Internet: http://www.hoffnungsgemeinde.de
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