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Bush-Besuch im Mai 2002


vom:
21.05.2002


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Bush-Besuch im Mai 2002:

  Redebeiträge Berliner Kundgebung

Redebeitrag zur Bush-Demo in Berlin, 21.05.02

Jean Ziegler

1.
Saint-Excupéry schreibt: "Il n`y a pas de commune mesure entre la lutte libre et l`écrasemen dans la nuit" - Die Einen kämpfen in Freiheit, die anderen werden in der Nacht zerstört.

Wir sind heute hier versammelt in Freiheit, in der Hauptstadt der größten Demokratie des europäischen Kontinentes. Wir können in Feiheit reden, denken, unsere Feinde benennen und die Welt bezeichnen, so wie sie ist.

Unsere Aufgabe ist es die Stimme der Menschen ohne Stimme zu sein. Unsere Aufgabe ist es, für jene viele Hunderte Millionen von Menschen zu reden, die in der Nacht zerstört, ausgehungert, unterdrückt und ermordet werden, weil sie wehrlos sind.

2.
Globalisierung ist täglicher Terror. Alle sieben Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Alle vier Minuten verliert ein Mensch das Augenlicht wegen Mangel an Vitamin A. Über 100.000 Menschen sterben an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen jeden Tag. 828 Millionen Kinder, Männer und Frauen waren letztes Jahr permanent schwerstens unterernährt. Die FAO errechnet: Die Weltlandwirtschaft könnte heute ohne Probleme 12 Milliarden Menschen ernähren. Ohne Probleme heißt, jedem Menschen jeden Tag 2.700 Kalorien Nahrung geben. Die gegenwärtige Erdbevölkerung ist 6,2 Milliarden.

Es gibt keine Fatalität, nur imperiale Vernichtung und Arroganz. Wer heute am Hunger stirbt, wird ermordet. Wer Geld hat, isst und lebt; wer keines hat, hungert, wird invalid und/oder stirbt.

3.
Für diese mörderische, absurde Weltordnung, dessen einziger Motor die grenzenlose Profigier einiger Weniger ist, trägt das amerikanische Imperium die Hauptverantwortung.

Das Imperium, nicht das amerikanische Volk.

Die amerikanische Finanzoligarchie beherrscht 24% des Weltbruttosozial-Produktes, 41 % des Welthandels-Volumens, 53 % des We1tenergie-Marktes.

Die amerikanische Kapitaloligarchie, welche die Regierung Bush weitgehendst leitet, funktioniert gemäß einem Kodex, den man den "Consensus of Washington" nennt.

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Bush-Besuch im Mai 2002
Seine vier heiligen Regeln sind: Total-Liberalisierung der Kapital-, Waren-, Dienstleistungs- und Patentströme; Privatisierung des öffentlichen Sektors; Deregulierung und Flexibilisierung aller Sozial- (insbesondere der Arbeits-) Beziehungen.

Dieser "Consensus" wird weltweit durchgesetzt von den Söldnerorganisationen des internationalen, meist amerikanischen, Finanzkapitals: der Welthandelsorganisation, des Welternährungsfonds und der Weltbank.

Die amerikanische Finanzoligarchie ist zudem die weltdominierende Militärmacht.

4.
Vor über 2000 Jahren schon schrieb Marc Aurel: Imperium superat regnum. Das Imperium unterwirft sich alle anderen Mächte. Die Oligarchie des amerikanischen Finanzkapitals beherzigt diese Lektion aufs Trefflichste.

Die amerikanische Präsidentschaft hat den Vertrag betreffend des Verbotes der Fabrikation und Verkauf von Anti-Personen-Minen abgelehnt. Sie hat das Kyoto-Protokoll zur Kontrolle der Vergiftung der Luft mittels CO2-Ausstoßes sowie den Kontrollvertrag betreffend die interkontinentalen, ballistischen, mit Atomsprengkörpern bestückten Flugkörper widerrufen. Sie weigert sich, das Protokoll betreffend der Kontrolle der biologischen Waffen zu unterzeichnen. Sie bekämpft die OECD-Konvention zur Kontrolle der weitgehend kriminellen Off-Shore-Märkte. Den internationalen Strafgerichtshof (Römer-Konvention, 1999) verwirft sie. Jede Art militärischer Abrüstung ist ihr ein Greuel. Das Imperium tätigt im Jahr 2002 42% aller Militärausgaben der Welt.

5.
Nichts und niemand kann den fürchterlichen Angriff auf die New Yorker Zivilbevölkerung vom 11.09.2001 erklären, geschweige denn rechtfertigen. Über 3.000 Menschen aus 62 Nationen sind innerhalb dreier Stunden ermordet worden. Aber auch das schlimmste Verbrechen darf die rechtsstaatlichen Grundsätze einer zivilisierten Gemeinschaft, wie es die amerikanische ist, nicht außer Kraft setzen.

Die Terrorbombardements der amerikanischen Luftwaffe auf die afghanischen Städte und Dörfer von Oktober bis Dezember 2001, die menschenunwürdige Behandlung der Kriegsgefangenen sowie die Weigerung, die Genfer Konvention in Afghanistan zu respektieren, sind die Markenzeichen imperialer, menschenverwüstender Arroganz.

Bush und seine Komplizien aus Texas definieren autonom - jenseits aller Völkerrechtsgrundsätze - wer ein Terrorist ist und wer nicht. Jedermann kennt den Direkteinfluß der texanischen Ölmillardäre auf die Familie Bush. Der weltweite Krieg gegen den Terror hat einiges zu tun mit der Profitmaximierung der Investitionen im internationalen, insbesondere mittelöstlichen und zentralasiatischen Erdölgeschäft.

Unheimlich auch ist mir die Doppelzüngigkeit des Imperiums. Bush pachtet für sich die menschliche Zivilisation, ihre Moral und deren Verteidigung. Gleichzeitig unterstützt er Ariel Sharons Verbrechen in Palästina. Mit großzügigem Schuldenerlaß beschenkt er Vladimir Putin, der in Tschetschenien die Zivilbevö1kerung massakriert. Den türkischen Folterschergen läßt er Waffen und Kredite in Milliardenhöhe zukommen.

6.
Traurig als Europäer und Sozialdemokrat stimmt mich die unterwürfige Lakaienmentalität, die so viele meiner Freunde und Freundinnen aus der Sozialistischen Internationale gegenüber dem stumpfsinnigen Weltherrscher-Aspiranten in Washington an den Tag legen. Gerhard Schröder und Anthony Blair sind nicht die einzigen.

Die europäische Untertanen-Mentalität muss ein Ende haben. Wir dürfen uns nicht weiterhin passiv wie blökende Schafe dem Diktat des Cowboy-Häuptlings im Weißen Haus unterwerfen.

7.
Artikel 1 der UNO-Menschenrechts-Deklaration von 1948 sagt: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen."

Artikel 3: "Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit seiner Person."

So eine Welt wollen wir.

Ich kenne kaum ein faszinierenderes, vielfältigeres und kreativeres Volk als die Amerikaner. In Greenwich-Village und an der Columbia University habe ich während vier Jahren mehr über die Menschen und die Welt gelernt als während irgend einer anderen Zeit meines Lebens. Amerikanische Gastfreundschaft und Warmherzigkeit sind mir unvergeßlich.

Das amerikanische Imperium ist eine tödliche Gefahr für die Zivilisation, es ist ein Feind der Freiheit und der Vernunft.

Zusammen mit den Kräften des Widerstandes in Amerika und mit den amerikanischen Studenten, Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern werden wir das Imperium besiegen und die Welt der Vernunft, der versuchten Gerechtigkeit und der größeren Freiheit für jeden erschaffen.

Es lebe die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Brüderlichkeit unter den Menschen!

Es lebe die Solidarität zwischen den Völkern!

Ich danke Ihnen.


Jean Ziegler ist Professsor für Soziologie an Uni in Genf und UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

E-Mail:   jean.ziegler@socio.unige.ch
Internet: http://www.unige.ch/ses/socio/staff.htm#jeanziegler
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