Logo Friedenskooperative


Erstellt:
26.09.1997


 nächster
 Artikel

 siehe auch:

 Cassini -
 Gespräch
 mit ASE

 Cassini -
 Gespräch
 mit dem
 ESOC


zu: Cassini - Inhalt

Cassini-GegnerInnen im Gespräch mit Vertretern des BM Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie

Gespräch mit Vertretern des Wissenschaftsministeriums am 14.08.97

Regina Hagen, Darmstädter Friedensforum

Protokoll des Gesprächs mit dem BMB+F am 14. August 1997

geschrieben von Regina Hagen, Darmstädter Friedensforum

Gesprächsdauer: 2 Stunden

Teilnehmer/innen:

BMB+F (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie):

HerrAppelhans, Pressereferent der Unterabteilung Luft- und Raumfahrt, Verkehr, Meerestechnik

Dr. Blome, Berater der DLR beim BMB+F

Dr. Döllinger, Leiter der Unterabteilung Luft- und Raumfahrt, Verkehr, Meerestechnik

Dr. Nagel, Leiter des Referats Raumfahrt

Stoppt Cassini-Kampagne:

Regina Hagen, Darmstädter Friedensforum

Susanne Ochse, Stoppt Cassini-Kampagne, Bonn

Wolfgang Schlupp-Hauck, Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen



Zu Beginn des Gesprächs überreichte Wolfgang Schlupp-Hauck die Listen mit 10.000 Unterschriften gegen Cassini und erklärte kurz die Geschichte des Engagements der deutschen Friedensbewegung, vor allem der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen, gegen das Cassini-Projekt.

Er erläuterte unsere drei Forderungen an die Bundesregierung:

Die Bundesregierung soll sofort auf einen Stopp der Cassini-Mission hinwirken, da die 32,8 kg Plutonium, die für die Energieversorgung an Bord sind, eine nicht tragbare Gefahr darstellen.

Die Bundesregierung soll die Forschung an und Entwicklung von Solarenergie für tiefe Weltraummissionen weiterhin intensiv unterstützen. Ein positives Beispiel ist die Entwicklung der LILT-Siliziumzellen, die im Auftrag der ESA von der Firma ASE (Angewandte Solarenergie) in Heilbronn durchgeführt wurde. Inzwischen werden diese Solarzellen für den Einsatz in der Rosetta-Mission getestet.

 zum Anfang


Cassini - Inhalt
Die Bundesregierung soll keine Gelder für Weltraummissionen bereitstellen, die mit nuklearen Materialien arbeiten. Bei der Auslegung neuer Missionen soll darauf geachtet werden, daß nicht mehr Energie benötigt wird, als mit alternativen Stromquellen zur Verfügung gestellt werden kann. Ist dies nicht gewährleistet, muß eine Weltraummission so lange zurückgestellt werden, bis die erforderlichen Techniken bereit stehen.



Das folgende Gespräch war äußerst offen, lebhaft und kooperativ.

Zunächst gab uns Dr. Döllinger Informationen über das BMB+F: Das Ministerium hat für die Raumfahrt momentan einen Jahresetat von DM 1,4 Mrd. Davon gehen etwa DM 1 Mrd. an die ESA (das entspricht in etwa der Größenordnung der jährlichen Bafög-Zahlungen). Der Rest des Budgets wird direkt ausgegeben.

Das BMB+F beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Bereichen Wissenschaft (Jupiter und Saturnerforschung), öffentlicher Bedarf (beispielsweise lagen trotz aller moderner Techniken keine Satellitenbilder der Überschwemmungsgebiete an der Oder vor) und Satellitenkommunikation.

In Deutschland arbeiten etwa 5.000 Menschen bei Firmen, die mit Raumfahrttechnik befaßt sind, die meisten bei der DASA. Entgegen der landläufigen Meinung seien die Spin-Off-Effekte aus der Raumfahrttechnologie für die Wirtschaft oder das tägliche Leben gering. Die Raumfahrt sollte im wesentlichen als ein Geschäft betrachtet werden, das sehr hoch bezuschußt wird. Die deutsche und europäische Raumfahrtindustrie sei einer drückenden Konkurrenz durch US-amerikanische Firmen ausgesetzt. Die Zukunftsmärkte der Weltraumtechnik lägen eindeutig in der kommerziellen Nutzung.

Dann kam das Gespräch auf die Informationspolitik und Verantwortung der ESOC. Dr. Döllinger hatte den Artikel der Frankfurter Rundschau (vom 14.8.97) über unsere Aktion bei der ESOC vorliegen. "Ich finde es von der ESOC schwach, daß sie sich der Diskussion nicht stellt und nicht bereit ist, ihren Teil der Verantwortung an den Gefahren der Cassini-Mission zu übernehmen." Er sicherte uns zu, für uns Kontakte zu geeigneten Gesprächspartner bei der ESA herzustellen. Er versprach auch, daß die Informationspolitik der ESA auf die Tagesordnung der Bundesregierung kommen werde.

Da die Vertreter des BMB+F über unsere Kritikpunkte an der Cassini-Mission gut informiert waren, konnten wir sofort in eine inhaltliche Diskussion einsteigen.

Sämtliche Gesprächsteilnehmer des BMB+F machten deutlich, daß sie die Risiken der Mission kennen und daß die Bundesregierung sich ihrer Verantwortung stellt. Dr. Döllinger: "Die Cassini-Mission hat unleugbar ein Risiko. Die Frage ist lediglich, geht man das Risiko ein?" Das BMB+F hält die Unfallwahrscheinlichkeit für so gering, daß die wissenschaftlichen Ziele die Durchführung der Mission rechtfertigten.

 zum Anfang


Cassini - Inhalt
Wir sprachen die Aussage des BMB+F an, daß sämtliche Studien und Analysen der NASA zur Cassini-Mission und den damit verbundenen Risiken öffentlich seien, nicht aber die der Cassini-Kritiker. Wir waren anderer Meinung. Im Vorfeld dieses Gesprächs hatten wir Kontakt mit Dr. Sternglass, der bestätigte, daß sich seine Kritik immer auf die Einschätzung der Niedrigstrahlung bezog und er der NASA eine entsprechende Veröffentlichung aus früheren Jahren zur Verfügung gestellt hatte. Die Analyse der Umweltverträglichkeitsstudie der NASA, die Dr. Michio Kaku erstellt hatte und in der er zum Schluß kommt, daß die NASA die Risiken systematisch und unzulässig herunterrechnet, ist ebenfalls öffentlich zugänglich. Wir hatten sie dem Ministerium einige Tage vor dem Gespräch zugefaxt. Dr. Blome gab zu, daß das Papier von Dr. Kaku fundiert sei, bemängelte aber, daß Dr. Kaku - wie andere Cassini-Kritiker - keine eigenen Berechnungen angestellt habe. Wir wiesen darauf hin, daß die NASA-Studien von gut bezahlten Forschern erstellt werden, während das Engagement der Cassini-Kritiker unbezahlt und überwiegend außerhalb der Arbeitszeit erfolgt.

Im Zusammenhang mit diesem Thema entspann sich auch ein Diskurs, was das Wort "Risiko" denn bedeutet. Ist es zulässig, von "nur" 120 oder 2.300 Toten zu reden, die "riskiert" werden? Die VertreterInnen der Stoppt Cassini-Kampagne brachten klar zum Ausdruck, daß das Risiko auch nur eines Toten bereits zu viel sei. Im Gegensatz zu den sonstigen Risiken des Lebens - Autounfälle, Flugzeugabstürze, tödliche Unfälle in der Weltraumfahrt - habe die Erdbevölkerung im Falle Cassini keine Möglichkeit, sich in das Risiko hineinzubegeben oder es zu meiden. Außerdem handle es sich um eine andere Dimension, wenn das Risiko eintrete - in etwa in der Größenordnung der Folgen von Tschernobyl.

In der technischen Stellungsnahme des Ministeriums war erwähnt, das die Startalternative 2001 für Cassini deshalb nicht in Frage kommt, weil die wissenschaftliche Ausbeute in diesem Fall zu stark beeinträchtigt würde. In den uns zugänglichen Papieren fanden wir allerdings keine Informationen, worin diese Beeinträchtigung besteht. Dr. Blome sagte zu, Informationen zu diesem Bereich an uns weiterzuleiten.

Der nächste Gesprächspunkt bezog sich auf die Verantwortung der Bundesregierung in einem Schadensfall und die Haftungsfrage bei Weltraummissionen.

Nach dem internationalen Weltraumabkommen ist der Startstaat einer Mission zur Haftung verpflichtet, ebenso andere Staaten, die wesentlich beteiligt sind. Sie haften gesamtschuldnerisch. Es handelt sich dabei um eine Gefährdungshaftung, nicht um eine Verschuldenshaftung. Wir machten unsere Gesprächspartner darauf aufmerksam, daß gemäß dem amerikanischen Price Anderson Act die Haftung für nukleare Unfälle außerhalb der Vereinigten Staaten auf $ 100 Mio. beschränkt ist. Das internationale Weltraumabkommen sieht keine solche Beschränkung vor. Dem BMB+F war diese Information neu. Dr. Döllinger sagte zu, daß Dr. Nagel dieser Frage nachgehen wird. "Im Zweifel muß mit der NASA vor dem Start von Cassini eine Einigung über diese Frage erzielt werden." Außerdem versprach er, daß wir vor unserer geplanten Demonstration am 4. Oktober über den Stand der Dinge informiert werden.

 zum Anfang


Cassini - Inhalt
Wir besprachen das Beispiel der verunglückten Sonde Mars-96, an der die Bundesrepublik mit 12 Experimenten und DM 250 Mio. beteiligt war. Wir fragten nach, was die Bundesregierung zur Aufklärung des Verbleibs der 200 g Plutonium an Bord der Sonde beigetragen hat. (Nach unserer Kenntnis verglühte das Plutonium über dem Grenzgebiet von Chile und Bolivien, nach Kenntnis des Ministeriums fiel die Sonde unversehrt in den Atlantik.)

Nach Aussage des Ministeriums hat die DARA (Deutsche Agentur für Raumfahrtangelegenheiten) versucht, in den entsprechenden Untersuchungsausschuß der russischen Behörden aufgenommen zu werden. Dr. Döllinger und seine Mitarbeiter waren unzufrieden mit der Informationspolitik der russischen Kooperationspartner während und nach dem Absturz. "Natürlich werden wir alle bestehenden Verträge erfüllen, für die Zukunft wird das aber schon Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit der russischen Raumfahrtindustrie haben."

Außerdem habe die deutsche Botschaft nach dem Absturz mit den Behörden von Chile und Bolivien kooperiert und Hilfe angeboten.

Uns wurde zugesagt, daß wir nach Fertigstellung den Bericht über den Absturz erhalten werden.

Auch über die Verantwortung der Wissenschaftler gegenüber den Gefahren der Projekte, an denen sie beteiligt sind, entspann sich eine lebhafte Debatte. Dr. Blome bezeichnete die zweckfreie Neugierde als die Triebfeder der Forschung. Natürlich seien der Wissenschaft aus moralischen Gründen Grenzen gesetzt. Wir sollten aber nicht die lange Vorlaufzeit von Weltraummissionen vergessen. Außer der Vorbereitungszeit komme bei Cassini auch noch die lange Flugzeit bis zum Erreichen des Saturn dazu. "Sie müssen deshalb verstehen, daß Forscher nach vielen Jahren Projektarbeit noch vor ihrer Pensionierung von der Ergebnissen ihrer Forschung profitieren wollen. Die Wissenschaftler, die an Cassini mitarbeiten, wollen möglichst schnell Ergebnisse sehen."

Unsere nächste Frage galt der Beteiligung der Bundesrepublik an künftigen Plutoniummissionen. Wir legten unseren Gesprächspartnern eine von der Florida Coalition for Peace & Justice erstellte Liste vor, in der 11 Missionen aufgelistet sind, bei denen sich Plutonium an Bord befinden soll. Wir fragten, an welchen dieser Missionen die BRD bzw. die ESA beteiligt ist und ob beabsichtigt ist, hier im Vorfeld noch "die Bremse zu ziehen". Nach Kenntnisstand des Ministeriums, "ist die BRD an keiner dieser Missionen beteiligt, daher stellt sich die Frage so nicht". (Was noch nicht die Frage beantwortet, welche deutschen Institute oder Universitäten eventuell an solchen Missionen beteiligt sind! R. Hagen)

 zum Anfang


Cassini - Inhalt
Momentan konzentriere sich die Beteiligung der BRD auf die Weltraumstation ALPHA, die Ariane, die Rosetta-Mission zum Kometen Wirtanen sowie die Cluster-Missionen.

Wir fragten, ob die Regierung ein Statement abgeben kann, daß in Zukunft keine Weltraummissionen mit Einsatz von Nuklearmaterialien mehr unterstützt werden. Dr. Döllinger: "In Zukunft wird die Frage nach der Energieversorgung natürlich gestellt werden. Wir sind durch Ihre Proteste stark sensibilisiert worden. Aber wir werden keine Beschlüsse fassen, die wir eventuell nicht einhalten können. Allerdings muß die Art der Energieversorgung in Zukunft ein Entscheidungskriterium über die Beteiligung an Weltraummissionen sein. Da ich kein Raumfahrtexperte bin, wußte ich persönlich bis vor zwei Jahren nicht, daß die Energieversorgung ein Problem sein kann. Ihre Proteste waren für uns sehr hilfreich, das Problem zu erkennen."

E-Mail:   regina.hagen@jugendstil.da.shuttle.de





 nächster
 Artikel

Einige weitere Texte (per Zufallsauswahl) zum Thema

Cassini:
Cassini - Einführung
Cassini - Gespräch mit ASE
Cassini - die Kaku-Studie
FF 6/97 - Nach dem Cassini-Start
Cassini - Interview

Bereich

 Themen 

Die anderen Bereiche dieser Website

              
 Netzwerk FriedensForum   Termine   Ex-Jugo-Hilfe  Aktuelles